Interview: Alice Cooper
By Rockslave

Nachdem das Interview im letzten November in Zürich leider nicht zustande kam, erhielten wir anlässlich der «Welcome 2 My Nightmare»-Tour eine nächste Chance. So fanden sich
Roxx und meine Wenigkeit am Mittag in der Lobby des Swissôtel, das gleich gegenüber dem Bahnhof Oerlikon liegt, ein. Eigentlich hätte mich Kissi begleiten dürfen, aber der musste kurzfristig forfait geben und darum liess sich der Chef nicht lange bitten.

Kurz nach 15.00 Uhr war es dann soweit und wir wurden zum Altmeister des Schock-Rocks geführt, der die Interviews in einem grossen Sitzungszimmer abhielt. Alice sass an einem der Ecktische und ich setzte mich nebenan. Nach der Begrüssung fragte ich meinen Gesprächsgast, ob ich vorab ein Foto von ihm machen dürfe. Er sagt "sure" und ergänzte, ob das für meine Sammlung sei und einen Atemzug später meinte er, dass die Lichtverhältnisse da nicht gerade gut seien und stellte sich vor einer Wand brav für einen zweiten Shot hin! Das fing ja somit schon mal gut an und ich konnte so meine leichte Nervosität gleich spürbar drosseln. Und nun konnte es losgehen! (AC= Alice Cooper)

Als ich begann mit "OK Alice..." antwortete er unvermittelt "Wenn du mich jetzt fragst, woher ich diesen Namen habe, dann ersteche ich dich mit diesem Kugelschreiber! Wir mussten gleich beide laut lachen..., "und dann war da mal einer, der mich danach fragte und ich antwortete ihm, dass er seine Hausaufgaben nicht gemacht habe". Damit war das Eis definitiv gebrochen und das Interview konnte in einer gelösten Stimmung seinen Lauf nehmen. (Früher hiess eben seine Band "Alice Cooper" und wegen einem Rechtsstreit nahm er dann 1974 dieses Pseudonym gleich selber an. - MF)

MF: Das neue Album «Welcome 2 My Nightmare» folgt auf das erste von 1975. Hattest du die Idee dazu früher schon oder war es eine spontane Angelegenheit, den zweiten Part zu realisieren?

AC: Ich dachte nie daran, einen zweiten Teil von «Welcome To My Nightmare» zu machen..., bis zu dem Zeitpunkt als ich begann, mit Bob Ezrin zusammen zu arbeiten. Wir waren eigentlich an einem anderen Projekt dran, als er erwähnte, dass der 35. Jahrestag von «Welcome To My Nightmare» anstünde! Da machte es "klick" in meinem Kopf und er sagte, warum lassen wir Alice nicht einen weiteren Albtraum erleben? Nicht eine andere Version des ersten, sondern einen ganz neuen. Konfrontieren wir ihn mit neuen Situationen, versetzen wir ihn vollumfänglich in einen frischen Albtraum. Doch es sollen alte Elemente, zumindest Teile davon einfliessen, lassen wir Steven zu diesem Piano-Part in die Szene kommen, dies und das einbringen und es miteinander verweben. Musikalisch gesehen gibt es ein paar wenige Reminiszenzen zur ersten Platte. Diese wurden aus der Sicht eines 7-jährigen Jungen geschrieben, der Steven hiess. Wenn in diesem Alter das Licht ausgeht, wird im Raum alles zum Leben erweckt. Ein Geräusch aus dem WC ist zu hören..., du kennst das..., da ist etwas unter dem Bett, deine Spielzeuge werden lebendig, einfach alles..., du bist ja erst sieben Jahre alt! Und das alles macht Angst..., das war der damalige Albtraum. Nun haben wir den Alice Cooper, der alteingesessen ist..., was werden seine Albträume nun sein? Nicht meiner, sondern der von Alice. Es beginnt mit dem Gang in die Disco, was ihn traumatisiert, weil er diese so hasst. Darum setzten wir ihn da rein..., und so schrieben wir «Disco Bloodbath Boogie Fever», was ein totaler Schlag ins Gesicht ist, respektive gegen die Disco gerichtet ist. Zum Schluss hin kommen die Gitarren auf und wischen alles davon weg! Das war meine Vorstellung, wie die Gitarren dieses Disco-Ding wegfegen. Dann in diesem Traum, wo Maschinengewehr-Salven die Wände nieder reissen, kommt alles zurück, er kann es nicht aufhalten. Ein Teil des Traums besteht darin, dass er diese Disco nicht eliminieren kann..., keine Ahnung, wie er es dann tat. In der nächsten Minute befindet er sich an einem Strand, mit all den Bikini-Girls.., aber es sind alles Zombies..., Arme und Beine, die abfallen.

In einem Albtraum..., ich kann dir nicht mal sagen, wie so etwas wirklich abläuft..., es ist wie..., wir sitzen hier und sagen nun, das ist ein Albtraum. Wir sitzen aber hier und führen ein Interview und plötzlich füllt sich der Raum mit Wasser und die Spice Girls kommen rein und schwimmen umher und alles was sie sagen ist, sie seien an der Olympiade. Im Traum, in diesem Moment, scheint alles logisch zu sein und du sagst dir ok, das ist halt so. Wenn du aufwachst, denkst du jedoch, dass das doch alles keinen Sinn macht und fragst dich, woher das kommt..., woher die Spice Girls kommen..., was das wohl war, was mit dir falsch läuft und ob du geisteskrank bist. Aber das habe ich in diesen Albtraum gepackt..., ich habe Alice eine Art Gute Nacht Gebet ausführen lassen und dann realisiert er, dass er einen Albtraum haben wird. "Ich muss wach bleiben!" sagt er sich immer wieder und nimmt anhaltend Koffein zu sich, bis er nicht mehr kann und wegdöst. In der nächsten Szene ist er auf einem führerlosen Zug..., er wacht auf und egal wo er sich darauf befindet..., er ist daran gefesselt und weiss, dass er zerschellen wird. Und dann knallt es und er ist der einzige Überlebende auf der Welt. Dann ist er es doch nicht, weil er sich in einer Versammlung befindet. Ich setze ihn verschiedenen Situationen aus, bis zum bitteren Ende, wo er sich fragt, was das denn für ein Tod sei..., und ich sage nein..., es ist ein Albtraum. Letztlich weisst du nicht, ob er wirklich stirbt oder ob er sich in einem Albtraum befindet..., weil er nie wirklich aufgewacht ist. So wird das aufrecht gehalten und das war die ganze Idee dahinter. Das erklärt auch die grosse Bandbreite der Musik auf diesem Album..., plötzlich ist er der letzte Mensch auf der Erde, dann plötzlich wieder mitten in einer Versammlung. «Last Man On Earth» klingt wie ein Song von Tom Waits und «The Congregation» hat was von der «Magical Mystery Tour» (der Beatles - MF) - «Disco Bloddbath Boogie Fever» tönt hingegen wie ein geistesgestörter Disco-Track. Ich setzte ihn (zum Verständnis..., Vincent spricht von Alice - MF) vielen musikalischen Situationen aus. Dann «I'll Bite Your Face Off»..., Rolling Stones pur..., 1965! «Caffeine» ist hingegen Alice Cooper pur. Einige der Songs tragen die typische Handschrift von Alice Cooper, das kann ich nicht abstreiten. Beim ersten Album gab es auch Sachen, die Alice noch nie zuvor gemacht hatte, warum also nicht ein «Last Man On Earth»..., den Alice musikalisch etwas herum schubsen auf diesem Album und ihn dadurch weniger berechenbar erscheinen lassen.

MF: Wie sieht es bezüglich der aktuellen Show mit konkreten Plänen zu einem Musical aus und was ist dabei die Herausforderung?

AC: Nun zum einen..., dieses Album kam mitten in der laufenden Tour heraus, die eigentlich..., wir starteten die Tour in Europa zusammen mit Iron Maiden, Slayer und wir fuhren für viele Leute eine grosse Show auf. Und diese war eben nicht vor dem 16. Dezember 2010 zu Ende und so fanden wir nicht wirklich die Zeit, «Welcome 2 My Nightmare» mitten auf der letzten Tour zu bringen. Für das sind wir jetzt hier, aber nächstes Jahr werden wir das ganze Album spielen. Wir sind nun gerade an «Caffeine» dran, doch wir werden jetzt mal einen Happen davon spielen. (Dazu gehört zum Beispiel das geniale «I'll Bite Your Face Off» - MF). Doch die Dinge ändern sich laufend..., ich habe zum Beispiel nicht erwartet, dass Orianthi (Panagaris - MF) zur Band stossen wird. Sie ist so eine grosse Bereicherung für uns..., ich meine..., sie spielt wie Zakk Wylde! Sie kann wie..., es ist beängstigend, wie gut sie spielen kann. Als Damon Johnson zu Thin Lizzy ging..., mit meinem Segen übrigens..., sagte er, wen kann ich Dir dafür bringen? Ich kenne ein paar Jungs..., da entgegnete ich, dass ich jemand im Kopf hätte. Da rief ich sie an und sie sagte..., sie möge es, Risiken einzugehen. Sie überlegte ein paar Sekunden und erwiderte "ok, ich mache es!" Orianthi ist nun eigentlich eine Lead-Gitarristin..., sie musste nicht einzelne Parts lernen..., sie packte sich gleich 26 Songs drauf..., schwieriges Material..., in vier Tagen! Und zockt die Songs jeden Abend runter, ohne Fehler. Sie war die perfekte Wahl für mich..., und dieses blonde Girl neben Alice ist einfach schön anzuschauen. Und Steve Hunter (g), der ein grosser Rückhalt für mich ist, der kompletteste Gitarrist, den ich je hatte..., und nun zusammen mit ihr..., das ist einfach toll. Sie wird heute Abend übrigens ein improvisiertes Solo spielen.

MF: Da sind wir mal gespannt darauf..., ich werde ja im Fotograben stehen...

AC: ...gut, du wirst es mögen! Kurz vor «Only Women Bleed» wird sie etwa für zwei Minuten solieren und die Leute drehen jedes Mal ab, wenn sie das hören!

MF: Ein Sänger muss die Texte kennen, ein Schauspieler das Drehbuch. Du hast in beiden Gebieten Erfahrungen gemacht. Worin besteht für dich der Unterschied und was ist schwieriger zu beherrschen?

AC: Nun..., die lustige Sache dabei ist, dass ich ja nicht für mich, sondern für Alice schreibe. Als Bob Ezrin und ich uns zusammen taten und einen Song schrieben, könnte ich was schreiben, was ich sagen würde. Und Bob antwortet: "Alice würde das nicht sagen!" Ja, du hast Recht..., Alice würde das so sagen, weil er ein anderer Kerl ist, nicht ich. Das, was wir aber wirklich teilen, ist der gemeinsame Sinn für Humor. Eine gemeinsame Haltung wäre nicht annähernd das Gleiche. Gleichzeitig beide(s) zu sein und sich ausserhalb zu bewegen..., dazu verwende ich die Texte als Drehbuch für die Show. Mit anderen Worten gesprochen, wenn ich sage «Welcome 2 my Nightmare», dann gebe ich den Fans den Albtraum. Nicht darüber sprechen, sondern es tun! «Cold Ethyl»..., so hart dessen "Tod" scheinen mag..., und ich darüber nachdenke, wie Alice damit umgehen würde..., Cold Ethyl muss daher eine Puppe sein, eine lebensgrosse Puppe..., er herzt sie zu «Only Women Bleed» und kurze Zeit später, bei «Cold Ethyl», springt sein Charakter unvermittelt in die andere Rolle und so wird sie plötzlich zur Feindin. Deshalb schmeisst er sie auf der ganzen Bühne rum. Dieser Moment macht Spass..., sie wird ganz zerzaust am Ende..., eine Sekunde zuvor liebt er sie noch und gleich danach ist sie sein schlimmster Feind. Das ist der ureigenste, perfekte Alice Cooper..., der Psychopath. Ich besetze beide Rollen..., als (Song-) Schreiber und Performer zur gleichen Zeit. Es ist immer fast wie einen Film zu leiten, dessen Star du bist. Es gibt dabei einen Punkt, den du verstehen musst, nämlich dass der Kerl, den du kreierst nicht du selber bist.

MF: «Brutal Planet» und «Dragontown» waren die ersten zwei Alben einer Trilogie. Wird es noch einen dritten Teil geben?

AC: Es war eine Trilogie vorgesehen und ich schloss sie eigentlich ab, als ich die Texte dazu schrieb. «Brutal Planet» widerspiegelte die Tatsache, dass wir in einer Welt leben, die von Katastrophen heimgesucht wird. Ich denke, jeder kann das nachfühlen. «Dragontown» folgte auf die Katastrophe und ist eine Metapher für die Hölle. Fakt ist nun, dass der Horror darin begründet liegt, dass es aus Dragontown absolut kein Entrinnen gibt. Beten ist aussichtslos..., die Sache ist gelaufen. Du hattest deine Chance bei Brutal Planet zu fliehen..., aber du hast sie nicht genutzt. Einmal dort angekommen, gibt es keine Rettung mehr. Es gibt keinen dritten Teil mehr, weil es keine Möglichkeit der Flucht gibt und ich will kein Album darüber machen wie es ist, in der Hölle zu sein. So schloss ich das Album mit dem zweiten Teil ab und wollte nicht, dass man auf den Gedanken kam, dass es einen Ausweg gibt, weil es ihn nicht gibt. Darum war da Schluss und der dritte Teil löste sich somit auf. Aber es gibt einen zweiten Teil von «Along Came A Spider»..., (lacht) - ja..., es kommt eine Erläuterung für die Spinne heraus..., sie heisst «Nightshift».

MF: Ah..., das hätte das ursprüngliche Album von 2010 sein sollen...

AC: ...ja!

MF: Was möchtest du zum Schluss den Lesern von Metal Factory und allen Schweizer Alice Cooper Fans noch mitteilen?

AC: Nun..., ich hoffe, wir sehen uns heute Abend bei der Show, weil es ein spassiger Auftritt werden wird. Wir waren schon viele Male hier und die Leute wissen, was sie von einer Alice Cooper Show erwarten können. Wir werden heute Abend alle Hits spielen, neues Material und es wird ein paar Überraschungen geben. Zudem werdet ihr wahrscheinlich die beste Band sehen, die ich je hatte, einfach sackstark!

MF: Vielen Dank!

Nachher unterschrieb mir Alice noch den Teil 1 des Marvel-Comics von «The Last Temptation», worüber er sich sichtlich zu freuen schien, dass ich das Teil dabei hatte. Nach den noch obligaten Erinnerungsfotos (mit Roxx zusammen) ging eine eindrückliche Begegnung mit einem der grössten Künstler seiner Zunft mehr als zufrieden stellend zu Ende.



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