Die Sache sah nach einem ganz normalen
Interviewtermin aus. Um 15.30 Uhr würde ich von der
Managerin in der Lobby abgeholt, um dann mit Jeff
Waters, Mastermind und Flitzefinger der kanadischen
Metal-Institution Annihilator, bekannt für glorreiche
Alben wie "Alice In Hell" oder "King Of The Kill", wohl
ca. 20 Minuten über dieses und jenes zu quatschen.
Vornehmlich wohl über "Annihilator", dem
selbstbetitelten, aktuellen und somit 13.
Studiosilberling der Band, welche seit jeher nur zwei
Konstanten besass: Jeff Waters und den knallroten,
kursiven Schriftzug. Sowohl Labels als auch Mitmusiker
kamen und gingen unzählige in den 20 Jahren
Bandgeschichte, wobei Waters in Fronter Dave Padden,
welcher seit "All For You" von 2004 dabei ist, doch noch
so etwas wie ein echtes Bandmitglied gefunden zu haben
scheint.
Ich sass also in der Hotellobby und wartete auf meine
Audienz beim Shreddmeister, als dieser plötzlich selbst
durch die Tür spazierte, mich begrüsste, dann gleich zum
Iphone griff und zwar mit der Erklärung, dass der Bus
gleich da wäre. "Welcher Bus? Und wozu?", fragte ich.
"Wir werden das Interview im Bus machen", erklärte Jeff
freudig, "und ich verspreche dir, das ist der coolste
Bus, den du gesehen hast. Wir müssen unbedingt zuerst
eine Tour durch den Bus machen, bevor wir mit dem
Interview beginnen." Als der Bus vor dem Hotel vorfuhr,
war die Freude Jeffs verständlich. Es handelte sich
dabei nämlich nicht um irgendeinen popeligen Tourbus,
sondern um den legendären roten Gibson-Bus, die
Promo-Kutsche der Gitarrenfirma, in welcher von Jimmy
Page über Angus Young bis Slash schon alles gefeiert
hatte, was im Rock-Business Rang und Namen hat und auf
einer Gibson-Klampfe zockt. So wurde aus dem
vermeintlich 20-minütigen Interview eine einstündige
Spazierfahrt durch Zürich mit Halt auf dem Busparkplatz
am Bahnhof inklusive kleiner Photo-Session, wobei
natürlich auch genügend Zeit blieb, mit einem
unglaublich mitteilsamen Jeff Waters (JW) über die
wirklich wichtigen Dinge, d.h. über die neue Scheibe "Annihilator",
die Hochs und Tiefs der letzten Jahre, Linernotes und
die guten alten 80er Jahre, zu sprechen.
MF: Hey Jeff! Eigentlich hast du dir in Zürich ja ein
Hotelzimmer gemietet. Warum machen wir das Interview
jetzt trotzdem in diesem Bus?
JW: Weil es ein verdammt cooler Bus ist! Es ist eine Art
Tourbus, aber ohne Betten drin. Einfach ein Stück
fahrbare Gibson-Epiphone-Geschichte. Dieser Bus ist eine
Legende und phantastisch, um damit herumzufahren und
Interviews zu geben. Weisst du, was verdammt cool ist?
Wenn du damit durch die Strassen einer Stadt fährst,
glotzen dir alle mit riesigen Augen hinterher und
manchmal halten wir dann an irgendeiner Strassenecke und
fragen Leute, ob sie nicht schnell reinkommen wollen, um
mit uns etwas zu trinken. Der Bus steht auch an
verschiedenen Festivals, und jetzt haben ihn mir die
unglaublich netten Leuten von Annihilator ausgelehnt, um
Leute wie dich zu treffen und meine neue Scheibe zu
promoten.
MF: Du befindest dich auf einem über einen Monat
dauernden Promo-Trip quer durch Europa. Was machst du
sonst so den ganzen Tag, ausser mit Journalisten wie mir
sprechen?
JW: Auf diesem Trip? Naja, nicht viel Anderes. Manchmal
mach ich nicht nur Interviews mit Musikmagazinen,
sondern auch mit Leuten von Gitarren-Mags und dann steck
ich diese da (nimmt eine der beiden Custom Flying V's,
die herumliegen) in meinen Verstärker und spiele ein
paar Licks und Riffs für die DVDs, die es in solchen
Heften manchmal gibt. Bis vor ein paar Tagen war auch
Dave Padden noch mit von der Partie, mein Sänger und
Rhythmusgitarrist. Da haben wir während dem Reisen auch
oft gejammt und Songideen ausprobiert. Jetzt ist er aber
wieder zurück in den Staaten. Deswegen kommen diese
Babies (zeigt auf zwei riesige Flachbildschirme an der
Wand) öfter zum Einsatz. Wenn wir aber in einer Stadt
sind, dann bleibt mir nicht viel Zeit für Sightseeing
oder so, da ich den ganzen Tag Interviews gebe. Hier in
der Schweiz sind das aber nicht so viele Termine wie in
Holland oder Deutschland, wo ich von morgens um 11 Uhr
bis abends um 20 Uhr oder so mit Leuten sprach.
MF: Klingt nach einer ziemlich gemütlichen Reise.
JW: Das ist es! Es ist viel entspannter und luxuriöser
als auf einer normalen Konzerttour, da ich viel mehr
Platz habe. Es ist auch weniger stressig, und um ehrlich
zu sein habe ich Angst, ein paar Kilo zuzunehmen, da ich
jeden Tag unglaublich leckeres Essen aus den
verschiedensten Länder Europas essen kann und den ganzen
Tag nur hier rumsitze. Cool ist auch, dass ich auf
diesem Trip Leute treffen kann, welche ich schon seit 10
oder 20 Jahre kenne und die so etwas wie Freunde
geworden sind über die Jahre.
MF: Der Grund für diese Reise ist deine neue Scheibe
mit dem simplen Titel "Annihilator". Warum hast du das
Album einzig mit dem Bandnamen betitelt?
JW: Der Grund dafür ist simpel: Mir ist kein besserer
eingefallen! Was ich bis jetzt nämlich immer gemacht
habe, ist folgendes: Nachdem ich die Scheibe vollendet
habe, schaue ich mir die Songtitel an und überlege mir
bei jedem einzelnen, ob er einen guten Albumtitel
abgeben würde. Denk an "Alice In Hell", "Never Neverland",
"King Of The Kill" oder auch neuere Scheiben wie "Schizo
Deluxe" oder "All For You". Das habe ich auch dieses Mal
wieder so versucht, nur gibt es dieses Mal keinen
Songtitel, der gleichzeitig einen guten Albumtitel
abgeben würde. Dieses Mal haben wir Titel wie "Coward" (dt:
Feigling – Anm. d.Verf.), das wäre ein dummer Titel, "The
Trend", auch das wäre eine blöde Wahl etc. Dave Padden
und meine Managerin brachten dann den Vorschlag "Annihilator",
da sie der Meinung sind, dass die Scheibe wirklich gut
und irgendwie richtig herausgekommen ist und es momentan
so gut läuft mit Annihilator. Dazu kommt, dass Dave nun
seit fast 8 Jahren in der Band ist und seit vier Jahren
auch die Rhythmusgitarre live spielt. In dieser Zeit
entwickelte er sich von einem noch unerfahrenen Sänger
zu einem grossartigen Live-Musiker im Stile von James
Hetfield oder so. Dave ist nicht mehr nur ein weiteres
Temporär-Mitglied in Jeff Waters Solo-Projekt
Annihilator. Annihilator ist jetzt wirklich das Projekt
von Jeff Waters und Dave Padden, und der Titel der neuen
Scheibe drückt das irgendwie aus.
MF: Wie kam das eigentlich? Ich meine, in den letzten
20 Jahren Annihilator hat sich das Line-Up fast von
Scheibe zu Scheibe verändert.
JW: Bei jeder Scheibe! Ich hatte bei jeder Scheibe
zumindest teilweise ein anderes Line Up. Es gab sogar
Zeiten, da hab ich ein Album mit einer Gruppe von
Musikern aufgenommen, bin dann mit anderen Musikern auf
die dazugehörende Tour gegangen und habe beim zweiten
Teil der Tour schon wieder zwei oder drei neue Musiker
dabei gehabt. Das war bei Annihilator schon immer so.
Als ich in den 80ern begann, Demos aufzunehmen und eine
Band gründen wollte, dann waren die Leute, mit denen ich
das versuchte, gute Musiker, aber meistens wollten sie
lieber mit ihren Freundinnen rummachen oder sich
betrinken anstatt wirklich Zeit zu investieren, um
technisch und songwriterisch besser zu werden. Das
führte dazu, dass ich 1986 in komplettem Alleingang
inkl. Drums ein Demo einspielte. Dieses Demo brachte mir
einen Plattenvertrag mit Roadrunner ein, und seitdem ist
das meine Arbeitsweise. Ich schreibe alle Songs, spiele
alle Gitarren und den Bass ein, produziere und mastere
das ganze Zeug, nur die Drums und der Gesang wurde von
jemand anderem beigesteuert. Zwei andere Leute brauchte
ich im Studio und noch zusätzlich einen
Rhythmus-Gitarristen und einen Bassisten auf Tour. Dank
Dave brauche ich jetzt nur noch den Drummer im Studio
und zusätzlich einen Bassisten für Konzerte.
MF: Natürlich würden unsere Leser gerne wissen, wie
deine neue Scheibe denn klingt. Wie würdest du "Annihilator"
persönlich beschreiben?
JW: Natürlich behauptet jeder Musiker, die neueste
Scheibe sei die beste, die man je gemacht habe bla bla
bla... Und das sagt man nicht immer nur wegen dem
Business und der PR, sondern meistens glaubt das der
Musiker wirklich. Das geht allen so: Musiker, Maler,
Schriftsteller oder Regisseure, wir glauben immer, dass
das, was man gerade gemacht hat, das beste unserer
Karriere sei. Ich hab vor einigen Jahren damit
aufgehört, meine aktuellen Sachen ernsthaft einordnen zu
wollen. Es gibt drei Stufen von Hörerreaktionen bei
einer neuen Scheibe. Zuerst stellst du es deinem Label
vor, dann der Presse und danach erst hören es die Fans.
Alle drei Stufen sind wichtig, da dein Label an das
Produkt glauben muss, um es richtig zu bewerben, die
Presse es gut finden muss, damit sie den Fans sagen, sie
sollen es kaufen. Die Fans sind natürlich die
wichtigsten Kritiker, aber ohne die beiden anderen kommt
die Scheibe gar nicht bis zu den Fans. Die Fans haben "Annihilator"
bis anhin aber noch nicht gehört, und deswegen kann ich
dir nur sagen, was die Presse bis jetzt meint. Zwei
Dinge sind mir dabei geblieben: Einerseits, dass "Annihilator"
unsere beste Scheibe seit "King Of The Kill" sei, das
heisst seit genau 15 Jahren, und dass andererseits Dave
Padden seine beste Performance bisher abgeliefert habe.
Jetzt warten wir halt auf die Reaktionen der Fans.
MF: Ich kann diese Einschätzungen eigentlich nur
unterschreiben, obwohl ich "Schizo Deluxe" von 2005 für
eine verdammt starke Scheibe halte.
JW: Das ist eigentlich eine meiner absoluten
Lieblingsscheiben überhaupt bis heute. Weisst du, was
mit diesem Album passiert ist? Wir waren damals bei AFM
Records unter Vertrag, und Andi, der Label-Chef, starb
bei einem Autounfall. "Schizo Deluxe" sollte zu diesem
Zeitpunkt veröffentlicht werden, und wegen dieses
Schicksalsschlages erhielt unser Album nicht die nötige
Promotion und Unterstützung. Wir waren nicht sauer oder
so, denn es war wirklich eine traurige Sache, aber für
uns war das natürlich auch nicht gerade vorteilhaft.
Bald darauf verliessen wir AFM aus verschiedenen
Gründen. 2011 erhalte ich aber die Rechte für "Schizo
Deluxe" zurück, und ich denke, dass wir dann irgendetwas
damit machen werden, damit die Scheibe die
Aufmerksamkeit erhält, die sie meiner Meinung nach
verdient hat.
MF: Hoffen wir das mal! Nun aber zurück zu "Annihilator"!
JW: Genau! Die neue Scheibe ist cool, da sie einerseits
ziemlich hart und aggressiv ist, andererseits aber auch
nicht. Sie startet mit dem langen Song "The Trend". Zu
Beginn besteht dieser Song ja nur aus Gitarrenmelodien,
und daran ist überhaupt nichts hart oder thrashy. Ab der
dritten Minute allerdings wird es rifflastiger und
wütender. In diesem Stil sind auch die beiden nächsten "Ambush"
und "Coward" mit einem Touch Slayer oder Metallica. Nach
den ersten drei Songs also denkst du, dass Annihilator
ein ganzes Stück härter geworden sind, doch im Verlauf
der CD wirst du auch die melodischen Seiten von uns
wiederfinden.
MF: In der Mitte von alledem steht ein ziemlich
aussergewöhnlicher Song, "21 Seconds", äh "25 Seconds"
meine ich.
JW: "25 Seconds", oder? Oder heisst der Song "25 Minutes
Alone"?
MF: Nein, du hast recht. Er heisst "25 Seconds".
JW: Genau! Oh Gott, ich vergesse die Namen meiner
eigenen Songs. Ich hab gerade an "5 Minutes Alone" von
Pantera gedacht, hahaha... Der Song, den du meinst, ist
ziemlich interessant, das stimmt. 25 Sekunden lang hörst
du ja nur eine eingängige Bassline, die irgendwie an ein
Kinderlied erinnert oder so, und danach beginnt Dave
heftig zu schreien und das Schlagzeug gibt Gas. Das ist
sehr speziell, aber der Schlüssel liegt in den Lyrics.
Ich werde das dann auch in den Linernotes zu diesem Song
thematisieren.
MF: A propos Linernotes: Deine Booklets enthalten
immer Linernotes zu den Songs. Was hat es damit auf
sich?
JW: Das hat mit meiner Jugend zu tun. Ich wuchs in den
80ern auf, und damals gab es noch kein Internet, nicht
einmal Mobiltelefone. Als ich dann begann, Demos zu
verschicken, dann musste ich immer Kassetten aufnehmen
und diese an Labels, Magazine und Fanzines schicken, in
der Hoffnung, irgendeine Rückmeldung zu erhalten. Das
konnte manchmal Wochen oder Monate dauern und kostete
jedes Mal fünf Dollar. Jetzt kannst du einen Song in ein
paar Sekunden kostenlos aus der Schweiz in die Türkei
hochladen... Was war nochmal deine Frage?
MF: Was es mit den Linernotes auf sich hat.
JW: Ah, genau! Sorry! 1986, Drei Jahre vor dem ersten
offiziellen Debut "Alice In Hell" konnte ich mit
Annihilator durch unser Demo "Phantasmagoria" etwas
Berühmtheit erlangen. Als ich das Demo rund um die Welt
schickte, erhielt ich viele Rückmeldung aus
nicht-englischsprachigen Ländern, in welchen mich die
Leute nach der Bedeutung der Songs respektive der Lyrics
fragten. Ich begriff damals, dass ich es doch gerne
hätte, wenn die Leute, welchen meine Musik gefällt, auch
den Inhalt verstehen könnten und deshalb beschloss ich
damals, Linernotes zu schreiben, falls ich je einen
Plattenvertrag kriegen würde. Danach haben das dann auch
viele andere Bands getan, wobei ich zugeben muss, nicht
wirklich der Erfinder dieser Sache zu sein. Im Metal
aber tat das, glaube ich, noch niemand.
MF: Seit deiner letzten Scheibe "Metal" sind drei
Jahre vergangen. Kannst du kurz erzählen, was in dieser
Zeit so alles mit Annihilator geschehen ist?
JW: 2007 veröffentlichten wir "Metal" über SPV. Als Dave
und ich mit den Aufnahmen fertig waren, dachte ich zwar
schon, es sei eine gute Scheibe geworden, hatte aber in
keiner Weise so ein euphorisches Gefühl wie jetzt mit "Annihilator".
Eines Tages telefonierte ich, einfach, um etwas zu
quatschen, mit Corey Beaulieu von Trivium, ein guter
Freund von mir. Er fragte mich, ob die Scheibe schon
fertig sei und ich sagte: "Beinahe!". Darauf fragte er
mich: "Kann ich ein Solo darauf spielen?" Natürlich
sagte ich sofort zu. Am nächsten Tag erhielt ich einen
Anruf von Michael Amott von Arch Enemy, der mich zu
einer Show von ihm in Kanada einladen wollte. Ich fragte
ihn spontan, ob er nicht auch ein Solo beisteuern wolle,
und auch er sagte zu. Meine Freundin, welche
gleichzeitig auch meine Managerin ist, riet mir darauf,
doch noch andere Gitarristen anzufragen. Die Phantasie
ging gleich mit mir durch und ich stellte mir schon vor,
wie Kirk Hammet oder K.K. Downing auf meinem Album
solieren würden. Meine Freundin holte mich auf den Boden
der Realität zurück und riet mir, die Musiker zu fragen,
welche ich sowieso schon kenne und welche von meiner
Musik beeinflusst wurden. So kamen dann noch Alexi Laiho,
William Adler von Lamb Of God oder Danko Jones dazu.
Anders war es bei Steve 'Lips' Kudlow von Anvil. Der
kannte Annihilator gar nicht wirklich, doch ich bin seit
meiner Jugend ein riesiger Anvil-Fan, sodass ich ihn
dennoch anfragte. Ich löschte also spontan alle meine
schon eingespielten Soli und liess all diese
wunderbaren Musiker spielen oder singen.
MF: Das hatte sicherlich auch verkaufstechnisch
seinen Nutzen.
JW: Auf jeden Fall! So erreichten wir viele junge Leute,
die Annihilator sonst überhaupt nicht kannten oder
dachten, wir wären Schnee von gestern. Wir gingen danach
ja auch als Vorband von Trivium auf Europa-Tournee. In
Grossbritannien spielten wir insgesamt vor über 40'000
Trivium-Fans. Rückblickend muss ich aber eingestehen,
dass die Songs auf der Scheibe eigentlich nicht so stark
sind. Ohne Gäste würde ich der Scheibe 6 von 10 Punkten
geben, mit Gästen 7,5, vielleicht 8 Punkte. Das aber
auch nur, da es einfach spannend ist, Musiker aus
anderen Bands in Verbindung mit ungewohnter Musik
spielen bzw. singen zu hören.
MF: Wie hat sich "Metal" auf "Annihilator"
ausgewirkt?
JW: Ich wusste, dass "Metal" ohne die Gäste nicht so gut
geworden wäre und sich auch deutlich weniger gut
verkauft hätte. Mit dieser Erkenntnis im Hinterkopf
machten Dave und ich uns an die Arbeiten zu "Annihilator".
Das Motto lautete: Wir machen eine starke Scheibe mit
starken Songs, ohne Special Effects, ob es zwei Wochen
oder ein verdammtes Jahr dauert. Das heisst nicht, dass
wir uns vorgenommen hätten, eine Scheibe für die
Ewigkeit zu schreiben. Wenn du nämlich mit diesen
Erwartungen an ein Projekt herangehst, dann bist du
praktisch schon zum Scheitern verurteilt. Das Ziel
sollte einfach immer sein, möglichst gute Songs zu
schreiben und dabei Spass zu haben. Denn wie viel Spass
du dabei hast hört man anschliessend auf den Aufnahmen.
Deswegen hab ich mir auch viele meiner alten
Lieblingsscheiben wieder angehört, von denen ich glaube,
dass diese Spielfreude eben zu hören ist – Scheiben wie
"Bonded By Blood" von Exodus oder "Justice For All" von
Metallica. Immer, wenn ich etwas Mühsames machen musste
wie Abwaschen oder die Finanzen, dann liess ich mich von
diesen Klassikern inspirieren, und ich glaube, das hat
sich gelohnt.
MF: Wie stark war Dave Padden dieses Mal am
Songwriting beteiligt?
JW: Bei uns läuft das immer gleich ab. Dave wohnt
ziemlich weit weg von mir, in den Staaten, und manchmal
sehe ich ihn über ein Jahr nicht, wenn wir nicht touren
oder im Studio sind. Wenn dann die Musik einer neuen
Scheibe geschrieben und produziert ist, dann kommt er zu
mir rauf und wohnt ein paar Wochen bei mir. Er hört sich
dann die Demo-Versionen an, die ich vom Gesang selbst
gemacht habe und weiss dann ziemlich schnell, was ich
meine, sodass wir schon am nächsten Tag ins Studio
aufnehmen gehen können. Ich reserviere aber immer zwei,
drei Songs für ihn. Da schreibt er dann Text und Melodie
selbst. Wenn er zuhause ist, schreibt er eben keine
Songs, obwohl er ein verdammt grosses Talent wäre. Bei
mir zuhause ist er dann eben in Arbeitsstimmung und
kreiert in sehr kurzer Zeit phantastische Sachen. So
gehen Gesangsmelodien und Text von "Coward" und "Death
in your Eyes" auf sein Konto. Zwei der besten Songs auf
dem Album.
MF: Du hast erwähnt, dass du für die Gast-Soli auf
"Metal" deine eigenen gelöscht hast. Auf "Annihilator"
finden sich laut Promo sage und schreibe 66
GitarrenSoli von dir. Kompensierst du jetzt das, was du
auf "Metal" gelöscht hast?
JW: Scheint irgendwie so. Ob es wirklich 66 Soli sind,
weiss ich nicht. Ich zähle nie, wieviele Soli ich auf
einem Album spiele. Das hat ein Typ von der Plattenfirma
geschrieben und ich hab nicht einmal gewusst, dass das
im Promo-Text stehen würde. Es war aber eine ziemlich
clevere und coole Idee von ihm. Zwei Tage, nachdem er
die Scheibe von mir geschickt bekommen hatte war er
ziemlich begeistert von "Annihilator" und fragte mich,
ob ich wisse, 66 Soli auf dem Album eingespielt zu
haben. Ich wusste es natürlich nicht, freute mich aber
irgendwie darüber, dass sich ein Typ von einer
Plattenfirma die Zeit genommen hatte, jedes einzelne
Solo zu notieren. Da dachte ich dann: "Vielleicht habe
ich endlich die passende Plattenfirma gefunden". Es
erinnerte mich auch daran, wie viel Arbeit ich dieses
Mal in die Soli gesteckt habe.
MF: Mehr als sonst?
JW: Auf jeden Fall! Nicht, dass die Soli jetzt
irgendwie schwieriger wären. Ich habe mir einfach
deutlich mehr Gedanken dazu gemacht als sonst. Freunde
von mir zuhause in Ottawa sagen mir schon seit Jahren:
"Jeff, du musst härter und aufmerksamer an deinen Soli
arbeiten" Darauf ich: "Warum? Bin ich ein schlechter
Gitarrist? Spiele ich die Sachen nicht sauber?" Das ist
aber nicht das, was sie meinen. Was sie eigentlich
meinen, ist, dass ich mir mehr Gedanken über die Soli
machen soll, über ihren Aufbau, ihre Struktur, ihre
Länge und Platzierung innerhalb der Songs. Das habe ich
dieses Mal gemacht.
MF: Dadurch, dass deine neue Scheibe keinen eigenen
Titel hat sondern schlicht "Annihilator" heisst,
schaffst du eine starke Beziehung zu deiner Geschichte
und der Band als solches. Gleichzeitig ist "Annihilator"
aber die erste Scheibe überhaupt, auf welcher nicht der
prägnante, rote Schriftzug prangt. Was hat es damit auf
sich?
JW: Der Grund ist ein rein ästhetischer. Als es um das
Layout ging hatte ich eines Nachts einen Albtraum. Ich
schaue viele Horror-Filme, keine Ahnung warum, sie
gefallen mir einfach. Im Traum schwebte ein junges,
bleiches Mädchen, dessen Augen komplett weiss waren. Das
Mädchen ähnelte irgendwie der Hauptfigur aus "Der
Exorzist". Als ich am nächsten Tag aber darüber
nachdachte, erinnerte mich das Mädchen auch an Alison,
dem Mädchen, welches in unserem Song "Alison Hell" von
der Scheibe "Alice In Hell". Dieses Mädchen ist ja auch
auf dem Cover dieser Scheibe zu sehen. Als wäre Alison
von den Toten auferstanden und suchte mich in meinen
Träumen heim. Dies alles erzählte ich unserem Künstler
in Budapest, welcher schon die drei vorherigen Cover
gestaltet hatte, und eine Woche später hatte er es
fertig. Zuerst dachte ich: "Oh-oh... Das sieht ziemlich
nach Death Metal aus". Da wir jetzt aber ja bei Earache
Records sind, passt das irgendwie. Ein weiteres Problem
sah ich in der Frage, wo wir das Logo platzieren
sollten. Der Künstler sagte, das brauche es nicht, da "Annihilator"
dem Mädchen ja in die Stirn eingeritzt wurde. Noch
gruseliger wird die Sache, wenn man bedenkt, dass "Annihilator"
unser 13. Studioalbum ist. Dave's Geburtsdatum ist der
13. Februar 1976, mein Geburtsdatum ist der 13. Februar
1966 und geboren wurde ich genau um 13.00 Uhr. Wenn das
keine teuflische Scheibe ist!
MF: Eine andere Sache, die mich überraschte, ist die
Cover-Version von Van Halen's "Romeo Delight" am Ende
des Albums. Warum ein Cover? Warum diese Band? Warum
dieser Song?
JW: Während dem Schreiben der Songs fiel mir einmal auf,
dass ich noch nie eine Cover-Version auf einem regulären
Album hatte. Wir coverten zwar "Hell Bent For Leather"
von Judas Priest und "Live Wire" von AC/DC, aber nur als
B-Sides von Singles, damals, als es noch Vinyl gab. Also
entschloss ich mich dazu, auch, da mir die Idee gefiel,
einen meiner Lieblingssongs auszuwählen. Kurz darauf
merkte ich aber, dass ich ungefähr 1000 Lieblingssongs
habe. Mein Freundin/Managerin empfahl mir dann, einen
Song zu covern, welcher mein Leben musikalisch
massgeblich verändert bzw. beeinflusst hat. Die Wahl war
einfach: Das war ganz klar "Romeo Delight" von Van
Halen.
MF: Inwiefern?
JW: 1980 veröffentlichten Van Halen ihre dritte Scheibe,
genannt "Women And Children First". Auf der
dazugehörenden Tournee machten sie auch in Ottawa halt,
wo ich wohnte. Ich wusste: Ich muss dahin. Das Problem
aber war, dass ich erst 13 Jahre alt war und meine
Eltern mir das niemals erlaubt hätten. Also kletterte
ich filmreif aus meinem Fenster und schlich mich
unerlaubt zum Konzert. Natürlich hatte ich als
13-jähriger aber auch nicht genug Geld für ein Ticket.
So sass ich vor dem Stadion auf der Treppe und hörte mir
an, wie Eddie van Halen 20-minütige Soli zockte und
David Lee Roth unendlich lange mit dem Publikum
plauderte. Als ich die rohe Live-Version von "Romeo
Delight" hörte, da war es um mich geschehen. Von da an
war ich auf der Suche nach immer härterem Sound, fand
den Weg zu Black Sabbath, Judas Priest, Motörhead und
Iron Maiden. Das klingt heute vielleicht komisch, aber
damals war "Romeo Delight" einer der vielleicht
aggressivsten Songs überhaupt. AC/DC, Kiss und Van Halen
wurden damals als Heavy Metal bezeichnet. Heute gilt
"Romeo Delight" als cooler Rock-Song, zu dem man gut
feiern kann. Damals war dieser Song gleichbedeutend mit
Revolte und Aggression. Wenn ich diesen Song also nicht
gehört hätte, würde ich wohl heute nicht die gleiche
Musik machen. Mein Leben wäre vielleicht ein völlig
anderes.
MF: Von dieser schönen Geschichte aus der
Vergangenheit zurück in die Zukunft: Wann wird man euch
das nächste Mal live hier in der Gegend sehen können? Es
ist ja schon eine Weile her, seit Annihilator das letzte
Mal hier spielten.
JW: Das stimmt. Ich persönlich war aber letzten November
schon hier in der Schweiz. Das waren aber keine
Konzerte, sondern Guitar Clinics. In Musikläden hab ich
einen neuen Verstärker von Hughes & Kettner vorgestellt,
unter anderem hier in Zürich. Diesen Termin werde ich
wohl nie wieder vergessen, denn der Laden war ziemlich
voll, und anstatt der geplanten 70 Minuten haben wir
fast zweieinhalb Stunden gemacht. Was aber deine Frage
betrifft: Wir hoffen, dass wir im Oktober als Teil eines
unglaublich coolen Tour-Packages, welches ich noch nicht
verraten darf, nach Europa zurückkommen werden.
Ansonsten werden wir im Sommer noch das eine oder andere
Festival spielen, jedoch leider nicht allzu viele. Ende
Sommer oder September werden wir dann richtig zu touren
beginnen. Zuerst aber in Australien und Japan, wo wir
auch schon lange nicht mehr waren. Wenn bis dann alles
klappt, werden wir Anfang nächsten Jahres als Headliner
zurück nach Europa kommen.
MF: Und die letzte, obligatorische Frage: Wo wirst du
und/oder Annihilator in 10 Jahren stehen?
JW: Zuerst einmal hoffe ich, dass ich dann noch stehen
werde und nicht in irgendeinem Krankenhausbett
dahinsieche, hahaha... Nein: Annihilator
veröffentlichten das Debut 1989, ziemlich genau einen
Monat, bevor die 90er begannen. Wir sind also noch eine
80er-Band, jedoch noch jung genug, um ein Weilchen
weiterzumachen. Und wenn man sieht, wie Maiden, Priest, Slayer oder sogar Ronnie James Dio immer noch Gas geben,
dann habe ich keine Angst um meine Zukunft. Übrigens
fühle ich mich auf dieser Promo-Tour, mit "Annihilator"
im Gepäck, so jung wie schon lange nicht mehr.
Vielleicht liegt es auch daran, dass der Metal wieder da
ist oder dass Bands wie Exodus oder Testament härter
rocken und bessere Alben veröffentlichen denn je.
Jedenfalls freue ich mich auf einige weitere Jahre
voller Metal und Annihilator. In Zahlen heisst das, dass
ich hoffe, in 10 Jahren mit dir über unsere 17. Scheibe
sprechen zu können.
Unser Kissi im Gibson Bus >>>
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