Kaum noch Erinnerungen an die Tour
mit Judas Priest.
Auch wenn man weiss, dass ein konstantes Line-Up bei Jeff Waters
und Annihilator kaum möglich ist, überraschte es, dass der Kanadier
auf dem neusten Werk wieder selber hinters Mikrofon stand. Nach mehr
als zwölf Jahren wurde Jeff von Dave Padden verlassen. Überraschend,
nicht nur für die Fans… Mister Waters machte aus der Not eine
Tugend, da er seinen Wunschkandidaten schon bei einer anderen
Metal-Truppe singen hört und nahm Gesangsunterricht. Gestärkt aus
dieser Schulung sang der wirblige Gitarrist «Suicide Society» ein,
das in den renommierten Magazinen mit Lob überschüttet wurde. Eine
Tour liess nicht lange auf sich warten und so sass mir Jeff im Z7
total entspannt, trotz des lang andauernden Soundchecks, in der
Umkleidekabine gegenüber, um über Dave, die drei ersten
Klassikeralben und Megadeth zu sprechen.
MF: Jeff, wieso hast
du dich von Dave getrennt?
Jeff: Er hat sich von mir getrennt, und das hat mich sehr
überrascht, da ich dachte, dass er der singende Gitarrist bis ans
Ende von Annihilator sein würde. Dave war über zwölf Jahre Mitglied
der Band. Im Dezember 2014 rief er mich an. Er wusste, dass es an
der Zeit war, die neuen Songs einzusingen. In der Regel singe ich die
Demos ein, aber im Studio stand Dave hinter dem Mikrofon. Er sagte
mir, dass er nicht mehr auf Tour gehen möchte. Diese Aussage
schockte mich für ein paar Tage, weil ich den Grund dafür nicht verstand.
Er versicherte mir, dass es nicht an mir lag, an der Musik, am Geld
oder am Business. Speziell weil ich ihn fragte, ob er denn mehr Geld
verdienen möchte. Die Moneten waren nicht der ausschlaggebende Punkt
für seinen Ausstieg. Dave hasste das Reisen. Vor einigen Wochen
wurde mir klar, dass dies nicht die Wahrheit sein konnte. Da muss
ein anderer Grund dahinter stecken. Nach zwölf Jahren, vielen
Flugmeilen, den Hotels, dem Tourbus und den ganzen Reisen, werden
einige Leute müde. Ich wünschte mir, dass ich die Gelegenheit gehabt
hätte, mich auf seinen Schritt vorzubereiten und ihn zu überreden,
dass er weiterhin bei Annihilator bleiben würde. Ich war echt
angepisst und wollte nicht, dass er die Band verlässt. Trotzdem
wünsche ich Dave alles Gute für die Zukunft.
Wir haben in
letzter Zeit auch wieder miteinander gesprochen und sind noch immer
gute Freunde. Als ich realisierte, dass er zu 100% nicht
zurück kehren wird, schaute ich mich nach einem neuen Sänger um. Es
liess sich aber niemand finden. Stu Block, der Sänger von Iced
Earth, ist mein Wunschkandidat. Nicht in der Art, wie er bei Iced
Earth singt, sondern in der Art, wie Stu für sich selber singt. So,
als wenn er meine Lieder nimmt und auf seine ganz eigene und
persönliche Art singen würde. Ohne Einfluss eines Jon Schaffer, Jeff
Waters oder Produzenten, die ihm sagen, wie er zu shouten hat. Für
mich ist er momentan die perfekte Stimme im Hard Rock und Metal.
Aber! Er ist Mitglied bei Iced Earth und darum frage ich ihn nicht,
ob er bei mir einsteigen würde, da mir klar ist, dass er sowieso
nein sagen würde. Nach ein paar Wochen der erfolglosen Suche sagte
ich mir, «Fuck, wieso singe ich nicht wieder selber?» Ich habe die
meisten Demos und drei Alben im Studio eingesungen. Okay, ich war
nicht immer mit dem zufrieden, wie und was ich in der Vergangenheit
sang, da es nicht gut genug war. «King Of The Kill» war für die Band
ein sehr erfolgreiches Album. «Refresh The Demon» war ganz okay.
ABER! Ich wollte gar nie singen, sondern nur der Gitarrist sein. Es
ist nicht einfach auf Tour zu singen und gleichzeitig Gitarre zu
spielen. Aber da ich Lieder wie «King Of The Kill», «Set The World
On Fire» oder «Alison Hell» seit über zwnazig Jahren spiele, ist es keine
allzu grosse Herausforderung mehr, beides zu tun. Was mir fehlte, war
die seriöse Vorbereitung. Aus diesem Grund nahm ich
Gesangsunterricht und lernte während einigen Monaten ein besserer
Sänger zu werden. So widmete ich letzten Dezember, Januar und
Februar ganz meiner Gesanglehre und sang die folgenden zwei Monate
«Suicide Society» ein.
MF: Hast du nie darüber nachgedacht, wieder mit Randy Rampage,
Coburn Pharr, Aaron Randall oder Joe Comeau zusammen zu arbeiten?
Jeff: Ich denke… Schau ich mir diese individuellen Sänger
an, bin ich der Meinung, dass keiner von ihnen physisch diesen Job
nochmals erledigen könnte. Viele von ihnen haben seit Jahren nicht
mehr gesungen. Coburn sang seit 1992 nicht mehr. Er hat uns letztes
Jahr bei «70000 Tons Of Metal» unterstützt und zwei bis drei Stücke
gesungen. Das ganze Set hätte er jedoch niemals singen können. Er war sehr
glücklich, uns bei diesen zwei bis drei Stücken zu unterstützen. Er
ist aber nicht mehr in der Lage, mit einer Metal-Band eine lang andauernde
Tour mitzumachen. Du musst gesanglich, körperlich, physisch und
mental in der Lage sein, jeden Abend auf der Bühne abliefern zu
können. Randy wäre eine tolle Lösung, wäre er clean und mit sich im
Reinen. Aus dem romantischen und historischen Blickwinkel gesehen
ist er der Beste der alten Sänger. Aber das Alter, die Zeit, Drogen,
Alkohol und die physische Form, machen eine erneute Zusammenarbeit
fast unmöglich. Aus diesem Grund war es für mich sehr einfach, nicht
in die Vergangenheit zu schauen (grinst).
MF: Sex, Drugs and Rock'n Roll, wie wichtig waren
diese Komponenten für dich?
Jeff: Sex und Rock' n Roll für mich? Drogen, nicht als das
Typische zu verstehen… Meine Droge war Alkohol. 1999 konnte ich
meine Sauferei beenden. Seit mehr als fünfzehn Jahren bin ich von diesem
Scheiss weg. Logisch rauchte ich mal einen Joint, als ich jung und
ein Teenager war. Ich bin glücklich und stolz, dass ich immer die
Finger von den harten Drogen lassen konnte. Meine Sucht war der
Alkohol und dies jede Nacht für fünf Jahre. Da gab es keinen Abend,
an dem ich mir die Birne nicht zuknallte. 1988 bis 1992 war eine
einzige grosse Party, verbunden mit ganz viel Spass. Aber ich
wünschte mir, dass ich mich an mehr Dinge erinnern könnte, wie zum
Beispiel die «Painkiller»-Tour, als wir im Vorprogramm von Judas
Priest spielten. Mit einer betäubten Rübe lassen deine vernebelten
Gedanken kaum eine Erinnerung zu. Sex… Natürlich, die meisten Leute
finden das angeblich ziemlich cool (grinst). Rock'n Roll… Klar, du
willst eine warme Dusche, ein gemütliches Bett und was zu essen.
Aber! Wenn das Licht ausgeht und die Musik beginnt, fühlst du dich
wieder wie ein kleiner, junger Metalhead. Trotzdem, dass ich heute
ein 49-jähriger Metalhead bin (grinst).
MF: Wie wichtig ist ein stabiles Line-Up für dich,
denn wenn es eine Konstanz bei Annihilator gibt, sind es die
unzähligen Wechsel?!
Jeff: Nach unserem ersten Plattenvertrag, als «Alice In
Hell» veröffentlicht wurde, verliess Randy die Band, um wieder einem
normalen Job nachgehen zu können. Er hatte eine verdammt gute
Arbeitsstelle in Vancouver. Die Plattenfirma, das Management, die
Band und ich selber… Stell dir vor, wir sind mit Testament auf Tour,
in der Tasche ein Hit-Album und dein Sänger will wieder einer
normalen Arbeit nachgehen! Wir hätten ihm mehr Geld gegeben, aber er
meinte nur, dass er seinen gut bezahlten Job aufgegeben hätte. Ob
das wirklich die Wahrheit war? Wenn du zu Hause bist, befindest du
dich in einer bekannten Komfortzone. Verlässt du die, überschreitest
Landesgrenzen und findest dich plötzlich in der ganzen Welt wieder,
findest du dich plötzlich mit den einfachsten Dingen nicht mehr
zurecht. Als wir die ersten Demos einspielten, lernte ich Bass und
Schlagzeug zu spielen. Ich wünsche mir ein stabiles Line-Up, aber
ich fand nie Leute, die länger in der Band bleiben wollten. Solche
Musiker, die jeden Tag üben wollen, solche die für Monate in den
Tourbus steigen, oder solche die sich in einer neuen, unbekannten
Welt zurecht finden. Aus diesem Grund habe ich mir all die
unterschiedlichen Jobs wie das Produzieren, Engineeren, Arrangieren,
Texte schreiben, Singen, Gitarre-, Bass- und Schlagzeugspielen
selber beigebracht. Als das erste Line-Up für «Alice In Hell» stand,
waren dies alles angemietete Musiker. Noch heute gehe ich diesen
Weg.
MF: Woher bekommst du die Inspirationen für deine
Songs und deine Texte?
Jeff: Oh, das ist ganz unterschiedlich und kann manchmal ein
ganz harter Weg sein. Weisst du, in der Regel hast du deine ureigene
Art Texte zu schreiben. Das ist dann deine Art dich auszudrücken und
wird zu deinem Markenzeichen. Genau gleich verhält es sich bei der
Musik. Ich bin ein Fan von vielen Metal-Bands. All diese Einflüsse
kannst du auch in meiner Musik hören. Manchmal ist es schwer sich
einzugestehen, ob eine Idee nun gut, schlecht, fantastisch oder
scheisse klingt (grinst). Inspirationen… Im Studio zu sitzen und ein
neues Riff zu komponieren, das ist das, was ich liebe! Nicht unbedingt
live zu spielen oder die Presse und Fans zu treffen, mit der
Plattenfirma zu diskutieren oder mit meiner Band zu üben. Ich liebe
es viel mehr, alleine im Studio zu sitzen und ein neues Riff zu
kreieren.
MF: Du warst schon einige Male im Gespräch als
Gitarrist von Megadeth. Wieso hat dies nie geklappt?
Jeff: Da erste Mal, als mich Dave Mustaine anrief, war ich auf
der allerersten Tour in Nordamerika. Wir waren zusammen mit
Testament unterwegs, als Chuck Billy (Sänger von Testament) in
unsere Umkleidekabine kam und sagte: «Mustaine ist am Telefon». Ich
war der absoluten Überzeugung, dass er mich nur auf den Arm nehmen
wollte. Chuck wurde richtig wütend und meinte: «Get on this fucking
phone. Mustaine is on the phone, RIGHT NOW!» Ich wusste, «oh oh, der
meinte das verdammt ernst.» Dave erzählte mir, dass er «Alice In
Hell» und meine Art Gitarre zu spielen mag. Er wollte diese
Komponenten dafür verwenden, um «Rust In Peace» zu komponieren. Das war
schon verdammt cool, ein Riesenkompliment und eine grosse Ehre für
mich! Dave Ellefson meinte später zu mir, dass Mustaine die Lieder
von «Alice In Hell» die ganze Zeit im Tourbus sang. Das war schon
sehr ungewöhnlich für mich. Aber ich lehnte das sehr verlockende
Angebot von Dave ab, weil ich gerade einen Plattenvertrag mit
Roadrunner Records unterschrieben hatte und mir mein Manager sagte:
«Bist du verrückt? Du hast gerade von «Alice In Hell» hunderttausend
Exemplare verkauft und die Plattenfirma ist absolut glücklich.»
Auch bei der zweiten Anfrage lehnte ich das Angebot ab, bedankte
mich bei Dave und fühlte mich sehr geehrt. Ich erinnere mich, dass
er nicht glücklich war über meinen Entscheid. Dann hörte ich nichts
mehr von Dave bis 2003. Er suchte wieder einen neuen Gitarristen und
entschied sich dann aber für die beiden Drover-Brüder aus Kanada.
Ich war damals gerade mit Judas Priest auf der «Re-United»-Tour als
Support dabei. Später sprachen wir über ein gemeinsames Side-Projekt
und darüber, gemeinsam neue Lieder zu schreiben. Irgendwann rief mich
Dave wieder an und sagte: «Hey Jeff, I need you!» Dave ist Megadeth
und meine Band ist meine Band (grinst). Verstehst du, was ich meine.
Es ist erstaunlich, dass er sich immer gemeldet hat und ich wünsche
uns, dass wir irgendwann zusammen Songs schreiben können. Es könnte
absolut möglich sein, dass zwei Bandleader, wie wir es sind,
zusammen in einer Truppe spielen. Aber ich weiss, was er von einem
Gitarristen erwartet und was ich von meiner Band erwarte. Dave sucht
sich die besten Musiker aus. Sei das Chris Broderick oder Kiko
Loureiro. Er sucht einen richtigen Shredder-Solo-Gitarristen. Das
ist nicht meine Art zu spielen. Ich bin eher der Rhythmusgitarrist
und Songwriter, der auch Solos spielt.
MF: Was sind die Pläne für die Zukunft?
Jeff: (lachend): «Have dinner» (der Soundcheck dauerte
wegen technischen Problemen mehr als eine Stunde länger und Dave
schob das Interview dem Essen vor). Es hat sich diesbezüglich seit
dem Start nichts verändert. Mit der Musik zu überleben, zu essen und
meine Rechnungen zu bezahlen. Von 1997 bis 2006 hatte ich viele
unterschiedliche Jobs in meinem Aufnahmestudio. So konnte ich meine
Rechnungen zahlen und Annihilator am Leben erhalten. Seit 2007
verkaufen sich unser Alben besser. 2010 waren es nochmals mehr und
2013 auch. Mit der neuen Scheibe konnten wir ebenfalls mehr Einheiten
absetzen. Das ist für mich sehr aufregend. Wir sind keine grosse
Band, aber der Trend für die gewöhnlichen Plattenverkäufe geht
stetig hinunter. Annihilator konnten aber in den letzten Jahren
immer mehr CDs verkaufen, niemand bemerkte dies (grinst), aber
unsere Verkäufe stiegen stetig an. Die Plattenfirma ist damit sehr
zufrieden und das wiederum macht mich glücklich. So können wir
weiter auf Tour gehen, neue Platten aufnehmen und das tun, was ich
schon immer wollte und liebte. Die Musik ist zu 100% mein Leben.
Nebenbei habe ich keinen weiteren Job und der Sound ist alles was
ich tun will und liebe!
MF: Dann wünsche ich dir alles Gute für die Zukunft…
Jeff: …danke, das ist sehr nett und das wünsche ich dir
auch!
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