Interview: Anthrax
By Tinu
Das Interview stand unter einem komischen Stern. Bis ich endlich Joey Belladonna (JB) vor dem Aufnahmegerät hatte, durfte ich mich einer etwas längeren Wartezeit hingeben. Ich verstehe es, wenn die Band nicht immer gleich zum vereinbarten Zeitpunkt anwesend ist, denn das kann dem Journalisten auch passieren. Dass man als Ami-Band sich einen Kaffee-Shop seiner Heimat als kleinen Zwischenhalt aussucht ist auch okay. Dass man dann aber mehr als eine Stunde nach Eintreffen der Band auf das Gespräch mit dem anwesenden Musiker warten muss und dann nochmals die Schlaufe, mit wem man denn nun das Interview führen will durchgehen muss, war schon eher anstrengend. Zudem war die Kommunikation mit dem abgesandten Bodyguard nicht unbedingt die angenehmste.

Nun ja, er stand dann doch auf der Matte und ganz ehrlich, Joey entpuppte sich als sehr netter und zuvorkommender Shouter. In wie weit da ein Management versucht einen Status einer einstmals relativ grossen Band noch aufrecht zu erhalten? Dieser Gedanke geht mir beim Abtippen des Interviews immer wieder durch den Kopf. Eigentlich hätten Anthrax das nicht nötig, denn sie haben allen bewiesen, dass sie eine grosse Truppe sind. Und dies nicht nur auf den «Big 4»-Konzerten. Ob nun das ganze Theater um den Sänger, Belladonna raus, Nelson rein, Nelson raus, Bush rein, oder doch nicht und nun wieder Belladonna rein, der Combo geschadet hat oder nicht, wird das neue Werk «Worship Music» zeigen.

JB: Hey Man, wie geht’s dir?

MF: Alles bestens und selber?

JB: Pretty cool!

MF: Joey, wie läuft die Tour?

JB: Wir spielten ein paar Shows und die waren wirklich unglaublich. Dieses «Big 4»-Ding ist der absolute Wahnsinn. Es wird wohl nie was Grösseres geben, als diese Konstellation und die dazugehörenden Konzerte. Aber mit der heutigen Clubshow gibt es total andere Vibrationen, als wenn wir in den grossen Stadien spielen, zusammen mit Metallica, Megadeth und Slayer.

MF: Du spielst ohne Scott Ian. Er wurde zum ersten Mal Vater und wollte die erste Zeit zu Hause bei seiner jungen Familie bleiben. Wie fühlt es sich an, mit Anthrax ohne ihn auf der Bühne zu stehen?

JB: Ja, er ist nicht dabei (lacht). Aber wir wollten diese Gigs nicht absagen und er wollte unbedingt zu Hause bei seiner Frau und seinem Baby sein. Wenn ich auf die Bühne gehe, vergesse ich das und fokussiere mich nur auf das Konzert. «Oh mein Gott, welch Wunder, Scott steht nicht neben mir», dazu habe ich keine Zeit. Aber ich denke, dass es auch ohne ihn für die Fans eine runde Sache ist und allen Spass macht. Scott hat uns Andreas Kisser von Sepultura als möglichen Ersatz vorgeschlagen. Nach den gespielten Konzerten bin ich überzeugt, dass er der richtige Mann für diesen Job ist. Viele Leute werden ihn bei diesen Anthrax-Gigs sehr genau beobachten, ob er überhaupt die Songs spielen kann. Sein Stil ist ganz anders, als der von Scott. Aber wir haben uns auf die Konzerte vorbereitet und ich bin überzeugt, dass alles bestens läuft.

MF: Wie lange habt ihr euch für die Gigs mit Andreas vorbereitet?

JB: Ein Tag!

MF: Nur gerade einen Tag?

JB: Wir hatten keine andere Möglichkeit uns vorzubereiten. Wir schickten ihm die Songs zu, übten einen Tag zusammen und das war’s!

MF: Wann werdet ihr das neue Album veröffentlichen?

JB: Das müsste am 13. September 2011 in den Staaten sein. Keine Ahnung, wann Europa folgen wird. Wir haben einiges, sehr interessantes Material eingespielt. Der Sound ist unglaublich. Die Songs weisen eine wirklich gute Mixtur der unterschiedlichen Stile auf. Natürlich klingt alles sehr Heavy. Es war für mich sehr einfach, die Songs einzuspielen. Angeblich hatten andere Leute da mehr Probleme (lacht).

MF: Du sprichst da wohl deinen Vorgänger Dan Nelson an. In der Vergangenheit hast du dich selber zwei Mal von Anthrax getrennt. Wie kam es dazu?

JB: Well, das erste Mal hatten wir unterschiedliche Vorstellungen wohin die Reise gehen soll. Zudem machte uns dieser neue Trend das Leben schwer. Die guten und lustigen Zeiten sollten plötzlich vorbei sein und alles litt unter Depressionen. Bei zweiten Mal hatten wir diese Reunion-Geschichte hinter uns und einige wollten es nochmals mit einem neuen Shouter versuchen. Es gibt viele Dinge, die dazu führten. Es ist nicht immer alles so einfach zu erklären. Manchmal gehen die Geschichten eigene und unerklärliche Wege. Nun bin ich aber wieder am Bord und es funktioniert. Was immer passiert ist, es ist passierte und wir versuchen nur noch eine gute Zeit zusammen zu geniessen. Was bringt es da, darüber zu sprechen, was uns alles das Leben schwer gemacht hat und wir uns gegenseitig den Spass an der Sache geraubt haben. Ich bin wieder da, werde immer da sein und immer mein Bestes geben. Vielleicht haben sie die falschen Leute ausgewählt und das hat ihnen den Blick für die richtige Person geöffnet? Wieso sollte man sich da nicht gegenseitig vergeben? Hey, it’s a cool thing! Alles was wir angreifen fühlt sich so verdammt leicht und einfach an.

MF: Bist du dann der perfekte Sänger für Anthrax?

JB: Ob nun John (Bush) oder wer auch immer bei Anthrax am Mikrofon steht. Zu dem Zeitpunkt war dies die richtige Person. Wer nun besser ist oder nicht, an diesen Diskussionen nehme ich nicht teil. Über alles gesehen denke ich aber, dass ich am meisten in die Band involviert bin. Dabei will ich nicht wie John klingen, sondern einfach mich selber sein. Solange ich Heavy-Musik auf meine eigene Art singen kann, denke ich, dass ich der Band vieles geben und zum Erfolg beitragen kann. Es ist aber eine natürliche Sache, dass das Umfeld immer mitbestimmen will, wer in eine Mannschaft passt und wer sie behindert. Für mich fühlt es sich sehr gut an. Niemand ist zu 100 % perfekt und wir werden auch zukünftig unsere Meinungsverschiedenheiten haben. Aber wir haben gelernt, das Positive herauszufiltern und es mehr zu geniessen und in den Vordergrund zu stellen.

MF: Wenn du zurückblickst, welches war der wichtigste Moment in der Karriere von Anthrax?

JB: Keine Ahnung. Sicher war das erste Album («Spreading The Disease») von Anthrax und mir ein wichtiger Schritt. Dabei zeigten wir unseren Stil und meine Stimme war zum ersten Mal zu hören. Es gab keinen Zweifel mehr, dass wir nicht gewillt waren, die Welt zu erobern. Was wir taten, war keine Show, sondern wir reflektierten wie wir selber waren. In der folgenden Zeit haben wir unseren Fans aber auch einiges abverlangt. Dabei stand aber immer die Qualität an erster Stelle.

MF: Welche Erinnerungen hast du an das «Monsters Of Rock»-Festival?

JB: Oh mein Gott (lächelt), das Line-up war unglaublich und grossartig. Wir standen zusammen mit David Lee Roth, Kiss und Iron Maiden auf der gleichen Bühne! Es war grossartig auf einem solchen Billing dabei zu sein. So etwas gab es in den Staaten nicht. Alleine David zusammen mit Steve Vai auf einer Bühne zu sehen... Auch die Gespräche, die daraus entstanden. Plötzlich sprach der ehemalige Van Halen-Sänger mit uns und fragte, ob wir nach der Show noch bleiben, oder gleich wieder abhauen werden. Das ist eine coole Scheisse! Wir waren dann mit Maiden auf Tour. «No Prayer For The Dying» und wir als Support mittendrin. Iron Maiden waren und sind eine so tolle Band, grossartige Musiker und Menschen. Sie gaben uns alles, was wir benötigten. Kein Stargehabe, sondern eine lockere Atmosphäre. Die ganze Organisation war exzellent und super. Das Bühnenequipment, die Helfer... Es war ein grossartiges Billing. Wir nutzten damals die Day Offs dazu, um unsere eigenen Headlinershows zu spielen. Vielleicht können wir irgendwann nochmals mit ihnen touren? Steve Harris... Ich werde nie vergessen, wie er uns in sein Haus eingeladen hat. Wow, das ist das reale Leben, unglaublich! Persönlich habe ich keinen Kontakt mehr zu Kiss, Maiden oder David. Viele Leute versuchen sich über diesen Weg die Karriere besser zu gestalten und präsentieren sich als Super-Spuer-Fan. Dies ist nicht mein Ding. Ich finde es cool, wenn man sich auf der Strasse sieht und fragt, wie geht’s. Aber da wir nicht alle am gleichen Ort leben, halten sich diese Treffen in Grenzen.

MF: Wie wichtig waren die Coverversionen von «Got The Time» und «Antisocial» für euch?

JB: Als die Jungs mit einem Joe Jackson-Song ankamen, dachte ich nur, was zum Geier soll das? Oh mein Gott! Aber wir haben den Song umarrangiert und «Got The Time» gehört heute zu den beliebtesten Liedern von uns. Es ist schwierig einen Track eines anderen Künstlers so umzubauen, dass du dich als Musiker dabei wohlfühlst, Spass dabei hast und ihn immer wieder live spielen willst. Ich liebe beide Lieder. Zu Hause spiele ich in einer Coverband, da spielen wir Songs von Rush, Triumph, The Who, Deep Purple und es macht immer viel Spass.

MF: War es für euch schwieriger als Thrash-Band aus New York und nicht von San Francisco zu starten?

JB: Nein, wir konnten unser Ding durchziehen und die Konkurrenz war kleiner (lacht). Wir mussten uns nicht einem bestimmten Sound unterordnen, weil er aus dieser Gegend kam. – Ein klares Zeichen des netten Herrn (Bodyguard) macht uns klar, dass das Interview sofort zu beenden ist. – Der Versuch die beiden Stile zu vergleichen macht keinen Sinn. Bevor ich bei Anthrax eingestiegen bin, habe ich mich nicht für die Bay Area interessiert. Dann war bei uns alles so intakt und zeigte nach oben, dass wir uns nicht darum kümmern mussten. Das was ich heute noch mit den Jungs fabriziere entspricht dem, was mir und uns gefällt. Wieso sollten wir etwas ändern? Wir gehen unseren Weg. Auch wenn wir dabei immer wieder einige neue Nuancen eingebaut haben. – Das Zeichen wird nochmals deutlicher und Joey und ich brechen das Interview ab.

MF: Joey, besten Dank, für das Interview.

JB: Danke für dein Ausharren und viel Spass beim Konzert.