Beinahe der erste Sänger von
Metallica geworden.
John Bush ist nicht nur einer der besten Sänger dieses Planeten,
sondern auch einer der interessantesten, ehrlichsten und lustigsten
Interviewpartner, den man sich wünschen kann. Dass Herr Bush sein
Herz auf dem rechten Fleck trägt, belegen auch die folgenden Zeilen,
in denen es um Freundschaft geht, welche dem grossen Geld
vorgezogen wird. Es geht um eine Band, die zu Beginn der 80er-Jahre
zu den drei Hoffnungsträgern des US-Metal gehörte. Es geht um
Armored Saint, die neben Savatage und Vicious Rumors ein Genre
begründeten, die mit famosen Gitarrenriffs, einer fetten
Rhythmusmannschaft und einer begnadeten und sofort erkennbaren
Stimme gesegnet waren. Leider schlug das Schicksal, wie bei Savatage
auch, erbarmungslos zu und Gitarrist David Prichard starb im Februar
1990 an den Folgen seiner Leukämie. Auch wenn die «gepanzerten
Heiligen» nie aufgegeben haben, der grosse Erfolg blieb ihnen verwehrt, und
so sieht man den Fünfer nur noch selten auf Tour. Trotzdem
veröffentlichten John Bush, Bassist Joey Vera, Trommler Gonzo
Sandoval und die beiden Gitarristen Jeff Duncan und Phil Sandoval
kürzlich die neue Live-Scheibe «Carpe Noctum Live».
MF: Wer
hatte die Idee zum neuen Live-Album?
John: Wir haben ein paar Shows aufgenommen, als wir in
Deutschland unterwegs waren. Dazu gehörte auch die Show in Wacken.
Zudem spielten wir in Aschaffenburg, wo wir auch filmten und
aufnahmen. Dort spielten wir eine Headliner-Show und somit einen
längeren Set als in Wacken. Wir standen da mit diesen geilen
Liveaufnahmen. Armored Saint live ist eine der besten Seiten der
Band, also raus mit dem Zeugs (lacht). Wir wollten den Leuten diese
Aufnahmen nicht vorenthalten. Es gibt kaum Live-Veröffentlichungen
von uns und wir dachten dass es cool wäre, wenn die Leute diese Scheibe
kaufen könnten. Es gibt so viel cooles Material auf dem
Live-Album-Sektor, von Judas Priest, UFO, Thin Lizzy, Kiss oder
Cheap Trick. Das waren nicht nur wichtige Scheiben für die Fans,
sondern auch für die Bands. Viele Menschen entdeckten erst mit Live-Alben
eine Truppe, oder andere eine neue Seite einer Combo. Wir
versuchten etwas Ähnliches wie diese Klassiker zu veröffentlichen.
Es sollte wie eine dieser klassischen, oldschoolen Hardrock- und
Heavy Metal Live-Scheiben klingen. Ich bin überzeugt, dass wir ein
tolles Produkt abgeliefert haben, auch wenn es sehr kurz ausgefallen
ist (grinst). Es sind bloss
acht Lieder zu hören. Es war schwer, die richtigen Tracks
auszuwählen (grinst verschmitzt), mit den wenigsten Spielfehlern
(grinst). Wir gehen manchmal etwas schlampig vor. Bei der Auswahl
waren wir uns nicht immer einig, welche Nummer uns besser
repräsentiert. Von der Attitüde her oder... - Du weisst, was ich meine
(grinst). Viele Dinge können schief laufen, da kann der Drumbeat
ungenau sein. Wir suchten uns die Nummern aus, die einen guten Fluss
ergaben und die sich vom Gefühl her gut anhörten.
Auch wenn
unsere Stärke sicher auf der Bühne liegt, mögen wir die
Studioarbeit. Es macht Spass, kreativ im Studio zu arbeiten. Dabei
kommen unterschiedliche Perspektiven hoch, die zu homogenem
Material verarbeitet werden müssen. Live ist es völlig anders. Du stehst
auf der Bühne und es zählt nur dieser eine Moment, bei dem du nie
weisst, was um dich herum passiert. Auch wenn dir alle, zehn Minuten
nach der Show, erzählen, wie gut du warst, weisst du genau, wo du es
verkackt hast (grinst). Das sind zwei unterschiedliche, coole Wege
Musik zu machen. Wir sind eine grossartige Live-Band, gleichzeitig
sind wir aber auch eine sehr kreative Truppe. «What you see and hear
is what we get», da stehen fünf ehrliche Musiker auf der Bühne, die
immer ihr Bestes für ihre Passion geben. In vielen Interviews, die
ich schon gegeben habe, erzähle ich immer über unsere Fehler auf der
Bühne. Wenn der Track vorbei ist, schauen wir uns an und wissen wo
was schief gelaufen ist. Aber, niemand in seinem Leben ist perfekt.
Es wird immer Fehler geben und an diesen wachsen wir. Wir haben
keinen perfekten Körper und auch kein perfektes Gesicht. Komm schon,
das wäre doch langweilig. Ein menschliches Wesen soll nicht perfekt
sein. Eine meiner Lieblingsbands, Led Zeppelin, war selten
perfekt (lacht), dafür waren sie eine ehrliche und echte Truppe auf
der Stage. Stehst du im Studio, versuchst du logischerweise perfekt
zu sein. Du probierst Dinge richtig zu machen, hast aber auch
mehrere Versuche dazu. Ich versuche aber nie zu perfekt zu sein. Es
soll sich noch immer anfühlen wie Musik, mit all seinen Emotionen.
«It's Rock'n'Roll and Heavy Metal!»
MF: Aber gerade eure Stärke liegt auf der Bühne und da
seid ihr perfekt, weil es live ist. Wieso spielt ihr aber nicht mehr
Konzerte?
John: Im letzten Jahr haben wir mehr Shows gespielt, als in
den zehn Jahren davor (grinst). Wir versuchen alles mit unseren
privaten Leben zu verbinden. Ich bin Vater von zwei Kindern und
geniesse die Zeit als Dad. Bist du auf Tour und lange von zu Hause
weg, vermisst du deine Familie und verpasst, wie deine Kinder
aufwachsen. Meine Priorität liegt zu Hause. Spielen wir, ist das
Spass für uns, müssen dazu aber oft reisen. Der Vorteil ist, dass
wir viele Länder und Städte kennenlernen, und so kann ich meine
verpasste College-Zeit nachholen. Meine jungen Jahre verbrachte ich
auf Tour und so konnte ich einiges nachholen, was ich in meinen
College-Tagen verpasst habe. Wir waren eine Woche in England unterwegs,
dann haben wir vier Wochen in den USA, zusammen mit Queensrÿche,
gespielt. In letzter Zeit waren wir oft unterwegs und haben dabei
auch Europa besucht. Es bleiben aber noch einige Territorien, die
wir gerne besuchen würden. Wenn die Zeit reif ist, wird dieses
Vorhaben auch umgesetzt.
MF: Mit «Delirious Nomad»
und «Raising Fear» habt ihr geniale Alben veröffentlicht. Wieso
blieb der grosse Erfolg aber aus?
John: Du meinst damals in den 80er-Jahren (lautes
Lachen)? Martin, ich kann nicht alles kontrollieren (grinst). Schon
gar nicht den Erfolg meiner Musik. Das Einzige was du kontrollieren
kannst, ist die Qualität dessen was du veröffentlichst. Dieses
Kindliche in dir, wenn du ein Album veröffentlichst und es sich wie
fliegen anfühlt. «Go fly and do your best!» Alles was du tust, all
deine Hoffnungen passieren. Mit der entsprechenden Unterstützung
deines Managers, der Plattenfirma und den glücklichen Zufällen, die
eine grosse Rolle spielen. Leute, die dein Video drehen und die,
welches es hoffentlich auch ausstrahlen. Wir drehten für «Can U
Deliver» von unserem Debüt «March Of The Saint» ein Video. Auch für
den Nachfolger «Delirious Nomad» drehten wir ein Video, aber MTV
stand in diesem Moment überhaupt nicht auf unseren Metal. Also
schmissen wir Geld für etwas auf, das uns nichts einbrachte. Ich
liebe alle Alben, die wir komponierten. Der Level des Erfolges,
beziehungsweise was wir erreichten... - Was kann ich tun, das liegt
nicht in meinen Händen. Ich kann versuchen, beim nächsten Mal die
noch besseren Stücke zu schreiben, oder auf der Bühne noch besser zu
performen.
MF: Du hattest die Möglichkeit, als Sänger bei Metallica
einzusteigen. Hast du es jemals bereut, nicht bei James und Co.
eingestiegen zu sein?
John: Zu der Zeit..., es war bevor die Jungs «Kill'em All»
veröffentlichten. Damals fragten sie mich, ob ich der neue
Lead-Sänger bei ihnen werden wolle. Hätte ich damals gewusst, wohin
die Reise bei ihnen geht (lacht)... - Es war für mich klar, dass ich bei
Armored Saint bleiben würde. Für uns gings gerade richtig los, und
wir entfernten uns aus der lokalen Szene. Die Freundschaft, die
damals schon in der Band war, wollte ich unter keinen Umständen
missen. Wir waren Kinder, als wir uns kennenlernten und zu der Zeit
verband uns eine fünfzehn Jahre anhaltende Freundschaft. In einer solchen
Situation hinzugehen und deine Kumpels wegen einer anderen Band zu verlassen?
Es war nicht mein Schicksal bei James Hetfield und
seinen Jungs einzusteigen. Armored Saint war, ist und wird immer die
Truppe sein, in der ich singen will. So wie James immer der Sänger
bei Metallica sein wird. «That's the way it is!» Joey Vera wurde
damals, nach dem Tod von Cliff Burton, auch angefragt. Viele Bassisten
bewarben sich und es war Jason Newsted vergönnt, den freien Platz zu
füllen. Ob Joey da reingepasst hätte? Es ist diese seltsame
Loyalität und Verbundenheit bei Armored Saint. Das ist krank
(lacht)... - Uns verbindet ein starkes Band, eines, welches den Test der
Zeit überwunden hat. Auch wenn ich für einige Zeit bei Anthrax
gesungen habe, ich kam wieder zurück. Bei Armored Saint herrscht
eine starke familiäre Einheit. Erst gestern Abend besuchten wir
zusammen ein Eishockeyspiel. Wir schauten uns die L.A. Kings an und
sprachen während des Matches über unsere gemeinsame Zeit. Über diese
verrückte Zeit, als wir Kinder waren und uns plötzlich auf den
Bühnen der Welt wiederfanden. Es ist unglaublich, was wir alles
erlebten und erreichten, auch wenn es viele Truppen gab, die um
einiges erfolgreicher als wir waren. Fünf Freunde, die ein verdammt
cooles Leben führten. Es ist diese Freundschaft, die uns nie trennte
und uns all diese verrückten Dinge erleben liess. Solche
Freundschaften gehen tief und wir machten Erfahrungen, die wir in einer
anderen Konstellation nie erlebt hätten. Würden wir eine DVD über
die Band produzieren, ginge es nicht um die Musik, sondern um das
Leben und unsere Freundschaft. Diese abgedrehten Jungs, die sich aus
der lokalen Szene aufmachten, um die Welt zu erobern. Die aus L.A.
ausbrachen, um Ende der 80er-Jahre zu merken, wo sie standen
(lacht). Wir leben noch immer, auch wenn einiges davon sehr
gefährlich war. Aber es hat Spass gemacht und wir haben einiges
erlebt (grinst). Dieses tiefe Band zwischen diesen Freunden hat dazu
geführt, dass man nichts bereut.
MF: Wie wichtig war für dich die Zeit mit Anthrax?
John: Die war sehr wichtig, und ich hatte eine grossartige
Zeit mit Scott und den anderen Jungs. Wir veröffentlichten
unglaubliche Alben, auf die wir sehr stolz waren. Spielten viele
geile Shows und die Anthrax-Musiker wurden in dieser Zeit gute
Kumpels von mir. Wir machten viele verrückte Erfahrungen mit uns
selber (grinst). Wir komponierten tolle Musik, die auch heute noch
gehört werden kann und somit den Test der Zeit bestanden hat. Ab
und zu holte dich der Schatten der Vergangenheit ein. Anthrax war in
den 80ern eine sehr bedeutende Truppe und sehr populär. Du
kannst in einem zweiten Aufguss niemals das toppen, was
dich vorher so erfolgreich werden liess. Das wird in den Köpfen
immer präsent sein. Aber, in den 90er-Jahren ging es vielen
Truppen ums nackte Überleben. Sie passten ihre Musik den Trends an
oder versuchten sich an neuen Elementen. Damals schrieben Anthrax
tolle Musik und ab und zu frage ich mich, ob die Leute dies vergessen
haben? Okay, nicht jeder Song war ein Hit, aber es gab
einiges Material, das noch heute seine Berechtigung hat und auf die
ich noch heute sehr stolz bin.
MF: Welches war die schwierigste Zeit für Armored Saint?
John: Wahrscheinlich als David Prichard starb. Er war unser
Hauptgitarrist und ein Gründungsmitglied. Er brachte viele Ideen ein
und sprudelte vor neuer Kreativität. Ein lustiger, verrückter Typ
mit langen rötlichen Haaren, ein grosses Individuum. Zusätzlich ein
unglaublich guter Gitarrist. Zu der Zeit hat ihn die Krankheit
kaputt gemacht. In den späten 80ern hatte er seine ersten
Knochentransplantationen. Das war eine sehr riskante Zeit. Dave war
eine starke Persönlichkeit und hat Vieles überlebt. Er wollte leben
und weiter Musik machen. Die meisten wären schon viermal gestorben,
aber er war ein verdammter Kämpfer. Der letzte Monat war eine
brutale Zeit. Wenn du damit rechnest, dass dein Freund sterben wird,
ist das ein unglaublich beschissenes Gefühl. Als er starb, war dies
eine extrem traurige und leere Zeit für uns. Noch heute, wenn wir
seine Lieder spielen, habe ich das Gefühl, dass er mit uns auf der
Bühne steht. Mein Freund Dave kickt mich mit seinem Spiel in den
Arsch und treibt uns alle an. Phil Sandoval ist ein begnadeter
Musiker und er hat viel mit dem Spiel von Dave gemeinsam. Trotzdem,
Dave zu verlieren, war die härteste Prüfung für Armored Saint. Auch
als wir vom Label gefeuert wurden, oder die Band für einen Moment
auseinanderbrach. All dies ist und war nicht mit dem Tod von Dave zu
vergleichen. Wir bekamen einen neuen Plattenvertrag, fanden wieder
zusammen, aber Dave steht nicht mehr mit uns auf der Bühne, oder im
Studio und komponiert neue Songs. «Symbol Of Salvation» war das
letzte Album, bei dem Dave mitarbeitete. Es war eines der coolsten
Werke, und man kann noch heute die Emotionen von Dave fühlen.
MF: Was war für dich in der Vergangenheit wichtig, und was
ist es heute?
John: In der Vergangenheit habe ich mir selten Gedanken
gemacht. Es war, wie es war. Wie sich die Dinge entwickelt haben,
musste so sein. Ich gehöre nicht zu den Leuten, die alles
reflektieren und heute alles anders machen würden. Klar hätte ich
das oder jenes lieber anders gemacht (grinst). Ab und zu hätte ich
mir gewünscht, andere Resultate vorzuweisen. Aber hey, es ist, wie es
ist (lacht). Ich mache mir über die Vergangenheit nicht zu viele
Gedanken, sondern ich lebe im Heute. Ich geniesse es, und das Leben
meint es gut mit mir (grinst). Dabei versuche ich mein Bestes zu
geben und Spass zu haben. Armored Saint sind noch immer da und gehen
weiter. Was können wir auch sonst machen? Es gibt zu viele Leute, die
ein Alkoholproblem haben, weil sie die Vergangenheit nicht vergessen
können. Was soll ich zurückschauen? Ich muss das Hier und Jetzt
angehen. Schau, würde ich in eine Zeitmaschine steigen und Dinge
ändern, die meine Karriere verändern..., klar, wer würde dies nicht
gerne tun. Aber! Würde die Band heute noch existieren, oder wären
wir schlussendlich erfolgreicher gewesen? Wer weiss das schon? Das
ist doch Zeitverschwendung. Ab und zu kommen Fans zu mir und wollen
den gesamten Armored Saint Katalog unterschrieben haben. Lachend
sage ich zu ihnen: «Meine Güte muss ich reich sein, bei all den
Veröffentlichungen von uns» (lacht). Ich bin zufrieden, wie sich die
Karriere mit mir und Armored Saint entwickelt hat.
MF: Was sind die Pläne für die Zukunft?
John: Im Mai stehen uns ein paar Konzert bevor, und dann
wollen wir ein neues Album veröffentlichen. Vielleicht klappt es
auch noch mit der Live-DVD!? In meinen Augen sollten wir uns stark in
Richtung neues Songmaterial bewegen. Die Promoter wollen natürlich
neues Material von uns hören. Spielen wir live, wäre es aber doof,
nur neue Songs zu spielen, dazu ist unser Backkatalog zu stark und
beinhaltet zu viele Klassiker. So können wir die Leute an den Gigs
auch glücklich machen. Mit dieser Mixtur aus altem und neuem
Material. Vielleicht klappt es dann auch wieder mit Europa, wir
würden uns freuen, denn viele Die-Hard Armored Saint Fans leben in
Europa.
MF: Besten Dank für das Interview und die Zeit, die
du dir genommen hast.
John: Ich danke dir Martin! Habe eine gute Zeit.
MF: Du auch und hoffentlich sehen wir uns bald
wieder in der Schweiz?
John: Wir lieben die Schweiz. Meine Familie und ich
verbrachten auf einem Boot auf dem Zürchersee eine tolle Zeit.
Zürich und Genf sind wundervolle Städte.
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