Immer noch
leidenschaftich am Komponieren.
Er gehört zu den schillerndsten Personen im
Hardrock-Business. Axel Rudi Pell, der seit über dreissig
Jahren mit seiner nach ihm benannten Kapelle unterwegs
ist und vorher mit Steeler für Furore sorgte. Der blonde
Gitarrenhexer hat mit dem neuen Album «Sign Of The
Times» ein wirklich sensationelles Werk veröffentlicht,
das wieder die verspielte Natur des Deutschen ans
Tageslicht bringt. Dabei macht Axel selbst nicht Halt vor
reggaeartigen Klängen und baut kleine Querverweise zu
Led Zeppelin ein. Wie Mister Pell das mittlerweile achtzehnte
Studioalbum, abgesehen von den Balladen-, Best Of- und
Live-Alben, selber beurteilt, könnt Ihr im folgenden
Interview nachlesen. Eines, das den Gitarristen einmal
mehr sehr gut gelaunt und äussert schnellredend
präsentiert.
MF: Axel, für mich klingen die
Songs um einiges frischer und direkter, als auf den
vorherigen Scheiben. Auch ein bisschen wie früher. Wie
siehst du das?
Axel: Ich war dieses Mal
schneller mit dem Songwriting fertig, ansonsten hat sich
nicht viel geändert. Die Lieder gebe ich erst dann frei,
wenn ich mit ihnen zu 100% zufrieden bin. Ich denke,
man kann das Album komplett durchhören, ohne, ich sag
mal, Filler-Tracks auszumachen und es langweilig werden
könnte. Dieses Mal habe ich bewusst darauf verzichtet,
die Gitarrensoli überzustrapazieren. Bedeutet, dass ich
die Solos mehr songdienlicher spielte.
MF: Wie kam es zum Reggae-Part bei «Living
In A Dream»?
Axel (lachend): Das frage ich mich selber auch. Der Song
war fertig und ich hörte ihn mir zu Hause immer wieder
an. "Mensch, da fängt ein Stück schon wieder mit einer
verzerrten Gitarre an", gings mir durch den Kopf. Ich
wollte etwas ergänzen, um alles interessanter zu
gestalten. Dabei habe ich auf meiner Gitarre vor mich
hingeklimpert und spielte plötzlich einen Reggae. Das
muss ein Zeichen von Oben gewesen sein (lacht). Ich
teilte dies den anderen Musikern mit und alle schrieben
zurück: "...ja ja, klar, sicher!" Die waren überzeugt,
dass ich sie verarschen will. Als sie im Studio standen,
sagte ich zu Bobby (Rondinelli, Drummer), jetzt spielen
wir den Reggae. Er begann zu lachen. "You are kidding man!".
Beim Einspielen hatten wir einen dermassen grossen
Spass, das musste einfach sein.
MF: Ist «Into The Fire» ein bisschen von
Led Zeppelin inspiriert?
Axel: Ja,
absolut korrekt! Zu Beginn klingts eher wie Black
Sabbath mit Tony Iommi. Sobald die Strophe einsetzt, gebe
ich dir völlig recht. Definitiv! Ich möchte diese Dinge
aber in einem überschaubaren Rahmen halten. Hätte ich
noch mehr herumexperimentiert, hätte ich sehrwahrscheinlich
die meisten Leute damit verwirrt. Man darf durchaus ab
und zu aus seiner eigenen Stilistik ausbrechen
und Teile hinzufügen, welche die Lieder
interessanter gestalten. Übertreiben darf man dies
jedoch nicht, weil die meisten Fans dies nicht mögen.
MF: Ist ein neues Album von dir nach
einem strikten Ablauf aufgebaut? Zuerst mal die schnelle
Nummer und dann ein kommender Hit, der auf ein tolles
Riff aufgebaut ist?
Axel: Eigentlich
nicht. Das hängt immer davon ab..., wenn die Tracks fertig
sind, bevor es zum Mastern geht, mache ich mir zu Hause
unterschiedliche Listen, wie die Songreihenfolge sein
könnte. Dieses Mal war es die vierte oder fünfte Liste,
die dann bestimmte, in welchem Ablauf sich die Songs auf
der neuen Scheibe präsentieren. Beim Komponieren ist mir
dies noch scheissegal. Es kann durchaus sein, dass ich
beim nächsten Album drei ultraschnelle Nummern habe, bei
denen ich nicht weiss, wo und wie ich sie platzieren
soll. Rein vom Songwriting her ist die Reihenfolge eine
psychologisch richtige Anordnung. Ich würde eine Scheibe
nie mit einer Ballade starten. Da würden alle denken:
"Was ist denn jetzt mit dem Pell los?" Es sollte mit dem
Schnellsten los gehen oder zumindest mit dem
Energiegeladensten. Klar, die anschliessenden Lieder
müssen sich flüssig anhören. Du kannst nie zwei epische
Tracks hintereinander legen. Das würde einen völlig
anderen Höreindruck vermitteln. Ich bin noch immer
überrascht, wie viele neue Ideen ich in meinem hohen
Alter habe (grinst). Ich höre nie auf zu komponieren.
Fällt die Studiotüre zu, das Album ist fertig, schnappe
ich mir zu Hause die Gitarre, klimpere drauf rum und
habe meistens wieder ein neues Riff für einen neuen
Song. Man merkt, dass die Flamme, die Leidenschaft noch
immer da ist und hell lodert!
MF: Wie schwierig ist es sich selber
nicht zu wiederholen?
Axel: Ich achte
immer penibel darauf, dass ich mich nicht selber
kopiere. Natürlich gibt es ähnliche Akkordfolgen, die
aber eine andere Rhythmik aufweisen. Das kann man nicht
leugnen. Trotzdem habe ich noch nie ein gleiches Riff in
einem zweiten Song verwendet. Was mir..., das müsste bei
«Circle Of The Oath» gewesen sein, dass ich beim Anhören
der Demos feststellte, dass ich einen bestimmten Part
soeben schon hörte. Ich hatte den gleichen Chorus
wirklich doppelt bei zwei unterschiedlichen Liedern
eingebaut. Der eine Song flog sofort in die Tonne.
Darauf muss ich achten bei neuen Kompositionen.
MF: Der Drum-Sound klingt für mich auf
«Sign Of The Times» um einiges knackiger und fetter...
Axel: ...absolut! Das Schlagzeug haben wir wie immer
aufgenommen. Bobby hatte dieses Mal eine andere Snare
dabei. Die «Black Beauty» besitzt einen sehr speziellen
Charakter, wenn man sie spielt. Das klang mega, megageil!
"Die sind von einem Freund", sagte Bobby..., "Der will
die verkaufen, aber ich weiss nicht..." Ich sagte nur:
"Bobby, wenn du die nicht kaufst, dann ich" (lachend).
Die klangen echt fett! Wir versuchten die Drums ein
bisschen mehr zu "featuren", das heisst, dass sie knalliger klingen.
MF: Was willst du uns mit «Sign Of The
Times» mitteilen?
Axel: Schaut man sich
das Cover an, sieht man diese Skull-Watch, und es steht zwei
Minuten nach Zwölf. Die meisten Lyrics handeln davon,
dass es speziell in den letzten zwei Jahren auf unserer
Welt immer schlimmer geworden ist. Es geht nicht nur um
den Klimawandel, sondern auch um Attentate oder
Religionskriege. Es wird alles verrückter, und darum
steht die Uhr auch auf zwei nach Zwölf. Irgendwie ist es
schon zu spät. Vielleicht kann man noch was retten,
keine Ahnung. Klar hatten wir solche Dinge früher auch
schon, aber es wurde noch nicht dermassen gehypt von den
Medien. Das Thema "Corona" war noch nicht aktuell. Als der
Titel, das Cover und die Songs fertig waren, sprach noch
kaum jemand von diesem Virus. Hätte ich das aber
gewusst, wäre sicher noch ein Text über "Corona" auf die
Platte gekommen.
MF: In der heutigen, schnelllebigen
Musikbranche, denkst du, dass sich die Fans noch die
Zeit nehmen, Texte durchzulesen?
Axel:
Manche Fans schon. Den besten Unterschied erkenne ich
immer zwischen meiner Frau und mir. Höre ich mir einen
Song an, sei es im Radio oder wo auch immer, achte ich
nie auf den Text. Mein Frau sagt immer: "Hast du dieses
tolle Lied gehört?" "Aber das ist furchtbar gesungen,
eine schreckliche Melodie und die Phrasierung ist nicht
gut", ist dann meistens meine Antwort, worauf sie meint:
"Hör dir doch mal den Text an, der ist doch klasse!" Der
interessiert mich einen Scheiss, und ich kann dies nie
nachvollziehen (lachend). Ich sehe mich auch nicht als
Politiker, der mit dem Zeigefinger mahnt, auch wenn ich
jetzt ein paar Themen angesprochen habe. Ich sehe mich
als Entertainer, der durch die Musik unterhalten und
nicht politisieren will. Das machen andere viel besser.
MF: Spürst du eine Erwartungshaltung der Fans dir
gegenüber?
Axel: Schon, weil ich glaube,
dass wir uns nicht zu sehr verbiegen dürfen. Selber habe
ich einen klar definierten Qualitätsanspruch an mich,
dass ich erst dann einen Song aufnehme, wenn ich zu über
100% von ihm überzeugt bin, dass er nicht nur mir,
sondern auch der Band und unserem Publikum gefällt. Es
gibt ja Leute die sagen: "Kennst du eine Pell-Scheibe,
kennst du alle" (lacht). Dem widerspreche ich, da doch
eine gewisse Vielfalt vorhanden ist. Klar habe ich einen
eigenen Stil oder eine eigene Stilistik, aber bei AC/DC
moniert auch niemand, dass sie immer gleich klingen
(grinst). Ich möchte die Fans immer zufrieden stellen.
Die haben eine gewisse Erwartung wie ein Axel Rudi
Pell-Werk klingt oder klingen soll. Hätte ich eine
Scheibe mit Progressiv-Rock veröffentlicht, hätten
vielleicht ein paar Leute gesagt: "Das ist ja megageil!
Super, wieso hast du sowas nicht eher gemacht?" Die
anderen würden garantiert der Meinung sein: "Was ist das
denn für ein Scheiss, das geht gar nicht!" Hemmend ist
dies beim Schreiben nicht, denn was ich komponiere, das
fühle ich auch. Ich würde mich nie verbiegen und einem
Trend folgen. Als damals die grosse Grunge-Welle kam, zu
Beginn der neunziger Jahre, musste ich mir oft anhören:
"Alter, du machst immer noch diesen alten Hardrock,
spiel doch mal Grunge!" Wieso soll ich einen solchen
Sound spielen, wenn er mir am Arsch vorbei geht und ich
ihn nicht mag? Was sicher sein kann, ist, dass ich ein
bisschen herum experimentiere, wie jetzt mit dem
Reggae-Part. Das ist okay und im Rahmen.
MF: Du hast einen umfangreichen
Backkatalog, und trotzdem sind viele Songs bei dir in der
Setliste gesetzt. Hättest du nicht mal Lust, ein völlig
anderes Set zu spielen?
Axel: Tja
(lachend), die Gefahr ist gross, dass ich danach
gesteinigt werde (lacht). Das ist wirklich ein Problem.
Bei der «XXX Anniversary»-Tour spielten wir ein paar
Klassiker wie «Fool Fool» nicht und nahmen dafür «Voodoo
Nights» in das Set. Den haben wir vorher nie live
gespielt und den Leuten hat es gefallen. Trotzdem
moserten viele nach der Show herum und meinten: "Wieso
habt ihr «Fool Fool» nicht mehr gespielt?" Wir hatten
doch einen neuen Song! "Ja, aber «Fool Fool» hättet ihr
trotzdem spielen können!" Axel Rudi Pell kann die Bühne
nicht verlassen, ohne «Rock The Nation» und «Maquerade
Ball» gespielt zu haben. Die Beiden sind wohl für immer
gesetzt. Bei einem Konzert spielten wir «Rock The
Nation» nicht, weil wir über der Zeit waren und der
Veranstalter sagte, dass wir sofort mit dem Konzert
aufhören müssten. Weisst du, was nachher für ein Gemaule
war, dass wir diesen Track nicht spielten (lacht)?
Wiederum andere scheinen aber froh zu sein, wenn wir
«Rock The Nation» weglassen (grinst). Allen kann man es
eh nicht recht machen. Wir werden für die kommende Tour
ein ausgewogenes Mittelmass finden. Bei Derjenigen zum
letzten Album «Knight's Call» spielten wir sechs neue
Tracks und haben 60% vom kompletten Album aufgeführt.
Logisch fielen ein paar andere Lieder raus. Die Reaktion
war: "Wieso habt ihr so viel Neues gespielt, das kennen
wir noch gar nicht! Wieso spielt ihr nicht wieder «Snake
Eyes»?" Weil wir vor zehn Jahren damit aufhörten und wir
ihn gefühlte einhundert Jahre zuvor im Programm hatten.
Was man macht, ist eh verkehrt (grinst).
MF: Ist es für dich ein Privileg Musiker zu sein?
Axel: Ja, auf jeden Fall! Ich danke dem Herrn jeden Tag
auf Knien. Als gelernter Industriekaufmann, der auch
andere Dinge machte, wie zum Beispiel die Zeit beim
Metal Hammer..., Musiker zu sein ist echt cool, da ich
keinen direkten Vorgesetzten habe, der mir sagt, was ich
zu tun und zu lassen habe. Oftmals ist es die gleiche
Art, die täglich zu verrichten ist. Das ist bei mir zum
Glück nicht der Fall, und dafür danke ich dem Herrn
wirklich! Das ist nicht mein Ding und ich kanns nicht.
Auch wenn ich dies jahrelang selber ausgeübt habe. Ich
habe tierischen Respekt vor den Leuten, die das jeden
Tag machen müssen. Ich kann mich frei entfalten, auch
beim Songschreiben oder Aufnehmen. Zum Glück habe ich
keine Plattenfirma, die ins Studio kommt und sagt: "Was
ist denn das für ein Scheiss-Lied? Mach das mal anders".
MF: Wie stufst du selber die
multimedialen Möglichkeiten ein? Ein Fluch oder ein
Segen?
Axel: Für mich ist es kein Fluch,
sondern ein Segen, aber mit zweierlei Mass gemessen. Es
verbreiten sich schneller und viel mehr Neuigkeiten,
wenn man seine Musik promoten will im Vergleich zu
früher, als es noch kein Internet gab. Früher hast du
immer auf die Hardrock-Magazine gewartet. Heute hast du
alles sofort auf dem Präsentierteller. Wenn morgen einer
tot vom Bagger fällt, weil er besoffen war, liest du
dies dreissig Minuten später im Internet. Das ist alles
Real-Time bezogener. Was mich dabei stört, sind die
übermässig vielen Plattformen, auf denen man sich
illegal Songs runter laden kann. Das schadet der Musik,
das verstehen die Leute aber nicht. Denkt doch mal an
die Künstler. "Scheissegal, ich kanns umsonst haben!"
Die Menschen verstehen nicht, dass es aus diesem Grund
irgendwann keine professionelle Musik mehr geben wird.
Zumindest nicht in Form einer CD oder eines Albums.
Zahlt keiner mehr dafür, gibt es keine Plattenfirmen
mehr. Der Künstler wird sich einen Teufel darum scheren,
die Kosten selber zu übernehmen und sich dies
aufzuhalsen, das Produkt selber raus zu bringen, wenn
keiner mehr was kauft und der Musiker nichts mehr
verdient. Das versteht niemand, und das ist sehr schade!
MF: Du hast die Plattenfirma
angesprochen. Du bist in der ganzen Zeit immer bei SPV
unter Vertrag gewesen. Was macht das Label besser, als
es andere tun könnten?
Axel: Ich bin
schon so lange bei SPV, dass ich gar nicht weiss, wie
andere Labels arbeiten (lacht). Das bekomme ich nur von
Kollegen mit, die bei anderen Firmen unter Vertrag sind.
Es ist sicher nicht nur SPV, die einen guten Job
abliefern. Nuclear Blast soll auch sehr gut sein. Das
grosse Ding bei SPV ist, dass ich machen kann, was ich
will. Da spuckt mir keiner in die Suppe. Will ich das
nächste Album erst in drei Jahren veröffentlichen, wird
das akzeptiert. Hätte ich auf «Sign Of The Times» nur
Doublebass-Drum Nummern aufgenommen und dies als das neue
Pell-Album angeboten, wäre als Antwort gekommen: "Okay,
das ist deine Geschichte, das lassen wir so raus!" Da
kommt keiner ins Studio und sagt: "Das geht nicht, das
muss so oder so sein!" Vor langer Zeit lief der Vertrag
bei SPV aus. Ich hörte mich bei grösseren Companies um.
Da kam sofort dieses Thema auf: "Natürlich kennen wir
dich, du bist ein guter Musiker und deine Platten
verkaufen sich. ABER! Schreib erstmals ein paar Songs,
wir wollen die Demos hören und benötigen einen Hit! Ohne
diesen Hit brauchen wir erst gar nicht über einen
Vertrag zu sprechen" (lacht). Deswegen ist bei SPV alles
cool. Ich kann mich auf sie verlassen. Die machen einen
sehr guten Job, und ich habe zu ihnen gehalten, als sie
in ein Insolvenzverfahren gerieten. Das haben sie mir
hoch angerechnet, weil ich nicht einfach abgehauen bin.
Natürlich gab es andere Angebot, aber ich kenne die Leute
bei SPV seit Ewigkeiten und bin total zufrieden.
MF: Danke für das Interview...
Axel: ...immer wieder gerne, mit dir sowieso!
MF: Es hat, wie immer, Spass gemacht...
Axel: ...ja Superburschi...
MF:
...und ich wünsche uns, dass wir uns bald wieder sehen.
Axel: Ja, das hoffe ich auch! Wir müssen
raus an die Front. Alles Gute, und pass auf dich auf!
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