Interview: Blind Guardian
By Kissi
18 Jahre ist es her, da veröffentlichte eine damals noch unbekannte Band namens Blind Guardian ihr Debüt unter dem Titel „Battalions Of Fear“. Seither mauserten sich die einst als Abklatsch von Helloween belächelten Krefelder zu einer der grössten deutschen Metal Bands aller Zeiten, veröffentlichten sechs weitere Studioalben und veranstalteten 2003 sogar ihr eigenes, zweitägiges Festival, dessen Stimmung auf der Doppel-DVD „Imaginations Through The Looking Glass“ verewigt wurde. Über vier Jahre nach dem bombastischen letzten Album „A Night At The Opera“ ist es nun endlich soweit: Die „blinden Gardinen“ veröffentlichen mit „A Twist In The Myth“ ein neues Fantasy Metal-Meisterwerk. MF telefonierte im Vorfeld mit Gitarrist Marcus Siepen (MS) und erhielt wissenswerte Informationen über den Drummer-Wechsel, die neue Scheibe und die anstehende Tour, die am 7. 9. in der Schweiz starten wird.

MS (noch vor der Begrüssung): Es tut mir leid, dass ich verspätet anrufe, aber der Journalist vor dir wollte einfach nicht aufhören, Fragen zu stellen.

MF: Das ist kein Problem. Hallo Marcus. Wie geht es? Bist du fleissig am Interviews geben?

MS: Na ja… Ich war bis gestern im Urlaub. Somit geht es mir erstens sehr gut und zweitens hab ich erst heute mit dem Interview geben begonnen.

MF: Kommen wir gleich zum Wesentlichen, dem neuen Album. Wie würdest du es euren Fans in wenigen Sätzen beschreiben?

MS: Für mich ist es die perfekte Brücke zwischen dem alten und neuen Material. Wir machen dabei einen gelungenen Spagat zwischen klassischen und modernen Blind Guardian. Jeder Aspekt von uns ist auf der Scheibe zu finden. Sie ist also ziemlich abwechslungsreich.

MF: Im Frühling habt ihr mit „Fly“ die erste Single ausgekoppelt. Wenn man nur den Song kennt, kommt man fast zwangsläufig auf den Gedanken, dass BG jetzt ganz andere Wege einschlagen werden, ist der Song doch recht progressiv; das ganze Album klingt aber dennoch typisch BG. Wie kam es zu dieser Entscheidung?

MS: Zuerst muss man einmal anmerken, dass gerade weil das Album so abwechslungsreich ist, sowieso kein einzelner Song das ganze Teil widerspiegeln könnte. Natürlich hätten wir auch einen BG-typischen Song wie „Turn The Page“ auswählen können, aber das wäre doch irgendwie langweilig gewesen. „Fly“ stellt für uns gleichzeitig ein Statement dar, dass auch BG sich verändern und mit neuem Spirit zurück sind.

MF: Kann man das neue Album mit „back to the roots“ betiteln?

MS: Nicht vollständig. Du hast ja eben gesagt, dass zum Beispiel „Fly“ sehr modern daherkommt. Definitiv gibt es aber Teile der Scheibe, die nach älteren BG klingen.

MF: Wie kam es dazu, dass ihr nach dem bombastischen „A Night At The Opera“ solch einen Knick vollzieht?

MS: Nachdem wir „Opera“ fertig gestellt und auf der dazugehörigen Tour ausreichend vorgestellt hatten, kamen wir einfach zu der Einsicht, dass diese Scheibe in Sachen Orchestrierung, Vielschichtigkeit und Bombast nicht mehr zu toppen ist; auf jeden Fall von uns nicht. Ich denke dabei an einen Song wie „…And Then, There Was Silence“, den man einfach nicht mehr schlagen kann. Somit entschieden wir uns dafür, wieder mit weniger Chören und weniger Gitarrenspuren zu arbeiten, wobei wir natürlich immer das Ziel vor Augen hatten, uns nicht zurück sondern in eine andere Richtung zu entwickeln, denn wiederholen wollen wir uns definitiv nicht.

MF: Seid ihr dieses Mal also immer mit diesem Hintergedanken ans Werk gegangen? Ist das typisch für Blind Guardian, dass ihr euch zuerst genau vor Augen haltet, was ihr machen wollt und dann koordiniert in diese Richtung fortschreitet?

MS: Dieses Mal war es so, ja. Bei „Opera“ war die Tendenz aber über die Jahre hinweg entstanden. Kontinuierlich steigerten wir uns bis dahin. Jetzt dachten wir einfach: Nicht mehr so! Denn sonst wäre es einfach ein „Opera II“ geworden und das wollten wir unbedingt vermeiden.

MF: Ist damit auch das angestrebte Klassik-Projekt, dass ihr ja schon ein Weilchen plant begraben?

MS: Ganz im Gegenteil! Dies war auch ein Faktor dafür, dass wir den Sound ein wenig änderten. Das Songwriting für das Orchesterprojekt läuft nebenbei. Dieses wird voraussichtlich nächstes Jahr angepackt, wobei ein genauer Veröffentlichungstermin noch nicht angepeilt wird, da wir ja bekannt dafür sind, dass bei uns alles ein wenig länger dauert.

MF: Werdet ihr dabei auch alte BG-Songs verwenden?

MS: Nein, nein. Wir sprühen alle nur so von Ideen und es werden alles neue Songs sein. Einfach typisches BG-Material, nur anders umgesetzt; halt ohne Gitarren und ohne Drums, einzig Hansi (Kürsch, Sänger – Anm. des Verf.) wird singen. Momentan sind wir aber auch daran, zu prüfen, ob wir vielleicht noch andere Sänger einsetzen werden. Thematisch wird sich das Material wahrscheinlich um „Herr der Ringe“ drehen, wobei wir uns auch da noch nicht sicher sind. Dafür würden sich aber sicherlich die verschiedenen Stimmen hervorragend eignen. So würden die einzelnen Charaktere eigene Stimmen kriegen.

MF: Wird man das Ganze dann auch live geniessen können?

MS: Eine Tour wird es wahrscheinlich nicht geben. Dafür ist einfach alles viel zu aufwändig. Stell dir nur mal vor, was das für ein Chaos geben würde, wenn wir ein 50-köpfiges Orchester, plus Chor, plus Gastsänger usw. in der Gegend herumreisen liessen. Vielleicht wird es aber einzelne, spezielle Festivalauftritte oder so geben.

MF: Plant ihr, wieder ein eigenes BG-Festival durchzuführen?

MS: Wir spielen mit dem Gedanken. Uns war aber schon beim ersten Mal klar, dass dies nicht jedes Jahr der Fall sein wird. Wir überlegen uns momentan, ob wir es 2008 noch einmal durchziehen werden, da die Band dann 20-jähriges Bestehen feiern wird. Und wenn bis dahin das Orchesterprojekt wirklich stehen würde, wäre es natürlich eine optimale Gelegenheit.

MF. Zuvor geht ihr aber noch auf die „A Twist In The Myth“-Tour. Kannst du unseren Lesern dazu schon mehr verraten?

MS: Es wird eine riesige Show! Die Produktion wird relativ aufwändig, sogar für unsere Verhältnisse. Wir haben vor, mit Videoprojektionen zu arbeiten und erwarten momentan die ersten Muster, die morgen oder übermorgen eintreffen sollten. Es wird auch ziemlich anstrengend für uns werden, da es die bisher längste Tour für uns werden wird. Wir werden insgesamt 120-150 Shows spielen. Zuerst touren wir sieben Wochen durch Europa, dann sechs Wochen USA, dann gibt es eine kurze Pause und danach ist der Rest dran, im Winter und Frühling.

MF: Und nächsten Sommer? Werdet ihr einige Festivals beehren?

MS: Das ist noch nicht klar. Wir stehen momentan in Verhandlungen, aber es ist noch nichts spruchreif. (Zum jetzigen Zeitpunkt wurde jedoch schon ein Headlinerauftritt beim Wacken:Open:Air 2007 bestätigt – Anm. des Verf.)

MF: Kommen wir zum Thema Support-Bands: Wie werden eure Vorbands ausgewählt?

MS: Das ist ganz verschieden. Entweder bewerben sich die Bands oder Labels bei uns und wir hören uns dann das Material an, falls wir es noch nicht kennen oder wir fragen selber verschiedene Kapellen ab, die wir gerne mitnehmen würden.

MF: Wie war das bei eurem diesjährigen Support Astral Doors?

MS: Wir bekamen irgendwann mal die neue Scheibe von ihnen in die Hände und das Teil gefiel uns riesig. Sie sagten zu und nun kommen sie mit. Wir freuen uns wirklich sehr über dieses Package, da wir denken, dass wir sehr gut zueinander passen und eben doch ziemlich verschieden sind.

MF: Gab es auch schon Bands, die nicht mit euch auf Tour wollten, als ihr sie anfragtet?

MS: Vor einigen Jahren fragten wir Fates Warning an, da uns die alten Sachen wirklich gefallen. Die wollten aber aus irgendeinem Grund nicht und als sie dann wollten konnten sie nicht, weil sie gerade im Studio hockten. Aber vielleicht klappt es ja in der Zukunft einmal.

MF: Sicherlich wird es auch eine zweite Single geben, oder?

MS: Ja. Wir haben gerade letzte Woche die ersten Schnitte zum Video zu „Another Stranger Me“ erhalten und es sieht wirklich super aus.

MF: Wie ist es dazu gekommen, dass ihr diesen Song auswähltet?

MS: In erster Linie halten wir alle ihn für einen der besten der Scheibe. Daneben bot er sich vom Textinhalt wie von der wiederum etwas moderneren Stimmung geradezu an.

MF: Und wie wird der Clip so aussehen? Habt ihr euch nicht zweimal überlegt, ob ihr ein Video drehen wollt? Ihr seid ja in der Vergangenheit nicht gerade beglückt gewesen in Sachen Clip-Produktionen…

MS: Das Video lehnt sich stark an den Text an. Dieser besteht aus einer Detektiv-Story, die in den 30ern spielt. Der Detektiv (gespielt von Hansi) ist schizophren und die Pointe der Geschichte ist dann, dass der Hauptdarsteller rausfindet, dass er selbst der Verbrecher ist, den er sucht. Das Video ist realtiv düster und vermittelt einen etwas vergilbten Touch. Wie schon gesagt, haben wir erst die ersten Schnitte gesehen, aber wir sind sehr optimistisch. Vielleicht kommt ja endlich die Wende. Es war auch eine neue Erfahrung so etwas zu machen, denn das war auch die bisher professionellste Arbeit, die wir in diesem Bereich gemacht haben.

MF: Ein weiteres Thema, das euch immer beschäftigt, ist das Covern von berühmten Songs für B-Sides und Bonustracks. Wie seid ihr da überhaupt auf den Geschmack gekommen?

MS: Na ja… Wir können einfach nicht die Finger von solchen Tracks lassen, die wir grossartig finden. Und wenn wir dann noch sehen, dass die Songs in einer BG-Version sicherlich cool klingen würden, dann können wir uns nicht halten und es wird gecovert. Wir wollen ja eben nicht irgendeinen Klassiker 1:1 nachspielen, sondern versuchen immer, ihn in der typischen BG-Manier rüberzubringen, d.h. fette Gitarren und ein leichtes Power Metal-Flair.

MF: Auch für die „Fly“-Single habt ihr wieder was gecovert, nämlich „In-A-Gadda-Da-Vida“ von Iron Butterfly. Wie kamt ihr darauf?

MS: Wie schon gesagt muss uns der Song erstmal gefallen. Und „In-A-Gadda-… ist halt einfach ein geniales Stück, der schlicht und einfach danach schreit, hart gespielt zu werden.

MF: Wie sieht es mit weiterem Bonusmaterial aus? Wird es auch auf den kommenden Veröffentlichungen wieder Coverversionen geben?

MS: Also für die Special Edition der kommenden Scheibe ist bisher einfach ein weiterer Track geplant, der aber von uns geschrieben worden ist. Wir haben natürlich immer noch den einen oder anderen Track in der Schublade liegen, den wir dann noch als Gimmick auf eine Veröffentlichung draufknallen können. Meist sind das unveröffentlichte Stücke, die entweder qualitätsmässig oder stilistisch nicht auf die Platte gepasst haben. Vielleicht werden wir aber in der Zukunft auch wieder einmal so eine Sache wie auf „The Forgotten Tales“ machen und mehrere solcher Songs, auch Coverversionen, auf eine Scheibe packen, denn wir kommen gar nicht dazu, alles aufzubrauchen.

MF: Kommen wir zum letzten Thema, mit welchem ihr vor der Produktion von „Twist In The Myth“ in der Öffentlichkeit standet: Der Schlagzeugerwechsel. Nach dem Ausstieg von Thomen Stauch (jetzt Savage Circus, Coldseed) ward ihr lange Zeit auf Drummersuche und fandet dann in Frederik Ehmke euren neuen Mitstreiter. Ist er ein weiterer Faktor, der zur neuen Ausrichtung auf „Twist…“ geführt hat?

MS: Nein, nicht wirklich. Die Songs standen ja alle schon, als er zu uns stiess. Letztendlich hat er höchstens ein wenig Frische durch seine engagierte Art und natürlich durch seine Multiinstrumentalität eingebracht. Frederik kann ja auch verschiedene Pfeifen und Flöten spielen. Wir sind äusserst zufrieden mit ihm. Vor kurzem hatten wir ja die ersten Warm-up-Shows mit ihm und es lief einfach hervorragend. Frederik ist schon seit langer Zeit ein Fan von BG und konnte so die Songs schon vor seinem Eintritt extrem gut spielen. Er war einfach genau das, was wir suchten. Zum einen liefert er das, was Thomen machte ohne Probleme, zum anderen bringt er aber auch seinen ganz eigenen Stil mit. Und so erneuert er die Band ohne BG wirklich zu verändern.

MF: Und nun Hand aufs Herz: Wie findest du „Savage Circus“ das neue Projekt von eurem alten Drummer Thomen?

MS: Ich hab mir die Scheibe angehört und finde sie in Ordnung. Alle Beteiligten haben einen ordentlichen Job abgeliefert. Dennoch würden wir, BG, so etwas niemals machen, auf jeden Fall nicht jetzt. Für uns ist das einfach eine Wiederholung von dem, was wir vor 10 oder 15 Jahren gemacht haben und das wollen wir nicht. Es fehlen in meinen Augen einfach die neuen Elemente, die „A Twist In The Myth“ eben bietet.

MF: Mit dieser letzten Werbung sind wir schon am Ende angekommen.

MS: Schon? Da hast du aber Gas gegeben, nicht so wie der vorher… Ich hoffe wir sehen dich und viele andere Schweizer BG-Fans auf Tour. Wir werden nach der Show sicherlich noch im Publikum vorbeischauen.

MF: Das hört man gern. Ich danke für das Gespräch und bis dann.