Kein "Final Countdown"
mehr.
Europe werden wohl auf immer und ewig auf die Hits
vom Erfolgsalbum «The Final Countdown» reduziert. Dabei
haben die Schweden um Sänger Joey Tempest einiges mehr
zu bieten, als nur von einer Keyboardmelodie aufgebaute
Songs. Dies war schon zu hören auf dem Zweitling «Wings
Of Tomorrow» und den Alben nach der Reunion, namentlich
den leicht modernen und harten «Secret Society», «Last
Look At Eden», dem sehr kernigen «Bag Of Bones» und dem
rockigen «War Of Kings». Das neue Album «Walk The Earth»
steht nun in den Startlöchern der Veröffentlichung. Joey,
Gitarrist John Norum, Bassist John Levén, Keyboarder Mic
Michaeli und Schlagzeuger Ian Haugland gehen dabei
wieder einen Schritt näher zu «Bag Of Bones», vermischen
aber, wie schon auf dem Vorgänger «War Of Kings», die
Einflüsse ihrer Idole aus dem siebziger Jahren. Ian
Haugland sass mir gemütlich im Sofa sitzend gegenüber
und erzählte über die Entstehungsgeschichte des
mittlerweilen elften Studio-Albums.
MF: Wie lange
habt ihr an den neuen Liedern geschrieben?
Ian: Das waren ungefähr drei bis vier Monate. 70% des
neuen Materials waren aber schon fertig, bevor wir ins
Studio gingen. Dabei haben wir die Lieder alle zusammen
im Studio aufgenommen. Es war eine tolle Atmosphäre,
weil im gleichen Aufnahmetempel schon Pink Floyd und die
Beatles ihre Alben einspielten, nämlich in den Abbey
Road Studios in London (grinst zufrieden). Damals in den
sechziger Jahren. Pink Floyd haben dort «Dark Side Of
The Moon» und «Wish You Were Here» aufgenommen. Glaub'
mir, die Mauern waren gefüllt mit Rock'n'Roll-Geschichte
(grinst). Wir haben fast alles live
aufgenommen, ohne grosse Overdubs. Ich denke, es sind gut
85% des kompletten Albums.
MF: Wie
wichtig ist es für euch in einem solchen Studio
aufzunehmen?
Ian: Das ist nicht einmal
so wichtig, sondern das Gefühl, die Vibrationen und die
Inspiration in den Abbey Road Studios aufzusaugen. All
dies ist sehr grosser Spirit, wenn man sein eigenes
Material aufnimmt. Aber, es war in der Tat eine grosse
Erfahrung für uns alle.
MF: Was denkst du, sind die Unterschiede zwischen
«War Of Kings» und «Walk The Earth»?
Ian: Ich denke, dass «Walk The Earth» fokussierter ist.
Es ist heute schwierig zu sagen, ohne grossen Abstand,
aber ich denke, es hängt auch viel damit zusammen, dass
wir zum zweiten Mal mit unserem Produzenten Dave Cobb
arbeiteten. So konnten wir uns gegenseitig viel mehr
vertrauen. Es ist ein Prozess, der sich wie ein Puzzle
zusammenfügt. Das macht alles einfacher und kreativer.
Die neuen Europe kommen noch mehr ans Tageslicht
(grinst).
MF: Kann man sagen, dass «Walk The
Earth» näher bei «Bag Of Bones» liegt, als bei «War Of
Kings»?
Ian: Ich bin nicht sicher… Das
ist schwierig zu sagen. Wow, eine gute Frage… Wir machen
uns nie Gedanken darüber, dass das neue Album wie eines
seiner Vorgänger klingen soll. Okay, es gibt sicher ein
paar Songs, welche sich irgendwo ähnlich sind. Aber ich
behaupte, dass «Walk The Earth» ein weiterer Schritt von
uns ist, der von unseren Idolen beeinflusst wurde.
Gruppen wie Led Zeppelin, Deep Purple, Thin Lizzy oder
andere. Lieder wie «Kashmir» (Led Zeppelin) und
«Stargazer» (Rainbow). «Walk The Earth» ist ein Ausfluss
unserer Vorbilder (grinst). Dabei denke ich, dass es uns
heute einfacher fällt, neue Lieder zu schreiben. Wir
interagieren mehr, als damals in den achtziger Jahren.
Joey schreibt den Grossteil der Songs, und wenn er mit
fertigen Demos ankommt, haben wir uns seine Ideen
angehört und sie gespielt. Heute wissen wir alle, was
wir zu einem Europe-Track beisteuern können, und somit
fällt es allen leichter, sich in den Songwritingprozess
zu integrieren. Trotzdem, dass wir alle unterschiedliche
Einflüsse haben.
MF: Besteht die Gefahr,
dass ihr euch beim Schreiben verzettelt, frei nach dem
Motto "good is not good enough"?
Ian:
Bevor wir ins Studio gehen, sind die meisten Songs
bereits fertig komponiert. Dave, unser Produzent, lebt für
den Moment. Darum will er die Grundidee hören. So
versteht er, was das Lied ausdrücken soll und behält
diesen Grundcharakter im Fokus. Ich denke nicht, dass
wir jemals zu lange an den Tracks gearbeitet haben. Wir
versuchen immer die essenzielle Idee beizubehalten. Um
die arbeiten wir und wollen sie immer im Mittelpunkt
sehen.
MF: Könnt ihr heute druckloser
und von Erwartungen befreiter komponieren, als noch
früher?
Ian: Oh ja (grinst), heute haben
wir diesbezüglich mehr Freiheiten. Wir besitzen den
Master und können somit schreiben, was wir wollen, ohne
grosse Einflüsse von aussen. Die Plattenfirma hat nicht
zu entscheiden, wie wir klingen sollen. Wir lassen uns
nicht unter Druck setzen und lieben diese Art des
befreiten Schreibens. Das war in den achtziger Jahren
noch ganz anders. Das warst du unter dem Daumen der
Plattenfirma und hattest zu komponieren, was sie wollten
(lacht). Heute kannst du diese Freiheiten viel mehr
geniessen und ausleben.
MF: Und wie sieht's mit dem Druck aus,
den ihr euch selber macht?
Ian (grinst):
Wir versuchen immer den nächsten Schritt zu gehen und
versuchen neue Wege zu erforschen. Dabei schauen wir
nach vorne, ohne uns selber im Weg zu stehen und diesen
zu verlassen.
MF: Wir gross lastete dabei
der Schatten des übermächtigen Erfolges von «The Final
Countdown» auf euren Schultern?
Ian:
Klar, der ist immer im Nacken. Aber das gehört zu
unserem Leben, weil dieses Album unser Leben
beeinflusste und veränderte. Dieser Song und das
komplette Album sind nicht nur für uns ein Meilenstein.
Noch immer sind wir sehr stolz auf dieses Werk, aber
«The Final Countdown» ist nicht unser Gradmesser, wenn
wir Neues kreieren. Wir sind heute da, wo wir bei der
Reunion wieder starteten. Die Leute mussten akzeptieren,
dass wir nicht nochmals ein weiteres «The Final
Countdown»-Werk veröffentlichen würden. Auch wenn sich
einige Leute noch immer schwer damit tun (grinst). Aber!
Wir sind nicht mehr 25 Jahre jung und nicht mehr die
gleichen Personen, als wir damals «The Final Countdown»
komponierten. Klar kommen wir nicht davon los, diese
Lieder zu spielen. Das wollen wir auch nicht. Heute ist
es wichtiger, diese Tracks zu spielen, und sie mit
anderen grossartigen Liedern zu vermischen, wenn wir auf
der Bühne stehen. Das Interessante ist, dass wir nie
versuchten, eine Hitsingle zu schreiben. Dass «The Final
Countdown» trotzdem zu einem Hit wurde, war die Fügung des
Schicksals. Wir waren vom Grundsatz her nie eine
konforme Hit-Band.
MF: Trotzdem, gab es Lieder, von denen ihr erwartet
habt, dass sie ein Hit würden, aber die Fans sie nicht
als solche akzeptierten?
Ian: Oh ja, die
gab es. Sogar ganze Alben wie «Out Of This World», von
dem wir mehr erwarteten, wurden von den Fans nicht so
angenommen, wie wir uns dies erhofften oder dies
erwarteten. Das Gleiche passierte uns bei «Prisoners In
Paradise». Bei «Out Of This World» versuchten wir den
Erfolg von «The Final Countdown» zu wiederholen. Der
Druck der Plattenfirma war damals immens gross. Mit der
Ballade «Open Your Heart», die schon auf «Wings Of
Tomorrow» zu hören war, versuchten wir mit der
Neufassung von «Out Of This World» nochmals einen Hit zu
landen. Aber niemand schien sich für diesen Song zu
interessieren. Es ist ein grossartiger Track, aber wir
lernten zu der Zeit, dass man einen Hit nicht am
Fliessband produzieren kann. Du kannst versuchen deinen
Erfolg zu kopieren, das wird dir aber kaum gelingen. Was
aber passiert, ist, dass du damit deinen natürlichen Prozess
killst. So lernten wir schnell, dass man nichts
erzwingen kann (grinst).
MF: Macht es denn heute noch Sinn ein
neues Album zu veröffentlichen, mit dem Bewusstsein,
dass du kaum noch CDs verkaufst?
Ian:
Ich weiss, was du meinst, und es ist ein Armutszeugnis,
wie man heute mit der Kreativität der Künstler umgeht.
Gleichzeitig fühlen wir aber… Für uns ist sehr wichtig,
diesen kreativen Prozess auszuleben und den Leuten zu
zeigen, dass wir noch immer am Leben sind. Wenn wir
unsere Fans mit einem neuen Album glücklich machen und
ihnen noch immer in den Allerwertesten treten können
(lacht), haben wir unser Ziel erfüllt. Bei vielen Bands
ist eine neue Produktion reine Geldverschwendung, weil
sie keine Alben mehr verkaufen. Speziell für einen
Newcomer, der noch keine Fanbasis hat und sich alles
hart erarbeiten muss. Wir kommen aus einer Generation,
die sich noch am Duft einer Vinyl-Scheibe erfreute. Du
hast die Musik am Geruch erkannt (grinst). Vinyl feiert
ein Revival, das ist grossartig! Darum veröffentlichen
wir «Walk The Earth» auch wieder auf Vinyl. Wenn ich
höre, dass mehr Vinyl als CDs verkauft werden… Oh mein
Gott, ich liebe das! Das ist grossartig und ein
unglaubliches Gefühl!
MF: Die letzte
Frage, als du dieses Jahr beim «Sweden Rock Festival»
mit der Allstarband aufgetreten bist, war dies ein
spezieller Moment für dich…
Ian: …ich
weiss, auf was du hinaus willst (lacht). Ich habe meiner
Freundin auf der Bühne während des Konzertes einen
Heiratsantrag gemacht! Heute sind wir verheiratet
(lacht). Es war Spass und ein kleiner Trick (lacht):
"Will you marry me?" Das vor 6'000 Leuten.
MF: Dann danke ich dir für das Interview und wünsche
dir und deiner Frau alles Gute für die Zukunft!
Ian: Herzlichen Dank, und hoffentlich sehen wir uns bald
wieder.
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