Interview: Gotthard

By Tinu
 
Warten auf den Welthit.



Man kann über das neue Album «Silver» von Gotthard denken wie man will, der wiederholt erste Platz in den Swiss Charts spricht eine eindeutige Sprache. Dass Gotthard nicht mehr mit der gleichen Härtekeule agieren wie auf den ersten drei Alben, ist seit «D-Frosted» ein offenes Geheimnis. Die Tessiner gingen damals mehr in die Breite, erreichten eine Musikhörerschicht, die auch aus dem Nicht-Hardrock-Métier stammte und diese verhalf den Jungs zu einem viel grösseren Erfolg. Massgeblich daran beteiligt war der damalige Band-Mentor Chris von Rohr, der heute wieder in die dicken Saiten bei Krokus greift. Nach langer Zeit trafen von Rohr und Gotthard nun wieder zusammen. Dies auf der Bühne als Doubleheadliner bei zwei ausverkauften Konzerten in der Schweiz.

Nicht dabei war Gotthard-Schlagzeuger Hena Habegger, der die Band nach den ersten Europa-Gigs aus gesundheitlichen Gründen verlassen musste und durch den Helloween-Trommler Dani Loeble ersetzt wurde. Wie es Hena geht, was in den letzten 25 Jahren bei Gotthard passierte und wie Marc Lynn die neue Scheibe sieht, erzähle uns der Bassist im Interview.

MF: Was ist mit Hena los, was hat er und wie geht es ihm?

Marc: Es geht ihm gut. Die Anzeichen sprechen für ein Burnout. Weisst du, wir kamen aus dem Studio, veröffentlichten «Silver», hatten kaum Zeit zum Proben für die Tournee, und Hena wurde zu Beginn dieses Jahres noch zum ersten Mal Vater. In meinen Augen war dies alles zu viel und führte zu einem «Break Down». Wenn kein Weg daran vorbei führt, müssen wir nach einer Alternative suchen. Die Tour absagen wollten wir nicht. Als die ersten Anzeichen ans Tageslicht traten, haben wir uns über unser Management mit Dani Loeble in Verbindung gesetzt. Er bekundete grosse Lust, bei uns auszuhelfen und erbat aber um drei bis vier Tage Vorbereitungszeit. Am Schluss hatte er..., einen Tag (grinst). Das Gute war, dass Hena ein Drumbook geschrieben hatte, und da Dani wie Hena die gleiche Schule besucht hatten, konnte er vieles ab diesen Blättern lesen. Bei der ersten Show hatten wir alle Schiss. Aber! Dani hat einen sehr geilen Job abgeliefert. Er ist ein unglaublicher Profi! Hut ab! Mit Hena haben wir regelmässigen Kontakt. Wichtig ist, dass er wieder ganz fit wird. Geistig wie auch körperlich. Hena ist unser Schlagzeuger, das ist kein Thema! Hena hatte sich auf diese Tour gefreut. Wir kämpfen zusammen seit einem Vierteljahrhundert. Ich glaube aber, dass er gemerkt hat, dass dieser Break für ihn wichtig ist. Ich hoffe, dass er bei den Openair-Shows wieder im Boot sitzt.

MF: Jetzt stehen ein paar Shows zusammen mit Krokus an. Chris von Rohr war lange euer Manager sowie Mentor, und nun spielt ihr zusammen mit ihm auf der gleichen Bühne. Schliesst sich da der Kreis?

Marc: Es war an der Zeit, dass wir diese Konzerte spielen. Zusammen mit Shakra stehen die drei Topbands in Sachen Rock auf der Bühne. Die Idee stand schon lange im Raum. Wir haben bisher jedoch immer abgelehnt, weil die Souveränität von beiden Bands noch nicht vorhanden war zu sagen, diesen Spass gönnen wir uns. Es bedarf auch eines Aufbaus für unseren Sänger Nic. Im Vergleich zu einem Marc Storace, der schon über vierzig Jahre zusammen mit Krokus auf der Bühne steht, wollen wir als Gotthard unsere Leistung bringen. Ob sich dadurch der Kreis schliesst, keine Ahnung, man weiss ja nie, was noch folgen wird. Diese paar Konzerte sind aber sicherlich etwas ganz Tolles! Mandy Meyer war lange Gitarrist bei uns und mit Marc Storace jammen wir immer wieder. Man kennt sich nach all den Jahren. Mit Chris..., früher pflegten wir eine tolle Zusammenarbeit. Musikalisch hat er mit seinen Jungs den Weg wieder gefunden.

MF: Ist «Silver» das Album, welches Gotthard am besten über die letzten 25 Jahre repräsentiert?

Marc: Ein bisschen. Ein Teil präsentiert uns auch, als wir noch nicht in einer Truppe spielten. Aus der Zeit, als wir noch von andere Bands Songs nachspielten. Somit ist «Silver» eher eine Spiegelung unseres Lebens als Musiker. Es gibt auch viele radiotaugliche Lieder, die mehr in Richtung Mainstream abgemischt wurden. Da unser Songwriting auf den 70er-Jahren basiert… Das bedeutend, dass wir nicht wie gewohnt ein Gitarrenriff an den Anfang eines Liedes stellen und dann folgt die Strophe. Sondern man beginnt, wie in den 70ern, mit dem Chorus. Es war ein Versuch, eine Challenge. Aber man kennt dies ja von uns. Kein Album klingt gleich wie sein Vorgänger. Wir wollen und müssen uns bewegen, sonst wird es langweilig. Den Rockfans sind die neuen Tracks zu wenig rockig und andere sind der Meinung, dass uns «Silver» super gelungen ist. Es ist sicher ein farbiges Album mit viel Musik. Einmal die Scheibe anhören reicht nicht, auch für mich nicht. Man muss sich die Songs mehrmals anhören, entdeckt dabei immer wieder neue Nuancen und merkt, wie der Song dich mitreisst.

MF: Wie schwer ist es, euch beim Komponieren von neuen Tracks selber gerecht zu werden, aber unbewusst oder bewusst, mit den neuen Nummern auch die Charts wieder knacken zu können und den Fans letztlich das zu geben, was sie wollen?

Marc: Das ist immer eine Challenge, aber als Band hast du einen gewissen Stil und merkst beim Schreiben, was zu diesem Stil passt und was nicht. Oder man kann sich die Freiheit nehmen, etwas auszuprobieren. Schlussendlich klingt es noch immer nach Gotthard. Du kannst nicht immer nur für den Fan schreiben. Er wird der Erste sein, der sich beklagt, dass es immer gleich klingt oder dass es eben nicht immer das Gleiche ist (grinst). Man muss die Leute überraschen. Beim Songschreiben überraschen wir uns immer wieder selber. Es ist ein kreativer Prozess, der in diesem Moment auch deine persönliche Verfassung wiederspiegelt. Bist du gut drauf, schreibst du einen Happy-Song. Hast du bedrücktere Gedanken, wirst du eher etwas Tiefgründigeres komponieren. So kommen Inputs, Ideen und Emotionen zusammen, und man fragt sich, ob dies alles in einem Album Platz findet, das 25 Jahren Gotthard gerecht werden soll. Hat es in dieser Kiste Platz oder beult es die Kiste aus und hat trotzdem seine Berechtigung? Wer «Silver» mit den Bonustracks kaufte, hörte, dass die Zusatzsongs sehr rocken. Diese Lieder hätten auch ihre Daseinsberechtigung auf dem normalen Album gehabt. Schlussendlich wollten wir zusammen mit Nic in die Breite gehen. So muss man das Radio berühren und das war für uns auch wichtig. Wir haben zusammen mit Nic hart gearbeitet. Dabei haben wir viele Fans verloren, aber auch sehr viele neue dazugewonnen. Unser Neustart ist für viele Anhänger noch immer nicht einfach. Einige werden wohl nie von Steve Lee wegkommen. Aber, man muss versuchen als Band Neues zu bewegen und einfach gesagt "stinkfrech" sein.

MF: Wie war es für euch, schon die ersten Alben in den Staaten aufzunehmen?

Marc: Das war toll! Wenn du von der damaligen, sehr kleinen Tessiner Musikszene her kamst… Die ganzen Medien haben nur die deutschsprachigen und französischsprachigen Regionen wahr genommen. Das Tessin war ein völlig unbekannter, musikalischer Platz. Okay, vielleicht kannte man Vico Torriani in den Medien (lacht). So kommst du als Band aus diesem unbescholtenen Tessin und findest dich plötzlich in der Stadt wieder, in welcher die Rockmusik lebt! In diesem Land, das die Freiheit für sich gepachtet hat, mit all seinen unendlichen Weiten. Es war der Wahnsinn. Wir kamen aus dem Studio und den Input auf dein Produkt hatten wir innerhalb von Sekundenbruchteilen. Mit Werbetafeln und Infos an den Gebäuden, oder in den neusten Kinofilmen, die wir in der Schweiz ein halbes Jahr später sahen (grinst). Man passt sich dieser Stadt, diesem Drive an und bekommt einen völlig anderen Groove. Es war eine tolle Entscheidung, in den USA aufzunehmen und Chris sorgte immer dafür, dass wir in den besten Studios logierten. Klar höre ich mir die Alben heute noch an und ertappen uns dabei, dass wir gewisse Lieder nicht mehr so schreiben würden. Würden wir uns aber in zwanzig Jahren wieder treffen, würde ich dir das Gleiche über «Silver» sagen (lacht).

MF: In den Staaten aufgenommen, die erste Tour zusammen mit Satrox, die ihr völlig an die Wand gespielt habt… Es ging ab mit Gotthard. Wie schwer ist es in solchen Momenten, den Boden unter den Füssen nicht zu verlieren?

Marc: Eigentlich einfach. Aus einem Grund. Du hast eine Ambition und willst… Das ist heute noch so. Ob wir es schaffen, weiss ich nicht, aber uns gehts trotzdem gut… Wir wollen noch viel erreichen! Wir wollen in den Stadien spielen, eine Welttournee machen und einen Song schreiben, der um die Welt geht. Wir hatten immer Hits in Deutschland, Österreich oder der Schweiz, aber ein Lied, welches die ganze Welt bewegt, das ist uns bis anhin verwehrt geblieben. Dieser Wunsch soll aber nicht zu einem verbissenen Kampf ausarten. Eine Planung wie bei Bon Jovi, damit du ein gemachtes Produkt bist, das dann diesen immensen Erfolg feiert, wird es bei uns nicht geben, Das besitzt keinen Vorrang. Bei uns ist es das Team, die Familie, mit der wir diesen Erfolg gemeinsam erreichen wollen. Die letzten 25 Jahre vergingen wie im Fluge. Den Fans haben wir uns immer «touchable» präsentiert. Aus diesem Grund hat sich zwischen unserem Privatleben, der Band und dem, sagen wir Starsein, nicht viel verändert. Ausser, dass die Leute dich kennen. Heute haben die Fans ein bisschen mehr Respekt, das war früher gnadenlos. Dieses "Starsein" darf man als Musiker auch geniessen (grinst). Trotzdem blieb und bleibt der Fokus bei uns immer auf der Musik und den Zielen, die man erreichen will. Abgehoben sind wir aus diesem Grund nie, nicht einer von uns! Es war uns immer wichtig, die Fans zu begeistern. Da kann das Plaudern mit unseren Anhängern durchaus auch mal fünf Minuten länger dauern, aber der Respekt muss gewahrt bleiben. Wir haben uns immer «touchable» gegeben. Speziell mit «D-Frostet», einem Album, das sehr in die Breite ging, bekamen wir in der Schweiz einen grossen Sympathiebonus und wurden somit, auch von nicht Rock-Fans geliebt.

MF: Was war für dich früher wichtig, und was ist es heute?

Marc: In der Vergangenheit war man froh, wenn man Musik spielen konnte, davon leben und sich seinen Traum erfüllen konnte. Natürlich gibt es auch harte Kämpfe und beschissene Situationen, wie zum Beispiel der Unfalltod von Steve. Bei dem dir bewusst wird, dass es nicht nur schöne, sondern auch verdammt schwierige Zeiten gibt. Heute gehe ich bewusster an gewisse Dinge ran. Früher gings nur ums Spielen. Du bist auf die Bühne gegangen, auch wenn der Sänger nicht ganz fit ist. Heute verschiebst du lieber eine Show und willst den Fans eine tolle Show bieten. Man ist reifer geworden und geht bewusster mit den Dingen um. Man ist sich um einiges bewusster, was es braucht, wenn man auf die Bühne steigen will und wie fit man dafür sein muss. Das Ziel soll sein, den Fans die bestmöglichste Show zu bieten und für sich selber an Qualität zu gewinnen. Wenn dir das gelingt, gehts nach der Show zu den Fans an die Aftershowparty, du hast Spass und am nächsten Tag beginnt alles wieder von vorne.

MF: Sex, Drugs And Rock'n'Roll..., ein dummes Klischee?!

Marc: Ja, das ist ein Klischee aus den 70er-Jahren, aus den Atomzeiten (lacht). Das hat sich alles verändert, aber das Klischee ist hängen geblieben. Der Rock'n'Roll ist eine Lebenseinstellung. Eine, bei der man gewisse Dinge einfach lockerer angeht. Das Leben ist ein Spiel, ich spiele mit und versuche das Spiel zu gewinnen. Man darf nicht alles so ernst nehmen und soll auch ein bisschen ausbrechen. Dieses Ausbrechen wird dann immer mit diesem Klischee verbunden. Bei uns in der Band… Thema Drogen. Regelmässiges Kiffen und Koksen hatte nie Platz bei uns. Das fand in den letzten 25 Jahren nie statt. Dass man aber bei einer Party mal eine halbe Nase genommen hat, kann sein. Aber dann hast du dich für ein paar Jahre wieder von allem ferngehalten. Somit waren Drogen nie ein Thema bei uns. Auch Alkohol… Vor dem Gig gibt es nichts. Auch während des Konzertes lassen wir die Finger davon. Erst nach getaner Arbeit gibts Alkohol zu trinken. Dies in einem Mass, dass ich am kommenden Tag wieder auf der Bühne stehen kann. Man soll trinken in Gesellschaft und nicht alleine (grinst). Sex, ja klar, in den jungen Jahren hat man viele tolle Mädchen kennengelernt, das kostet man gerne aus. Man ist auf der Suche, nach dem, was man will… Hat ein Riesenangebot…Wenn du nicht weisst, welches Auto du kaufen sollst, fährst du jedes Probe (lacht). Das ist ein blöder Vergleich, aber es stimmt. Das bringt dich in die Misere, dass du nie mehr zufrieden wirst. Gefühle in der Musik… Wir sind dermassen gefühlvolle Menschen, auf Harmonie und Melodien bedacht, dass dies auch vor der Liebe keinen Halt macht. Unsere Liebe ist sehr intensiv, kann aber dann auch wieder sehr abrupt enden. Weil es zu turbulent im Herzen ist. In der Vernunft nicht, weil man sich sagt, jetzt sei doch mal zufrieden. Aber im Herzen geht es von links nach rechts, wie auf der Bühne bei einem Song. Rock'n'Roll… Klar die Liebe und die Lebenseinstellung zu dieser Art von Musik. Es ist ein zeitloser Sound, der leider zu wenig im Radio gespielt wird.

MF: Ist es ein Privileg ein Musiker zu sein?

Marc: Ich denke schon. Es ist ein Privileg und ein Fluch. Bist du erfolgreich, hieven dich alle in die Höhe. Trotzdem bleibst du alleine..., alleine mit deiner Band. Musst alleine kämpfen. Es wird immer schwieriger, alleine schon nur im Ausland zu spielen. Mit all den administrativen Dingen wie Geld, Quellensteuern oder dem Merchandising. Es ist ein megaverdammter Aufwand. Eigentlich möchtest du nur auf die Bühne stehen und spielen. Ein solch spezielles Leben führen zu können, davon träumen sehr viele. Stehst du auf der Bühne, verschwinden all die negativen Dinge. Das Problem sind diese grossen Distanzen, die man im Bus verbringt. Aber stehst du auf der Bühne, sind die Fahrten schnell vergessen (grinst)

MF: Besten Dank fürs Interview.

Marc: Gern geschehen, danke dir.