Interview: Hardline

By Tinu
 
Grunge hat alles getötet.


Johnny Gioeli ist ein vielbeschäftigter Mensch. Neben den Jobs bei Axel Rudi Pell und Hardline, hat der Ami noch einige Projekte am Laufen und seine eigene Firma, die auch noch unterhalten werden muss. Von einem Privatleben wollen wir schon gar nicht sprechen. Meistens war der Sänger auf Tour damit beschäftigt, sich um die Belange seiner Company zu kümmern, aber es scheint, dass sich dies geändert hat. Johnny ist nicht nur auf, sondern auch neben der Bühne einer der liebevollsten Musiker, die man sich wünschen kann. Mit seinen grossen Augen verleiht er den jeweiligen Sätzen noch mehr Aussagekraft und entpuppt sich als redseliger Sänger. Hardline, die Band mit der er 1992 und dem Debütalbum «Double Eclipse» die Türen weit öffnete, hat wieder an Boden gewonnen und gehört alleine in der Schweiz zu den wohl tourfreudigsten Truppen. Während man früher immer wieder vergebens auf einen Gig der Band hoffte, standen Hardline den Fans alleine im letzten Jahr mindestens vier Mal in Helvetien zur Verfügung.

MF: Johnny, der beschäftigste Sänger auf der Welt?

Johnny: Warum nur? Weil ich total verrückt bin! Ich liebe es beschäftigt zu sein. Wirklich! Wenn ich frühmorgens aufwache, gehe ich zu meinem Computer und schaue nach meinen E-Mails. Ich bin in Europa und habe mein Geschäft in den USA. Es klappt alles bestens mit meiner Firma, Axel Rudi Pell, Hardline und den anderen Projekten. Ich bin ein wirklich glücklicher Mann. Es greift alles ineinander wie Zahnräder, und alles hat seinen zeitlichen Platz. Keine Ahnung wie das alles so perfekt läuft, aber es klappt (grinst). Mit Axel ist alles super einfach, da sind die Zeitpläne klar definiert. Gott sei dank, dass alles so klappt (grinst).

MF: Hast du heute mehr Zeit für die Musik als früher?

Johnny: Absolut! Der Aufbau meiner Firma hat viel Zeit verschlungen. Nun läuft vieles fast wie von selbst, und ich kann das Ganze ein bisschen aus der Ferne "kontrollieren". So liegt mein Fokus mehr auf der Musik. Es ist kein Geheimnis, aber auch ich werde nicht jünger (lacht). Meine Stimme macht zum Glück noch immer das, was sie machen sollte. Auch wenn mir mein Arzt sagen würde, dass ich etwas ruhiger treten sollte, würde ich auf dem gleichen Level weiter machen, denn es läuft (lacht). Es fühlt sich an, als wäre ich 1992 stecken geblieben.

MF: Wie wichtig ist dir die Balance zwischen Musik, Business und Privatleben?

Johnny: Der Schlüssel für mich war immer die Balance! Ich musste sie aber zuerst finden, speziell für meine Familie. Ich bin ein richtig seltsamer Rock-Typ. Weisst du, wenn die Sonne aufgeht, bin ich schon wach. 04:30 Uhr am Morgen, das ist meine Zeit. Dabei teile ich mir meine Zeit genau ein. Es hat Platz für die Musik, für das Geschäft und für meine Familie. Ganz wichtig sind auch die Momente für mich selber. Ich bin wie das berühmte Duracell-Häschen und hüpfe die ganze Zeit herum (lacht). Ich habe kein Problem mit Energie. Ich mache meine Fitness-Übungen und renne viel. Auch wenn es von Tag zu Tag schwieriger wird (lacht). Das liegt an diesen verdammten Keksen, die sind so herrlich (verdreht die Augen). Weisst du, ich war nie einer dieser Party-Hengste. Nicht, dass ich dies nicht gut finde, aber ich fand heraus, dass es mir nichts gibt. Da stehe ich lieber früh auf und geniesse meinen Tag.

MF: Somit ist Sex, Drugs und Rock'n'Roll ein Klischee?

Johnny: Ja, für mich ist es ein Klischee. Ich will auf der Bühne stehen und die Leute zum Lachen bringen. Sehe ich die Fans in der Halle und sie sind glücklich, dann habe ich einen guten Job gemacht. Das ist für mich die Belohnung und verleiht mir Energie! Speziell in meinem Alter, ich bin 52, ich kümmere mich nicht ums Geld, sondern ich will diese Leute glücklich machen. Es spielt keine Rolle was ich auf der Bühne machen, aber was du dabei fühlst...

MF: ...auf der Bühne bist du auch pures Dynamit...

Johnny: ...oh danke Bruder!

MF: Woher nimmst du diese verdammte Energie?

Johnny: Von den Leuten. Ich erzähl dir was! Du hast die Z7-Show gesehen, und das ist ein ganz besonderer Platz für mich. War es mit ARP oder mit Hardline, wir spielten nie eine schlechte Show im Z7. Mental, wenn ich auf die Bühne gehe und denke "heute ist nicht mein Tag", wird es hier eine verdammt grossartige Show (lacht). Ich erhalte von den Leuten meine Energie wenn ich sehe, wie sie Freude am Konzert haben. Seien wir doch ehrlich, das war doch früher auch so, als ich Konzerte besuchte. Es musste mich berühren. Es ist wichtig, dass die Menschen für einen kurzen Moment die Probleme von zu Hause oder von der Arbeit vergessen.

MF: Für mich bist du einer der lustigsten und (Johnny lacht) nettesten Personen, die ich kenne...

Johnny: ...danke Bruder, du auch...

MF: ...danke. Aber gibt es etwas, dass dich wütend macht?

Johnny: Ich bin Sizilianer (mit grossen Augen)..., da wurde mir das Temperament schon in die Wiege gelegt. Mein Wasser ist rot..., wenn du weisst, was ich meine (grinst). Was mich wirklich mehr als alles andere zur Weissglut bringt, ist Respektlosigkeit. Da sollten wir uns eine Menge von den Kindern abschauen, denn es wäre so leicht, den Menschen nett gegenüber zu treten. Ich bin oft am Flughafen und sehe mit welch versteinerten Mienen die Leute herum rennen. Hechten ins Flugzeug und können kaum warten, bis sie ihren Platz eingenommen haben. "What the hell man!" Ich hasse Rassismus und wenn man andere Religionen missachtet. Wir alle haben den gleichen Boden unter den Füssen. Seid doch einfach nett zueinander. Ab und zu höre ich mir im Auto Jazz an. Aus dem einfachen Grund, weil die Leute wie Arschlöcher fahren (grinst).

MF: Was war denn früher für dich wichtig und was ist es heute?

Johnny (überlegt): Ehrlich zu sein. Eh, was war die Frage (grinst)?

MF: Was war früher...

Johnny (grinst): Ach ja..., meine Erinnerung ist wichtig (lacht). Und ich verliere sie immer wieder...

MF: ...welche Erinnerung?

Johnny: Was hast du schon wieder gesagt? Komm, nächste Frage (lautes Lachen). Ich möchte glücklich sein.

MF: Gesundheit und Glück...

Johnny: ...genau! In der Vergangenheit war es wichtig ein grosser Star zu werden und viel Geld zu verdienen, den nächsten Porsche zu kaufen. "Fuck about that!" Mein Sohn hat mir kürzlich mitgeteilt, dass er sich einen Helikopter wünscht. Yachten, Autos, all den ganzen Scheiss. David Lee Roth hat mal gesagt, eine grosse Yacht kann dich nicht glücklich machen.

MF: Wie hat damals alles mit Hardline begonnen?

Johnny: Mein Bruder und ich wollten zusammen ein Solo-Album veröffentlichen. So was in der Hardrock-Richtung und mit vielen Melodien. Zu der Zeit kannte Neal Schon (Gitarrist von Journey und auch beim Hardline-Debüt dabei) meine Schwester. Joey und ich spielten in der Küche und Neal hörte dies. Er rannte zu uns und fragte: "Was ist das?" Es war «Face The Night» (beginnt den Refrain zu singen). Neal begann Gitarre zu spielen, und wir beide waren völlig begeistert. So fragten wir Neal, ob er unser Demo produzieren würde. Er war zu der Zeit sehr mit Bad English beschäftigt. Als wir in seinem Haus die Demos aufnahmen, war er so glücklich mit unserem Material, dass er in die Band einsteigen wollte. Zuerst wollten wir dies nicht, aber hey, es war verdammt nochmal der unglaubliche Neal Schon! Nach Brunette war es für uns die zweite wichtige Truppe, und wir spielten mit Todd Jensen (Bass) sowie "fucking" Neal Schon zusammen (grinst zufrieden). Der Rest ist Geschichte, dass plötzlich auch Deen Castronovo von Journey bei uns spielte und das Debüt sich mehr als nur beachtlich verkaufte. Und, dass wir einen massiven acht Million Dollar-Deal an Land zogen, das waren noch Zeiten (grinst). Aber dann kam der Grunge und hat die ganze Musiklandschaft verändert.

MF: Ihr wart eine Art All-Star-Band. Ein Fluch oder ein Segen?

Johnny: Oh nein, das war grossartig Mann! Wir spielten mit unglaublichen Musikern zusammen. Ab und zu schaute ich zur Seite und dachte nur: "Heilige Scheisse, das ist fucking Neal Schon an meiner Seite" (grinst). Es war schön zu sehen, wie sich alles entwickelte. Es spielte uns nie eine Rolle, ob wir vor 200 oder 200'000 Leuten spielten. Aber wie gesagt, Grunge hat alles getötet. Die Plattenfirma wollte, dass wir mit dem Produzenten von Pearl Jam zusammenarbeiten. Neal und wir wollten dies auf gar keinen Fall. So hat uns das Label vor die Türe gestellt. Wir waren wie wir waren, und man konnte aus uns nicht eine Grunge-Band machen. Das war wirklich eine schreckliche Zeit. Serafino von Frontiers Records hat uns dann einen neuen Vertrag angeboten. Damit rechneten wir überhaupt nicht. Es war wie eine Therapie für mich, diesen Sound wieder zu hören und zu spielen. Noch heute ist es unglaublich, welche Resonanzen unsere Songs erhalten. Wir spielten sogar am Frontiers Fest zusammen mit Deen ein paar Lieder. Ich war immer in Kontakt mit Neal, und so sprachen wir auch über eine Möglichkeit, nochmals im Original-Line-up aufzutreten. Ich werde nie, nie sagen (grinst). Aber ich liebe meine aktuelle Besetzung. Ich weiss nicht, ob ich nochmals so glücklich würde wie damals. Wir alle sind älter und erfahrener geworden. Klar sprechen wir "belanglos" darüber, vielleicht für zehn massive Shows, nur aus Spass. Auf Wacken zu spielen und allen in den Arsch zu treten (lacht). Das soll aber mein aktuelles Line-up nicht torpedieren, sondern wäre eine nostalgische Geschichte für die Fans. Wir machen Witze darüber und ziehen uns gegenseitig auf..., "na, wie denkst du darüber?" (grinst). Wir werden sehen, was uns die Zukunft bringt.

MF: Wieso haben dich Francesco (Schlagzeug) und Josh (Gitarre) verlassen?

Johnny: Sie sind schwul geworden, haben geheiratet und leben nun abgeschieden auf einer kleinen Insel..., nein (lautes Lachen)! Ich liebe die beiden wirklich. Josh war länger bei Hardline als Neal. Aber..., ich weiss nicht genau was passierte. Ich ersetze nicht gerne Musiker, aber ich suche die beste Besetzung für die Musik und die Band...

MF: ...darum sind nun alles Italiener in der Band...

Johnny (krümmt sich vor Lachen): ...genau! Es hat sich so ergeben, aber ich lerne viel von diesen Mafiosi und ihrem schlechten Geschmack (lacht). Im Ernst, italienische Musiker sind sehr hart arbeitende Leute. Ähnlich wie die Deutschen, aber die Italiener gehen und gehen und gehen immer weiter. Wir sind keine Rockstars, sondern fahren ganz normal von einer Show zur nächsten. "Jungs, wir haben keine Übernachtungsmöglichkeit diese Nacht und müssen im Flughafen schlafen!" Ihre Antwort wird sein: "Perfetto!" Das ist unglaublich und ich liebe diese Art! Und weisst du was, es ist für mich einfacher geworden neue Lieder zu komponieren. Keine Ahnung wieso, aber es ist so! Ab und zu fällt mir eine Idee ein, und ich frage mich: "Oh mein Gott, was zur Hölle soll das?", aber im Studio ist es genau der Part, welchen ich brauche, um ein Lied fertig zu stellen. Vieles inspirierte mich, was im Leben passiert. Damals bei «Double Eclipse» sah ich am Strand die Rollschuhfahrer. Diese blöden, einfältigen, verdammten Rollschuhfahrer (grinst). Hallo, ich interessierte mich für Eishockey, was für Männer, aber doch nicht fürs Rollschuhfahren (grinst). Ich schaute mich nach einer Inspiration um, und in Kalifornien gibt es sehr viele Brüste. Und Brüste inspirieren mich (mit todernster Miene!). Schreib das aber nicht, das ist nur unter uns Männern gesagt (lautes Lachen). "Hey Italiani!" (pfeift seinen Bandmitgliedern zu), "könnt ihr mal ruhig sein, ich führe hier ein Interview!" (grinst).

MF: Danke für das Interview...

Johnny: ...ich danke dir Bruder!