Die Nachricht, dass Hellion auch wieder zurück sein
sollen, hatte mich zuerst nicht sonderlich gejuckt, da sich solche Ereignisse in der
letzten Zeit ziemlich oft ergeben haben. Die Retro-Welle ist scheinbar echt nicht mehr zu
stoppen. Nun..., wenn zu einer Reunion aber noch ein ansprechendes Album (und das nächste
steht scheinbar auch schon in den Startlöchern!) nachgeschoben wird, dann gebührt dem
die entsprechende Aufmerksamkeit. Satte dreizehn Jahre nach "The black book"
wurde anfangs dieses Jahres mit "Will not go quitly" der legitime Nachfolger
präsentiert. Erstaunlicherweise konnten Ann Boleyn und ihre (bis auf Ray Schenck) neue
Band wieder ein Zeichen setzen, obwohl natürlich auf Bewährtes nicht verzichtet und
gröbere Experimente ausgelassen wurden. Daher kommt das Songmaterial soweit ehrlich und
nicht trendverseucht an. Ob man damit allerdings an alte und in diesem Fall bislang eher
bescheidene Erfolge (in Europa) anknüpfen kann, wird sich zeigen. Klar auch, dass (s)ich
das Rad des Zeit während unseres Gesprächs entsprechend zurück drehte. Ann zeigte sich
sehr gut gelaunt und überaus gesprächig, nachdem sie "ennet des Teichs" den
Hörer in die Hand nahm und mich für unser Interview anrief. Dabei kamen auch weniger
schöne Geschichten zum Vorschein, doch lest selbst!
MF: Hi Ann, was für eine Freude, dich wieder "zurück" in der Szene zu
haben.Wie fühlst du dich?
Ann: Nun, es war nicht so, dass ich wirklich weg war. In den 90-ern habe ich schwere
klassische Musik von Wagner und Schuhmann studiert und gesungen. Also Werke, die in
vielerlei Hinsicht mit laut, "dreckig" und heavy in Verbindung gebracht werden
können.
MF: Es sind nun dreizehn Jahre seit dem Release von "The black book "
vergangen. Was hast du in den vergangenen Jahren denn alles so unternommen und erlebt?
Ann: Ein paar dieser Jahre versuchten wir, an "The black book" an zu knüpfen,
aber dann kam eine Zeit in den 90-ern, als viele sagten, dass sie keine Band mit einer
Sängerin aus den 80-ern (mehr) wollen. Man wurde kaum mehr beachtet, wenn man keine
grossen Erfolge aufweisen konnte oder nicht bei MTV gespielt wurde. Das wurde uns dann
rasch zum Verhängnis. Nimm Metallica als Beispiel, hätten sie sich nicht derart
verändert, sie würden heute noch den gleichen Scheiss spielen. Egal..., grundsätzlich
versuchten wir unser Ding durch zu ziehen, aber es war verdammt hart. Dann begannen
einzelne Bandmitglieder in eigenen Projekten mit zu wirken. Chet Thompson (g) arbeitete
zum Beispiel mit der Frau von Mick Mars (Mötley Crüe) zusammen, eine mittlerweile
legendäre Story (lacht)! Jeder machte einfach das, was er gerade konnte.
Aber es war eine schwierige Zeit, dazu ein Beispiel: Lita Ford und ich waren von den
Zuschauern von VH-1, das ist eine grosse Sache bei uns, fast wie MTV, in die Top Hundert
gewählt worden. Trotzdem wurden wir ausgeladen, mit der Begründung, dass Metal-Ladies
aus den 80-er nicht mehr gefragt sind. Der Manager von Lita flog damals für teures Geld
extra nach New York wegen Interviews und dann das! Was will man also machen? Gut, es
riefen viele Leute an und alle sagten "ja, lass uns was machen" und Dies und Das
und so weiter, aber es wurde nichts daraus. Der krasseste Fall ereignete sich während den
ersten Arbeiten zu "The black book", als mir gegenüber Interesse bekundet wurde
und ich für ein entsprechendes Meeting extra nach London flog und im Regen stehen
gelassen wurde. So ging das damals!
Sonst von Bedeutung war für mich sicherlich das Jahr 1998, als meine Grossmutter Lucy
starb. Dazu starben viele meiner Freunde, wie zum Beispiel Cozy Powell. Er spielte damals
bei Whitesnake und wir waren auf dieser Tour als Opening Act dabei. Er war einer der
nettesten Kerle, den man sich vorstellen konnte. Das Schlagzeug unseres Drummers (Sean
Kelly) stand ja jeweilen vor dem Kit von Cozy. Allerdings war da praktisch kein Platz für
alles, da Cozy's Küche halt sehr gross war. Er bekam das Dilemma von Sean mit und ohne
dass wir danach gefragt hätten, bot er uns spontan während des Soundchecks seine
Drum-Monitoren an. Das sind eben die Dinge, die ihn auszeichneten.
MF: Ja, wirklich ein flotter Kerl! Ich sah ihn (zum Glück!) zwei Mal in Zürich,
als er mit Black Sabbath unterwegs war.
Ann: Oh yeah..., ein grosser Drummer und ein feiner Mensch. Dann starb Tim Kelly
(Slaughter), der auch mal kurz bei Hellion war, bei einem Autounfall, wo noch Drogen mit
im Spiel waren. Was mich auch sehr mitnahm, obwohl ich nicht so auf ihre Musik stand und
nie ein Konzert von ihr besuchte, war der Tod von Wendy O'Williams (Plasmatics). Ich
kannte sie als Freundin, da wir in Europa bei der gleichen Plattenfirma unter Vertrag
waren. Sie war so voller Leben und das letzte Gespräch, das ich mit ihr führen konnte,
war in London, als wir dort zur gleichen Zeit zwecks Promotion weilten. Sie erzählte von
einem Pop-Sänger, der sich umbringen wollte, es aber nicht schaffte. Das war der grösste
Loser für sie, denn sie meinte, wenn sie vorhätte, sich um zu bringen, dann würde ihr
das bestimmt gelingen. Sie würde sich dann einfach eine Knarre in den Mund halten und
abdrücken! So war sie..., und als ich Jahre nachher erfuhr, was genau geschehen war (sie
starb nämlich genau so!), bedrückte mich das ungemein. Sie machte uns (Lita Ford und mir
) Mut, fand aber selber auch keine Unterstützung mehr, um wieder Fuss zu fassen. Sie
wurde einfach ignoriert und fertig gemacht.
Das alles machte mich sehr traurig, aber gleichzeitig auch sehr zornig. Zuerst der
Todesfall in der Familie und danach eben Wendy. Die Leute sagten dann, was kümmern dich
denn diese Leute und deren Schicksale? Schliesslich begann ich wieder zu schreiben und mir
war es gleich, was andere über mich dachten und ob meine Musik nun out ist oder nicht. So
gerieten die Arbeiten zum neuen Album zu einem wahren Abenteuer, wie auch die Aufnahmen
und schliesslich die Veröffentlichung. Das Ganze dauerte noch eine Weile und die Verweise
zu Rob Halford, dessen "Resurrection"-Album übrigens zuerst "Metal
Gods" heissen sollte), waren unangenehm. Man warf mir vor, Hellion sei eine Judas
Priest Copyband und so weiter. Dabei gab es uns noch vor dem alten Priest-Song. Wie dem
auch sei, das Album ist nun draussen und spricht wohl für sich selber.
MF: Rund um die Reunion von Hellion, was sind deine Erwartungen an die nahe
Zukunft?
Ann: Diesen Sommer kommen wir nach Europa, um dort zu spielen. Wir sind wirklich heiss
darauf..., wir werden in Wacken und an weiteren Orten auftreten. Wacken ist aber das
Grösste. Dann habe ich noch ein E-Mail gekriegt, kenne aber die Verantwortlichen und die
Umstände noch nicht genau..., mal sehen. Spielen ist aber auf jeden Fall angesagt. Dann
haben wir die Arbeiten für ein folgendes neues Album fast beendet, von dem einige Leute
sagen, es erinnere sie wieder mehr an "The black book"..., es ist definitiv
gutes Material.
MF: Ray Schenck (g) ist das einzige verbliebene Mitglied des alten Line Up's. Wie
hast du die anderen Musiker gefunden?
Ann: Chris Kessler (g) tourte in Japan zusammen mit mir in meinem Solo-Projekt, er ist
einfach grossartig! Man sagt über ihn, er sei eine Mischung aus Cliff Burton (Metallica -
R.I.P.) und Alan Barlam, meinem ehemaligen Gitarristen. Er (Chris) ist ein begnadeter
Songwriter und ein sehr interessanter Kerl. Obwohl durch einen Geburtsfehler stark
sehbehindert (er kann deswegen nicht mal einen Wagen lenken), ist er total begabt bei
seinem Spiel und schreibt tolle Songs. Sean (Kelly), unser alter Drummer, wollte
eigentlich für die Aufnahmen im Studio auch wieder mitmachen, aber da war seine Frau, die
sagte, dass er 500 Dollar pro Tag plus Spesen für Dies oder Das nach Hause bringen
müsse! Das geht einfach nicht mehr so wie in den 80-ern und weil ich ihm das Geld nicht
geben kann, musste er zuhause bleiben (lacht)! Dann kam eben ein anderer Sean (Scott), der
jedoch wie ein Klon seines Vorgängers aussah. Es hat sogar das gleiche Drumset und ist
ein Old School Drummer, der in die Richtung von Cozy Powell oder Tommy Lee (ex-Mötley
Crüe) geht. Mir sagte man deswegen nach, ich sei eine Hexe, die ihren Schlagzeuger
geklont habe. Glenn (Cannon, b) ist echt cool! Hellion hatten eigentlich nie einen festen
Bassisten. Einige kamen und gingen wieder. Aber dieser Bursche ist toll und spielt nicht
nur Bass, sondern kann sich auch beim Songwriting einbringen. Ich bin glücklich so, wie
sich die Dinge ergeben haben.
MF: Das neue Material ("Will not go quietly") ist melodiebetonter und
beeinhaltet jetzt auch Keyboard-Sounds. Die harten U.S. Metal Roots scheinen ein wenig
zurück gedrängt! Wahr oder nicht?
Ann: Das hat mit der Art und Weise zu tun, wie das Album entstanden ist. "Will not go
quietly" ist ein experimentelles Werk, das ich, bis auf drei Songs, komplett auf
meinem Keyboard geschrieben habe. Wie du weisst, spiele ich das aber nicht live. Früher
machte ich das schon so, führte der Band die Songs vor und nachher wurde das halt auf die
Gitarren übertragen. Das bedeutete dann das Ende dessen, was vom Keyboard kam. Im Studio
sagte (der Produzent) Mikey (Davies) "komm, versuchen wir doch, was Anderes zu
machen!" Er benutzte das Keyboard für die Basic-Tracks, eine eigentlich verrückte
Idee. Wir wollten nicht, dass das Album angestaubt klingt und zurück in die 80-er, das
wäre dumm gewesen. Und das Schlagzeug kam erst am Schluss dazu! Also das pure Gegenteil
von dem, was man sonst gewohnt ist. Unsere neuen Songs werden etwas zwischen "Will
not go quietly" und "The black book" werden.
MF: Habt ihr auch schon mal in der Schweiz gespielt?
Ann: Ja...!
MF: ...und werden wir euch bald wieder mal sehen?
Ann: Das hoffe ich doch sehr! Wir freuen uns auf die kommende Tour im Sommer.
MF: Kürzlich las ich, dass in Amerika die Verkäufe im Nu Metal Bereich (Papa
Roach, Crazy Town oder Korn und viele andere mehr) plötzlich auf dem absteigenden Ast
sind. Hast du eine Erklärung dafür?
Ann: Ja! Jedermann will zuviel Geld für CD's. Die Preise sind einfach zu hoch. In den
80-er konnten die Leute Platten zwischen 7,99 und 8,99 Dollar kaufen. Nun kosten sie (die
CD's) zwanzig Mäuse! Es kann mir niemand erzählen, das alle Preise in den letzten Jahren
um mehr als das Doppelte angezogen haben! Das ist erstens einfach zuviel Geld und zweitens
werden die Leute langsam müde. All diese Bands waren ansprechend, als sie frisch
aufkamen. Dazu kommt, dass die Plattenfirmen..., nicht die Bands und nicht die Fans,
zuviel diktieren, was nun gesehen, gehört oder erfolgreich sein muss. Vielleicht passiert
wieder das, was Ende der 80-er schon geschah. Die Companies schauen bereits in die Zukunft
und sind wohl der Meinung, dass Bands aus den 90-ern nicht mehr interessant (und
gewinnbringend) genug sind. Ich will es nicht verschreien, aber es kann sein, dass einige
Bands Probleme bekommen werden.
MF: Nun zum Schluss: was hast du für eine Botschaft an die Schweizer Hellion
Fans?
Ann: Also..., erstens kommt auf unser Web-Board (http://officialhellionsite.freeyellow.com/),
sagt hallo und bringt euch ein, das wäre cool, und wenn da dann alle auf Deutsch
schreiben, brauche ich einen Übersetzer (lacht laut)! Echt, geh' ins Board und sei mein
persönlicher Übersetzer (lacht wieder)! Aber schlussendlich..., jedermann beklagt sich
über die Metal Szene. Es gibt nur eine Möglichkeit, die Szene stark zu machen, nämlich
an ihr teil zu nehmen! Wenn du nicht Musiker bist, dann hilf einem Fanzine, gehe
freiwillig zu einer Radiostation und unterstütze deine Freunde bei Bands mit Werbung und
Flyers. Das macht die Szene aus und nicht nur das darüber Reden! Tut was und helft
einander, so können wir alle Spass haben!
MF: Ich hoffe nun entsprechend, dass es für euch in den nächsten Monaten gut
läuft und ich würde mich sehr freuen, euch auf der Bühne zu sehen.
Ann: Ja..., ich auch, vielen Dank!
P.S.: An diesem Abend sah man im Fernsehen die Horrorbilder von Rhode Island, wo
zu Beginn des Konzertes mit Great White wegen hochgehenden Pyros der ganze Club innert
Kürze in Flammen stand, bis auf die Grundmauern niederbrannte und über neunzig Fans
qualvoll sterben mussten. Von den dutzenden von Verletzten gar nicht zu sprechen. Ann
wusste noch nicht darüber Bescheid und war entsetzt, das hören zu müssen. Sie erinnerte
sich an eine frühere Geschichte mit Rainbow, als Ronnie James Dio in der Band war. Bei
einem Konzert in Japan wurden Fans wegen dem Gedränge vorne an der Bühne fast
zerdrückt. Ein ohnmächtiges Gefühl für einen Musiker, das miterleben zu müssen.
Ronnie hörte die Schreie der Fans noch hinter der Bühne.
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