Interview: In Extremo
By Roger W.
Die deutschen Mittelalter-Rocker In Extremo erfreuen uns in ihrem 16. Bandjahr mit dem brandneuen Album «Sterneneisen». Darauf gibt es einen guten Mix zwischen ernsthaften und nachdenklichen Liedern. Sänger Micha «Das letzte Einhorn» erzählte mir gut gelaunt, um was es bei einigen, speziellen Songs geht. Aber auch die Zusammenarbeit mit Kreators Mille und Unheiligs Der Graf blieb nicht unerwähnt. Bei so viel Heavy Metalverwunderte es dann doch, dass Micha mit Totenköpfen und Pommesgabeln eher wenig anfangen kann. Dafür liebt er die Stadt Zürich umso mehr. Auf zu einem Gespräch, bei welchem der Geist von In Extremo sehr deutlich zum Vorschein kommt, die Liebe zu Zürich, Mille und der Graf sowie Totenköpfe und Pommesgabeln.

MF: Hallo Micha, wie geht es dir?


M: Mir geht es eigentlich ganz gut. Ich bin ein bisschen müde, aber das macht nichts. Das bin ich mir gewohnt (lacht).

MF: Aber es ist anders, als wenn du auf Tour bist?

M: Ja, das ist total anders. Du gibst den ganzen Tag Interviews. Wir freuen uns als Band, dass so viele Leute wissen wollen, dass wir ein neues Album am Start haben. Das ist sehr schön.

MF: Wie unterscheidet sich denn deine jetzige Müdigkeit im Vergleich zu derjenigen der Tour?

M: Auf Tour bist du eigentlich ständig auf Adrenalin. Du gehst spät ins Bett und wachst früh auf, und hast eigentlich definitiv immer Schlafmangel. So geht es mir jedenfalls immer. Ich bin wahrscheinlich schon ein paar Millionen Kilometer in Nightlinern gelegen. Aber ich schlafe immer schlecht in Bussen. Und dann am Ende der Tour siehst du aus, wie… naja (lacht). Nicht gut. Aber da überwiegt dann doch alles die Freude auf Tour.

MF: Anders gesagt: Du hast jetzt zwar weniger Adrenalin, dafür mehr Schlaf?

M: Ja, richtig. Aber eigentlich auch nicht mehr Schlaf. Ich sitze jeden Tag in einem Flieger oder bin irgendwo auf einer Autobahn unterwegs, um von A nach B zu reisen. Es ist ein anderes Müde sein.

MF: Kommen wir zum neuen Album. Mir war das Wort des Albumtitels, also «Sterneneisen», bisher völlig unbekannt. Wie seid ihr auf dieses Wort gekommen?

M: Einfach durch Zufall. Normalerweise sind wir die Loser, die immer in letzter Minute einen Albumtitel erfinden müssen. Aber dieses Mal war der Albumtitel bereits früher, also im August da. Es könnte auch September gewesen sein. Ich glaube es war Pymonté, der einfach mal «Sterneneisen» gesagt hat. Und wir: «Ja, was ist Sterneneisen?» Ich glaube das ist ein Wort, das dir sofort hängen bleibt. Jetzt wissen wir natürlich, was Sterneneisen ist. Das Wort ist einfach kraftvoll, es hat Romantik, es hat Fernweh, es hat das alles mit drin. Und es ist einfach ein schönes Wort.

MF: Mit Eisen habt ihr ja fast das deutsche Wort für Metall drin.

M: (überlegt und lacht) Ja, wir kommen ja auch aus Deutschland! Sterneneisen ist ein nicht verglühter Meteorit, der auf die Erde knallt und den Kern darin nennt man Sterneneisen. Daraus wurde zum Beispiel der Sage nach das Arthus-Schwert geschmiedet. Aber die letztendliche Bedeutung von diesem Sterneneisen ist «Glücksbringer» und bedeutet einfach: Schau positiv nach vorne, lass den ganzen Scheissdreck und die ganzen negativen Energien einfach nicht an dich ran. Wir sind eine lebensbejahende Band. Und das Wort passt deshalb einfach zu uns. Genau wie das Metagramm, der siebenzackige Stern, der aus der griechischen Mythologie kommt und der dasselbe besagt: Lass nichts Böses an dich ran und schau nach vorne. Und das finde ich einfach klasse.

MF: Das Wort «Stern» kommt jetzt auch in vielen Liedern vor. War das ein Leitthema, das euch so inspiriert hat, dass ihr genug Lieder und genug Themen zu diesem Wort gefunden habt?

M: Nein, überhaupt nicht. Wir haben noch nie ein Konzeptalbum gemacht. Wir fangen an zu arbeiten, und es ergibt sich dann alles. Sowie bei «Mein rasend Herz» zum Beispiel. Da haben wir plötzlich festgestellt, dass plötzlich neun Lieder über Seeromantik da waren. Das passiert einfach. Wir sind nicht die Typen, die jetzt sagen: «Jetzt machen wir dies und das.» Das ergibt sich. Der Faden mit den Sternen hat sich dann fortgeführt. Und es hat einfach alles zusammen gepasst. Also so mit dem Albumtitel und dann mit dem Cover dazu. Ich meine lustiger als auf diesem CD-Cover geht’s es ja gar nicht mehr, oder? Es ist der Hammer. Und es hat auch etwas mit Freiheit zu tun. Im Stile von der räudige Rüdenhaufen ist unterwegs und markiert in der Welt herum. Und das Ganze geschieht so mit einem Pippi Langstrumpf-Flugzeug. Das ist doch Klasse.

MF: Es sieht nett und verspielt aus. Eigentlich so wie das Album klingt. Okay, nett ist zu schwach, aber verspielt…

M: Also nett? (lacht) Also gefällt dir das Album? Uns gefällt es auch.

MF: Ja, ich habe es bis jetzt erst einmal gehört. Aber ich fand es schon mal toll.

M: Das ist gut, denn der erste Eindruck ist immer der wichtigste.

MF: Das Wort «Stern» kannst du aber trotzdem noch immer hören.

M: Natürlich. Ich kann auch das Album nach wie vor hören. Ich habe die Songs zwar schon mehrere hundert Mal bei der Entstehung im Studio gehört, aber das gehört dazu. Und Stern ist ja auch nichts Böses. Stern ist Klasse. Wer sitzt nicht gerne mal am Flüsschen am See oder am Waldrand mit einem Glas und einer Zigarette in der Hand, vielleicht noch mit einem schönen Fräulein im Arm, und guckt einfach in die Sterne. Was Schöneres gibt es doch nicht, oder?

MF: Das ist so. Mit Specki habt ihr einen neuen Schlagzeuger. Wie gross war sein Einfluss aufs neue Album?

M: Genau so gross, wie von jedem anderen auch. Der hat vom ersten Tag, als er bei uns war, die gleichen Rechte und Pflichten und war ein vollständiges Mitglied von In Extremo. Und der macht seinen Mund auf, genau wie jeder andere. Er hat dem Album auch sehr gut getan, muss ich sagen.

MF: Wie unterscheidet sich seine Arbeit von seinem Vorgänger?

M: Er hat einen anderen Charakter. Man muss dazu sagen, dass die Trennung mit Rainer in beiderseitigem Einverständnis war. Er hat einfach mit der Familie und mit anderen Sachen andere Wege vor. Und da haben wir eigentlich schon so viel darüber geredet. Ich möchte diese alte Kamelle nicht noch einmal hervorholen. Wir haben unsere Tränen dafür verweint und haben mit Specki einen richtig guten Ersatz. Wir haben mit Specki ein neues Mitglied, das sich die Seele vom Leib trommelt. Ich möchte keinen anderen Schlagzeuger mehr haben. Punkt.

MF: Das Lied «Auge um Auge» behandelt die Todesstrafe, aber auf sehr schöne und ungewöhnliche Weise.

M: Das ist ein sehr tiefgründiger Text. Deutsche Texte zu erklären ist eigentlich immer doof, denn darum sind sie ja Deutsch, dass sie jeder versteht und das Gefühl mit aufnimmt. Die darin vorkommende Person fragt zum Schluss: «Was habe ich dir eigentlich angetan?» Weisst du, jetzt wird mir eigentlich nochmals bewusst, dass mir die Sache mit dem bescheuerten Onkelz-Sänger eingefallen wäre. Der Typ ist einfach bescheuert. Der war schon immer bescheuert und wird auch immer bescheuert bleiben. Der ist noch nicht einmal für seine Bescheuertheit entschuldigt, weil er zwei Menschen mit ihrer Behinderung zurück gelassen hat. Das ist einfach asozial hoch 80 und dieser Mensch dürfte nie wieder auf die Strasse kommen! Punkt! Fertig! Ich sehe das wirklich so. Diese Tat ist unverantwortlich.

MF: Ist die Art und Weise wie du darüber singst auch die Art und Weise wie ihr in der Band über solch kontroverse Themen diskutiert?

M: Ja natürlich. Wir schreiben ja auch die Texte zusammen. Früher war das anders. Da war ich dafür verantwortlich. Und irgendwann geht natürlich dein Wortschatz aus. Wir machen als Familie alles zusammen. Und das finde ich total Klasse. Dadurch kommen viel bessere Texte zustande. Wir diskutieren stellenweise auch über Sätze und Worte. Und das finde ich total Klasse. Das ist auch ein schöner Lernprozess, um sein Ego wegzustecken. Das ist einfach schön.

MF: Das zeigt aber auch, dass ihr nicht so dieses Schwarz-Weiss-Denken habt, sondern auch die grauen Farbtöne akzeptiert.

M: Ja natürlich (lacht). Na klar, das macht man einfach. Wir sind ja auch Leute, die mit offenen Augen durch die Welt gehen. Und es ist nicht alles Gold was glänzt.

MF: Oh sehr schön. Das ist gleich der nächste Titel, den ich ansprechen möchte. Bei welcher Täuschung seid ihr in den letzten Jahren reingefallen? Welchem Gold seid ihr nachgerannt?

M: Eigentlich gar keinem. Uns geht es gut und wir sind auch sehr dankbar dafür. Es gab einmal einen Fall, und das darf man ruhig erzählen, der die Band 2002 oder 2003 fast zur Auflösung getrieben hat. Wir hatten damals ein Management, ohne jetzt Namen zu nennen, das uns Schwarz auf Weiss um 450‘000 Euro beschissen hat. Das ganze Tourgeld und auch die Einnahmen der ersten Plattenverkäufe - alles war weg. Solche Menschen haben in der Musikszene eigentlich nichts zu suchen. Aber die machen heute wieder Bands. Aber ich bin so fair und nenne keine Namen. Aber man sieht sich immer zweimal im Leben. Das war so das grösste Lehrgeld, welches wir bezahlt haben. Aber das andere Lehrgeld, das man so nebenbei mal bezahlt, so durch Unachtsamkeit und so, das gehört einfach zur Entwicklung einer Band. Und daraus sollte man auch positive Schlüsse ziehen. Und selbst mit dem damaligen schweren Rückschlag, haben wir uns einfach die Hand gegeben und gesagt: «Okay, wir schauen nach vorne. Abgehakt.» Denn anders geht es nicht.

MF: Der Text behandelt also dieses Erlebnis?

M: Der Text selber… Also «Gold» liegt einfach auf der Strasse. Das ist einfach eine Geschichte, in der zwei Freunde, die sich lebenslange Freundschaft geschworen haben, losziehen und reich werden wollen. Das Gold ist ja nur die Metapher dafür. Die Beiden haben sich Freundschaft geschworen und der eine missachtet dann die Freundschaft, sticht ihn ab und lässt ihn (zitiert aus dem Lied:) «und ich begrab in Dreck begangene Meilen». Das ist ein sehr guter Satz dafür. Und der kommt ja auch im Lied vor. Und da kommt dann der Zeigefinger und sagt: «Gold ist nicht immer das, was glänzt». Es schändet die Ehrfurcht, lenkt das Böse. Der Text sagt eigentlich alles aus.

MF: Bei «Viva La Vida» beginnst du mit ziemlich verkaterten Gesang. Ich nehme mal an, dass du nüchtern warst, als du das gesungen hast?

M: Selbstverständlich. Ich bin auch immer nüchtern auf der Bühne. Das meine ich echt ernst. Ich habe die Fähigkeiten, die Stimmen so zu verstellen. Den Song kannst du am Anfang auch gar nicht anders singen. Das hat schon was Kultiges finde ich. Wir hatten in Deutschland viele Listening-Sessions und die ganzen Journalisten haben darauf reagiert, als der Song anfing. Jeder schmunzelte bei dem Ding von vorne bis hinten mit. Wer kennt das nicht? Morgens um sieben aus der Kneipe raus zu kommen, völlig straff zu sein. Und dann hat man die Sonnenbrille vergessen, scheisse. Und das gehört einfach zum Leben dazu. Viva la Vida! So ist es, klar.

MF: Es war also für dich nicht schwer, diesen verkaterten Gesang hin zu bringen?

M: Nein, es war nicht schwer (lacht).

MF: Mit «Stalker» singt ihr über ein anderes, heikles Thema. Habt ihr Erfahrungen mit Stalkern gemacht?

M: Ja, das hat man schon. Es ist aber einfach eine Geschichte. Und wir sind ja auch Vorreiter und greifen auch mal ganz normale Themen an. Das finde ich auch legitim und in Ordnung. Und Stalker kannst du jeden Tag auf der Strasse sehen. Wie oft ist es schon passiert, dass eine Frau auf der Strasse ankam mit: «Können sie mir helfen, ich werde hier…» Oder was auch immer. Es ist einfach ein Thema, dass auf der Strasse liegt. Das kann man jeden Tag sehen, lesen oder hören. Und es war einfach mal an der Zeit, sowas auf zu greifen.

MF: Mir hat erst kürzlich mal jemand davon erzählt. Ich wusste gar nicht, dass es dermassen schlimm sein kann.

M: Das kann es wirklich sein. Aber mir persönlich ist es noch nicht passiert. Ich weiss mich dann schon zu wehren. Aber es gibt Leute, die können damit nicht so umgehen und das ist… Das gibt es natürlich auch, klar.

MF: Was beim neuen Album auffällt, ist, dass In Extremo keine musikalischen Grenzen kennen. Ist das das, was die Band auch ausmacht?

M: Natürlich. Wir haben das schon immer so gemacht. Wir haben auch schon immer mit Gästen zusammen gearbeitet, mit denen keiner gerechnet hatte. Und das aus ganz vielen verschiedenen Genres. In Extremo gehen mit offenen Augen durch die Welt. Wo sind die musikalischen Grenzen? Das heisst ja nicht dass, weil wir einen Dudelsack haben, dies und das nicht machen dürfen. Das wäre einfach albern. Musik ist auch etwas zum Ausprobieren. Es macht einfach auch Spass, sich weiter zu entwickeln. Es gibt auch Leute, die sagen: «Macht doch wieder ein Album wie «Weckt die Toten!» Warum? Das haben wir ja schon vor 14 Jahren gemacht! Das noch einmal zu machen, wäre albern. Man sollte sich einfach weiter entwickeln. Es gibt auch Leute, die jammern: «Jetzt machen sie Kommerz.» Das finde ich genau so bescheuert. Ich meine, gucke dir heute die Radio- und Medien-Landschaft an, in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Wobei ich nicht genau weiss, wie es in der Schweiz ist. Da rollen sich mir schon mal die Fussnägel hoch vor Fremdschämen. Und wenn ich eine Band, die ich mag (und ich bin auch Fan von Bands) im Radio oder am Fernsehen hören und sehen kann, dann freue ich mich darüber und zeige nicht noch mit dem Finger «jetzt machen sie Kommerz». Das muss nicht sein. Das ist genau wie bei den Journalisten. Der möchte ja auch, dass seine Zeilen die ganze Welt liest. Und so geht’s es Musikern auch. Und eine Band, die sagt: «Wir wollen nicht berühmt werden. Wir wollen im Keller unsere Musik machen.» Besteht aus ganz dreckigen Lügnern, das meine ich ernst (lacht).

MF: Die wollen dann einen auf krassen Underground machen. Aber wenn sie dann die Chance erhielten, Musik die ganze Zeit und bezahlt zu machen, würden die auch nicht nein sagen.

M: Das meinte ich damit, klar.

MF: Damit du Musik die ganze Zeit machen kannst, brauchst du einen gewissen Erfolg.

M: Ja, und dafür sind wir wirklich sehr dankbar. Weil wenn du dir die Geschichte von In Extremo ansiehst, dann ist das für uns der Hammer. Das hätten wir uns nie gedacht, dass wir es soweit schaffen werden. Uns hat auch keiner etwas geschenkt. Wir haben immer gearbeitet und haben an uns geglaubt und zusammen gehalten. Das ist total wichtig. Wir haben jetzt irgendwie fünf goldene Schallplatten hängen und wurden fünfmal zum Echo nominiert oder was weiss ich. Da kann ich wirklich nur danke sagen. Wirklich im Ernst: Danke schön den Leuten, die das ermöglichen.

MF: Du hast vorher die Gäste auf euren Platten angesprochen. Einer auf diesem Album war ja Mille von Kreator, der deutsch singt. Auch sehr ungewöhnlich.

M: Das ist übrigens das allererste Mal, dass Mille deutsch singt!

MF: Sehr schön. Ich habe gelesen, dass er schon lange Fan von euch ist.

M: Ja, und ich meine Kreator..., wer kennt die nicht? Diese Band wird in Deutschland einfach unterschätzt. Das ist natürlich von der Musikrichtung her Geschmackssache. Aber diese Band vertritt Deutschland wirklich überall auf der Welt und die Leute stehen drauf. Und das finde ich klasse. Die hätten einfach mehr Respekt verdient, finde ich. Mille… man kennt sich durch die Festivals, man kennt sich einfach auch schon sehr lange. Und Mille habe ich angerufen, weil der Song fertig war und wir dachten, dass da ein Gastsänger drauf passen würde. «Oh, der ist ziemlich hart, da passt Mille!» Also habe ich Mille angerufen und er hat schlicht geantwortet: «Wann und wo?» Mehr nicht. Das ist doch geil! Oder? Ja, das ist Mille!

MF: Der ist Klasse. Er hat einfach eine sehr schräge Art von Humor.

M: Den haben wir auch. Und das passt auch sehr gut zusammen. Glaube mir das (lacht). Und der andere, der mitgesungen hat, ist Der Graf von Unheilig. Da sind wir auch sehr dankbar dafür. Wir kennen ihn schon seit es Unheilig überhaupt gibt. Wir haben ihn damals, wenn wir auf irgendwelchen Gothic-Festivals gespielt haben, gesehen. Und ich kenne ihn auch noch von der Zeit, als er vor 50 Leuten in Clubs gespielt hat. Dem hat auch keiner etwas geschenkt. Und ich kann nur sagen, dass er sich trotz dem grossen Erfolg in keiner noch so geringen Art und Weise verändert hat. Ich hab ihn jetzt wieder ein paarmal gesehen. Wir haben miteinander gesprochen und haben uns besucht. Der hat sich wirklich nicht verändert. Der ist wirklich der Alte geblieben, wie er wirklich ist. Und er geht mit seinem Erfolg sehr gut um. Und die Leute, die ihm Kommerz vorwerfen… Das meinte ich vorhin. Wenn ihr seine Musik mögt, dann freut euch doch daran. Mensch, wie viele Künstler in Deutschland gibt es, mit denen man sich identifizieren kann? Das ist doch klasse, wenn man das kann. Und ich finde es wirklich auch schön und bin sehr froh, dass wir mit ihm zusammen gearbeitet haben. Das war total entspannt. Der Graf ist ein sehr intelligenter und kluger Mann, der genau weiss, was er macht. Und der hat eine positive Einstellung, das muss man echt sagen. Und er denkt auch an andere.

MF: Wie hast du seinen Aufstieg erlebt? War das für dich überraschend, dass es jetzt dermassen mit ihm aufwärts ging?

M: Ja, total. Ich meine, damit hat er ja selber nicht gerechnet (lacht). Das ist manchmal so. Und das kann man ihm einfach nur gönnen.

MF: Mit «Schau zum Mond» greift ihr das Thema «Fernweh» auf.

M: Das ist eigentlich mehr eine versteckte Werwolf–Geschichte. Das ist ein Fantasy-Ding. Aber es hat auch etwas Fernweh, Romantik und eigentlich alles drin. Das Lied muss man hören. Da sind ein paar versteckte Sachen drin, die aber gar nicht versteckt sind.

MF: Bei euren vielen Tourneen werdet ihr wohl eher Heim- als Fernweh haben?

M: Nein, nein. Wir machen jetzt ab April einzelne Show-Cases, also kleine Clubs, um die Platte vor zu stellen. Wir spielen ab April bis Ende des Jahres 85 oder 90 Shows, aber das weltweit. Wir werden viel unterwegs sein. Und wer In Extremo dieses Jahr noch einmal erleben möchte, muss heuer kommen, weil 2012 wir ein Jahr lang komplett Pause machen. Das heisst, dass wir 2012 nur maximal vier bis fünf Festivals im Juni oder Juli spielen, mehr nicht. Und das auch nur an speziellen Festivals. Ansonsten reisen wir durch die Welt. Also je nach Person. Der eine wird bei seiner Familie sein, der andere reist oder macht dies oder das. Wir gehen uns einfach mal aus dem Weg.

MF: Heisst das, dass ihr fühlt, dass ihr mal Abstand vom Ganzen braucht?

M: Also jetzt nicht von den Freunden und auch nicht von dem Ganzen. Wir sind jetzt seit fast 16 Jahren unterwegs. Und ich möchte mal wieder reisen. Und jeder von der Band möchte mal was anderes machen. Ich bin eine Reisetante. Ich werde mich im Januar 2012 mit Rucksack aufmachen und über ein halbes Jahr durch die Welt tingeln.

MF: Schön. Ist das auch so eine Art, wie man versucht, die Band auch langfristig am Leben zu erhalten? Weil es gibt viele Bands, die durchgebrannt sind.

M: Diese Gefahr sehe ich bei uns nicht. Ich weiss auch, dass wenn wir nach einer Tour nach Hause kommen, dann alle zueinander sagen: «Oh, gut, dass wir uns mal vier Wochen nicht sehen!» Nach vier Tagen rufen wir uns aber schon wieder gegenseitig an. Wir werden auch in der Zeit 2012 miteinander in Kontakt bleiben. Aber wir haben das mal so beschlossen. Und dann treffen wir uns im November/Dezember 2012 zum ersten Mal wieder und kommen dann mit einem Boomerang zurück.

MF: Dann wünsche ich euch eine gute Auszeit. Wobei wir uns jetzt erst mal auf die kommende Tour freuen. Da werdet ihr ja zuerst von Fiddlers Green und später von Ohrenfeind begleitet. Das sind wahrscheinlich alles alte Freunde von euch?

M: Das sind alte Bekannte. Wir haben letztes Jahr ja unser eigenes Festival gemacht. Das war zum 15-jährigen Bestehen von In Extremo. Das war klasse und die beiden Bands haben da auch mitgespielt. Fiddlers Green kennen wir auch schon lange. Das sind total entspannte, nette Typen. Und das passt auch. Das ist so eine richtig geile Einheitsband, die ist der Hammer. Da zuckt einfach das Bein mit, auch wenn man kein Folklorist ist. Das macht einfach Spass und bringt gute Laune. Und wir sind eine «gute-Laune-Band». Wir sind auch eine Show-Band. Und das gehört einfach dazu. Ohrenfeind sind eine ganz andere Kategorie. Die sind aber auch sehr speziell. Entweder mag man sie, oder hasst sie. Aber so geht es, glaube ich, jeder Band (lacht). Es sind einfach gute Typen.

MF: Passen dann eure ernsten Texte zu dieser Show und Party oder ist Show nicht gleich Party?

M: Das kann man so sehen. Es kommt auch darauf an, wie man diese nachdenklichen Texte rüber bringt. Ich meine, wir haben schon immer Mut für so was gehabt, auch mit speziellen Leuten zusammen zu arbeiten, oder uns an Themen ran gewagt, die keiner nimmt. Oder nimm doch mal eine Ballade von uns. Die sind manchmal schon fast schlagerähnlich. Es braucht auch sehr viel Mut, so was mal zu bringen. Ich kann mich erinnern, dass wir «Aufs Leben» gespielt haben. Oder auf Wacken haben wir damals «Die Gier» gespielt. Da waren 100‘000 Leute da. Und die ersten 20 Reihen, oder soweit wir gucken konnten, haben geweint. Da waren die dicksten Heavy Metal-Fans mit ihren Frauen im Arm. Das ist der Hammer! Also einfach auch mal Gefühle zuzulassen. Und nicht zu sagen (äfft nach): «Oh, was machen sie den jetzt für eine Ballade!» Das sind einfach Gefühle, die mal da sind. Die werden aufgeschrieben und gespielt. Und die Leute nehmen das an. Und das finde ich klasse. Sich einfach auch mal nicht zu schämen. Musik bewirkt sowas, und das finde ich klasse. Sowas zu schreiben und auf zu nehmen, bedarf auch einer Stange an Mut. Und wir haben den Mut.

MF: Das bringt dann auch wieder Abwechslung an Konzert. Wenn man Slayer nimmt, dann ballern die einfach mal durch, was bei der Band auch ok ist. Aber ein paar ruhige Klänge dazwischen machen die Ohren wieder frei.

M: Ja klar. Ich meine durchballern kann ich bei Slayer. Respekt vor dieser Band. Aber bei denen weiss ich nie, welches Lied die jetzt gerade spielen. Das ist alles Geschmackssache. Das ist aber einfach eine Hammer-Band. Kann man nicht anders sagen.

MF: Bleiben wir zum Schluss beim Metal. Du hast mal gesagt, dass du Mühe hast mit Totenköpfen und Pommesgabeln. Heisst das, dass es nie ein In Extremo-T-Shirt mit Pommesgabeln oder Totenköpfen geben wird?

M: Es gibt bei uns sogar Seemanns-Totenköpfe. Aber ich persönlich würde zum Beispiel niemals dieses Teufelszeichen machen. Damit spielt man nicht. Ich mache lieber das Friedens-Zeichen, das passt besser zu mir. Und ich brauche mir auch kein Totenkopf-Emblem zu machen. Irgendwann passiert das sowieso und dann sind wir selber Totenköpfe, irgendwie eins achtzig frostfrei. Aber zu Lebzeiten brauche ich das nicht. Den einzigen Totenkopf, den ich irgendwo hissen würde, ist der von St. Pauli (lacht).

MF: Und In Extremo haben ja genug eigene Identität, dass die so was brauchen würden.

M: Mit Sicherheit, ja. Wir nehmen erst mal den siebenzackigen Stern.» Sieben Zacken, sieben Macken». Kommt im Text vor.

MF: Wir sind am Ende. Was möchtest du euren Fans noch sagen?

M: Wir freuen uns, wenn ihr an unsere Konzerte kommt. Ich kann nur sagen, dass Zürich in Europa eine meiner Lieblingsstädte ist. Und ich bin sehr, sehr oft auch privat hier. Das ist eine Hammer-Stadt. Ich habe mir sogar schon mal überlegt, hierher zu ziehen, das ist kein Witz.

MF: Was macht Zürich denn so speziell für dich?

M: Es ist eine der positivsten Multikulti-Städte, die ich kenne. Das ist wirklich wahr und das kann man nicht wirklich beschreiben. Das fühlt man einfach. Also mir geht es jedenfalls so. Ich rauche gerne Parisienne, und die Schweiz ist das einzige Land, wo ich mir Parisienne aus dem Zigarettenautomaten ziehen kann. Hammer!