Interview: Jorn

By Tinu
 
Die Krähe als Symbol.



ch war immer der Meinung dass ein Interview mit Rudolf Schenker (Scorpions) oder King Diamond zum Entspanntesten gehört. Aus dem einfachen Grund, weil man den Beiden eine Frage stellt und sich dann genüsslich locker für zehn Minuten zurücklehnen und zuhören kann. Aber wie so oft im Leben, findet man immer einen neuen Meister und der hört auf den Namen Jorn Lande. Das Interview mit dem begnadeten Sänger dauerte 45 Minuten und in dieser Zeit stellte ich gerade mal zwei Fragen (!!!), wobei ich Jorns Redeschwall richtig gehend abwürgen musste, um meine zweite Frage überhaupt noch stellen zu können. Darum stellt euch darauf ein, was ein Sänger alles zu einer Frage sagen kann und dabei unzählige andere Themen abdeckt.

MF: Was ist seit dem letzten Album «Traveller» passiert?

Jorn: Tja, in der Welt passierte vieles, von dem ich möchte, dass es nicht passiert. Sprechen wir aber über die Musik (lacht), so habe ich mit dem ehemaligen Wig Wam-Gitarristen Trond Holter das «Dracula»-Werk komponiert und veröffentlicht. Die Story basiert auf der klassischen Geschichte. Das hat einige Zeit beansprucht und unterscheidet sich von meinen bisherigen Veröffentlichungen. «Dracula» ist nicht dieses typische Hardrock-Ding, das ich sonst komponiere, sondern war musikalisch an ein Konzept gebunden. Um alles mit einem solchen zu reflektieren, benötigst du auch mehr Zeit beim Schreiben der Songs und der Texte. Speziell wenn man über den menschlichen Tod schreibt (lacht) und Himmel und Hölle. All dieses Wichtige, dieser Teil eines Lebens in all seinen Facetten zu beschreiben, mit seinen emotionalen Schwankungen, ist eine Herausforderung. Dies dann in eine Geschichte umzuwandeln, in der sich der Hörer ein eigenes Bild machen kann und die Leiden und Freuden der Hauptfigur nachvollziehen kann, ist nicht so ganz einfach (grinst). Die Geschichte von Dracula ist legendär. Ich denke, wir haben eine gute Mischung aus der klassischen Buchvorgabe und einer «neuzeitlichen» Version kreiert. Es ist keine Rockoper. Aber wir versuchten den jeweiligen Liedern das emotionale Flair zu vermitteln. Das Album beleuchtet das Leben von Dracula von seiner Geburt bis zum Tod. Mit dem Schreiben der Tracks kam auch die Idee hoch, eine Art «moderne Vampir Geschichte» zu komponieren. Etwas, dass Altes und Neues verbindet. Das sollte aber nicht so eine «twilight vampire slayer» Geschichte werden, wie sie in den letzten Jahren aus dem Boden schossen. Dazu ist die Geschichte dann doch zu nahe am Buch. Der Grundcharakter sollte ein James Dean-Flair haben, als würde er mit Vampirzähnen herum rennen (lacht). Es ist eine coole Sache, dieses klassische Flair in Verbindung mit Rock und Metal zu bringen. Ich denke, das hat vor uns auch noch niemand gemacht. Zumindest nicht als komplettes Album. Sicher gab es einzelne Songs, oder Lieder, die von der Dracula-Thematik inspiriert wurden, aber eine komplette Konzept-Scheibe ist mir nicht bekannt. Ein Werk, das die Grundstruktur aufnimmt und nicht verändert.

Nachdem ich ein paar Filme und das Buch gesehen sowie gelesen hatte, war mir klar, wie ich den Charakter des Hauptdarstellers in die Musik einbinden wollte. Dabei wurde mir bewusst, wie wichtig dabei der innere Kampf von Dracula ist. Wie er sich veränderte und die Art, als er sich daran erinnert, als er selber noch ein Mensch war. Als er sich an seine Gefühle, die er verlor, erinnerte. Was die Erinnerung, anstelle etwas zu essen, das Blut anderer zu trinken, bei ihm auslöst. Ganz simple Dinge, die wir uns aber nie überlegen würden, weil sie uns nicht betreffen. Diese Fragen stellte ich mir selber, aus den Sichtweisen eines Aussenstehenden und der von Dracula. Daraus ergaben sich viele dunkle und powervolle Lieder. Mit der Sichtweise der Person, die es wirklich betrifft und dem Bewusstsein, dass um dich alles sterben wird, nur du das unendliche Leben besitzt. Oder dass du töten musst, um selber überleben zu können. Eines dieser vielen Dilemmas. Dieser Kampf mit deinem eigenen Dämon. Das alles mit einfachen Wörtern dem Hörer verständlich zu machen, war eine echte Herausforderung. Das sind dann diese Tracks, die du nicht nur an einem Tag schreibst (lacht). Da braucht es Wochen, um all dies zu reflektieren. Da war wirklich das Schwierigste daran. Dies einfach in Worte und Töne zu packen. Dass das Einfache dann noch gut klingt, ist eine weitere Herausforderung (grinst). Dabei weder kindlich noch langweilig zu ertönen, ist nicht ganz einfach. Schlussendlich ist das Album etwas sehr Authentisches geworden, hinter dem ich zu 100 % stehen kann. Das ist der Grund, wieso zum Beispiel The Beatles dermassen erfolgreich waren (grinst). Weil sie verstanden haben, was einen guten Song ausmacht und diesen noch mit einem interessanten und einfach verständlichen Text ausgestattet haben. Es besteht zum heutigen Zeitpunkt kein Plan, unser Dracula-Werk fortzusetzen.

Von Beginn weg war es für mich eine einzigartige Geschichte. Auch wenn die Zusammenarbeit mit Trond toll war und er ein sehr begnadeter Songschreiber ist, sehe ich keinen Sinn, Dracula mit einem zweiten Teil weiter zu führen. Diese Scheibe wurde geschrieben und beinhaltet alle Elemente, die es braucht. Es war ein Projekt und hatte nichts mit einer Band zu tun. Es brauchte seine Zeit, bis alles passte. Ich denke, dieses Werk beinhaltet alles, was man von einer solchen Story erwarten darf. Auch wenn das Album nicht viel verkaufen wird, war es für mich eine interessante Abwechslung zu all dem, was in meiner musikalischen Karriere schon passierte und noch passieren wird. Darum gab es auch keine Pläne mit der Dracula-Geschichte zu touren. Klar weiss man nie, was passieren wird oder ob ein anderer Sänger dies machen wird. Ähnlich wie damals bei Roger Glover von Deep Purple mit seinem «Butterfly Ball», das aus vielen Musikern bestand und auch nie auf einer Bühne aufgeführt wurde. «Dracula» ist eine zeitlose Sache und kann für sich alleine stehen. Wenn jemand die Musik für eine Theateraufführung brauchen möchte, wäre dies eine schöne Angelegenheit. Das Fantastische an einer solchen Scheibe ist, dass sie andere Künstler inspirieren kann und diese die Musik für etwas Eigenes verwenden, ohne meine Person. Das wäre ein schönes Kompliment für uns und das, was wir da erschaffen haben. Da wären wir sehr stolz (grinst). So hat damals bei mir alles begonnen. Ich habe bei meinen Idolen abgeschaut und daraus etwas Eigenes gebaut. Damit konnte ich den Leuten zeigen, dass ich mit meiner Stimme in unterschiedliche Richtungen gehen kann. Ich bin überzeugt, dass viele talentierte Musiker dies so machen könnten. Persönlich finde ich es schade, wenn sich Musiker nicht weiter entwickeln. Klar sollte jeder sich selber bleiben. Aber die eigene Entwicklung darf nicht stehen bleiben.

Hast du das Talent, versuche deine Stimme in verschiedene Richtungen zu entwickeln. Bist du ein begnadeter Gitarrist, spiel nicht nur Rock, sondern auch Jazz oder Blues. Die meisten suchen sich eine Nische aus und bleiben dabei. Etwas, das dir liegt und du am besten performen kannst. Von den Plattenfirmen wirst du sowieso nur auf das beschränkt, welches am meisten Geld einbringt (lacht). Diese Schublade, in welcher du als Musiker oder deine Band steckt und aus der du dich nicht mehr heraus schälen kannst. Das Problem ist, dass das Stück, mit welchem ein Video gedreht und welches im Radio gespielt wird, der Song ist, welchen du am meisten hasst (grinst). Auf dem Album klingt dieser Dreckssong super, aber auf der Bühne hast du Mühe ihn zu spielen (grinst). Ich denke, da gibt es viele Beispiele im Business. Es war noch nie einfach, sich selber treu zu bleiben. Die Leute wollen dich in unterschiedliche Moderichtungen drücken. Ob dazu dein Talent vorhanden ist, interessiert niemand. Es macht durchaus Sinn, anderes auszuprobieren. Am Ende des Tages musst du aber mit diesen Dingen glücklich sein oder werden. Danke für all die Anfragen, welche an mich gestellt worden sind. Aber ich habe zum Glück die Möglichkeit, alles sehr selektiv zu filtern, das zu machen, was mir persönlich gefällt und wo ich mich wohlfühle. Da, wo ich mein Bestes abliefern kann. Da versuche ich vieles zu prüfen, aber nicht zu stark zu experimentieren, denn schlussendlich sollen die Fans erkennen, dass es Jorn ist, der da singt und die Lieder auch zu meiner Persönlichkeit passen. Da werde ich mich auch von Trends nicht verbiegen lassen und deswegen nun extrem aggressiv singen. Das kotzt mich in diesem Metal- oder Hardrock-Business an. Nicht, wer am lautesten schreien kann, hat die beste Stimme. Was nützt es, wenn ich mir die Seele aus dem Körper brülle, dabei aber keine Emotionen rüber bringe?

Ich mag Dinge, welche ihre Wurzeln im reellen Leben haben. Solches, das zeigt, dass du ein normaler Mensch bist, der mit seinen Emotionen umzugehen weiss und diese auch in seinem Spiel oder seiner Stimme widerspiegelt. Das bedauere ich ein bisschen, dass sich die Szene in den letzten Jahren, in meinen Augen, in eine falsche, fast oberflächliche Sache verwandelt hat. Da gibt es doch einige Truppen, die sich in der letzten Zeit in der Szene… Ich sag mal, verloren haben. Die spielen Metal nicht, weil sie die Musik toll finden und sich damit identifizieren, sondern weil Materielles damit verbunden ist. Da hat die heutige Technologie viel dazu beigetragen, dass man sich mit etwas verbunden fühlt, was man gar nicht ist oder kennt. Internet und den damit verbundenen Hypes sei Dank! Es spielt keine Rolle, welches Talent du hast, das wird von den Marketingmöglichkeiten ausgebügelt. Du kannst dein nicht vorhandenes Talent mit einem Tool verbinden und bist plötzlich Hype (lacht). So bekomme man viele Clicks und die ganze Welt mag dich. Es ist gut, dass jeder die Möglichkeit hat, Musik zu spielen oder sein Ego zu stimulieren (grinst). Zugleich ist es aber schlecht, dass man keinen Filter hat für solche… Künstler. Damit man schlechte und talentierte Musik separieren kann. Aber dies ist nicht nur in der Musik so (lacht). Geh bei Ikea einkaufen und du kannst aus hunderten von Teilen dein neues Möbel zusammenstellen. Da klappt das (lacht). Ich denke, dies ist aber auch ein Generationenproblem. Wenn man älter wird, hat etwas Beständiges und Nachhaltiges mehr Wert. Es bedeutet dir mehr, einer von vielen zu sein, der aber durch seine Qualität noch immer auf sich aufmerksam machen kann. ABER! Du machst, was dir Spass macht und musst dich nicht für jemanden verbiegen. Man sieht eher die positiven Dinge und freut sich, wenn Menschen auf der ganzen Welt lieben, was man macht.

Das Schöne ist auch, dass sich trotz den ganzen Technologien das Publikum verändert hat und jünger wird. Vor zehn Jahren standen noch andere Leute im Publikum. Meine Basis zur Musik ist der klassische Rocksound. Mit klaren Strukturen, wie ein Lied aufgebaut sein muss. Leute wie Elvis oder Queen zeigten mir, was einen guten Song ausmacht. Dazu braucht es nicht nur einen guten Sänger, sondern auch einen guten Performer. Bist du beides, hast du nicht nur einen guten Song, sondern einen perfekten! Aber alle diese Elemente scheinen heute nicht mehr relevant zu sein. Das verändert die Musik und den Geschmack der Leute (lacht), aber auch die Qualität. Leute wie Geezer Butler, Vinny Appice, Cozy Powell, John Bonham oder Bill Ward prägten Songs und Sounds. Du wusstest sofort, wer das den Bass spielt oder hinter dem Schlagzeug sitzt. Sie waren Helden für die nachfolgenden Musiker. Heute ist alles austauschbar und meistens werden die Lieder nicht von den Musikern, die im Booklet stehen, eingespielt. Ich sehe heute Bands, die sich zusammenfinden oder zusammengefunden werden, die sicherlich tight spielen, aber ein richtiges Bandfeeling geht da völlig verloren. Man hört niemand sagen: «Wow, hast du gehört, wie er diesen Ton spielt!» Keine Frage, wir haben heute viele gute Musiker, aber keine…. Legenden mehr! Es ist eine andere Generation, bei der die Individualität verloren geht.

Selber arbeitete ich an einem neuen Album («Heavy Rock Radio»), welches nur aus Cover-Versionen besteht. Am 8. Juli 2016 wird die Scheibe das Licht der Welt erblicken. Es soll eine Mischung aus kommerziellen und Artisten-Liedern sein. Darum sind Tracks von Kate Bush, den Eagles oder Frida von ABBA vertreten. Dieser Track von Frida hat damals Phil Collins produziert, wurde von Russ Ballard komponiert und hört auf den Namen «I Know There's Something Going On». Meine Version klingt mit vielen Gitarren sehr powervoll. Manchmal werden solche Versuche gut, und ab und zu scheiterst du an einer Idee. Aus einem Pop-Song eine hart rockende Version zu machen, ist nicht immer einfach. Hast du die Gitarren eingespielt, verliert das Lied oftmals die Wiedererkennung. Eine solche Version muss verdammt cool klingen, sonst kannst du sie gleich in die Tonne kicken, wenn sie nicht ebenso gut klingt wie das Original. «I Know There's Something Going On» wird auch die Single des Werkes werden. Parallel dazu schrieb und schreibe ich an neuen Songs, die auch unter dem Jorn-Banner erscheinen sollen…

MF: …wie wichtig ist bei den ganzen Jorn-Produkten die Krähe auf den Covers?

Jorn: Er ist auf allen Produkten mit dem Namen Jorn zu sehen und ist zu unserem Markenzeichen geworden. Für mich ist die Krähe repräsentativ für eine spezielle Sorte Menschen. Für die Handwerker, die Macher. Jemanden, der aus der Arbeiterklasse kommt und stolz darauf ist. Ich mag den Vogel, da er sehr clever ist. Ich sah eine Krähe, als sie auf einem Dachboden gefangen war. Dabei entdeckte ich die intelligente Art des Vogels. Zudem hat das schwarze Gefieder etwas Magisches, fast Unheimliches (lacht). Du wirst eine Krähe nie zähmen können, dazu sind sie zu intelligent. Sie werden immer ihr Futter finden. Es sind viele Dinge, die mich an diesem Tier faszinieren. Es ist ein Symbol für das Dunkle, die Dunkelheit in der Welt. In vielen Musikvideos erscheint dieser Vogel als Symbol. Vieles hat auch mit meiner Vergangenheit zu tun, und wenn man eine Krähe sieht, sprechen viele Leute von Omen. Das Typische, wenn die Krähe auf dem Torbogen sitzt und es stürmt, regnet, blitzt und donnert. Das Mystische und teils auch Negative, das damit in Verbindung gebracht wird, wie auch das Positive. Die Krähe wird in vielen Ländern völlig unterschiedlich gesehen. Somit ist die Krähe ein globaler Vogel (lacht). Er ist aber auch ein Symbol für die Rohheit, die einem im Leben widerfahren kann, der Kampf ums Überleben. Dieser Vogel ist ein furchtloses Lebewesen. Eines, welches das Weite sucht, bevor es gefährlich wird und was wieder für seine Cleverness spricht.

Angst kennt die Krähe nicht, sondern sie wartet auf den richtigen Moment, das ist völlig faszinierend. All diese Elemente haben mich dazu gebracht, nicht einen Adler (lacht) als Maskottchen auszuwählen, sondern eine Krähe. Der Adler repräsentiert für mich eher etwas Erhabenes, etwas Exzentrisches, und dies passt definitiv nicht zu mir. Ich stamme aus einer Arbeiterklasse-Familie, die mehr mit den Alpen und den Wäldern verbunden ist. Darum bin ich auch mit der Rohheit des Hardrocks verwurzelt. «True rock is naked and pure. Like AC/DC!» Das ist wohl das Reinste, das du haben kannst (lacht). Alles führt zurück zu AC/DC! Klar gibt es Judas Priest oder Iron Maiden. «But the real deal is AC/DC!» Da geht es nicht um Konzepte über Ägypten oder Kleopatra, respektive historische Geschichten. «AC/DC is the real shit!» Auch wenn ich nicht der grösste Fan dieser Musik bin, ich kaufe nicht alle ihre Platten, aber diesen Respekt haben sie sich verdient. Das Gleiche sage ich auch über Dan McCafferty von Nazareth. Mit ihm bin ich gross geworden (grinst). Seine Attitüde ist rein und unverfälscht. Darum, um auf deine Frage zurück zu kommen (grinst), ist die Krähe das reinste Wesen, das es gibt, am besten den Spirit des Rocks symbolisiert und das, was ich tue. Viele Leute nennen sie den Crowman. Ich habe meine Cover-Krähe nie getauft, aber der Crowman passt bestens zu ihr (lautes Lachen). Er braucht keinen anderen Namen.

MF: Jorn, besten Dank für das Interview, es war ein Vergnügen. Wünsche dir alles Gute für die Zukunft und hoffe, dich bald wieder zu sehen.

Jorn: Ich danke dir für deine Zeit. Wir werden bald wieder auf Tour gehen (the interview goes on...)