Interview: Judas Priest
By Kissi
Seit Jahren wissen wir, dass es bald soweit sein wird: Nicht nur die Urväter der Rockmusik aus den 70ern, auch unsere Helden aus den 80ern haben des Rentenalter langsam aber sicher erreicht und es ist nur eine Frage der Zeit, bis die eine oder andere Gitarre an den Nagel gehängt werden wird. Eine Band, die schon vor etwas mehr als einem Jahr verkündete, nur noch einmal auf grosse Konzertreise gehen zu wollen waren Judas Priest. Die „Epitaph“-Tournee sollte das grosse Schlussbouquet ihrer 35-jährigen Karriere werden. Nur wenige Monate später dann die Entwarnung: Priest steuern noch nicht dem Ende zu, Konzerte würden immer noch gespielt, nur nicht als ausgedehnte Tournee und ja, vielleicht liege sogar noch ein neues Album drin. Was die Fans freute, gefiel nicht allen Judaspriestern. K.K. Downing, Gründungsmitglied und Gitarrengott, verabschiedete sich überraschend in den Ruhestand. Nicht wenig sprach zu diesem Zeitpunkt dafür, dass das Flaggschiff des britischen Metals, welchem wir Scheiben wie „British Steel“ oder „Painkiller“ verdanken, kläglich absaufen würde. Doch dann zauberten die verbliebenen Mitglieder einen Jungspund mit flinken Fingern aus dem Hut und schon nach wenigen Gigs hatte Richie Faulkner die ihm entgegengebrachte Skepsis in helle Begeisterung umgewandelt und das Gros der Fangemeinde befand: „The Priest is back!“

Was hat es mit dem mindestens dritten Frühling von Priest auf sich? Wie verkraftet man den Abgang eines jahrzehntelangen Weggefährten? Was hat es mit den Gerüchten um ein neues Album auf sich? Und warum zur Hölle steht man über Jahrzehnte hinweg immer exakt selben Ort auf der Bühne? Fragen über Fragen, die Ian Hill (IH), einziger Judas-Priest-Bassist überhaupt, Metal Factory vor dem souveränen Auftritt des Quintetts in Fribourg beantwortete.

MF: Hallo Ian! Danke, dass du dir die Zeit nimmst, mit uns zu reden. Es ist eine Ehre.

Ian: Ich freue mich über das Interesse. Wie geht es dir?

MF: Mir geht es gut, danke! Die selbe Frage wollte auch ich dir natürlich als erstes stellen: Wie geht es dir und wie läuft die Tour?

Ian: Mir geht es auch gut, danke. Und die Tour, die läuft genauso gut. Wir spielen das volle Programm und die Leute scheinen es total zu mögen.

MF: Es ist noch nicht einmal ein Jahr seit eurem letzten Besuch in der Schweiz vergangen. Damals habt ihr am Sonisphere in Basel gespielt. Habt ihr Änderungen an der Show oder der Setlist vorgenommen seither?

Ian: Nein, das haben wir nicht. Beim ersten Teil unserer Epitaph-Tour in Europa haben wir viele Festivals gespielt wie eben Sonisphere in der Schweiz. Deswegen glaube ich, dass nur ein Teil unserer Fans an diese Konzerte kam und da die Show so gut funktioniert, wäre es schade, wenn diese sie verpasst hätten. Dazu kommt, dass wir jetzt auf jeden Fall wissen, was wir machen. Nach einem Jahr mit diesem Programm sitzt es so gut wie kaum ein anderes zuvor in unserer Karriere.

MF: Bist du der Meinung, dass die späteren Shows einer Tour besser sind als die frühen?

Ian: Das musst du mir beantworten, hahaha... Natürlich wird man nach einigen Shows vertrauter mit allem und weiss, worauf man achten muss. Man entwickelt auch eine gewisse Sicherheit. Aber ob das dann wirklich spürbar ist fürs Publikum weiss ich nicht.

MF: Mit im Gepäck habt ihr momentan Thin Lizzy. Zwei Legenden der britischen Rockmusik zusammen unterwegs – wie ist das zustande gekommen?

Ian: Ich hab keine Ahnung! Wir haben letztes Jahr einige Festivals mit ihnen zusammen gespielt und die Jungs sind echt klasse und passen natürlich super zu uns, da sie aus der gleichen Ära stammen wie wir. Deswegen haben wir schon letztes Jahr darüber nachgedacht, mal was zusammen zu machen und jetzt ist es soweit gekommen.

MF: Eines der Hauptthemen, das eure Fans momentan beschäftigt, ist euer neuer Gitarrist Richie Faulkner. Es ist jetzt etwa ein Jahr mit dabei. Wie fühlt es sich an, mit ihm auf der Bühne zu stehen? Ist es immer noch etwas Neues oder habt ihr euch schon alle an ihn gewöhnt?

Ian: Ist es normal geworden. Richie hat sich sehr schnell eingewöhnt und es ist, als ob er schon seit Jahren in der Band wäre. Natürlich war Ken (Kenneth „K.K.“ Downing – Anm.d.Verf.) ein immens wichtiger Teil von Judas Priest und das über 30 Jahre lang. Er hat mit mir zusammen die Band gegründet. Es war nicht leicht für uns, diesen Posten neu zu besetzen. Aber dann kam Richie und ich denke, dass er einen fantastischen Job macht. Zugegeben: Am Anfang war es schon komisch auf der Bühne nach rechts zu schauen und nicht Ken, sondern Richie zu sehen. Jetzt ist es aber schon natürlich.

MF: Als ihr letztes Jahr zum ersten Mal mit Richie Konzerte gabt, da schien es für viele Leute, Kritiker wie Fans, mich eingeschlossen, dass er Judas Priest in gewisser Weise wiederbelebt hat, euch einen neuen Schub verpasste. Wie siehst du das?

Ian: Das kann gut sein. Vielleicht hat uns seine jugendliche Energie und sein Enthusiasmus angesteckt, wer weiss. Er ist ein neues, frisches Element und hat uns damit vielleicht einen Schub verpasst.

MF: Ist es in musikalischer Hinsicht anders für dich, mit ihm zu spielen?

Ian: Nicht wirklich, nein. Grundsätzlich macht er das, was K.K. gemacht hat, da so eben die Songs geschrieben sind. Aber er macht es natürlich auf seine Weise. Kein Gitarrist spielt genau gleich. Gerade bei seinen Solo-Parts kann er sich natürlich ausleben und das wollen wir auch so. Was aber die Rhythmus-Sektion anbelangt, auch wenn Richie die Riffs spielt, dann sind die Songs schon da und daran muss er sich halten. Und als Bassist ist das für mich natürlich das Essentielle und nicht die Solo-Parts.

MF: Dieser Wechsel an der Gitarre war nicht der erste Grosse Wechsel in der Geschichte von Judas Priest. Der grösste Einschnitt war sicherlich der Abgang von eurem Sänger Rob Halford 1991 für über 10 Jahre. Wie unterscheiden sich diese beiden Wechsel voneinander?

Ian: Der grösste Unterschied ist sicherlich die Zeit. Als Rob die Band verliess, legten wir eine längere Pause ein. Es dauerte über fünf Jahre, bis wir mit Ripper (Tim „Ripper Owens ersetzte Halford von 1996-2003) wieder auftraten. Vielleicht war es damals harter deswegen, wegen dieser Pause. Dieses Mal machten wir einfach weiter, ohne Unterbruch, da die ganze Tour schon geplant war. Das war eine kluge Entscheidung. Als Rob ging war die Stimmung innerhalb der Band allgemein nicht rosig und so taten wir uns damals schwerer.

MF: Du bist jetzt seit gut 40 Jahren, seit es die Band gibt, Bassist von Judas Priest. Hast du selber noch nie mit dem Gedanken ans Aufhören gespielt?

Ian: Absolut nie! Ich liebe jede Sekunde, jeden Moment dieses Berufs, meines Lebens. Von aussen mag es so aussehen, als ob das Musikerleben aus ewigen Wiederholungen bestehe. Album, Tour, Album, Tour usw. Das stimmt auch ein Stück weit, doch das Grossartige daran ist, dass man dabei immer etwas Neues erlebt. Jede Albumproduktion ist anders, jede Tour ist anders mit neuer Setlist, neuer Bühnenproduktion. Sogar jede Show ist einzigartig und noch immer gibt es Orte, die wir jetzt zum ersten Mal erleben dürfen.

MF: Und was ist das neue auf dieser Tour für dich?

Ian: Jetzt, wo wir langsam in einem Alter sind, in welchem andere sich zur Ruhe setzen, nehmen auch wir uns etwas mehr Zeit. 40 Jahre sind wir jetzt um den Globus gereist und haben so viel noch nicht gesehen. Letztes Nacht zum Beispiel waren wir in Verona. Ich war noch nie in meinem Leben in Verona! Morgen (13. Mai) haben wir einen Day Off und werden ihn in Genf verbringen, danach ist Barcelona dran. Früher ging es immer vom Bus in die Halle, von dort aus ins Hotel und dann wieder in den Bus. Jetzt nehmen wir uns die Zeit, mal zu schauen, wie es denn dort überhaupt aussieht, wo wir spielen.

MF: Du bist bekannt als der Bassist von Judas Priest. In dieser Funktion bist du aber auch für eine ganz kuriose Sache bekannt: Seit Jahrzehnten stehst du immer, wirklich immer, an der exakt gleichen Stelle, von der Bühne aus gesehen gleich links neben dem Schlagzeug, und bewegst dich kaum weg davon an einem Konzert.

Ian: Hahaha, das stimmt!

MF: Hast du überhaupt einmal eine Show nicht an diesem Platz bestritten?

Ian: Vielleicht in den Anfangstagen einmal. Das kommt alles daher, dass wir in unseren Anfangstagen natürlich nicht auf so grosse Bühnen spielten wie heute. Mit zwei Gitarristen und einem Leadsänger hast du drei Front-Menschen auf der Bühne und du kannst dir vorstellen, wer dann hinten stehen muss, wenn es zu wenig Platz hat. Das hat sich dann so eingebürgert und ich bin rundum zufrieden damit. Ich bin zufrieden damit, was ich tue und wo ich es tue.

MF: Na gut, aber es musste ja nicht unbedingt exakt dieser Ort sein!?

Ian: Stimmt schon. Aber das war der Ort, an welchem mein Verstärker immer stand. Früher drehte man die Verstärker noch voll auf und ich hörte mich viel schlechter. Wenn dir die Gitarren um die Ohren kreischen, dann stehst du dorthin, wo dich wenigstens ein bisschen hören kannst. Ausserdem konnte ich von diesem Ort aus auf das Fusspedal der Bassdrum schauen, was von Vorteil ist, wenn du nur noch Gitarren hörst, um im Takt zu bleiben. So war das damals...

MF: Wenn ihr euch heute für eine Tournee vorbereitet, probt ihr dann wie eine normale Band?

Ian: Nicht mehr wirklich, nein. Dieses Mal mussten wir etwas mehr dafür machen, da wir Richie einarbeiten und zusammen warm werden mussten. Aber ansonsten kennen wir ja die Songs seit Jahren und proben sie dann zuhause mit den Aufnahmen, die wir haben. Und wenn die Tour dann näher rückt, dann treffen wir uns irgendwo und hauen die Songs durch. Wir wissen ja auch, was wir spielen wollen. Manche müssen wir einfach bringen, über andere diskutieren wir und schauen, ob sie für uns selbst funktionieren oder nicht. Dann schauen wir uns die einen oder anderen etwas schwierigeren Parts genauer an und spielen die komplette Show vier, fünf Mal und los geht's!

MF: Sprechen wir am Ende noch über die Zukunft von Judas Priest.

Ian: Die Zukunft sieht folgendermassen aus: Wir sind auf Tour bis Ende Mai, danach geht es nach Hause und dann schon ziemlich schnell ins Studio, um eine neue Scheibe einzuspielen, welche voraussichtlich im Frühling 2013 erscheinen wird. Wahrscheinlich werden wir dann auch ein paar Shows spielen, um die Platte zu promoten. Festivals oder so.

MF: Kannst du zum kommenden Album schon etwas mehr sagen? Gibt es schon Material?

Ian: Wir haben ein paar Songs, die wir aufgenommen haben, bevor Richie dazukam. Drei Songs sind es, wenn ich mich nicht irre. Da werden wir jetzt schauen, was wir damit machen werden. Glenn und Rob sind mittendrin im Songwritting.

MF: Und in welche Richtung geht das Material?

Ian: Viel kann ich darüber noch nicht sagen. Was aber sicher ist: Es wird ein klassisches Priest-Album, kein Experiment wie „Nostradamus“.

MF: Da sind wir ja mal gespannt und kommen schon zur letzten Frage, welche ich immer stelle: Wie sieht für dich ein perfekter Tag aus?

Ian: Wie ich vorher schon gesagt habe: Ich liebe, was ich tue. Deswegen: Ausschlafen, einen gemütlichen Tag verbringen und dann eine gute Show spielen. Am liebsten mit einem Day Off am nächsten Tag, hahaha...

MF: Ian, danke, dass du dir für uns Zeit genommen hast!

Ian: Es war mir ein Vergnügen.