Knorkator sind nicht nur auf CD ein Erlebnis. Auch im
Interview gibt-Keyboarder und Mentor Alf Ator immer
wieder knorkateske Statements von sich. Ein paar
Beispiele gefällig? „Da läuft man weg, wenn man das
hört.“, „Aber die waren zu blöd es zu spielen (lacht).“
oder „Dieser Song musste jetzt geschrieben werden.“ Da
glaubt man ihm gerne, wenn auf die Frage nach dem Grund
zum erneuten Rücktritt vom Rücktritt antwortet: „Ich bin
im Herzen doch immer ein knorkatesker Komponist und
Texter geblieben.“ Aber von vorne: Bis zur Auflösung
2008 hatten die Berliner sechs Alben veröffentlicht,
welche durch ihren speziellen und tiefsinnigen Humor in
deutscher Sprache und ihrer Musikalität viele Fans
begeisterte. Nicht minder wichtig waren dabei die wilden
Bühnenshows. 2011 kam nun also die Rückbesinnung der
„meisten Band der Welt“ und mit „Es werde Nicht“ ein
neues Album. Gute Gründe also für ein Interview. Und
weil die oben erwähnten Zitate völlig aus dem
Zusammenhang gerissen wurden, habt ihr nun die Aufgabe,
dieses Interview zu lesen! Keine Widerrede! Zur
Versüssung gibt’s hier gratis und franko etwas Weiteres
auf den Leseweg: „Und uns bleibt die Genugtuung, dass
selbst der schlechteste Popsong immer noch mehr
Bedeutung hat, als die Kritik, die ihn als solchen
bezeichnet.“ Viel Spass! (AA = Alf Ator, BD = Buzz Dee)
MF: Hallo Alf. Du warst heute in Zürich Fahrradfahren.
AA: Ja.
MF: Kennst du Zürich bereits schon?
AA: Na so richtig Gelegenheit dazu hatte ich noch
nicht, die Stadt zu erkunden. Weil wir sonst immer mit
Reisebussen kamen und in Hotels geschlafen haben. Da
waren wir dann eigentlich immer nur zum Spielen und
Schlafen hier. Und da wir jetzt mit einem Nightliner
unterwegs sind, kamen wir früh morgens an. Ich wanderte
in die Innenstadt, sah dass zwar eine Bockwurst 7
Franken kostet, aber dafür ein Fahrrad mieten umsonst
ist. Also habe ich mir eines ausgeliehen und bin den
ganzen Tag herum gefahren.
MF: War es schön?
AA: Es war sehr schön, ich war da hinten am See. Bin
einmal auf der rechten Seite entlang gefahren und einmal
auf der linken, dann bin ich hoch zum Lindenhof gefahren
und habe die ganzen Camper (Occupy Bewegung) beobachtet.
Ich habe heute sozusagen einer Versammlung beigewohnt
(lacht). Nein, die haben gerade Pläne geschmiedet. Das
war ganz lustig. Ich habe nichts verstanden, weil die
Schweizerdeutsch gesprochen haben.
MF: Ja, der Dialekt unterscheidet sich vom Berliner.
Wobei Berlin ja innerhalb der Stadt auch verschiedene
Dialekte hat.
AA: Ja, wir haben einige.
MF: Wie läuft die Tour?
AA: Die läuft grandios, ich kann mich überhaupt nicht
beschweren. Das ist richtig toll, also volle Säle. Im
Durchschnitt 30 bis 40 Prozent mehr Leute als wir uns
sonst gewohnt sind, wunderbar!
MF: Ihr bestreitet ja im Moment vor allem Wochenendtourneen.
AA: So ist es. Das hat sich für uns ganz gut
herausgestellt, im Schnitt drei Konzerte am Stück zu
machen und danach wieder nach Hause zu fahren.
Wahrscheinlich sind wir einfach etwas zu alt, um einen
Monat durch zu touren.
MF: Arbeitet ihr daneben noch?
AA: Nein, im Moment können wir ganz gut von der Musik
leben. Und was im nächsten Jahr ist, müssen wir sehen.
Zur Not würden wir einen unserer Ferraris verkaufen und
dann würde es wieder für eine Zeit gewisse Zeit gehen
(lacht).
MF: Ich habe euch dieses Jahr an Wacken gesehen, was
toll war. Wie war es für euch?
AA: Für uns war es auch toll. Wacken war richtig geil.
Das hat gefetzt. Man weiss ja nicht immer, wie das am
Ende ist. Man hört immer, dass die Party Stage bei
manchen Festivals immer ganz klein und erbärmlich ist.
Und dort war das im Prinzip so gross wie sonst eine
Hauptbühne. Das war schön.
MF: Und für diese Zeit hatte es auch bereits sehr viele
Leute vor der Bühne.
AA: Ja, das war wirklich voll und hat gute Laune
gemacht. Ich meine, machen wir uns nichts vor: Auf einem
Festival sind nun mal viele Leute. Und 40‘000 würden wir
bei einem Einzelkonzert niemals ziehen. Aber es ist
trotzdem schön, diesen Anblick geniessen zu können.
MF: Kommen wir Rücktritt von euch 2008. Ich habe mir die
Abschieds-DVD nochmals angeschaut. Du hast damals
verlauten lassen: „Ich habe alles gesagt, was ich jemals
gedacht hatte, mal zu sagen.“ Das hat sich also wieder
relativiert?
AA: Ja, anscheinend habe ich doch ein bisschen mehr zu
sagen. Ich meine, es schien wirklich so… Wir hatten
gerade ein wirklich sehr, sehr gutes Album gemacht. Und
dieses Level zu halten, schien einfach unmöglich. Und da
habe ich gesagt… Ich meine ich hätte jetzt auch nicht
sofort gedacht, dass wir jetzt die Band auflösen müssen.
Aber als der Stumpen dann gesagt hat, dass er nicht mehr
kann, weil ihm das alles zu viel würde, und er am Ende
sei. Und da wir keine Superpopstars sind, sondern immer
noch so quasi Wochenendtouren machen, hat sich der
Aufwand, den er getrieben hat, für ihn nicht wirklich
gelohnt. Er musste einfach mal gucken, wie er seinen
Arsch weg von der Wand bekommt. Und dann habe ich
gesagt: „Okay, das ist vielleicht der Moment, wo ich
jetzt auch sagen kann, dass das nun eben so endet. Und
dann versuche ich mich halt anderweitig auszutoben.“ Und
es dauerte nicht lange bis es wieder das eine oder andere
Argument gab, ach könnten wir nicht, und hm… Und
irgendwie habe ich dann beim Schreiben neuer Songs auch
gemerkt, dass ich doch oft sehr der einen Stilistik
verfalle. Das liegt wahrscheinlich daran, weil das
eigentlich meine Ausdrucksweise zu sein scheint. Ich
habe aber auch ein bisschen etwas anderes gemacht. Ich
habe zum ersten Mal Songs geschrieben, die sich komplett
davon unterschieden haben. Sachen, die ich schon lange
mal so im Hinterkopf hatte, wo ich aber immer wusste,
dass das für Knorkator nicht so geeignet ist. Aber es
war eben doch nicht so viel, dass man hätte sagen
können: „So jetzt machen wir ein richtiges, eigenes
Projekt damit.“ Und dann kam das eine Thema zum anderen.
Und irgendwann waren ein paar Songs da, wo man sagen
konnte, dass das was wäre. Wir haben uns eh immer wieder
getroffen, wenn was anstand wie zum Beispiel die
Steuersachen zu klären.
MF: Ihr seid ja auch nicht im Streit auseinander.
AA: Ja eben, und irgendwann kam das eine oder andere
Argument, wie es denn wäre… Und irgendwann waren genug
Songs da, um diese mal aufzunehmen. Wahrscheinlich wäre
es sicherer gewesen, die Wiedervereinigung ein Jahr
später zu machen, um noch mehr Zeit zu haben. Aber es hat
geklappt. Das neue Album wird sehr gut angenommen. Und
wir freuen uns.
MF: Eine deiner Aussagen erstaunt mich. Denn ich habe
Knorkator bisher immer als Band wahr genommen, bei der
grundsätzlich alles möglich ist. Für dich hatten also
Knorkator doch gewisse stilistische Einschränkungen?
AA: Ja, auf jeden Fall. Der Eindruck kann natürlich
entstehen, dass wir einfach nur alles machen. Aber es
gibt gewisse Dinge, die wir aus ganz speziellen Gründen
nicht machen. Zum einen sind das Sachen, die ich nicht
kann. Wo ich nicht in die richtige Richtung denke. Zum
Beispiel, wenn es in die Soul- oder Funkmusik gehen
würde, dann kann ich dazu nichts beitragen. Ich finde,
da gibt es gute Sachen. Aber ich begreife die
musikalischen Zusammenhänge nicht. Ich könnte bestenfalls
versuchen das zu analysieren, und irgendwie würde
es vielleicht dann ein wenig in diese Richtung
tendieren. Viele Bands leben ein Leben lang mit diesem
Anspruch. Aber mir ist das zu wenig, ich muss Zeichen
setzen. Ich muss wirklich Songs schreiben, wo ich sage:
„Dieser Song, der musste jetzt geschrieben werden. Und
ich war es!“ Und bei Funk, Soul und Blues, da wüsste ich
nichts, was ich dem beizutragen hätte. Ich covere gerne
aus dem Soul, aber das hat dann andere Gründe. Und dann
gibt es Sachen, die mit Stumpen (Sänger) schlecht gehen.
Stumpen ist ein Typ, der auch sehr stark dafür
verantwortlich ist, dass das bei Knorkator immer so viel
ist, weil er kein Mass hat. Du kannst ihn ganz sanft und
ganz leise singen lassen, so wie es nie zuvor geschah,
und du kannst ihn ausflippen lassen, so wie es nie zuvor
geschah. Aber alles was dazwischen ist, ist nicht
wirklich seine Stärke. Das rechte Mass, einfach nur
einen schönen Popsong zu singen, in einer mittleren bis
hohen Stimmlage, eigentlich das, womit Welthits
geschrieben werden, geht bei ihm überhaupt nicht. Da
läuft man weg, wenn man das hört. Das heisst, man muss
ihm schon Songs auf den Leib schreiben.
MF: Geht es denn von seiner Stimme oder von seiner
Einstellung, seinem Typ her, nicht?
AA: Beides. Er hat eine Stimme die genau dann, wenn
andere Stimmen so zu blühen beginnen, nicht mehr
funktioniert. Da sind bei ihm Frequenzen drin, die
keiner hören will (lacht). Der kann gut tief und
übertrieben rumknödeln, also von Wah über brüllen,
Richtung Bellen. Er kann auch opernhaft so herum nerven.
Und er kann natürlich seine wunderschöne Sopranattacken
machen. Aber sagen wir mal einen Song wie „Eye Of The
Tiger“… Also hätte ich „Eye Of The Tiger“ geschrieben
und das Stumpen singen lassen, dann wäre dieser Song
niemals… (lacht) Nein. Man muss ihn auf jeden Fall
Deutsch singen lassen. Englisch ist ganz dünnes Eis.
Wenn man das übertreiben und karikativeren will, wie
schlecht er Englisch kann, dann passt das sehr gut. Das
haben wir ein paar Mal auch gemacht. Aber ansonsten…
MF: Da gab es ja mal „Ma Baker“.
AA: Ja, aber da siehst du, dass das ja auch im Original
keine englische Band war. Darum ist es da nicht so
schlimm, dass er da vor sich hin deutschelt. Das ist
aber okay. Um im Kern zu sagen: Es gab ein paar Sachen,
so dachte ich, dass ich das jetzt mal probieren kann.
Aber irgendwie ist es doch so, dass ich im Herzen doch
immer ein knorkatesker Komponist und Texter geblieben
bin. Und deswegen war es für mich wahrscheinlich am
besten, dass die Band wieder zusammen gefunden hat.
MF: Das heisst, egal was du schreibst, es kommt
Knorkator raus?
AA: Ja, so ein bisschen. Ich habe in der Zwischenzeit
Sachen gemacht, die nicht wirklich Knorkator waren.
Eigentlich war «Arschgesicht» auch nicht für Knorkator.
Aber als wir uns dann wieder zusammen gefunden hatten,
und dachten, dass da noch ein Song auf der Platte fehlt,
haben wir den dazu genommen. Ich habe in der
Zwischenzeit zum Beispiel mit einem Mädchen zusammen
englische Songs geschrieben. Das sind schöne Songs
geworden, aber nicht genug, um zu sagen: „Das ist jetzt
ein eigenständiges Projekt.“ Das haben wir einfach mal
so gemacht, um mal zu gucken.
MF: Auf der DVD hast du gesagt, dass du nach Thailand
auswandern wirst.
AA: Das war in der Tat quatsch.
MF: Das war also dahin Gerede?
AA: Ja, wir hatten am Anfang mal abgemacht, dass wir
erzählen, dass wir uns auflösen, weil ich nach Thailand
gehe. Einfach, damit wir nicht so was erzählen müssen wie
„Wir sind am Ende und fühlen uns schlecht.“ Wir wollten
ja Werbung für unsere letzte Tour machen. Und wenn wir
da gesagt hätten „Wir sind alte Opas, die es nicht mehr
bringen.“ Dann wäre vielleicht niemand mehr zu den
Konzerten gekommen. Und insofern haben wir uns für die
Thailand-Geschichte entschieden. Ich fand das danach
schlecht und es hat mir kein Spass mehr gemacht, dass zu
relativieren. Weil „Ich gehe nach Thailand“ das hört
sich an, als würde ich so ein Opa sein, der einen Strand
braucht, um glücklich zu sein. Das war mir zu doof.
Ausserdem hatte ich ja schon längst vor, mit meinen
Solo-Performances was zu machen. Und da war es mir
überhaupt nicht recht, wenn alle denken, dass ich jetzt
in Thailand bin.
MF: Das war dann ein falscher Werbeeffekt.
AA: (lacht). Ja, ich komme zu jedem kleinen Auftritt mit
dem Helikopter, direkt aus Thailand.
MF: Naja, wenn die so viel Gage zahlen…
AA: Ja.
MF: Ihr hattet auf dieser DVD euer letztes Lied
„Kinderlied“. Das wurde damals von euren Kindern
gesungen. Haben die Kinder damals den Text verstanden?
AA: Nein.
MF: Nö?
AA: (lacht) Da waren sie wirklich noch zu klein. Da
habe ich natürlich mit Absicht wunderschöne Worte
einfliessen lassen, die sehr schwierig waren. Es war
völlig korrekt, dass sie das nicht verstanden haben.
Beim „Arschgesicht“ später, da war der Timtom dann schon
so alt, dass er das durchaus verstanden hat, worum es
geht. Obwohl auch da noch einige schöne Worte drin
waren. Ich kann halt nicht über meinen eigenen Schatten
springen. Und eigentlich war das Lied für ihn gedacht,
weil er eine Band hatte. Und da dachte ich: „Wenn die
eine Band haben, dann schreibe ich denen ein Lied.“ Aber
die waren zu blöd es zu spielen (lacht).
MF: Aber den Kindern hat es Spass gemacht?
AA: Ja, natürlich.
MF: Das sieht man ja auch auf dem Video. So mit den
Daddys als Rockstars.
AA: Ja, also das ist glaube ich meinem Sohn
scheissegal. Der hat andere Interessen.
MF: Ihr habt damals auch dieses Unplugged-Konzert
aufgenommen. Wie schwer war es, diese Songs ins neue
Gewand zu verwandeln?
AA: Also für mich war es schwerer. Weil ich
normalerweise, bei den Songs, die ich mache, sehr viele
Sachen habe, wo ich meine Maschinen dafür arbeiten
lasse. Und bei unplugged war es so, dass ich richtig ran
musste. Ich musste unplugged passend was auf dem Klavier
zu Recht drücken. Und es ist mir nicht wirklich leicht
gefallen. Es hat nachher, als ich es konnte, Spass
gemacht. Aber es war auch ein Bisschen so bei unplugged,
das da mehr Band war. Das heisst, dass ich sonst eher so
der Diktator bin, der sagt: „So, du spielst jetzt das so,
und das und das.“ Und bei unplugged haben die Songs ihr
Eigenleben bekommen. Da hat jeder so ein bisschen
rumgeswinged, wie ihm gerade der Hut stand. Das ist eine
völlig andere Kiste geworden. Eigentlich war ich da mehr
so ein eingekaufter Pianist in einer Band, die Knorkator
covert. Stimmt doch?
BD: (Gitarrist): So so (kritisch). Ja, das stimmt.
(lacht)
MF: Aber die Songs klingen gut in diesem Gewand.
AA: Ja, schon.
BD: Das war meine Idee.
MF: Du bist der Rockabilly-Typ?
BD: Eigentlich nicht, aber mir macht so was Spass.
AA: Hm… Nein, ich finde das furchtbar (lacht).
MF: Also hattet ihr Spass auf der Bühne mit diesem
Scheiss.
AA: Ja, das war durchaus mal eine geile Erfahrung. Und
es ist ja auch wirklich sehr gut angekommen. Und ich
habe mich einfach ans Klavier gesetzt und habe dann so
normal Klavier gespielt. Was ich sonst eigentlich kaum
tue.
BD: Ich muss das noch ganz kurz erläutern. Alf kam
erst mit einem Keyboard an, und damit klangen all die
Songs wie NDW, die Neue Deutsche Welle. Und dann wurde
ihm ein Klavier besorgt und dann fand er plötzlich:
(analytisch) „Das macht mir Spass.“ Und darum haben wir
das mit dem Klavier so gelassen.
MF: Hatte das jetzt auch Auswirkungen auf's neue Album?
AA: Nein, nicht wirklich. Also da ist jetzt kein
Rockabilly dabei, und Klavier hatte ich sonst auch schon
dabei, aber halt mehr so maschineller. Es kommt selten,
dass wir irgendwelche Songs haben, wo so richtig
balladesk voll in die Tasten gegriffen wird. Das ist
mehr so anders eben. Das kann ich jetzt nicht
beschreiben.
MF: Ihr habt jetzt diese Stuhl-Sessions gemacht. Wie habt
ihr es geschafft, Till Lindemann von Rammstein dafür zu
gewinnen? War das einfach so von Berliner zu Berliner?
Wobei Berlin ja sehr viele Einwohner hat.
AA: Na ich sage dir, wie wir das gemacht haben: Wir
haben einfach irgendwann auf seine vielen E-Mail mit
„Ja“ geantwortet (lacht). Nein, es ist wirklich so, dass
es halt an Berlin lag. Nun ist Berlin zwar gross und
nicht jeder kennt jeden. Aber die „Crème de la crème“
kennt sich doch. Das heisst jetzt nicht, dass wir
ständig Kaffee miteinander trinken, aber zumindest ist
es so, dass die freien Eintritt haben, wenn wir irgendwo
spielen, und wenn die irgendwo spielen, haben wir freien
Eintritt.
MF: Schön. Gerade bei Rammstein, wo man heute
Schwierigkeiten hat, überhaupt noch ein Ticket zu
kriegen.
AA: Ich gönne ihnen den Erfolg von ganzem Herzen. Die
haben wirklich gute Musikgeschichte geschrieben. Da kann
man jetzt über die Musik hin und her diskutieren, ob sie
jetzt zu monoton ist, oder was weiss ich. Wer die heute
noch in eine Faschisten-Ecke drängt, der weiss sowieso
nicht Bescheid. Das ist gar nicht mehr ernst zu nehmen.
Ich glaube, dass ihr Werdegang einer ist, den man als
Musiker eigentlich gar nicht schöner haben könnte. Dass
das sein Eigenleben kriegt, dass du niemanden mehr
fragen musst, dass du den Sendern absagen kannst…
Wahrscheinlich hätte gern jemand die mal gehabt bei was
weiss ich… Wetten dass? Oder so… Selbst wenn es so wäre,
bin ich mir sicher, dass die gesagt hätten: „Tut uns
leid, das passt nicht in unser Konzept.“ Und das ist
gut. Das finde ich schön, dass jemand, der sich mit
seinem Erfolg so viel Macht aufgebaut hat, diese auch
wirklich nutzt, um Dinge zu bewegen und nicht um einfach
nur am Ball zu bleiben. Ab einem bestimmten Level neigen
viele dazu Schiss zu bekommen, dass da irgendwas
zerbrechen könnte. Und die gehen dann immer auf Nummer
sicher. Und das haben Rammstein eigentlich nie gemacht.
Die haben immer auf neue Weise gnadenlos angeeckt.
Richtig schön, also für mich auch lustig. Und die haben
einfach niemanden mehr nötig. Die brauchen einfach nur
auf ihrer Webseite zu sagen, dass sie Konzerte spielen
und sind dann innerhalb von Stunden ausverkauft. Ich
freue mich einfach nur. Ich lache mir dann ins Fäustchen
und sage mir: „So muss es sein!“
MF: Etwas Ähnliches ist ja jetzt mit Unheilig ebenfalls
passiert. Eine kleine Band, die auf einmal einen riesigen
Erfolg hat.
AA: Ja, gut von der Sache her. Bei Unheilig kommt dazu,
dass es mich anekelt. Da ist es so, dass der sich schon
ein bisschen für den Erfolg prostituiert hat. Der hat
richtig schön auf die „Ich schenke dir Rosen und ohh
furchtbar gesetzt.“ Das ist einfach Schlager. Das hat
nichts mehr mit Rock’n’Roll oder sei es Dark oder wie
auch immer zu tun. Das ist einfach nur Schlager. Das ist
einfach nur Schlager mit schwarzen Klamotten.
MF: Kommen wir zu euch zurück. Ihr spürt ja ebenfalls
keinen Druck. Das heisst, der Druck entsteht in einer
Grösse zwischen Rammstein und euch?
AA: Ich glaube der Druck, der ist bei uns… Ich glaube,
dass jedes Bandschicksal was ganz eigenes ist. Ich
glaube, dass bei uns eine Besonderheit ist, dass wir
unseren Erfolg bis heute, bis zu diesem Status, über
ganz viele Jahre selber aufgebaut haben. Also über die
letzten 14 oder 16 Jahre mit leichten Schwankungen. Und
so wie es heute ist, ist es richtig toll. So gut war es
noch nie von den Besucherzahlen her. Und das ist eine
Sache, die glücklich für uns ist. Da bin ich extrem froh
darüber. Es ist etwas, was nicht gehypt ist. Das heisst,
es ist nicht etwas, dass entstanden ist, weil sich
plötzlich ein Sender für uns interessiert hat, oder ich
die Musik zu einer Serie machen durften, oder weil
Werbung gelaufen ist oder…
MF: Da war ja mal der Eurovision-Song…
AA: Ja, aber das ist auch bereits einige Jahre her und
vergessen. Das ist einfach so passiert. Wir sind halt
über lange Zeit dabei gewesen. Und wenn die Qualität
nicht nachlässt und die Leute wissen, dass da was Gutes
kommt, kann auch nicht viel schief gehen. Dann können
wir uns, ohne dass ich das jetzt an die grosse Glocke
hängen möchte, alle auf die Schulter klopfen und sagen:
„Da haben wir etwas für uns erreicht, was uns auch
keiner mehr wegnehmen kann.“ Uns würde ein bisschen mehr
Medienpräsenz durchaus nützen. Da sind wir uns alle
sicher. Aber wir wissen, dass wir den Status, den wir
jetzt haben, eigentlich ohne grössere Medienpräsenz
erreicht haben. Und das Gute daran ist, dass bei den
Fans, die jetzt kommen, keiner mehr sagen kann: „Ich
will euch nicht mehr, und jetzt ab in die Versenkung.“
Wir wissen, dass wenn wir weitermachen, und noch ein
Album machen, und dieses auch nicht scheisse wird, wir
dann diese Fans wieder haben. Wir sind nicht auf
irgendein „Okay“ von irgendwelchen Leuten angewiesen.
Und das ist schön. Das ist zwar nicht in so einem riesen
Rahmen, dass man sagt: „Ich habe jetzt drei Ferraris!“
Aber ist immerhin so, dass man sagt: „Das läuft gut!“
MF: Im Gegenzug müsst ihr auch nicht derart viel Kohle
in die Werbung stecken.
AA: Das kommt dazu. Man muss dazu noch anfügen, dass
wir natürlich trotzdem versuchen, irgendwas anzuleiern.
Wir wollen natürlich auch stattfinden. Wir wollen gerne
irgendwo gezeigt werden. Aber die Praxis zeigt bei uns,
dass, wahrscheinlich weil es uns schon lange gibt, uns
einfach die meisten Medien für uninteressant halten oder
für „Ach 10 Jahre! Also wenn die bis jetzt noch nicht
ganz oben sind. Dann bringt es jetzt auch nichts mehr.“
Insofern ist es gut, dass es trotzdem zum Existieren
reicht. Weil andere Bands… Also wenn wirklich weniger
wäre, dann wäre das ein Grund, nach ein paar Jahren zu
sagen: „Naja, vielleicht war die Idee jetzt doch nicht
so gut.“ Was meinst du?
MF: Das ist eine Frage der Einstellung. Es gibt viele
Musiker, die sehen ihre Band als aufwändiges Hobby. Und
für ein Hobby zahlt man auch. Und dieses können sich
aufgrund ihres regulären Jobs leisten.
AA: Das ist insofern richtig. Aber wenn ich jetzt uns
angucke, dann sehe ich, dass wir alle schon „alte
Männer“ sind. Wir haben alle irgendwie schon Heim, Herd,
Kinder und Frauen. Und da muss man dann irgendwann mal
ein allzu intensives Hobby in der Familie auch
rechtfertigen können. Ansonsten muss man Single bleiben.
Und wir haben das Glück, das wir unser Hobby
rechtfertigen können.
MF: Also so im Stile: „Ich bin zwar oft weg, aber es
kommt dafür Kohle rein.“
AA: Naja, die Kohle ist sicher nicht alles, aber du
weisst ja wie das ist. Mit zwanzig ist mir das noch
Wurst, solange die Freundin noch studiert. Aber
irgendwann sollte man seinen Platz im Leben gefunden
haben.
MF: Die Apokalyptischen Reiter haben mir immer wieder
erzählt, dass sie Mühe damit hätten, in die reine
Spassecke gestellt zu werden. Stört euch das, wenn ihr
da rein gedrückt werdet?
AA: Naja, also besonders glücklich bin ich darüber
nicht. Aber es gibt wirklich schlimmere Schicksale. Es
gibt Momente, wo es nervt. Aber was sollen wir machen?
Die Menschen sind nun mal wie sie sind: Die brauchen
Schubladen. Und wenn man uns jetzt weder beim Heavy
Metal, noch beim Pop, noch sonst wo wirklich
unterbringen kann, weil wir immer wieder Songs haben,
die da aus dem Rahmen fallen, dann sagt man eben, dass
das eine Comedy-Band ist. Und mein Gott, dann haben die
halt ihre Schublade. Ich finde, sie ist nicht passend,
aber… ach…
MF: Die Texte gehen ja viel tiefer…
AA: Gut, aber damit man das merkt, müsste man sich ja
mit den Texten beschäftigen. Wir haben immer noch das
Glück, dass wenn wir positive oder negative Kritiken
über uns lesen oder hören, schön merken können, wie sehr
sich der Journalist mit uns befasst hat. Die positiven
Kritiken sind das Resultat von Leuten sind, welche das
intensiv gehört und darüber nachgedacht haben. Und die
negativen Kritiken sind zumeist von Leuten, die es eh
nicht interessiert. Die haben sich die Lieder vielleicht
einmal beim Staubsaugen angehört und sagen nun: „Naja,
das ist das gleiche wie früher.“ Das ist schnell zu
schreiben. Und es macht auch Spass, schlechte Kritiken zu
schreiben. Das macht sehr viel Spass, denn ich habe das
auch schon gemacht. Dem Kritiker bleibt die Genugtuung,
dass er wahrscheinlich nach einem Jahr nicht mehr dafür
gerade stehen muss, für das was er da verzapft hat. Weil
es niemanden mehr interessiert. Und uns bleibt die
Genugtuung, dass selbst der schlechteste Popsong immer
noch mehr Bedeutung hat, als die Kritik, die ihn als
solchen bezeichnet.
MF: Ich schreibe selber CD-Kritiken, und ich finde das
Schlimmste sind durchschnittliche Alben, welche mich jeweils
weder positiv noch negativ ansprechen und einfach vor
sich hin plätschern. Also lieber ein ganz schlechtes
Album, als ein Mittelmässiges.
AA: Also dann wäre ich schon lieber für ein
Mittelmässiges. Also ganz schlecht… Nein, eigentlich
mittelmässig auch nicht. Unter sehr gut läuft nichts.
MF: Zum Schluss noch zur Zukunft. Wie geht es weiter?
AA: Wir werden jetzt mit Ach und Krach diese Tour zu
Ende bringen, und dann lösen wir uns auf. (lacht). Weil
schau mal hier (zweigt auf seinen Bart). Siehst du diese
weissen Ansätze? Das ist einfach nicht Rock'n'roll!
MF: Das könnte man ja färben...
AA: ...ja gut, aber das Zeug wächst immer wieder weiss
nach.
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