Singverbot von Ronnie
James Dio.
Ronnie James Dio weilt leider nicht mehr unter uns
und unzählige, unnötige Coverbands versuchen vom
Vermächtnis des kleinen Mannes mit der grossen Stimme
Kapital zu schlagen. Selbst vor einer
Hologramm-Aufführung macht man nicht Halt. So gingen die
Dio-Ur-Mitglieder Vivian Campbell (Gitarre), Vinny
Appice (Schlagzeug)und Jimmy Bain (Bass) ihren Weg und
gründeten frei nach dem Titel des zweiten Dio-Albums
ihre Band Last In Line. Mit einem unglaublich geilen
Sänger, der auf den Namen Andrew Freeman getauft ist und
dem ersten Dio-Keyboarder Claude Schnell veröffentlichte
der Fünfer das Debütalbum «Heavy Crown». Kurz darauf
verstarb Jimmy Bain an Lungenkrebs und wurde durch den
ehemaligen Ozzy-Bassisten Phil Soussan ersetzt, während
sich Claude absetzte und durch Erik Norlander ersetzt
wurde.
Zur aktuellen Lage bei Last In Line, dem
Tod von Jimmy und vielem mehr sass mir Gitarrist Vivian
gegenüber. Zuerst musste aber sein Gesundheitsstand
geklärt werden, musste sich der Gitarrist doch auch 2013
und 2015 mit Krebs herum schlagen. Zudem liess mich der
sehr freundliche Nordirländer wissen, dass er
keinesfalls bei Dio nach dem ersten Teil der «Sacred
Heart»-Tour ausgestiegen ist, sondern aus der Band
geschmissen wurde. Dass es dabei um das liebe Geld ging,
ist eine andere Geschichte…
MF: Vivian, wie
geht's dir?
Vivian (grinsend).
Verschlafen und müde. Aber sonst geht's mir sehr gut,
danke der Nachfrage.
MF: Wie sieht's bei dir mit dem Krebs
aus? Ist alles wieder gut?
Vivian: Es
ist ein schleichender Prozess. Aber momentan geht's mir
wirklich gut und ich bin dankbar, dass ich wieder so fit
bin. Der Grund, wieso ich diese Krankheit überlebte, ist,
dass ich den Krebs in einem frühen Stadion bemerkte.
Viele Leute, die an Krebs gestorben sind, stellten
diesen Scheiss zu spät fest und verloren den Kampf. Auch
dank sehr guten Ärzten, die mich besten betreuten,
konnte ich mich gegen den Krebs wehren. Zum Glück hat
mich dies nie so beeinträchtigt, dass ich nicht mehr
Herr meiner selbst war, oder ich meine Arbeit und die
Musik aufgeben musste.
MF: Hat dich diese Zeit verändert?
Vivian: Ich war und bin immer eine sehr
positiv denkende Person. Mein Glas war nie halbleer,
sondern immer halbvoll (lacht). Auch vor dem Krebs. Klar
gab es Momente, in denen es mir schlecht ging, aber
während den Behandlungen verlor ich nie die Hoffnung.
Ich habe viele Kinder gesehen, die Krebs hatten. Sie
waren sechs oder sieben Jahre alt und mussten durch
diese Chemo-Therapie-Hölle gehen. Das hat mir wirklich
das Herz gebrochen. Ich wurde diesen Monat 55 Jahre alt.
Ich hatte ein wirklich tolles Leben und konnte mich auf
die bevorstehenden Behandlungen vorbereiten. Aber was
ich bei diesen jungen Menschen sah, hat mich echt
erschüttert. Auch ich verlor meine Haare wegen der Chemo
und stand dann wieder mit Def Leppard auf der Bühne,
ohne Haare und ohne Augenbrauen (lacht). Zu Beginn war
es sehr seltsam, aber ich sah jedes Mal das Positive.
Durch die Krankheit lernte ich viele neue positive Dinge
und sah vieles in einem anderen Licht. Als ich zum
ersten Mal nach der ersten Behandlung wieder auf der
Bühne stand, vor 10'000 oder 20'000 Leuten, fühlte ich
mich auf eine gewisse Weise nackt. Alles, was ich zu
bieten hatte, war mein Inneres, welches durch mein
Gitarrenspiel raus kam. Über Facebook teilten mir viele
Leute ihre Bewunderung und ihre Freude mit. Es war für
mich sehr schmeichelhaft, dass so viele Menschen durch
mich neue Kraft schöpften. "Hey, da steht einer auf der
Bühne, ohne Haare und Augenbrauen und spielt, als sei es
das Normalste auf der Welt" (lacht). Ich denke, damit
konnte ich vielen Leuten helfen, und das gab mir ein
unheimlich tolles Gefühl.
MF: Last In Line, der Bandname und die
Band, ein Tribute an Ronnie James Dio?
Vivian: Ich mag dieses Wort "Tribute" nicht! Weil, eine
Tribute-Band beinhaltet keine Originalmitglieder. Wir
waren die Urmitglieder von Dio. Vinny, Jimmy und ich,
zusammen mit Ronnie! Wir starteten das Last In Line
Projekt, ohne Ronnie. Last In Line war der Titel des
zweiten Dio-Albums, auf welchem wir drei alle an den
Songs gearbeitet und im Studio diese auch einspielten.
Ronnie lebt leider nicht mehr. Wer weiss, würde Ronnie
noch unter uns sein, würden wir heute vielleicht diese
Songs im Original Line-Up spielen? Last In Line ist
nichts Geplantes, sondern hat sich ergeben. Ich wollte
wieder aggressiver Gitarre spielen. So wie damals, als
Jugendlicher. Als ich vor einigen Jahren
zusammen mit Thin Lizzy die Möglichkeit hatte zu touren,
bemerkte ich, wie viel Freude mir diese Art des Spielens
noch immer bereitet. Nach dieser Konzertreise, als ich
wieder in L.A. war, rief ich Jimmy und Vinny an. "Lasst
uns doch wieder mal die alten Songs spielen, einfach so
zum Spass!" Daraus entstand Last In Line, eine Band,
welche die Tracks der ersten drei Dio-Scheiben
einspielte. Die ersten Last In Line Konzerte bereiteten
uns unheimlich viel Spass. Dann folgte der Anruf von
Frontiers Records, die uns einen Plattenvertrag anboten.
Vor diesem Telefonat sahen wir die Band als Sideprojket,
das wir nur zum Spass betrieben. Eines, das wir aber sehr
seriös angingen. Als wir 2011 im Proberaum zum ersten
Mal wieder die alten Lieder spielten und Andrew uns
besuchte…
Es lag eine unglaubliche Magie in der
Luft, als wir den Track «Last In Line» spielten. Jeder
von uns hatte eine fette Gänsehaut, und als wir den Track
beendeten, sagte Vinny: "Das macht alles so viel
kompakter, wenn wir einen so tollen Sänger wie Andrew
haben". Plötzlich war es nicht mehr nur noch ein kleiner
Jam, sondern es hörte sich wie eine richtige Band an.
Andrew lebt in der Nähe von Vinny. Er schlug uns Mister
Freeman vor und als Andrew das Mikrofon in die Hand nahm
und zu singen begann… Es war unglaublich. Du hast die
Originalband von Dio und einen Shouter, welcher die
Lieder fantastisch sang und nicht wie eine billige Kopie
klang. Es ging ein Blitz durch mein Hirn und ich wusste,
daraus kann was ganz Tolles entstehen. Wir waren reif
für die Bühne: "Hey Jungs, lasst uns auf die Bühne gehen
und dieses fantastische Feeling mit den Fans teilen!"
Darum entschieden wir uns auch uns Last In Line zu
taufen, einfach weil wir als Instrumentalisten dieses
Werk damals einspielten und der Name bewusst einen Bezug
zur Frühphase von Dio herstellen sollte. Ich wollte raus
aus dem Probetraum und in L.A. in den Clubs diese Truppe
vorstellen. Das wir nun die Welt betouren, ist eine
glückliche Fügung des Schicksals, aber es scheint, dass
die Leute verstehen, was wir sein wollen und sehen uns
nicht als billige Kopie oder Tribute von Dio an. Nun sind
wir schon dabei das zweite Album aufzunehmen, und es
fühlt sich nach wie vor jeden Abend sehr gut an, mit
diesen Jungs auf der Bühne zu stehen.
MF: Als ihr im Studio wart, um «Heavy
Crown» aufzunehmen, hast du da bemerkt, dass Jimmy
Probleme mit seiner Gesundheit hatte?
Vivian: Ich wusste, dass es ihm nicht besonders gut
ging. Ich befürchtete, dass er sterben würde, weil seine
Energie drastisch abnahm. Das Gleiche sah ich bei meiner
Mutter, die am gleichen Krebs starb. Es waren die
gleichen Anzeichen und Symptome. Weisst du, wenn Jimmy
eine Cola trank oder einen Schokoladenriegel ass, war er
wieder völlig wach (grinst). Lies die Energie dieser
Dinge nach, schlief er immer ein. So wusste ich, dass
irgendwas nicht stimmen konnte mit ihm. Einige Monate,
bevor er starb, rief er mich an und bat mich um Geld,
weil ihm die finanziellen Mittel für eine Untersuchung
fehlten. In den Staaten sind die Kosten für die
Krankenversicherung verdammt teuer. Jimmy fühlte sich
sehr schlecht und liess sich in die Notaufnahme
einweisen. Er musste eine Rechnung von 300 oder 400
Dollar zahlen. Aber Jimmy fehlte das Geld. Okay, er
hatte nie Geld (lächelt). Er starb als armer Mann. So
traf ich Jimmy in einer Gasse, wie wenn sich ein Junkie
und ein Drogendealer treffen würden (lacht). An der Ecke
einer Strasse übergab ich ihm einen gerollten Bündel
Dollarnoten (lacht) und ich hoffte nur, dass uns die
Polizei nicht sehen würde (lacht). Als wir probten, sass
Jimmy die ganze Zeit auf einem Stuhl und war sehr müde.
Wir wussten alle, es war was im Argen. Ich war froh,
dass ich ihm das Geld geben konnte und er überhaupt
danach fragte. Er war nicht einer, der zum Arzt ging.
Aber ich bin mir sicher, dass er wusste, was in ihm
vorging, auch wenn ich seine Gedanken nicht kannte. Er
hatte zu grosse Angst zu wissen, welche Krankheit er in
sich mittrug. Auch wenn ihm viele Freunde sagten, dass
er endlich den Weg zum Doktor unter die Füsse nehmen
sollte und vielleicht der eine und andere schon über
Krebs sprach, diesen langen Prozess der Heilung wollte
Jimmy nicht gehen. Er wurde vom Leben überflutet. Er war
keiner, der sich Gedanken um sein Leben und seine
Zukunft machte. Dio war seine Band, dort konnte er sich
ausleben. Alles was er sein wollte, war der Bassist
einer Rockband zu sein.
MF: Du spielst bei Last In Line,
Riverdogs und Def Leppard. Wo liegt deine Priorität.
Vivian: Ganz klar bei Def Leppard! Seit 25
Jahren bin ich Mitglied dieser Band und Def Leppard ist
die Truppe, welche mich füttert und meine Rechnungen
zahlt (lacht). Aber jede dieser Bands ist ein wichtiger
Muskel in mir, und ich bin in der glücklichen Lage, alles
irgendwie unter einen Hut zu bringen. Ich weiss, dass
sich vieles in den letzten Jahren im Musikbusiness
veränderte und viele Musiker neben ihrer Hauptband noch
in anderen Truppen aktiv sind. Das war vor vielleicht 20
Jahren noch nicht möglich und vielleicht auch verpönt.
Riverdogs und auch Last In Line werden nie, auch nur
annähernd den gleichen Erfolg haben und so populär sein
wie Def Leppard. Darum denke ich auch nicht, dass sich
Joe (Sänger von Def Leppard) gestresst fühlt, wenn ich
mit anderen Bands zusammen arbeite (lacht). Schau dir
Phil Collen (Gitarrist) an, der neben Def Leppard noch
bei Man Raze und Delta Deep spielt, und andere Projekte
am Start hat. Joe hat Down' N Outz, Rick Allen spielt
bei Projekten mit… Alle haben noch andere Dinge am
Laufen, die uns auf unterschiedliche Art und Weise
kreativ ausleben lassen.
Def Leppard ist eine
einzigartige Band. Schreiben wir neue Lieder, ist dies
mit keiner anderen Truppe zu vergleichen. Der
Qualitätslevel ist unglaublich hoch. Als Musiker habe
ich sehr viel bei den Jungs gelernt, wie man Lieder zu
schreiben hat. Zudem wurde ich um einiges besser als
Sänger. Das war eine wirkliche Veränderung (lacht). Es
gibt kaum eine andere Combo auf dieser Welt, welche beim
Songschreiben dermassen Hardrock mit solchen intensiven
Chorgesängen vermischt. Selbst auf der Bühne können wir
dies umsetzen, auch wenn viele Leute noch immer denken,
dass alles ab Konserve kommt. Aber, wir sind verdammt
gute Sänger. Klar, ich bin kein Ronnie James Dio oder
Andre Freeman, aber ich verbesserte meine Stimme
dermassen, dass wir bei Def Leppard die Chorpassagen
alle selber singen können. Wir sind zwei Gitarristen,
bei denen Phil die meisten Solos spielt. Für mich als
Gitarrist sind somit die Leppard-Songs nicht eine so
grosse Herausforderung wie bei Last In Line.
Spiele ich bei Last In Line, fokussiere ich mich völlig
auf das Gitarrenspiel und bin bedient damit (lacht). Ich
singe nicht, auch wenn ich könnte (lacht), aber ich will
nicht. Weisst du, als ich damals zum ersten Mal mit Dio
auf Tour war, hatte ich das Verlangen und den Wunsch zu
singen. Ich wusste, dass ich niemals so gut sein würde,
wie Ronnie, aber ich wusste, dass ich als natürliches
Geschenk eine gute Stimme bekam. Ronnies Antwort war
klar und unmissverständlich: "Singers sing and
guitarplayers play guitar (lacht). Ritchie Blackmore and
Tony Iommi never sings. You're not singing!!!" Das war das
erste und einzige Mal, dass ich Ronnie fragte, ob ich
singen dürfte (lacht). Riverdogs ist eine sehr
organische Band. Da kann alles passieren. Ob es nun
Fusion, Blues oder Soul ist. Alle diese
unterschiedlichen Elemente passen zu Riverdogs. So kann
ich locker Gitarre spielen und singen. Rob Lamothe ist
ein einzigartiger Sänger. Einer der besten, die es
jemals gab und geben wird. Er hat ein unglaubliches
Talent zu singen und Lieder zu komponieren. Es fühlt
sich sehr gut an bei Riverdogs zu singen, da es wie ein
interaktives Spiel zwischen seiner und meiner Stimme
ist. Bei dieser Truppe ist kompositorisch alles möglich,
während bei Last In Line eine spezifische Art des
Hardrocks gefordert ist. Fokussiertes Riffing und klar
strukturierter Hardrock.
Da kann eine Idee für
Riverdogs sehr aggressiv oder auch absolut passiv sein.
Habe ich eine Idee für Def Leppard, muss die sehr, sehr
speziell sein (grinst). Schreiben wir an einem neuen
Album für Def Leppard, schreiben wir nicht nur zehn oder
elf Songs. Es gibt unzählige Ideen und Lieder, die zu
dem zusammengeführt werden, welches dem typischen
Leppard-Kriterium entsprechen muss. Bevor wir ins Studio
gehen, sprechen wir viel über das Konzept des Albums.
Welche Art von Musik wollen wir als Nächstes
veröffentlichen? Das ist bei Last In Line und Riverdogs
völlig anders. Da spielen wir und sehen, was dabei heraus
kommt. Leppard haben eine sehr spezielle, kreative Art.
Da sind wir selten mit der ersten Version zufrieden:
"Nein, das können wir bedeutend besser" (lacht). Genau
das macht Def Leppard aber so erfolgreich! Es ist nicht
die Hookline oder der Chorus, sondern, dass alles immer
noch verbessert werden kann. Viele Bands sind im Studio,
haben diese tolle Melodie, sind glücklich und nehmen sie
auf. Punkt. Bei Def Leppard ist das Motto: "Good is
never good enough!" Der Arbeits- und Qualitätsprozess
ist sehr hoch in allen Aspekten. Vom Song, zur
Produktion, über die Performance, bis zur Live-Show.
Alles ist fokussiert und feingetunt. Das ist der Grund,
wieso Def Leppard eine der grössten Bands auf dieser
Welt ist!
MF: Für mich hast du auf den ersten
beiden Dio-Scheiben einige der besten Solos und Riffs
der ganzen Metal-Geschichte gespielt. Wie schwer war es
für dich, plötzlich mit so bekannten Musikern zu spielen
wie Ronnie, Jimmy oder Vinny?
Vivian: Es
war sehr speziell für mich, weil ich sehr jung war, als
ich in die Band kam. Ich sammelte Erfahrungen. Ich kam
aus Nordirland aus einem kleinen Dorf und fand mich
plötzlich in L.A. und Hollywood wieder. In dieser
grossen Stadt (lacht). Ronnie gab Partys und Glenn
Hughes nahm daran teil. Ich war ein grosser Fan dieser
Musiker, mit denen ich plötzlich auf dem gleichen Fest
war. Die Scorpions… Alle meine Idole waren auf diesen
Events zu sehen. Hey, Ronnie, Vinny und Jimmy, es war
unglaublich, mit ihnen zusammen in einer Band zu sein.
Noch vor ein paar Monaten sass ich zu Hause in Irland
vor meinem Plattenspieler und hörte mir die Alben dieser
Helden an. Und nun stand ich in Kalifornien und nahm
eine Scheibe zusammen mit Ronnie, Jimmy und Vinny auf.
Es war unglaublich. Meine Freundschaft zu Ronnie war
sehr komisch. Ich fühlte nie das Gleiche. Ich war nie
dieser grosse Rockstar und konnte nicht glauben, was
gerade abging. Ich kam von dieser kleinen Truppe Sweet
Savage und war plötzlich der Gitarrist von Dio.
Dabei gab es rund um L.A. dermassen viele talentierte
und kreative Gitarristen und Musiker! Die ganzen
Gitarren-Schulen… Alle wollten wie Yngwie Malmsteen
spielen. Alle die ich dort traf waren Gitarristen
(lacht) und alle waren technisch besser als ich! Sie
hatten diese unglaubliche Technik. Ich konnte nicht
verstehen, wie man Gitarre wie die spielen kann! Zeigt
mir, wie das geht (lacht). Ich verstand nicht, wie
Ronnie James Dio über die ganzen Kontinente flog, um
mich zu finden, wenn er all diese grossartigen
Gitarristen hätte haben können, die vor seiner Tür
standen. Erst in den letzten Jahren begriff ich, wieso
ich diese Möglichkeit bekam. Es war für mich ein
richtiger Schock von Belfast nach Los Angeles zu kommen.
Ich denke, mein damaliger Lebensstil hat meine eher
schwierige Freundschaft zu Ronnie geprägt. Damals fühlte
ich nicht gleich wie er, da ich aus anderen
Verhältnissen in eine mir völlig unbekannte Welt kam.
MF: Nach Dio bist du bei Whitesnake
eingestiegen und hast die sehr erfolgreiche «1987»-Tour
mitgespielt.
Vivian: Ganz ehrlich, ich
fühlte mich nie als ein Teil von Whitesnake. Rein auf
der musikalischen Ebene waren wir nie wirklich "bonded".
Es spielten unglaubliche Musiker mit, wie Tommy Aldrich,
David Coverdale, Adrian Vandenberg oder Rudy Sarzo.
Zusammen mit mir war das eine Supergruppe. Das war der
Grund, wieso wir zusammenfanden. MTV war gerade am
Durchstarten, und sie wollten eine Image-Band aufbauen.
Mit bekannten Namen und Glaubwürdigkeit. Für mich fühlte
es sich aber nie wie eine Combo an, wie es vorher mit
Jimmy, Vinny und Ronnie war. Dieses Band-Feeling habe
ich bei Whitesnake immer vermisst. Beim allerersten
Zusammentreffen nahmen wir drei Videoclips auf. Erst
nach dieser Geschichte trafen wir uns zum ersten Mal im
Proberaum, um das allererste Mal zusammen zu spielen.
Gerade mal vier oder fünf Tage verbrachte wir in diesem
Raum und gingen dann für 18 Monate auf Tour. Wir haben
uns nie richtig kennengelernt oder uns ausgetauscht.
Die Chemie einer Truppe machen nicht die Noten aus, die
du zusammen spielst. Sondern die Noten, welche du nicht
spielst! Es ist die Dynamik, wenn man sich trifft. Diese
besteht noch immer, wenn ich zusammen mit Vinny auf die
Bühne gehe. Ich liebe es mit Vinny zusammen zu spielen.
Er inspiriert mich ein noch besserer Gitarrist zu
werden. Du bist immer wie ein bewegliches Ziel und
kannst nicht immer die genau gleiche Performance
abliefern, da es keine Repeat-Taste gibt. Klar, die
Whitesnake-Geschichte war vom Visuellen her gesehen weitaus
spektakulärer. Aber musikalisch (grinst)… Wenn ich auf
der Bühne stand, habe ich mich nicht als Teil der Band
gefühlt. Den Fans war das völlig egal, sie haben uns
abgefeiert. Aber in meinem musikalischen Ohr, waren wir
keine Einheit. Darum habe ich Whitesnake nach dieser
Tour auch verlassen. Es war wie ein stiller Protest,
denn ich wusste, dass ich bei diesen Jungs nicht alt
werde. Es wurde von mir beendet, weil mich das Ganze von
der Kreativität her gesehen nicht forderte.
MF: Was war für dich früher wichtig und
was ist es heute?
Vivian: Wow, das ist
eine wirklich gute Frage… Vieles hat sich in den letzten
Jahren verändert. Ich fühle mich befreiter, wenn ich
spiele. Es fühlt sich an wie der finale Schritt an. "I
feel it like I finally got it right»" (lacht). Nach all
den Jahren… Oder anders gesagt, dass ich den Frieden mit
mir gefunden habe, wie ich heute spiele. Das ist wichtig
für mich. Das Leben hat sich verändert. Du wirst älter
und hast Beziehungen, bekommst andere Interessen. Du
hast Kinder, und das verändert alles in deinem Leben
(lacht). Es ist wichtig, dass ich dahin zurück fand, als
ich begann Gitarre zu spielen. Wieder dieses natürliche
Feuer zurück zu bekommen. Wie damals als ich meine
ersten Gitarrenstunde nahm und meine Jugend durchlebte.
Wenn du 14 oder 15 Jahre jung bist, ist es eine
schreckliche Zeit, als Teenager so vieles lernen zu
müssen und zu begreifen, was es alles braucht, um Musiker
zu werden. Dann startest du mit der ersten Band und
deine Karriere und konzentrierst dich auf viele Dinge.
Ich will dieses Feuer wieder in mir haben und mich
völlig auf die Musik konzentrieren können. Ich bin heute
nicht hier, um Geld zu verdienen (lacht). Ich bin müde
und habe nicht geschlafen (lacht), sondern um dieses
Feuer am Leben zu halten. Diese Kerze, diesen Funken.
Über viele Jahre habe ich dieses Feuer verloren und dank
Thin Lizzy und dem Auftritt mit Steel Panther, als wir
gemeinsam «Rainbow In The Dark» spielten, kam vieles
wieder zurück. Ich dachte nur hey, wie geil ist das
denn! Scheisse, diese Nummer habe ich mitkomponiert
(lacht). Dann ruft mich Scott Gorham an und fragt,
ob ich nicht Lust hätte, mit ihnen auf Tour zu gehen.
Einer meiner Helden, Gary Moore, hat «Black Rose»
eingespielt… Das war so aufregend mit Thin Lizzy zu
touren! Das führte dazu, dass Jimmy, Vinny und ich
wieder ins Gespräch kamen, und darum sitze ich heute mit
dir zusammen. Das sind alles Teile eines lebenden
Prozesses. Vieles davon fühlt sich sehr magisch an und
bringt mich dahin zurück, als ich 14 oder 15 Jahre jung
war und frei von industriellen Mechanismen spielte
(grinst). Nur meine Gitarre und ich.
MF: Dann wünsche ich dir noch viele
tolle Momente, und alles Gute für die Zukunft…
Vivian: …das wünsche ich dir auch!
MF:
Herzlichen Dank für das Interview!
Vivian: Ich danke dir für das tolle Gespräch!
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