Die nach Lynyrd Skynyrd bekannteste Southern
Rock-Band Molly Hatchet gab sich Anfang Dezember die
Ehre, ihr neues Album „Justice“ live in Zürich zu
präsentieren. Für die Südstaatler um Gitarrist und
Songwriter Bobby Ingram bedeutet diese „Gerechtigkeit“
aber mehr als nur einen Album-Titel. Wirkte die Band auf
der Bühne fröhlich und munter, wurde das Interview durch
Schwermut seitens Ingrams geprägt. Der Gitarrist scheint
den Tod seiner Ehefrau von vor sieben Jahren halbwegs
verarbeitet zu haben und kümmert sich heute um die
Eltern der ermordeten, siebenjährigen Somer Thompson.
Ingram bewies sich im Interview als geschickter
Geschichten-Erzähler. Hört man seinen Ausführungen aus
seinem Leben zu, ist man schnell den Tränen nahe. Die
Kombination aus epischen Erzählungen und der auf Grund
Ingrams Erkältung um die Hälfte gekürzten Interviewzeit
bewirkte allerdings auch, dass Rock Rolla (Rockstation)
und ich nur wenige Fragen stellen konnten. Egal, denn
bei Bobby Ingram spielt die Qualität und nicht die
Quantität die wichtigste Rolle.
MF: Hallo Bobby, wie geht es dir?
BI: Ich fühle mich gut. Wie geht es dir?
MF: Mir geht es gut. Und du, Rocka Rolla?
RR: Ich bin ein bisschen müde, aber es geht.
MF: Wie war das Konzert für dich? Ich habe gehört,
dass du ein wenig erkältet bist.
BI: Ja, ich bin ein bisschen erkältet. Aber das wäre
kein Grund, das Konzert abzusagen. Ich gehe einfach raus
und spiele, aber es war soweit gut.
MF: Und wie lief die Tour bis jetzt?
BI: Wir starteten mit der Tour im Sommer in den USA. Und
im Moment sind wir auf dem europäischen Teil der Tour.
Wir sind jetzt seit circa einem Monat hier unterwegs und
haben in Spanien und Frankreich gespielt. Besonders in
Monte Carlo war es sehr toll und die Fans haben uns
frenetisch abgefeiert. Anschliessend waren wir in Paris
und sind danach nach Polen geflogen. Das war das erste
Mal, dass wir in Polen gespielt haben. Und die Leute
dort waren einfach unglaublich. Die waren so nett zu
uns. Nach Polen sind wir wieder nach Paris geflogen und
sind im Tourbus nach Köln gefahren, und haben mit dem
Deutschland-Teil der Tour begonnen. Und jetzt sind wir
in der Schweiz. Es ist toll, wieder hier zu sein. Wir
spielten hier in all den Jahren immer wieder, und es ist
toll, hier zu sein.
RR: Ich habe gehört, dass ihr das Konzert von gestern
absagen musstet. Wieso?
BI: Ich bin eigentlich nicht derjenige, den du fragen
müsstest. Du müsstest den betreffenden
Konzertveranstalter fragen. Das passiert aber von Zeit
zu Zeit. Ich meine, es gibt auf jeder Tour ein paar
Konzerte, die abgesagt werden müssen. Aber es ist
nichts, worüber wir lange nachdenken. Das war bloss eine
abgesagte Show. Das war keine grosse Sache und wir
werden das Konzert in Mannheim bald nachholen. Wir
freuen uns darauf. Wir versprechen, dass wir da dann
spielen werden. Aber zum Teil liegt es nicht an uns,
wieso ich mir darüber auch keine Gedanken mache.
RR: Du hast gesagt, dass ihr in Polen das erste
Konzert in Osteuropa gespielt habt. Wie sieht es mit
Asien und Südamerika aus?
BI: Im Moment haben wir zwei Konzerte dort geplant.
Eines wird in Rio de Janeiro stattfinden und danach
werden wir nach Argentinien und Ecuador fliegen. Bei uns
laufen also im Moment in Südamerika einige Sachen.
MF: Deutschland scheint ja einer eurer Hauptmärkte zu
sein. Wieso gerade Deutschland?
BI: Als Molly Hatchet frisch angefangen hatten, da war
es eine amerikanische Band aus den Südstaaten der USA.
Niemand wusste, dass das eine Southern-Band werden
würde, weil wir einfach aus dem Süden kamen. Und dann
hat jemand dieses Wort „Southern Rock’n’Roll“ kreiert.
Die Musik hat sich dann über ganz Amerika und Kanada
ausgebreitet und sie begann ebenfalls in Europa Fuss zu
fassen. Und etwa vor 20 Jahren begannen wir, in Europa
Konzerte zu spielen. Wir kamen dann bei der Plattenfirma
SPV unter Vertrag. Die haben dafür gesorgt, dass die
Band immer wieder Alben aufgenommen hat und auch
Konzerte spielte. Die haben uns ins Radio gebracht und
alles. Und das ist etwas, was ich gerne sagen würde.
Ich weiss nicht, ob das viele andere Bands ebenfalls
sagen oder nicht: Aber es braucht mehr als nur Molly
Hatchet. Es braucht mehr als nur die Musik, es braucht
mehr als nur die Fans. Es braucht auch die Medien. Es
braucht jeden, also alle zusammen, damit sowas wie bei
uns passieren kann und damit wir eine Tournee durch die
Welt machen können. Es braucht alle, damit wir diese
Musik Jahr für Jahr den Leuten bringen können. Es ist
nicht nur eine Person, es ist nicht nur eine Band, es
braucht viel Einsatz von vielen verschiedenen Leuten und
ich möchte diese Gelegenheit dafür nutzen, allen zu
danken. Wir haben mitgeholfen, den Southern Rock hier in
Europa bekannt zu machen. In Deutschland, wo SPV zu
Hause sind, haben wir alle Alben aufgenommen. Das ist
mittlerweile unser zweites Zuhause. Oli Hahn von SPV ist
seit 20 Jahren mein Freund. Er hat sowohl in guten wie
in schlechten Zeiten zur Band gehalten. Und wir haben
erst gerade wieder bei SPV unterschrieben. Wir werden
noch weitere Alben aufnehmen und rausbringen. Aber im
Moment konzentrieren wir uns auf die „Justice“-Tour.
RR: Du sagst, dass Oli euch in guten und schlechten
Zeiten beigestanden ist. Ist das auch der Grund, wieso
ihr jetzt zu SPV steht, wo es ihnen nicht so gut geht?
BI: Es gibt etwas, worauf dort, wo ich herkomme, aber
nicht nur dort, viel Wert darauf gelegt wird: Nämlich
Loyalität. Also wenn jemand zu dir hält und viel
Interesse gegenüber dem zeigt, was du tust und mit dir
durch Dick und Dünn geht, egal was gerade los ist, dir
hilft und mit dir zusammen auf dieser Achterbahn fährt.
Wir werden SPV nicht verlassen. Egal was passiert.
Kriegen wir andere Angebote? Ja. Gehen wir darauf ein?
Um Gottes willen nein („Hell, no!“)! Wir bleiben bei SPV.
Wie ich bereits gesagt habe ist Oli mein Freund. SPV
sind in Schwierigkeiten, die werden sie lösen und dann
wieder weiterfahren. Ich hatte ebenfalls Probleme. Und
die sind bei mir geblieben und haben mich auch in der
Zeit unterstützt, als es mir schlecht ging.
Beim letzten Album habe ich etwa in der Hälfte der
Aufnahmen meine Frau verloren. Während „Warriors of The
Rainbow Bridge“ ist sie gestorben. Und das in der Mitte
der Produktion, wo ich nach Europa kommen musste, um die
Aufnahmen zu beenden. Mir war es plötzlich egal, ob wir
das Album fertig aufnehmen würden oder nicht. Ich wusste
nicht, ob ich je wieder etwas schreiben würde und wollte
auch nicht mehr live spielen. und wollte auch nicht mehr
damit Fortfahren, die Musik zu den Leuten zu bringen.
Aber SPV sind mir in dieser Zeit beigestanden, und sie
haben verstanden, dass Menschen echte Lebewesen sind,
welche Herzen haben und dass diese durch gute und
schlechte Zeiten gehen. Und ich habe das auch bei SPV
erkannt. Wir könnten das alles ohne sie nicht machen.
Die Loyalität wiederspiegelt sich darin. Und egal durch
was die noch gehen werden müssen, wir werden bei SPV
bleiben, bis die uns nicht mehr wollen. Um das geht es
beim Album „Justice“.
RR: Und am Ende des Tages kannst du zufrieden
schlafen gehen, weil du weisst, dass das richtig war,
was du getan hast?
BI: Es ist genauso. Ich meine, du musst mit dir selber
leben können. Du kannst nicht umhergehen, und den Leuten
Schaden zufügen. Darum geht es auch auf dem „Justice“-Album.
Das „Justice"-Album ist entstanden weil… (holt aus) Als
meine Frau vor sieben Jahren gestorben ist,
interessierte mich nichts mehr, was mit der Band zu tun
hatte. Ich glaubte nicht daran, noch weitere Alben
aufzunehmen. Und ein paar Jahre später waren wir in
einer komplett anderen aber ähnlichen Situation. Wir
wurden von einem Fund-raiser angerufen wurden. Da geschah
ein schlimmes Verbrechen an Somer Thompson. Sie wurde
misshandelt, ermordet und in den Müll geworfen. Sie war
sieben Jahre alt und auf dem Weg von der Schule nach
Hause, als ein Fremder ihr auflauerte. Es ist das erste
Mal in der Geschichte unseres Bezirks (County), das so
was passiert ist und er hat das kleine Mädchen ermordet.
Wir waren in Orlando und die haben uns angerufen und
gefragt, ob wir nicht für die Familie des ermordeten
Mädchens Geld sammeln wollten. Weil.. schaut mal, sie
war erst sieben Jahre alt. Keine Eltern auf dieser Welt
haben zu dem Zeitpunkt Geld dafür, ihre Tochter zu
beerdigen. Niemand denkt an sowas. Ich meine, sie war
sieben Jahre alt, und die Eltern brauchten das Geld für
Schulkleider, Essen und ähnliche Sachen. Aber sicher
nicht Geld, um ihre Tochter zu beerdigen.
Die haben uns also angerufen und gesagt, dass sie meine
Hilfe bräuchten. Ich lebe in dieser Gemeinde. Da bin ich
aufgewachsen, in Jacksonville/Florida. Ich hatte die
Familie vorher noch nie getroffen, aber ich erhielt
diesen Anruf, als ich in Orlando war und im Hard Rock
Café gespielt habe. Die haben mich an diesem Nachmittag
angerufen und gesagt: „Hör zu, wir wissen, dass du heute
Abend ein Konzert spielst, aber kannst du zurückkommen
und die Somer Thompson-Stiftung unterstützen? Sie haben
ihren Körper gefunden und die Familie braucht deine
Hilfe.“ Und ich versprach, dass ich kommen würde. Ich
bin die ganze Nacht durchgefahren, um den Foundraiser zu
treffen. Ich ging in mein Haus. Und behaltet im
Kopf, dass ich alleine bin. Meine Eltern sind tot, ich
habe keine Kinder, meine Frau ist tot, ich lebe alleine.
Ich ging in meinen Dachstock. Es war vier, fünf oder
sechs Uhr am Morgen, nach dem ich von Orlando
zurückgefahren war. Und ich habe dort drei Boxen mit
Dingen gefunden, welche meine Frau für mich gesammelt
und aufbewahrt hatte. Ich wusste davon nichts. Aber über
all die Jahre habe ich alles verschenkt. Ich würde nicht
mal eine Molly Hatchet-CD zu Hause haben. Weil ich diese
verschenkt habe. Sie hat also verschiedene Dinge
gesammelt und sie für mich aufbewahrt, ohne dass ich es
wusste. Dinge, die mich wahrscheinlich später im Leben
gereut hätten, dass ich sie weggegeben habe. Und ich
ging gerade auf diese Schachteln zu, die ich vorher noch
nie gesehen hatte. Hör’ was ich sage, ich hatte vorher
diese Schachteln noch nie gesehen. Und da waren hunderte
von Sachen drin, hunderte von Dingen. Mein Dachstock ist
ziemlich gross. Und zuoberst in der Schachtel war eine
Brief, auf dessen Umschlag stand: „Für meinen Ehemann.
Zu öffnen an einem regnerischen Tag.“ Und ich habe ihn
geöffnet und fand darin den schönsten Brief, den
Stephanie je für mich geschrieben hatte. Ich möchte
jetzt nicht über den Inhalt sprechen. Aber halten wir
einfach fest, dass da Dinge drin waren, die für mich
wichtig waren.
Es war an einem regnerischen Tag, als ein sieben Jahre
altes Mädchen ermordet wurde. Und an diesem Morgen, als
ich die Schachteln auf dem Dachstock entdeckt habe,
regnete es ebenfalls. Ich habe 40 Sachen genommen und
diese in einer Auktion versteigert. Wir lösten daraus
20’000 Dollar, um ihren Eltern zu helfen. Das FBI hat
mich und die Band zu Dina Thompson gefahren, das ist
ihre Mutter. Wir hatten uns vorher noch nie getroffen
und haben dann miteinander gesprochen. Ich denke, ihr
wurde vom FBI im Vorfeld von meiner Situation erzählt.
Und ich erfuhr vorher von ihrer Situation mit ihrer
Tochter. Ich habe mit ihr gesprochen und gesagt: „Hör
zu, ich weiss, wie es sich anfühlt alleine zu sein. Und
ich weiss, wie es sich anfühlt, Hilfe zu brauchen. Ich
weiss, wie es sich anfühlt, alleine zu sein.“ Sie war
alleine. Und ich sagte ihr: „Ich werde dich nicht im
Stich lassen. Ich werde bei dir sein. Ich werde dir
helfen.“ Und ich tat das.
Wir haben ein grosses Benefiz-Konzert veranstaltet. Wir
haben die Somer Thompson-Stiftung gegründet. Wir haben
dieses Album ihr gewidmet. „Fly On A Wings Of An Angel“
war das Lied, das wir für ihre Familie geschrieben
haben. Und ihre zehn Jahre alte Schwester singt bei dem
Lied mit. Ihre Mutter Dina hat mir diesen Armring
gegeben, denn ich seither nicht mehr abgenommen habe
(zeigt auf seinen rechten Unterarm). Und wir bleiben am
Ball. Ich habe erst heute Morgen mit ihr gesprochen. Sie
macht seit diesem 9. Oktober 2009 eine wirklich harte
Zeit durch. Natürlich hat sie eine harte Zeit. Sie wird
nie wissen, wie es ist, ihre möglichen Grosskinder von
Somer zu sehen. Sie wird nie sehen, wie Somer die Schule
abschliesst und sie wird nie sehen, wie Somer glücklich
mit anderen zusammen ist. All dies wurde ihr
weggenommen. Und das ist in etwa das, um was es auf dem
„Justice“-Album geht. Wir gingen dann ins Studio um die
Vorproduktion zu machen. Wir waren dann sehr schnell an
diesem Tag. Wir haben dieses Album sehr schnell
geschrieben. Die Texte wurden fantastisch, die Musik
wurde toll. Und das alles passierte sehr schnell.
RR: Wie viel Einfluss hatte den Tommy Newton auf das
neue Album?
BI: Ich hatte Tommy vorher noch nie getroffen. Das war
das erste Mal, dass ich ihn getroffen hatte. Und das
Album war bereits geschrieben.
RR: Ich meine mehr von der Produktionsweise her. Ihr
habt ja die analoge Aufnahmetechnik geschätzt.
BI: Ich habe das Album produziert. Tommy sass am Pult.
Er kam mit grossartigen Sounds. Er kam mit Dingen, die
für uns wirklich innovativ sind. Er hat ein tolles
Studio in Hannover. Wir haben da alles aufgenommen. Wir
hatten eine gute Zeit zusammen. Und so hat sich „Justice“
entwickelt. Wir hatten bereits ein anderes Album
geschrieben, bevor die Sache mit Somer Thompson kam. Ich
besitze eine kleine Box, in der ein ganzes weiteres
Album drin ist, und für welches wir bald die
Vorproduktion machen wollen. Ich habe diese aber bisher
nie genommen. Und wir haben das „Justice“-Album in nur
fünf Tagen neu geschrieben. Dieses Album haben wir also
in nur fünf Tagen geschrieben.
MF: Wie lange braucht ihr denn sonst um ein Album zu
schreiben?
BI: In etwa dieselbe Zeit. Aber diesmal war es wirklich
sehr speziell.
MF: Wir müssen leider bereits aufhören. Letzte Frage:
Wie verbringst du Weihnachten?
BI: Das ist nett, dass du fragst. Ich werde Weihnachten
zu Hause ganz alleine verbringen. Da ist niemand, der
auf mich wartet. Und am nächsten Tag werde ich Armen und
Obdachlosen Suppe aus-schenken. Und darum geht es ja an
Weihnachten, dass wir uns gegenseitig helfen.
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