Gitarrenspiel auf unromantisch
hohem Level.
Es dauerte etwas, bis Mr. Big mit einem neuen Album um die Ecke
kamen. Drei Jahre zwischen „What If…“ und „…The Stories We Could
Tell“. Eigentlich eine kurze Zeitspanne in der heutigen Zeit, aber
es war anders geplant. Schlagzeuger Pat Torpey leidet an der
Parkinson Krankheit und benötigte länger, um seine Parts im Studio
„einzuspielen“. Das Schöne daran ist, dass Sänger Eric Martin,
Gitarrist Paul Gilbert und Bassist Billy Sheehan NIE daran dachten,
ihren alten Weggefährten gegen einen anderen Trommler auszutauschen.
Sie hielten zu ihm. Auch auf der Tour war Pat dabei, spielte einige
Percussion-Parts und wurde am Schlagzeug durch den Ace
Frehley Drummer Matt Starr ersetzt. Paul Gilbert erzählte, wie es zum
neuen Album kam.
MF: Paul, bist du zufrieden mit „…The
Stories We Could Tell“?
Paul: Absolut. Es war ein
kleines Abenteuer, da Pat mit seiner Krankheit uns nicht so zur
Verfügung stehen konnte, wie wir uns alle das erhofften. Das war
eine physische Challenge. Wir hatten den Zeitdruck das Album
abzugeben und einen Freund, den wir unterstützen wollten. Es war
sehr erfreulich zu sehen, wie Pat mit der Zeit immer besser wurde.
Nun ist er auch mit uns auf Tour und spielt bei einigen Songs mit.
Wir dachten nie daran, dass dies noch möglich sei. Aber es ist
absolut fantastisch! Für das Album haben wir verwendet, was Pat
schrieb und haben einiges dann durch einen Drumcomputer eingespielt.
Aber er war involviert in den kompletten Aufnahme- und
Songwritingprozess. Du weisst, die Art wie Pat spielt, ist nicht so
einfach. Alle haben ihren Teil dazu beigetragen, die neuen Lieder zu
komponieren. Das war im Alleingang, aber auch in Kombinationen der
Musiker.
MF: Bedingt durch die Krankheit von Pat, denkt man
da selber mehr über sein Leben nach?
Paul: Ja, das ist wirklich so! Diese Krankheit hat das Leben von Pat
verändert. Wir wissen nicht, wohin dies noch führen wird, aber wir
sehen, was es aus Pat gemacht hat. Das Wichtige ist, dass er das
Beste aus der Situation macht und ein Vorbild für uns alle ist. Das
ist sehr inspirierend für uns. Es war die erste Frage an ihn, als er
uns mitteilte, dass er an Parkinson erkrankt ist. „Was ist noch
möglich, was kannst du noch machen?“ Das ist ganz menschlich, man
möchte helfen, weiss aber nicht, ob diese Hilfe gewünscht ist. Seine
Antwort: „Alles was mir der Moment möglich macht, kann ich tun“
(lachend). Billy hat dann in einer Jamsession in L.A. unseren neuen
Schlagzeuger gefunden. Matt ist stark mit Pat verbunden. Bei den
ganzen Proben war Pat vor Ort und die beiden haben sich ausgetauscht,
wie gewisse Parts zu spielen sind. Die beiden sind dicke Freunde
geworden und Matt erledigt nun einen grossartigen Job!
MF: Nach all den Jahren, wie schwer ist es, einen
neuen Schlagzeuger in die Band zu integrieren?
Paul: Matt ist ein wunderbarer Schlagzeuger und scheut sich nicht,
Pat nach seiner Meinung zu fragen, wie die Parts zu spielen sind.
Wir haben längere Bandproben gemacht, damit Matt sich in die Lieder
einleben konnte. Der Vorteil für ihn war, dass das Urmitglied ihm
zeigen konnte, wenn etwas nicht klappt, wie es zu spielen ist.
MF: Welche Geschichten wollt ihr uns mit dem neuen
Album erzählen?
Paul: Das müsstest du Billy fragen,
er ist der beste Geschichtenerzähler (lachend). Für mich selber...,
ich bin keine romantische Person (lacht). Ich konzentriere mich auf
meine Arbeit auf einem hohen Level. Da will ich keine romantischen
Geschichten erzählen, auch wenn ich sie automatisch erlebe (lacht).
Aber mein Fokus liegt darauf, wie der Song zu klingen hat und wie
mein Spiel tönt. Die meisten meiner Erinnerungen beziehen sich
darauf, wie ich Gitarre gespielt habe. Ich mag auch beides, im
Studio neue Lieder zu komponieren und auf der Bühne zu stehen.
Momentan geniesse ich mein Leben. Wir haben diese neuen Lieder und
spielen fünf davon jeden Abend auf Tour. Damals, als ich begann mit
dem Gitarrenspielen, wollte ich so gut sein wie meine Helden. Heute
ist es mir bedeutend wichtiger zu improvisieren. Auf der Bühne hat
man viel Zeit dazu. Da spielt es keine Rolle, wie der Song damals im
Studio eingespielt wurde. Klar halte ich mich an einen roten Faden,
aber zusammen mit Billy und Matt habe ich die Möglichkeit, viele
Dinge anders zu spielen, weil ich es auf der Bühne gerade so fühle.
Allerdings ist es für mich noch immer wichtig, neue Songs zu
schreiben. Wir haben vier starke Songschreiber in der Band. Es macht
immer Spass, seiner Kreativität freien Lauf zu lassen und es ist
spannend zu sehen, was dabei mit den anderen entsteht. Es
interessiert mich auch nicht, wie viel Geld ich mit einer neuen
Platte verdiene. Das ist der Job des Managers (lacht). Meine Arbeit
ist es Gitarre zu spielen (noch immer lachend). Seit ich 18 Jahre
alt bin, bin ich Musiker und hatte nie einen Tagesjob.
MF: Waren die Hits „To Be With You“ und „Wild World“
ein Segen oder ein Fluch?
Paul: Absolut ein Segen! Ich liebe es, diese Lieder zu
spielen. Als ich klein war, wollte ich immer Sänger werden. Meine
Helden waren die Beatles und die Rolling Stones. Ich liebe den 60er
Jahre Pop. Die Gitarre interessierte mich damals nicht. Ich liebte
meine Stimme sehr. Ich sang zu den Songs aus meinem Taperekorder,
aber es schien, dass der Gesang nur mir gefiel. Aus diesem Grund
entschied ich mich, dass ich nur noch die Harmonien und im
Background singen werde (lacht). Das hat mich sehr frustriert, dass
niemand meine Leadvocals mochte. So stieg ich auf die Gitarre um.
Meine Lieblingsmusik ist der Pop aus den 60er und 70er Jahren. Ich
liebe den Gesang und diese tollen Harmonien, diese Chöre. Mein
bester Lehrer für die Gitarre waren meine Plattensammlung und meine
Ohren. Ich hörte zu, spielte nach und in meinem Kopf entstanden neue
Harmonien und Riffs. Die ersten Jahre spielte ich die Lieder meistens
nur auf einer Saite. Zu hören wie der Ton ist oder wie die
Technik sein muss, war sehr inspirierend.
MF: Wieso hast du dich 1997 von Mr. Big getrennt?
Paul: Von Beginn weg haben wir hart für den Erfolg
gearbeitet. Wenn du nach acht Jahren mit den gleichen Leuten den Bus
verlässt, merkst du plötzlich, was sich alles verändert hat. Dein Kopf
wird dabei explodieren (lacht). Du sitzt mit den Jungs zusammen,
kommst nicht zum Durchatmen, es muss immer weiter gehen und du merkst
nicht, was mit dir, deinen Freunden und der Band passiert. Wir alle
hätten eine Pause benötigt. Ich wollte meine grosse Liebe, das
Singen voran treiben. So versuchte ich, was ich liebte und merkte
plötzlich, was möglich war. Ich habe es mit meinen Soloscheiben
versucht und glaub mir, es gibt viele bessere Sänger, als ich es
bin, aber ich hatte eine Menge Spass dabei! Der Grund, wieso ich zu
Mr. Big zurück gekehrt bin… Es ist eine grossartige Band. Immer wenn
ich mit meiner Gitarre aufgetreten bin, haben sich die Fans an Mr.
Big erinnert. Ich musste mich immer der gleichen Frage beantworten:
„Wann gibt es was Neues von Mr. Big?“ In meinem Kopf wusste ich,
dass trotz allem was vorgefallen war, dass ich die Band und die
Jungs liebte. Mit der Zeit stellte ich mir diese Frage selber. Wieso
nicht? Wieso starten wir nicht ein Comeback und versuchen wieder
eine Band zu sein? Das Gefühl erinnerte mich an die spassigen
Momente mit den Jungs. Als ich das gleiche Gefühl in meinem Herzen
trug, wusste ich, dass die Zeit reif war für eine Reunion. Ich trat
mit ihnen wieder in Kontakt, wir hielten Jamsessions ab und sie
schauten sich meine Solo-Shows an. Es fühlte sich nach Spass an
und wir kamen zurück!
MF: Hast du Angst davor, dass die alten
Probleme wieder ans Tageslicht kommen könnten?
Paul: Wir kennen uns mittlerweile sehr gut. Bevor so etwas passiert,
machen wir eine Pause. Wir wissen was zu tun ist und was zu
unterlassen ist.
MF: Was sind deine Pläne für die Zukunft?
Paul: Momentan bin ich sehr erfreut über mein Gitarrenspiel. Aus
diesem Grund liebe ich es, mein Wissen als Lehrer weiter zu geben. Das
Ganze passiert übrigens online. Den Leuten zu zeigen, welche Details die
Gitarre zu bieten hat, ist grossartig! Jeden Tag, an dem ich dies
mache, nehme ich ein neues Video für meine Schüler auf und es
existieren über 2000 Stück aus den letzten zwei Jahren. Da sind
Dinge von meinen Solo-Scheiben dabei, Mr. Big oder auch Racer X.
MF: Paul, danke für die Zeit, die du dir genommen
hast.
Paul: Danke für dein Interesse. Wir haben
uns das erste Mal doch bei einer Solo-Show von mir gesehen…
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