Neal Morse, neben Arjen Lucassen für mich der kreativste
Prog-Komponist der Gegenwart. Ob mit Spock's Beard, Transatlantic,
mit der Neal Morse Band oder wie an diesem Abend mit Flying Colors,
überall hinterlässt der sympathische Amerikaner unüberhörbare
Spuren. Für mich ein Muss, sich den Multiinstrumentalisten (Neal
spielt Gitarre, Bass, Drums, Keyboard und singt) zu interviewen.
Nach einigen organisatorischen Problemen, die sich zum Glück dank
Mithilfe des Z7-Teams und des Tour-Managers dann gelöst haben,
wartete ich etwas nervös auf den Meister vor dem kleinen Büro des
Z7, das aber kurz vor dem Inti von Mike Portnoy in Beschlag genommen
wurde mit den Worten "we just need a minute", und dann doch noch
rechtzeitig frei wurde, um mit Neal zusammen darin zu verschwinden.
Also, los geht's!
MF: Hallo Neal, wie geht's dir?
Neal: Gut, ich hatte einen tollen Tag, bin hier den Fluss entlang
gelaufen, ist das der Rhein hier?
MF: Ja genau, das ist der Rhein.
Neal: Ja, der fliesst ja auch durch die Lorelei und Koblenz.
MF Genau. Neal, das ist das vierte Mal, dass ich dich hier im Z7
sehe...
Neal: Ha ha, ich weiss nicht, wie oft ich hier gespielt habe.
MF: Ja, aber mit vier verschiedenen Bands, ich frage mich, was
wird wohl die fünfte sein?
Neal: Ha ha. Lass mich zählen: Spock's, Transatlantic, meine Band,
heute Flying Colors, ja du hast Recht.
MF: Du warst in den letzten Jahren sehr kreativ, wo nimmst du all
die Energie her?
Neal: Nun, für mich ist Gott die Quelle aller Kreativität, und das
Grossartige dabei ist, dass sie niemals versiegt. Da kommt immer
mehr. Als ich das «Light»-Album von Spock's Beard geschrieben habe,
dachte ich: „Nun, was kann ich jetzt noch machen, um das zu toppen?“
Nun, ich habe sowieso nach jedem Album das Gefühl, dass ich keine
Ideen mehr habe, aber Gott gibt mir immer wieder neue Inspiration,
so gibt es keinen Grund aufzuhören, solange er mir diese Ideen gibt.
So kann man ewig weiter machen, wie gesagt, daher kommt meine
Inspiration.
MF: Wie haben Flying Colors eigentlich zusammengefunden?
Neal: Nun, hier sind zwei Dinge, die passiert sind. Als Erstes hat
ein guter Freund von Steve Morse und mir, Bill Evans, der für uns
beide PR-Arbeiten gemacht hat, angerufen. Er teilte mir mal mit,
dass Steve interessiert wäre, mal Songs mit mir zu schreiben und ich
war auch daran interessiert, mit Steve zusammen zu spielen. Aber für
eine lange Zeit kam dies nicht zustande. Unsere Agenden liessen dies
halt nicht zu, aber schlussendlich hat es dann doch noch geklappt -
das ging folgendermassen: Bill kontaktierte mich und teilte mir mit,
dass Steve zwei Tage Zeit hat, aber er könne nicht nach Nashville
kommen, ob es mir aber möglich wäre, nach Florida zu fliegen (ha
ha). Nun, ich habe mir dann ein Last Minute-Ticket gekauft und anschliessend
am Flughafen ein Auto gemietet - nach zwei Stunden Autofahrt war ich
dann schlussendlich bei Steve. Wir haben dann diese zwei Tage
genutzt, um zu schreiben, und es war echt gut und auch spirituell.
Nun, es war eigentlich Bill's Idee, eine spezielles Progprojekt –
(hält inne) - hmm, ich weiss nicht, ob man das Prog nennen kann,
vielleicht eher ein "High End Musical" mit Songs, die auch
radiotauglich sind, zu komponieren, vielleicht mit ein bisschen mehr
Mainstream, so wie Kansas früher waren. Das war Bill's Vision. Steve
und ich sagten uns aber, lass uns das alles vergessen und einfach
Songs schreiben, so wie wir fühlen. Wir kamen dann alle zusammen, um
die Songs einzuspielen, so sind diese entstanden.
MF: Wie war es, mit all diesen Leuten zusammen zu arbeiten?
Ausser mit Mike, mit dem hast du ja schon viel zusammen gemacht.
Neal: Nun, wie es Mike sagen würde: Es gibt das Team Transatlantic,
mich und Mike, und das Team Dixie Dregs (Steve Morse und Dave
LaRue). Tja, was uns dann noch fehlte, war ein Sänger, und ich fand
diese Idee höchst interessant. Wenn ich das Album eingesungen hätte,
hätte es wieder nach meinen eigenen Sachen geklungen. So kam Mike
mit Casey McPherson daher, und ich habe da Mike voll vertraut. Ich
mochte Casey's Songs, die ich auf YouTube gehört habe. Und so wurde
er zum X-Faktor, was Flying Colors so einzigartig macht.
MF: Ha, ich habe nie von Casey gehört.
Neal: Ha, ich auch nicht. Aber er ist grossartig, ich liebe ihn.
MF: Übrigens, ich mag auf dem neuen Album vor allem den Song «Kayla».
Neal: Ja, der Chorus in diesem Song ist eine Verschmelzung aller
Ideen der ganzen Band.
MF: Wie ist es, mit Steve zusammen zu arbeiten?
Neal: Steve sprühte nur so vor Ideen, und diese sind auch ganz
anders als meine. Wie du vielleicht festgestellt hast, sind
praktisch alle Refrains in ganz anderen Tonarten; das ist typisch
Steve, und das macht es meiner Meinung nach so magisch.
MF: Wird es noch ein weiteres Flying Colors-Album geben - ist
Flying Colors eigentlich eine Band oder eher ein Projekt?
Neal: Nun, äh, ich denke, sagen wir mal es ist eine Side
Project-Band.
MF: Was, eine Side Project-Band?
Neal: Ja, ich denke, wahrscheinlich werden wir ein weiteres Album
aufnehmen. Das Ganze hängt natürlich von der Zeitplanung ab.
MF: Tja, wenn Steve Zeit hat; er ist ja sehr viel mit Deep Purple
unterwegs.
Neal: Ja, und Mike ist sehr beschäftigt, und ja, ich habe auch noch
einiges vor (schelmisches Grinsen).
MF: Nun, lass uns über «Momentum» reden. Da gibt es den Song «Thoughts
Part 5». Wo sind denn die Teile 2, 3 und 4?
Neal: Ha ha ha ha. Part 2 ist auf der Spock's Beard "V".
MF: Oh ja, natürlich.
Neal: Part 1 ist auf «Beware Of Darkness». Nun, dann haben wir halt
mit Part 5 weiter gemacht - mit Part 3 weiter zu machen wäre zu
vorhersehbar gewesen (grinst) und um die Leute zu verwundern, haben
wir halt 3 und 4 ausgelassen, ha ha ha.
MF: Man kann Parallelen zum Part 1 deutlich raus hören.
Neal: Yeah, ich fand das eine gute Idee und hab's den Jungs von
Spock's Beard geschickt, und die fanden es auch cool.
MF: Es ist unglaublich, wie viele Alben du in letzter Zeit
raus gebracht hast, «Lifeline», «Testimony 2», dann das Live-Album
und jetzt «Momentum».
Neal: Wir haben das Momentum "lass uns weiter machen, lass es uns
anpacken“, ha ha ha.
MF: Ich habe von dir nicht so schnell wieder ein neues Album
erwartet.
Neal: Nun, im Januar hatte ich den "Kick" weiter zu machen und nicht
stehen zu bleiben. Und zu dieser Zeit rief mich dann auch noch Mike an
und sagte: "Hey ich hab noch ein paar Tage frei, wollen wir zusammen
was machen?" Das musste ich einfach nutzen.
MF: Auf «Momentum» gefällt mir ganz besonders das 33-minütige
«World Without End». Wie komponierst du so lange Songs? Ist das von
Anfang an so geplant oder passiert das einfach?
Neal: Nein, nicht wirklich. Ich habe einfach mal angefangen zu
schreiben. Die Original-Version, die ich schrieb, war weniger als 30
Minuten lang. Als ich dann mit Mike und Randy zusammen war (im
Flüsterton), verlängerte es sich.
MF: Gibt es Unterschiede, ob du im Studio mit Transatlantic oder
Flying Colors arbeitest?
Neal: Es gibt sehr viele Ähnlichkeiten. Mit Transatlantic arbeiten
wir an einzelnen Parts mehrmals und nehmen sie auf Band auf und
überarbeiten sie nochmals, während wir bei Flying Color uns alle
zum Beispiel auf eine Strophe konzentrieren.
MF: Was hast du eigentlich musikalisch vor Spock's Beard gemacht?
Neal: Ich war ein Singer / Songwriter in den 70igern und 80igern in
Kalifornien.
MF: Alleine oder mit Bands?
Neal: Ja, ich spielte in diversen Bands, auch in Hard Rock-Bands.
Zudem hatte ich die Neal Morse-Band, in der wir vom Stil her Songs
wie Billy Joel oder Elton John spielten.
MF: Gibt es auch Aufnahmen aus dieser Zeit?
Neal: Kassetten! Ha ha ha...
MF: Hast Du die noch?
Neal: Ich habe noch ein paar zu Hause.
MF: Die sind ziemlich rar, die musst du behalten. Das sind gute
Erinnerungen. Hast du dir alle Instrumente selber beigebracht?
Neal: Tja, wenn du Musik liebst und in einer musikalischen Familie
aufwächst, spielst du einfach alles.
MF: Ich nehme an, deine Eltern haben dich supportet?!
Neal: Ja, sie haben extra ein Haus gekauft mit einem Musikraum, wo
wir jederzeit üben und spielen konnten.
MF: Mit welchem Instrument hast du angefangen?
Neal: Mit fünf begann ich, Piano zu spielen, und mit neun wechselte
ich zur Gitarre. Wir haben dann viel miteinander gejamt, ich habe
Schlagzeug gespielt und wir haben jeweils die Instrumente
gewechselt.
MF: Du und dein Bruder Alan?
Neal: Ich, Alan sowie mein anderer Bruder Richard, und mit
verschiedenen Freunden, die jeweils vorbei kamen, jammten wir den
ganzen Tag lang.
MF: Was machst du eigentlich, wenn du nicht gerade etwas mit
Musik zu tun hast?
Neal: Ich verbringe sehr viel Zeit mit meiner Familie. In den
letzten Ferien waren wir auf einem Camping-Trip von Seattle nach San
Francisco, alles der Küste entlang.
MF: Ach ja, der Highway 101?
Neal: Ja genau, Highway 101. Wir campierten in den Redwoods, das war
im Juni. Dann waren wir noch ein Woche in Boston, da mein Sohn in
einem Jugend-Chor singt. Sie traten in Harvard und Yale auf, und es
war grossartig. Zudem fahre ich noch Ski und spiele viel Tennis.
Siehst du meinen Tennisellbogen? (Neal zeigt mir seinen
eingebundenen Ellbogen)
MF: Singt dein Sohn auf der «Momentum»-CD im Background beim
Kanon von «Thoughts 5»?
Neal: Ja, das ist mein Sohn Wil, der da mitsingt, er ist sehr
begabt.
(Na ja, bei diesem Vater, Anm. d. Verf.)
MF: Erinnerst du dich noch an die Zusammenarbeit mit Arjen
Lucassen?
Neal: Ja klar, es war toll, mit ihm zu arbeiten. Er kam zu mir nach
Kalifornien ins Studio. Wir spielten ein paar Stunden zusammen und
hatten viel Spass, Ich sang auf dem «Universal Migrator»-Album mit.
MF: Was denkst du eigentlich über die Musikszene und deren
Zukunft?
Neal: Nun, ich weiss nicht. Ich bin für den momentanen Zustand
dankbar. Ich weiss nicht, wie es mit dem Musikbusiness weitergehen
könnte. Was ich nicht gut finde, ist, dass die Leute Musik kostenlos
downloaden können und der Künstler bekommt überhaupt nichts. iTunes
ist gut, die zahlen jeden Monat und zudem noch eine gute Tantieme,
darum unterstützt iTunes, und wenn ihr meine CDs direkt von meinen
Label kauft, verdiene ich so am meisten (grinst). Die CD wird es
wohl in Zukunft nicht mehr geben, aber interessanterweise kommt das
Vinyl wieder zurück.
MF: Machst du in Zukunft wieder mal was mit deinem Bruder Alan?
Neal: Wir schreiben im Moment zusammen Songs für das neue Spock's
Beard-Album.
MF: Letzte Frage: Wenn du nicht Musiker wärst, was würdest du für
deinen Lebensunterhalt tun?
Neal: Oh, was wäre ich geworden, hmm..., wahrscheinlich Musiklehrer,
ich wäre aber kein guter Lehrer geworden, vermute ich. Musik
komponieren und spielen ist das, worin ich wirklich talentiert bin.
MF: Hey Neal, ich danke dir, dass du dir die Zeit genommen hast
für mich.
Neal: Gern geschehen, geniesse die Show heute Abend.
Unser Beat mit Neal Morse >>>
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