Interview: Paradise Lost
By Toby S., almost all pics by Corina S.
Gegen Ende September vergangenen Jahres erschien das nunmehr 12. Album der Gothic Metal-Urgesteine aus dem sonnigen England, und wie es sich gehörte kam der Fünfer (mit einem neuen Drummer am Start) während der Tour auch in die Schweiz, genauer gesagt zuerst ins Salzhaus in Winterthur und dann nach Solothurn ins Kofmehl. Am Donnerstag, dem 18. Februar 2010, war es dann soweit, wobei sich Metal Factory natürlich nicht die Gelegenheit nehmen liess, einige Fragen an den Lead-Gitarristen Greg Mackintosh (GM) zu richten.

MF: Zuerst einmal herzlich willkommen in der Schweiz! Ich hoffe, alles ging soweit glatt und ihr hattet eine gute Anreise.


GM: Danke schön. Wir hatten letztens einen Unfall und mussten die Shows in Rumänien absagen.

MF: Einen Unfall? Es wurde doch hoffentlich niemand verletzt?

GM: Nein nein, der Bus mit dem ganzen Equipment kam von der vereisten Strasse ab und landete im Graben, der Fahrer wurde ein wenig durchgeschüttelt aber es ging nichts verloren. Ist halt so, wenn das Wetter wie momentan in ganz Europa nicht so toll ist, um gross herumzureisen. Dass wir die Shows absagen mussten war ziemlich frustrierend, aber das ist eben so – Tourleben mit all seinen Tücken. Ich meine, in England kennen wir ausser Regen und Schnee nicht viel anderes, und ich mag es irgendwie.

MF: Ok, lass uns doch ein wenig über die Tour reden. Wie lief es denn bisher?

GM: Nun, es ist schon ein komisches Gefühl, wieder auf Tour zu sein, ich war ja knapp 3 Monate nicht mehr mit den Jungs unterwegs (Greg brach einen Teil der Europatournee wegen seinem Vater ab, der unter einer schweren Krankheit litt und in deren Verlauf verstarb, Anm. d. Int.), aber es ging alles ziemlich gut, obwohl wir nicht mehr zusammen geprobt hatten. Ich war aber dennoch ziemlich nervös, als dann die Shows für mich wieder losgingen.

MF: Trotz der Tatsache, dass du nun schon seit mehr als 20 Jahren (!) in der Band spielst, bist du noch vor Auftritten nervös?

GM: Ja schon, ich meine, es ist ja auch nur natürlich. Wenn du vor Auftritten nicht nervös bist, dann machst du etwas falsch, es bedeutet für mich, dass du dich dann gar nicht mehr darum kümmerst, ob eine Show gut läuft oder nicht, ergo gibst du dann auch weniger Einsatz. Ich persönlich halte es lieber so, dass ich zwar nervös bin, mich aber dann umso mehr anstrenge, um meinen Teil so gut wie möglich rüberzubringen.

MF: Du würdest das also schon fast als eine treibende Kraft bezeichnen?

GM: Ja schon, aber mehr noch würde ich es als den eigentlichen Grund bezeichnen, weshalb ich dies alles mache und nicht etwas komplett anderes. Ich meine, wenn es mich kümmert, dann ist es mir wichtig, und wenn dem nicht so wäre, dann müsste ich damit aufhören.

MF: Nicht jeder Musiker würde zugeben, dass er vor einem Auftritt weiche Knie bekommt, einfach aus dem Grund, dass sie nicht wollen, dass die Leute das wissen. Meistens ja auch aus dem Grund, dass sich gewisse Musiker beinahe schon als ‚übernatürliche Wesen’ betrachten, aufgrund des Status, den sie von den Fans verliehen bekommen haben.

GM: Nun, Musik an sich ist ja etwas sehr natürliches. Und ich glaube niemandem, der behauptet, er wäre vor einem Gig nicht aufgeregt. Vielleicht liege ich ja falsch, aber es erscheint mir dann einfach, dass es dich dann nicht kümmert, ob du nun einen guten Auftritt hinlegst oder nicht.

MF: Wie viele Shows habt ihr denn inzwischen schon wieder miteinander gespielt?

GM: Das waren einige wenige, 6 wenn ich mich richtig erinnere, und es wären ja noch mehr gewesen wenn der Busunfall nicht dazwischen gekommen wäre, somit hatten wir beinahe eine Woche lang Verzögerungen im Programm. Heute Abend ist es somit die erste Show nach dieser Pause. Danach geht es ja ab Richtung Australien, und dann… Nun, schauen wir mal, was da sonst noch so alles kommt.

MF: Ok, kennst du die Gruppe, die vor euch spielen wird? Samael?

GM: Ja klar kenne ich die Jungs, praktisch so lange schon, wie ich die anderen Bandmitglieder kenne. Angefangen hat dazumals, in den späten 80ern, ja alles mit dem Tape-Trading, so kamen wir miteinander in Kontakt. Wir haben schon mehrmals zusammen gespielt und treffen uns auch ab und zu mal, wenn wir in derselben Gegend sind. Wir verstehen uns ziemlich gut, was durchaus auch seine Vorteile hat.

MF: Kann ich mir denken. Es ist um einiges angenehmer, wenn man weiss, wie die Band, mit der man zusammen spielen wird, beispielsweise das Equipment behandelt oder generell mit den Leuten umspringt, spricht was man für eine Gesinnung an den Tag legt.

GM: Wir haben es ja auch schon mit Bands zu tun gehabt, welche die Leute in einer Art und Weise behandelt haben, die uns nie in den Sinn käme. Oder wenn sie Sachen zerstören… Ich denke mal, das kommt dann meistens daher, dass die Leute in der Band noch ziemlich jung sind und Sachen tun wollen, damit sie die Umgebung schockieren oder provozieren können.

MF: Du willst doch nicht etwa behaupten, ihr hättet das dazumals, als ihr frisch angefangen habt, nicht auch getan?

GM: Nein, das nicht, aber bei uns war das irgendwie anders. Weißt du, wenn du 18 Jahre alt bist und dir die Leute zum ersten Mal in deinem Leben Gratisdrinks und Gratis-was-weiss-ich geben, dann kannst du deswegen schon mal ausflippen. Du freust dich enorm ab dem, was du erreicht hast, was zu Überreaktionen führen kann. Aber schlussendlich ist alles eine Frage, ob man in einem gewissen Sinne erwachsen wird oder nicht. Es gibt ja Leute, die machen nach Jahrzehnten immer noch dasselbe wie zu der Zeit, als sie angefangen haben, und es gibt wiederum andere, die das eben nicht können und auch nicht mehr wollen. Das war bei uns nicht der Fall, und heute sind ja schliesslich auch andere Zeiten. Ich meine, dazumals hätte sich doch niemand von uns träumen lassen, dass wir jemals eine CD veröffentlichen würden, wir schliefen in Nischen im Bus, zogen mehr schlechte als rechte Gigs durch, wir waren generell mehr als eine Art Punks anzusehen. Wir nahmen halt alles nicht so grausam ernst wie es die heutigen jungen Musiker machen.

MF: Ich persönlich finde es seltsam, wenn sich Leute in ihren älteren Tagen noch genauso benehmen, wie wenn sie niemals die jungen Jahre hinter sich gelassen hätten.

GM: Das ist so, aber hey: Gewisse Menschen haben dies zu ihrem Lebensunterhalt gemacht. Sie bleiben auf ewig so, wie es die anderen um sie herum gerne hätten, und dabei werden sie immer seltsamer. Sie versuchen, grausam seriös und ernsthaft zu sein, was aber ebenfalls komisch wirkt. Ich persönlich bin nicht wirklich ernsthaft, es gibt immer etwas Unterhaltsames im Leben, in allem um dich herum.

MF: Das ist wahr, irgendwie steckt in jeder Situation etwas Schräges oder Lustiges.

GM: Man sollte über alles und jeden lachen können, am besten auch über sich selbst.

MF: Ok, bevor wir uns nun in dieser Unterhaltung verlieren, kommen wir doch zum Kernthema zurück: Das neue Album. Wie war es denn, mit dem neuen Drummer Adrian Erlandsson zusammen zu arbeiten? Jeff Singer hat ja euch leider verlassen, und für das Album selbst hatte Peter Damin die Drums eingespielt.

GM: Das war in diesem Sinne kein Problem, wir haben einfach nach jemandem gesucht, den wir bereits kannten und ungefähr das selbe Alter, die selben Einstellungen zur Musik und der damit verbundenen Arbeit sowie die selbe Art von Humor hat wie wir. Jeff Walker von Carcass hat dann uns Adrian empfohlen, und klar, er spielt eine andere Art von Musik wie Jeff, mehr auf der Metal-Seite eben (Adrian Erlandsson hat schon bei Cradle Of Filth, At The Gates, Brujeria und The Haunted die Stöcke geschwungen, Anm. d. Int.), was einen frischen Wind in die Band gebracht hat. Für ihn war das eine interessante Sache, weil ja seine vorherigen Bands mehr auf die Brutalität und Geschwindigkeit des Sounds aus waren, und wir benutzen viele Elemente, die diese Bands nicht mit einbeziehen, somit war es für Adrian kein Problem, sich quasi ‚umzustellen’.

MF: Konnte er denn schon einige Inputs mit einbringen?

GM: Nein, bisher noch nicht wirklich, ich meine, er spielt im Prinzip das Material, das wir ihm gegeben haben, nichts weiter. Für ein nächstes Album dann wird er garantiert auch seine Einflüsse mit einbeziehen können. Es war aber überhaupt kein Problem für ihn, sich quasi anzupassen, und er wird immer vertrauter mit unseren Songs. Vor allem ist er ebenso umgänglich wie wir, trotz des Klischees der ‚finsteren’ Musiker, daher funktioniert alles bestens sowohl von der technischen wie auch der menschlichen Seite her. Und, was auch wichtig ist: Er kennt das Tourleben. Wir hätten niemals mit jemandem zusammen arbeiten und Konzerte geben können, der sich das nicht gewohnt ist. Auch für uns ist es nicht immer einfach, selbst nach all diesen Jahren, wobei ich immer noch erstaunt bin, dass wir als Band nach wie vor existieren, nach all diesen Ups und Downs. Man könnte hierbei auch sagen, dass sich halt so ein Bandleben in Zyklen aufteilen lässt: Es gibt eine Ära des Schreibens, des Aufnehmens und des Tourens. Das Leben zieht somit verdammt schnell an einem vorbei. Für mich und den Rest der Band ist es mehr so, dass wir halt einfach das machen, was wir können und dann schauen, was als nächstes kommt. Wir haben halt auch nicht dermassen hohe Erwartungen, die sich dann schlussendlich eh nicht erfüllen.

MF: Ihr seid also, wenn man dem so sagen darf, eher bodenständig geblieben?

GM: Ja doch, dem kann man so sagen. Menschen entwickeln halt verdammt schnell ein sehr hohes Ego, und das Beste, was man dagegen tun kann, ist, diese Leute einfach auszulachen. So halten wir uns in der Band auch auf dem Boden, wir sind eher alle ziemlich zynisch, somit ist das kein Thema.

MF: Ihr wolltet mal ein Buch herausbringen, „No Celebration“. Darin soll es ja um die gesamte Bandhistory gehen, in allen Details. Leider wurde auf der Homepage nichts mehr weiter in diese Richtung erwähnt, weißt du mehr darüber?

GM: Nun, wir wollten und wollen noch immer das Buch machen, aber da steckt verdammt viel dahinter. Es muss jahrelange Recherche-Arbeit betrieben werden, bis all die Fakten zusammengetragen und geordnet sind, und die Schreiber müssen ständig mit den Publishers sich absprechen, dazu kommen noch rechtliche Fragen etc. Da stellen sich dann auch so Fragen wie „Wer wird das Buch kaufen?“ oder „Wie viele Bücher können wir erwarten zu verkaufen?“ und so weiter, und wir wollen das Ganze aus einem eher amüsanten Blickwinkel betrachten, eher die Sachen auflisten, die schief gegangen sind oder Anekdoten von den Touren, aber da gibt es dann auch wieder Leute, die wollen das lieber auf die altmodische Art und Weise machen… Viele Konflikte, die noch gelöst werden müssen. Aber das alles ist ein Teil des Business, so wie ich das sehe, und im Moment ist es einfach so, dass wir alles gesagt haben, was wir dazu zu sagen haben respektive wir haben dargelegt, wie wir uns das vorstellen, und jetzt ist alles auf die Recherche-Arbeit konzentriert, was die eben erwähnten Dinge nach sich zieht.

MF: Was mich immer schon verwundert hat: Warum spielt ihr bei den Gigs fast nie B-Sides?

GM: Da gibt es einen ganz simplen Grund dafür: Weil es B-Sides sind. Diese Songs haben es nicht auf das reguläre Album geschafft, weil sie sich nicht ins Schema haben einfügen lassen, sie passten nicht so recht dazu. Da waren ein paar ganz gute Songs darunter, die wir ab und zu auch live spielen wie beispielsweise „Sweetness“ oder auch „Walk Away“ von den Sisters Of Mercy. Es kommt halt immer auch auf die Setlist an, wenn wir die zusammenstellen und ein solcher Song gerade in den Fluss der Musik sich einfügt, dann spielen wir den auch. Aber generell ist es halt schon so, dass wir halt auch immer schauen müssen, was denn die Leute von uns hören wollen, und das in Kombination mit dem Zusammenpassen der Tracks macht es dann aus, ob wir eine B-Side spielen oder nicht. „Sweetness“ kam halt irgendwie immer wieder mal hoch, sowohl von der Band her als auch von den Fans, und so kam es, dass wir den dann auch auf der „The Anatomy Of Melancholy“-DVD gespielt haben.

MF: Wie fühlt es sich denn für dich, die neueren, auch härteren Lieder live zu spielen?

GM: Es ist halt immer von Album zu Album verschieden, speziell in letzter Zeit, da wir wieder in die härtere Richtung uns entwickelt haben, aber generell lässt sich sagen: Es fühlt sich einfach richtig an. Wir haben bis jetzt schon so vieles ausprobiert, was eher weniger die metallische Richtung beinhaltete, und daher ist diese ‚Rückkehr“ ein vertrautes Gefühl, es ist das, womit wir angefangen haben. Musik ist ja immer auch eine Art Flucht vor der Realität, sowohl für den Musiker als auch für die Zuhörer, und eben diese ‚Flucht’ fühlt sich zur Zeit anders, aber eben auch wie eine Art besser an als vorher, und das geniesse ich.

MF: Die Zeit ist leider auch schon wieder um, aber eine kurze Frage liegt noch drin: Möchtest du den Schweizer Metal-Fans und generell den Lesern von Metal  Factory noch etwas mitteilen?

GM: Danke für euren Support und geniesst die Shows! Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, wann wir das letzte Mal zwei Gigs in einer dermassen kurzen Zeitspanne hier in der Schweiz hatten.

MF: Greg, danke dir vielmals, dass du dir Zeit fürs Interview genommen hast und viel Erfolg weiterhin.

GM: Kein Problem, danke dir.


Unser Toby (3.v.l.) mit Paradise Lost >>>