Bitte, nur egofreie
Musiker.
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Sitzt man nach dem Interview noch mit David Reece
zusammen, kommen viele Geschichten ans Tageslicht. So,
als er von Johnny Gioeli (Axel Rudi Pell, Hardline)
erzählt, als sich die beiden kennenlernten. Damals war
Johnny noch bei seiner Truppe Brunette und David stieg
gerade bei Accept ein. Die Solinger Stahlschmiede schmiss
damals Udo Dirkschneider raus, holte sich David und
erhoffte sich damit, speziell in Amerika, grösseren
Erfolg. Der dann aber bekanntlich ausblieb und viele den Schreihals als
Sündenbock abstempelten. Mister Reece widmete sich dann
Bangalore Choir, sang bei Gypsy Rose und war unter
anderem bei Ez Livin und Bonfire dabei. Der Shouter mag
vielleicht für einige ein, sagen wir mal kerniger Typ
sein. Das kann durchaus seine Berechtigung haben, aber
am Ende des Tages ist er nichts anderes als ein Sänger,
der sagt, was er denkt.
Ich erinnere mich noch,
als wäre es gestern gewesen, als er mir sagte: "Martin,
ich muss dich enttäuschen. Ich bin nicht Bonfire-Sänger
geworden, weil ich dies immer wollte und es für mich das
Grösste ist!" So ist er eben, eine ehrliche Haut, die ein
ganz grosses Herz hat. Noch immer gehört er zu den
besten Hardrock- und Metal-Sängern. Noch immer macht
seine Stimme aus einem mittelmässigen Song etwas
Spezielles, und noch immer geht er auf die Bühne, um alles
zu geben. Nach seinem Ausstieg oder war es ein
Rausschmiss bei Bonfire, gründete er zusammen mit dem
Bonfire-Gitarristen Frank Pané Sainted Sinners,
veröffentlichte zwei Alben, um im Hier und Jetzt wieder
mit seiner Solo-Truppe unterwegs zu sein.
MF:
Wieso hast du dich von Sainted Sinners getrennt?
David: Die Zusammenarbeit zwischen Frank und mir war
sehr schwierig. Er spielt auch bei Bonfire und hatte
keine Zeit mehr für uns. Dazu kamen noch einige andere
Projekte, bei denen er involviert war. Malte (Bassist von
Sainted Sinners) und ich wollten wissen, wie es mit der
Truppe weitergehen soll, da Frank sehr beschäftigt war.
Wir veröffentlichten tolle Alben, aber wenn du nach vier
oder fünf Shows schon wieder stoppen musst, macht dies
keinen Sinn. Es entwickelte sich mehr zu einem Projekt,
und ich wollte etwas Reelles haben und mehr an mich
denken (lautes Lachen).
MF: Somit war das Reformieren deiner
Solo-Band der einfachste und logischste Weg?
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David: Malte und ich wollten weiter zusammen arbeiten.
Das Label schlug uns Marco Angioni (Gitarre) und Martin
Andersen (Gitarre) vor. So begannen wir mit dem
Schreiben der neuen Songs. Es ging uns alles sehr
schnell von der Hand. Wir schrieben acht Tracks
innerhalb kürzester Zeit und hier sind wir (grinst).
Wenn wir beschäftigt sind, ist es einfach neues Material
zu schreiben. Unterbrichst du diesen Flow aber, ist es
schwer wieder den Zugang zu finden. Ich bin ständig am
Komponieren, da ich Angst davor habe, dass ich eine
Schreibblockade bekomme (grinst).
MF: Hast du nie daran gedacht, bei einer
bekannten Band einzusteigen?
David:
Würde mich Jimmy Page anrufen (lacht), würde ich sicher
zum Proben vorbei fahren. Klar, wieso auch nicht
(grinst). Aber ich weiss natürlich, dass dies nie
passieren wird. Das würde ja bedeuten, dass Led Zeppelin
ohne Robert Plant ein Comeback feiern würden (lacht).
Aber ernsthaft. Klar, wenn eine grosse Band auf mich
zukommen würde, keine lokale Truppe, wieso nicht. Weisst
du, die Möglichkeit mit meiner Band hier als Support von
U.D.O. zu touren, ist was ganz Tolles. Wir spielen viele
Shows vor einem sehr grossen Publikum. "I'm back on the
road again!"
MF: Was ist für dich wichtig, wenn du
dir neue Bandmitglieder aussuchst?
David: Persönlichkeit und Talent. Ich brauche keine
Musiker, die denken, dass sie die Besten auf diesem
Planeten sind (grinst). Ehrlichkeit und «loyality» sind
sehr wichtig für mich. Ich mag Egos auf der Bühne, aber
wenn du von der Stage runter kommst, schalte es aus. Sei
menschlich, das ist sehr wichtig für mich! Ich hasse
Lügner, das ist der Grund, wieso ich nicht mehr mit Hans
Ziller von Bonfire zusammen arbeite. Er ist (mit
verächtlichem Lachen) schrecklich. Ich bin nicht
glücklich, wenn ich in einer Truppe bin… Wenn wir im
Umkleideraum sind oder zusammen im Bus die Zeit
verbringen, kannst du nicht voreinander flüchten. Wenn
die Attitüde nicht passt… Verstehst du, was ich meine?
Eine Bruderschaft von verrückten Leuten (grinst). Der
Flow des Chaos (lacht). Auch wenn du immer wieder neue
Erfahrungen und Abenteuer erlebst, aber das ist nichts
für mich! Du würdest ja auch nicht eine solche Frau
heiraten, mit diesen Attributen (lacht)?!
MF: Wie schwierig ist Freundschaft innerhalb einer Band?
David: Schwierig. Wenn die Leute mit mir
zusammen arbeiten, die dir nur das sagen was du hören
willst. Ich brauche keine Ja-Sager, die dein Bruder sein
wollen. Das ist auch der Grund, wieso Frank und ich im
Moment nicht zusammen arbeiten können. Wir starteten als
musikalische Verbindung und es endete als Frank-Show. Es
ist normal, dass die Leute über andere hinter deren
Rücken sprechen, speziell in diesem Geschäft. Wenn die
Band als David Reece Band angeboten und die Truppe
dadurch grösser und bekannter wird, dann ist es okay.
Ich verstehe, dass jeder immer sein Bestes geben will.
Aber der Fokus muss immer auf der Arbeit sein und nicht
auf dem eigenen Bedürfnis, aus allem heraus zu stechen.
Ich hoffe, meine Jungs haben das gehört (lacht). Es ist
normal, dass die Leute meinen Namen kennen, weil ich
schon bei anderen Bands sang. Wenn das der Bekanntheit
von uns dient, ist dies doch perfekt. Aber am Ende des
Tages kann ich ohne meine Jungs nicht bestehen und sie
nicht ohne mich.
MF: Wie glücklich bist du mit der
Musikszene?
David (überlegt): Hmm…
Allgemein? Im Moment spiele ich diese Tour mit U.D.O.,
das ist super. Gehen wir alleine auf Tour, spielen wir
auch schon mal vor zwanzig Leuten. Das ist sehr
unterschiedlich. Klar es sind nur diese zwanzig Menschen,
aber hey, sie haben bezahlt und erwarten von uns eine
tolle Show. "Go out and rock!" Es ist nicht immer
einfach. Ab und zu bin ich nicht glücklich, aber
meistens schon. Ich sehe eine Veränderung in der Szene.
Nur die bekannten Truppen gehen noch auf Tour. Für
jüngere und unbekanntere Combos scheint dies unmöglich
zu werden, es bietet sich keine Gelegenheit mehr. Es
dreht sich alles ums Geld, und die meisten wollen kein
Risiko mehr eingehen. Uns ist dies egal, wir wollen
weiter kommen. Das ist das Business. Wie denkst du
darüber?
MF: Es ist ein gefährliches
Geschäft…
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David: …wenn du keine grossen Eier hast. Es ist ein
täglicher Kampf, und du hast immer die Möglichkeit
auszusteigen. Sei stark und bewege dich vorwärts. Es ist
nicht einfach und kann dich verrückt machen, wenn du
viel investierst und kaum was zurück bekommst. Mit
U.D.O. haben wir das Glück, fast jeden Abend im Minimum
vor 1'000 Leuten zu spielen. Ich habe die Ehre die
Möglichkeit zu haben, mit ihm zu touren. Tja, die Welt
dreht sich im Kreis. Hier bin ich wieder (grinst
zufrieden)! Viele Accept-Fans denken, dass wir Feinde
sind. Aber hey, wir hatten immer ein gutes Verhältnis
zusammen. Auch als wir damals im gleichen Studio unsere
Alben aufnahmen. Udo ist der perfekte Gentleman! Als wir
zu der Zeit Türe an Türe waren, er seine erste
Solo-Scheibe aufnahm und ich mit Accept «Eat The Heat»…
Immer wenn wir uns sahen, begrüssten wir uns herzlichst.
Heute ist es noch genau gleich wie 1987.
MF: Sind die Lieder von «Resilient
Heart» alles neue Songs?
David: Alles
was du auf «Resilient Heart» hörst, wurde neu
komponiert. Neun Tracks haben wir zusammen geschrieben.
In knapp eineinhalb Monaten war das Album fertig, und das
Songwriting war in drei Wochen abgeschlossen. Ja, die
Jungs sendeten mir ein Riff und ich schrieb die Texte
dazu. Fertig (grinst)! Es war so einfach. Wenn die
Tracks gut sind, dann schreiben sie sich von selbst. Ich
war glücklich, jeden Tag ins Studio gehen zu können und
diese Lieder aufnehmen zu dürfen. Es gibt Alben, da
hast du drei Killer-Tracks und der Rest ist Füllmaterial.
Aber jeden Morgen, wenn auch aufstand, dachte ich nur:
"Yes, es geht in den Aufnahmetempel und ich kann diese
geilen Songs einsingen!" In den letzten zwanzig Jahren hatte
ich selten so ein gutes Gefühl im Studio.
MF: Gibt es eine Geschichte zum belastbaren,
unverwüstlichen Herzen?
David: Das bin
ich, ich bin ein Überlebender. Wir kommen dabei wieder
auf deine Frage zurück, betreffend dem Musik-Business.
Ich bin ein Kämpfer. Sainted Sinners, ich stand auf wie
der berühmte Phönix aus der Asche. Einige der Titel
beschreiben mich als Person. Ich kann nicht in der Ecke
sitzen und wie ein kleines Kind heulen. "Stehe auf und
kämpfe!" Meine Stimme ist heute sehr müde, aber es
stehen noch viele Konzerte an. Aufstehen und
weitergehen, ich bin eine unverwüstbare Person.
Vielleicht bin ich ein Heiliger (lautes Lachen), ich
weiss es nicht.
MF: Ich habe dich als Person
kennengelernt, die sagt, was sie denkt. Wie schwierig
ist dies im Business?
David: Völlig
einfach! Ich leide für all die Jahre, in denen ich
nicht sagte, was ich dachte. Da grösste Problem ist,
"Nein" zu sagen. Irgendwann haben wir über all die Jahre
gesprochen und all die Managements. Ich meinte nur:
"Alles Scheisse". Die Antwort war: "Was können wir
machen, dass du glücklicher bist?" Ich realisierte, wie
lange ich Ängste davor hatte, zu sagen was ich dachte.
Auch wenn ich es nie mit einem aggressiven Unterton
sagen würde. So viele Leute küssen dir auf den ersten
Blick den Arsch. Ich opfere mich für nichts mehr. Tust
du das, werden sie dir das Blut aussaugen und dir nichts
zurück geben. Das ist die Realität des Geschäfts. Gefällt
mir etwas nicht, werde ich es auch kund tun. Einige
werden sagen, was können wir tun, dass es besser wird
und andere werden sagen: "Fuck you!" Am Ende des Tages
dreht sich alles nur ums Geld.
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MF: Wurden deine Hoffnungen und Wünsche mit der Musik
real?
David: Ja und Nein. Mein Traum
wird wahr, wenn ich hier sitze und auf Tour bin. Das
neue Album macht mich komplett glücklich und zufrieden.
Ich bin aber mit vielen Dingen meiner Arbeit, in den
letzten Jahren, nicht zufrieden. Bangalore Choir, ich
liebe dieses Album. Auch wenn viele Kompromisse damit
verbunden sind. Das erste Sainted Sinners Album… Ich
liebe, was Ferdy Doernberg (Keyboarder) gespielt hat. Ich
bevorzuge aber das zweite Werk und die Produktion von
Malte. Er hat sich echt seinen Arsch dafür abgearbeitet.
Ob deine Wünsche und Hoffnungen eintreffen, hängt auch
immer von der eigenen Person ab.
MF: Sex, Drogen und Rock'n'Roll, ein
Klischee oder das Wahre im Rock'n'Roll?
David: Ich bin viel zu alt für die Drogen (lacht). Aber
ich kann dir sagen, dass der Sex nicht immer so gut war
in der Vergangenheit (lacht). Aber heute ist er so gut,
wie er sein kann (lautes Lachen). Die Musik ist immer
die gleiche geblieben, da hat sich nichts geändert. Wenn
du auf die Bühne gehst und es fühlt sich gut an… Meine
Band ist richtig gut! Es sind sehr talentierte Musiker,
und die Songs sind richtig toll. Das hilft ungemein. Ich
war über all die Jahre nie in einer Band… Malte ist
dafür verantwortlich. Meine Jungs saufen nicht Whisky im
Studio, sondern sie arbeiten an den Details. Das ist
wichtig, wie auch eine gute funktionierende
Rhythmussektion. Die Musik macht unheimlichen Spass. Sex
und Drogen… Würde ich Drogen nehmen, würde ich tot auf
dem Boden liegen (lacht). Ich bin ein alter Mann und
brauche meine tägliche Medizin.
MF: Was war für dich früher wichtig, und
was ist es heute?
David: Malte fragte
mich vor ein paar Monaten: "David, bist du ein Hardrock-
ein Blues- oder ein Metal-Sänger?" Ich konnte ihm keine
Antwort geben. Das hat mich geschockt, weil ich mir
diese Frage selber nie stellte. Ich bin stolz darauf,
dass ich noch immer singe. Ich kann musizieren, und
sollte ich nicht mehr singen können, werde ich sofort
die Bremse ziehen. Glaub mir, es gibt viele Leute da
draussen, die nur darauf warten, dass ich falle. All die
Accept-Hasser, die mich dafür verantwortlich machen,
dass «Eat The Heat» nicht das Album wurde, das sie
erwarteten. Gestern Abend in München haben wir sie
gekillt (grinst). Stuttgart, da waren die Leute müde,
aber wir haben sie geweckt. Du kannst all die Hasser im
Publikum ausmachen, wenn sie mit verschränkten Armen
dastehen. Es ist doch erstaunlich. Wieso gehen diese
Leute nicht zur Bar? Wieso stehen sie da für 45 Minuten?
Wenn du uns nicht magst, dann geh zur Bar und trinke ein
Bier.
MF: Es spielt aber doch keine Rolle, ob
du nun ein Metal-, ein Blues- oder ein Hardrock-Sänger
bist. Wichtig ist nur, dass du noch immer einer der
Besten bist…
David: …das ist wahr. Danke
dir Martin! Ich will noch immer einer der Besten sein,
war es aber nicht immer. Darum habe ich vor sechs
Monaten mit dem Trinken aufgehört. Ich fühle mich
stärker. Würde ich im Umkleideraum noch immer trinken
und Party machen, werde ich in ein paar Jahren nicht
mehr singen können. Ich passe auf mich auf und will den
Fans das Bestmöglichste bieten.
MF: Dann wünsche ich dir für die Zukunft
alles Gute…
David: …"let's rock", und
danke für die tollen Fragen, es hat echt Spass gemacht,
du hast es immer auf den Punkt gebracht Bruder.
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