Interview: Schandmaul
By Roger W.
Schandmaul sind zurück! Nach längerer Pause verwöhnen uns die deutschen Folk-Rock-Metaller mit dem neuen Album „Traumtänzer“. Dazu gehört natürlich auch eine ausgiebige Tournee, die wiederum Gelegenheit bot, mit Sänger Thomas Lindner (TL) zu quatschen. Dabei erläuterte der sympathische Barde nicht nur, wieso die Band mit Fantasy-Autor Wolfang Hohlbein zusammen arbeitet, sondern liess auch die letzten eineinhalb Jahre ohne Konzert-Stress Revue passieren.

MF: Ihr habt wieder in der Schweiz die Tour gestartet. Wie war es in Bern?

TL: Aufregend. Es war die erste Show nach 17 Monaten und ebenfalls die erste mit neuen Liedern. Das ist eine spannende Sache. Die Leute waren glücklich und wir waren gut drauf, auch wenn einiges noch schief gegangen ist. Aber das gehört bei den ersten Malen dazu.

MF: Das wird in diesem Falle auch heute noch ein Ausprobieren sein?

TL: Ja, ausprobieren beziehungsausweise erstmals Sachen erfinden. Weil so Sachen wie Ansagen ergeben sich erst während der Shows und das muss sich noch einspielen. Aber das ist lustig und kreativ.

MF: Wie sehr hattet ihr denn Mühe alte Songs zugunsten von neuen rauszuschmeissen?

TL: Wir haben jetzt halt in erster Linie den Traumtänzer. Sprich wir spielen neun Stücke vom Traumtänzer-Album. Und den Rest mit alten Knallern und Klassikern aufzufüllen, das war kein Problem.

MF: Kommen wir zur Auszeit, die ihr vor dem neuen Album hattet: Ihr schreibt ja, dass sich bei euch Ermüdungserscheinungen nach der Sinnfonie-Tour bemerkbar gemacht haben. Wie haben sich diese geäussert?

TL: Es war so, dass wir tatsächlich körperlich durch waren. Man kam gar nicht mehr runter. Und es war auch einfach zu viel. Egal was. Egal wie viel Spass etwas macht. Wenn man etwas zu viel macht, fährt man irgendwann mal an die Wand. Und bevor das passieren konnte, haben wir gesagt: „Stachel rein, Auszeit!“ Und Auszeit ist ja relativ gemeint. Wir haben einfach keine Konzerte gespielt. Es war so in etwa wie Semesterferien. Man hatte viele Hausaufgaben, aber keine Vorlesungen. Wir haben uns halt voll auf das Album konzentriert. Und das war dann einfach mal gut und nötig. Man konnte mal wieder im eigenen Bett schlafen, diesen elenden Reisekoffer in den Keller stellen und auch mal da lassen. Es war einfach gut für alle.

MF: Du hast es angesprochen, dass es ja nicht wirklich eine Pause war. Ihr seid ca. zwei Monate nach dem Auftritt auf dem Summer Breeze-Festival bereits wieder im Studio am Aufnehmen gewesen.

TL: Ja. Nach unserem letzten Konzert, in Hanau in Deutschland, sind wir ein paar Tage später gleich losgefahren in eine Hütte, haben uns da eingesperrt und am neuen Liedgut gearbeitet. Und bereits im Winter standen wir wieder im Proberaum und haben die Vorproduktionen gemacht. Das ging in einem durch bis Mai, Juni.

MF: Die Pause habt ihr dann ab Juni gemacht?

TL: Ja, das ist es eben so eine Sache. Denn so richtig Pause gab es nicht. Es gab immer wieder mal eine Woche frei, wo man auch wegfahren konnte und man Urlaub machen konnte. Aber es war ein stetiges Arbeiten. Man hat sich immer alle paar Tage getroffen und intensiv am Album geschraubt. Also Pause… Wir waren halt mal zuhause.

MF: Das heisst, ihr habt in dieser Zeit auch keine musikalischen oder privaten Projekte umgesetzt?

TL: Also die beiden Mädchen haben ihre Soloprojekte weiter getrieben. Die Birgit mit Sava und die Anna mit Anna-Katharina, ihrem Geigenprojekt. Das haben sie auf jeden Fall gemacht. Wir Jungs, haben in dieser Zeit nicht Veto weiter gespielt. Wir sind aber momentan im Studio. Wir werden nach dieser Tour direkt wieder im Studio sein und bis August ein neues Album machen.

MF: Ist das denn kein Stress für euch. Oder ist das einfach so der Lauf der Dinge. Also wie andere Arbeiten gehen?

TL: Das ist ein ganz normaler Job. Und jetzt haben wir auch wieder aufgetankt. Also es ist echt erschreckend, wie viel Kraft man tanken kann, wenn man nicht jeder Wochenende in einem Bus sitzt und Abends eine Show spielt. Und jetzt sind wir wieder richtig geil aufs Spielen. MF: Ihr betont, dass ihr mit dem neuen Album Mütter und Väter in mehrerer Hinsicht geworden seid. Bei wem hat es noch Nachwuchs gegeben? TL: Der Ducky ist Ende letzten Jahres Papa geworden und die Birgit ist frische Mama. Das ist jetzt auf der Tour relativ spannend, mit so einem Säugling dabei. Der hat so seinen eigenen Willen.

MF: Habt ihr beide Säuglinge dabei?

TL: Nein, nur die Birgit hat ihr Baby dabei. Der Ducky hat es bei seiner Frau gelassen.

MF: Das heisst, ihr pflegt das Kind jetzt alle zusammen?

TL: Nein, ich glaube da würde es durchdrehen. Das ist schon in erster Linie bei der Birgit. Und der Vater ist auch dabei. Also während der Zeit wo die Birgit auf der Bühne steht, ist der Papa halt dran.

MF: Das ist eine ganz neue Situation für euch.

TL: Ja, es verändert sich. Es bleibt spannend.

MF: Kommen wir endgültig zum neuen Album. Die Liedtexte erzählen wiederum Geschichten. Wo habt ihr diesmal eure Inspiration geholt?

TL: Eigentlich wie immer. Es sind Geschichten die man erlebt. Geschichten die man liest, die man im Kino sieht. Und das halt an verschiedenen Orten. Das inspirierendste ist das Leben an sich. Man muss einfach nur mit offenen Augen durch die Gegend gehen. Da passieren die besten Geschichten.

MF: Ihr habt ein Lied über den Piraten Störtebeker. Zumindest die Geburtszahl im Lied stimmt mit Störtebeker überein.

TL: Ja, so ungefähr. In Wirklichkeit weiss man es ja selber nicht so genau, woher der Mann kam. Aber genauso nebulös und geheimnisvoll ist dann der Liedtext. Es fällt nie der Name Störtebeker, aber das Jahr stimmt ungefähr. MF: Geht es für dich in diesem Lied um Störtebeker oder behandelt das Lied für dich mehr die Sehnsucht zur See? TL: Es ist mehr diese Sehnsucht nach der See. Die Anna hat den Text geschrieben und hatte am Anfang des Textes eine Jahreszahl. Wir haben uns dann angeschaut und gesagt: „Also wenn du schon eine Jahreszahl nimmst, dann nimm doch eine, wo auch tatsächlich so ein Pirat geboren worden sein könnte. Also haben wir ein bisschen gegoogelt und tatsächlich: „1360 ist er gekommen“. Also wenn schon, dann gleich der grosse deutsche Pirat.

MF: Welche Bedeutung hat denn Störtebeker in Deutschland. In Norddeutschland gibt es ja eine Art Kult mit Theater über ihn und so…

TL: Absolut. Ich bin ja Bremer und habe damit auch eine gewisse Affinität für den Norden. Und Störtebeker ist einer der grossen Deutschen Räuber. Und dann auch noch ein Pirat. Wer braucht Fluch der Karibik? Wir haben Störtebeker!

MF: Ihr habt dieses Mal mit Wolfang Hohlbein zusammen gearbeitet. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?

TL: Das war sehr witzig. Wir haben mit unserem Nebenprojekt Veto schon vor Jahren Hohlbein–Bücher vertont. Und der Stefan, der Schlagzeuger und Manager von uns, der hat einfach diese Veto-Lieder genommen und stumpf dem Wolfgang Hohlbein geschickt. Und der fand das super und hat dann gemerkt, dass Veto eigentlich Schandmaul ist. Er hat dann gesehen, dass in seinem CD-Regal Schandmaul-CDs stehen. Er findet unsere Musik also super. Etwa so, wie unsere Bücherregale voll mit Hohlbein-Büchern sind. Und so haben wir zusammen gefunden. Vor einem Jahr hat er das Manuskript von einem Buch ausgepackt, welches jetzt erschienen ist. Und er hat gesagt: „Wenn ihr Bock habt, dann macht doch da mal was!“ Wir hatten Bock, haben es gemacht und es hat ihm gefallen und jetzt läuft es.

MF: Behandelt „Geas Traum“ die Hauptfigur in diesem Buch?

TL: Das Lied nimmt eine Hauptfigur auf und erzählt so ein Bisschen das drum herum. Wenn man das Lied hört, ohne das Buch zu kennen, dann ist das für einen einfach eine Liebesrock-Nummer. Und wenn man das Buch gelesen hat, dann erkennt man in den ganzen Zwischennoten und Zwischenzeilen die ganzen versteckten Geheimnisse des Buches. Man braucht also beides; Buch und Lied.

MF: Gibt es Pläne, dass ihr das mit Wolfgang Hohlbein zusammen aufführen werden? Also eine Art Vorlesung mit Konzert?

TL: Es gibt konkret Ende April eine Vorlesung, wo der Wolfgang Hohlbein liest und wir auch ein kleines Showcase machen werden. Und dann läuft noch das Video ein Bisschen im Hintergrund. Das wird so eine Art Autogrammstunde für Hohlbeinfans, wo wir als Specialguest auftreten werden. Da freue ich mich drauf. Und in solcher Art und Weise wird es mit Sicherheit noch was geben. Da sind wir alle beide offen dafür. MF: Ich habe ein Interview entdeckt, in dem besonders du dich als Hohlbeinfan geoutet hast. TL: Ich habe locker 60 Bücher von ihm im Schrank. Ich lese ihn seit meiner frühesten Jugend. Das ist ein ganz feiner Mann.

MF: Ist Hohlbein also eine Art literarischer Held für dich?

TL: Ich sage es mal so: Ich bin halt einfach ein Fantasy-Freak. Und mag auch unheimliche Geschichten. Und wenn ich den Vergleich wagen darf: Wolfgang Hohlbein ist der deutsche Steven King. Und auch den fresse ich. Also her damit! Und das inspiriert natürlich auch immer wieder.

MF: Ein anderer Name der im Booklet auftaucht ist Dieter Winkler.

TL: Dieter Winkler ist der Manager von Wolfgang Hohlbein und selber auch ein Schriftsteller.

MF: Schreibt der auch Fantasy-Romane?

TL: Querbeet. Wenn ich mich jetzt nicht irre, hat der die Enwor-Reihe weitergeführt. Hohlbein hatte die mal angefangen und die ersten neun Bücher geschrieben. Und dann hat der Dieter Winkler diese übernommen und führt sie jetzt weiter. Die spielen sich also auch die Bälle zu.

MF: Die inspirieren sich also auch gegenseitig?

TL: Genau. Dieter ist auch Hohlbeins erste Lektor, der als erster das lesen darf, was der Hohlbein schreibt. Hohlbein ist ja unfassbar schnell. Der hat bereits 200 Bücher geschrieben und insgesamt über 35 Millionen Bücher verkauft. Da geht was. Der Kopf hat noch was zu bieten.

MF: Gleich drei Gastmusiker von euch spielen bei der Band Orange Fits. Ist das eine lokale Band aus eurer Umgebung? Oder woher kennt ihr die?

TL: Die kennt unser Bassist. Die kommt aus der Dachauer Ecke, wo Matthias auch wohnt. Und wir hatten uns einen Bläsersatz am Ende des Liedes Assassin vorgestellt. Und da lag das einfach nahe. Die kannte man, die waren super drauf die Jungs. Und es war kein grosser organisatorischer Aufwand, die zusammen zu trommeln. Und so haben sie uns das rein getrötet.

MF: Die restlichen Gastmusiker sind also auch so spontane Aktionen oder solche Freundschaftsaktionen?

TL: Der Trompeter, der beim spanischen „Bis zum Morgengrauen“ zu hören ist, war bei der Band, bei der Stephan früher Schlagzeug gespielt hatte, bevor es Schandmaul gab. Das ist also auch ein Kumpel. Der kam dann einfach vorbei und hat dann so ein Bisschen rumprobiert. Und das hat es dann auf die Platte geschafft.

MF: Ihr wurdet 2009 für den Echo nominiert, musstet euch dann aber den Ärzten geschlagen geben. Wie sehr hat euch das getroffen? Oder wie wichtig sind euch solche Preise?

TL: Die eigentliche Ehrung da ist eigentlich die Nominierung. Weil sich da ein Gremium aussucht, wer nominiert wird. Ob man dann gewinnt oder nicht, ist ein ganz normales Rechen-Exempel. Wer die meisten verkauft hat, hat gewonnen. Von daher wussten wir, dass wir das gar nicht gewinnen können, sobald wir gesehen haben, wer ist unserer Kategorie nominiert ist. Weil wie kannst du gegen die Ärzte anstinken oder gegen In Extremo? Es war einfach mal schön, diesen Affenzirkus zu sehen. Diese Bombastshow und dieses ganze Küsschen hier und Küsschen da. Das haben wir mal gesehen, gut! Weiter im Text!

MF: Es war also nicht oder noch nicht eure Welt?

TL: Ich brauche das auf jeden Fall nicht täglich. Das ist auf jeden Fall nur Schickimicki.

MF: Die wahren Rocker sind also bei den Konzerten?

TL: Genau. Hier ist Rock’n’Roll. Und da oben ist Schickimicki.

MF: Ich habe euch im 2009 am Summer Breeze-Konzert gesehen. Ihr habt da „Dein Anblick“ diesem Mädchen gewidmet, welches beim Amoklauf in Winnenden getötet wurde. Diese Schweigeminute war sehr eindrücklich und ich hatte Gänsehaut ohne Ende. Wie war es für euch?

TL: Ja, ähnlich natürlich. Das war ein wahnsinnig krasser Moment. Ich war auch ultra nervös davor. Es ist halt so, dass dieses Mädchen Fan von uns war, und bereits Karten für das Summer Breeze-Festival hatte. Dann ist das passiert und es hat uns dann die Mutter angeschrieben, dass auf ihrem Grabstein ein Textauszug von „Dein Anblick“ steht. Sie hat uns gefragt, ob wir diese Schweigeminute machen könnten. Die Mutter stand da quasi irgendwo unter euch. Ich habe gezittert ohne Ende. Weil ich auch nicht wusste, wie jetzt die Fans reagieren würden. Werfen die uns jetzt Becher auf die Bühne oder kann da jetzt einer sein Maul nicht halten? Aber als da dann plötzlich die 10‘000 oder 20‘000 Leute plötzlich still waren, hatte ich auch Gänsehaut. Also es war ein krasser Moment. Man muss dann auch mal leer schlucken, wenn man sich kurz Revue passieren lässt, was da wirklich passiert ist. Die Tat, die zum Tod des Mädchens geführt hat, war einfach nur ekelhaft und fürchterlich.

MF: Ich kann mich nur noch erinnern, dass derjenige, der seine Klappe nicht halten konnte, ziemlich harsch mit „Halts Maul!“ zu Recht gewiesen wurde.

TL: Denn habe ich gar nicht wahr genommen.

MF: Solche Fanpost kriegt ihr noch öfters? Also nicht solche krassen, aber…

TL: Klar. Das meiste läuft mittlerweile per E-Mail. Aber wir haben auch wunderschöne handschriftliche Briefe, wo man sich fragt, wie man nur so schreiben kann. Das rahmt man sich ein. Und dann erhalten wir Postkarten von überall her. Es sammelt sich schon einiges an.

MF: Wir sind bereits am Ende des Interview. Was möchtest du deinen Fans noch sagen?

TL: Jeder der das liest, soll gucken wo wir sind. Steigt ins Auto und auf geht’s. Wir warten auf euch!

MF: Spielt ihr dieses Jahr denn wieder auf den Festivals?

TL: Wir haben einige geplant. In der Schweiz gibt es auf jeden Fall ein Festival, auf dem wir spielen werden. Ich weiss jetzt aber nicht wann und wo. Aber sobald wir es wissen, wird es auf unserer Webseite stehen. (Fr.01.Juli am Openair, Zell LU. Anmd.Red.)

MF: Wann werdet ihr denn mit dem nächsten Album zu schreiben beginnen?

TL: Wir haben jetzt Baby-Alarm. Das heisst, dass wir uns jetzt im ersten Jahr noch ein Bisschen zurücknehmen müssen, bis das Kind halbwegs auf der Spur ist. Das heisst wir werden jetzt auf einigen Festivals spielen, so knapp 20 Stück in Deutschland, Österreich und der Schweiz und dann im Winter wieder pausieren und das Kind wachsen lassen. Und dann gehen wir im nächsten Frühling nochmals ausgiebig auf Tournee und spielen nochmals ausführlich die Sommer-Festivals. Wann das nächste Album kommt, ist jetzt noch nicht ganz klar, aber vielleicht Ende 2013 oder Anfang 2014. Gute Dinge will Weile haben.