Interview: Tarja Turunen
By Maiya
Eine gut gelaunte Tarja Turunen erwartete mich zum Interview im Zürcher Hotel Palais X-Tra. Der Anlass für diesen Promotag war ihr am 16. November erscheinendes Album "My Winter Storm", richtig schön passend zur Jahreszeit.

MF: Tarja, wie geht es dir?

TT: Oh, danke! (fasst sich an den Rücken) Etwas ist mit meinem Rücken passiert, als ich vorhin auf der Toilette war. Ich werde alt (lacht). Nein, ich mache nur Spass! Ich fühle mich sehr, sehr gut! Ein wenig unruhig bin ich auch, weil mein erstes Album bald veröffentlicht wird. Das ist ein sehr aufregender Moment an diesem Punkt in meinem Leben. Aber es ist gut, die Möglichkeit zu haben, Musik zu machen -die Liebe meines Lebens!- und in Zürich zu sein!

MF: Kannst du unseren Lesern schon mal etwas über das neue Album verraten?

TT: Seit ich die Vision eines eigenen Albums zum ersten Mal vor mir sah, wusste ich, dass ich es vermeiden will, dass es sich irgendwie kategorisieren lässt. Das hat damit zu tun, dass ich mich selber einfach nicht nur als eine bestimmte Art von Sängerin fühle. Ich war fast neun Jahre lang in einer Metalband, habe aber auch klassische Konzerte gegeben. Ich habe schon immer gewusst wer ich bin, was für eine Persönlichkeit ich habe, was für eine Art Sängerin ich bin und welche Musik mich interessiert. Mein Album repräsentiert also mich, die Musik stammt von mir, da ich selber und mit anderen zusammen am Songwriting gearbeitet habe. Es wird Elemente enthalten, die man von mir bereits kennt. Gleichzeitig kommen aber auch Sachen vor, die man so noch nicht von mir gehört hat. Ich singe mit einem Orchester, und die Atmosphäre auf dem Album ist eine Art Filmmusik. Es war eine grosse Freude, mit Leuten zusammen zu arbeiten, die normalerweise Filmmusik machen.

MF: Mel Wesson zum Beispiel?

TT: Ja, er ist erstaunlich und so ein begabter Musiker! Leider habe ich ihn noch nicht persönlich kennen gelernt, weil wir immer nur auf grosse Entfernung miteinander gearbeitet haben. Egal ob wir gerade in London oder Los Angeles waren, ich habe ihm immer per E-Mail meine Anweisungen übermittelt. Es war fantastisch, wie er meinen Standpunkt und meine Vision verstanden hat und mir genau das geliefert hat, was ich haben wollte.

MF: Wie lange habt ihr denn für die Produktion gebraucht?

TT: Ein wenig mehr als drei Monate nur! Wir haben in der ersten Junitagen angefangen und waren Anfang September fertig. Es war eine grosse Produktion und alles lief recht schnell ab, weil es nichts mehr zu überdenken gab. Das hätte mir auch weniger gefallen, diese "aufnehmen, abmischen, unzufrieden sein, neu überdenken". Die Songs selber kamen genauso schnell zustande. Wir haben in nur einer Woche sechs Songs geschrieben, das war unglaublich! Wir hatten im Studio eine schöne Atmosphäre, das kann man auch auf dem Album hören. Zwar habe ich für die Vorbereitung ein ganzes Jahr gebraucht, aber das war gut so, damit die Produktion selber nicht mehr viel Zeit in Anspruch nimmt. Es waren eine Menge neuer Leute involviert - Musiker, der Produzent... Ich habe noch nie zuvor mit einem Produzenten zusammen gearbeitet. Alles in allem war es wirklich aufregend!

MF: Du hast den Song "Oasis" selber geschrieben, oder?

TT: (lächelt) Ja!

MF: Der Song würde gut zu einem mystischen Film passen...

TT: Hey, danke!

MF: Wenn du die Chance hättest, einen Filmsoundtrack zu produzieren, würdest du es tun?

TT: Ganz sicher! (heiteres Gelächter) Tatsächlich ist es so, dass durch dieses Album einer meiner grössten Träume wahr geworden ist. Ich liebe Filmmusik seit so vielen Jahren, aber ich hätte niemals erwartet, eines Tages selber mit Leuten zusammen zu arbeiten, die normalerweise Filmmusik machen. Als ich diese Leute kennen gelernt habe, James Dooley zum Beispiel oder Slamm Andrews, da war ich so nervös! Ich fragte mich nur noch, wohin das führen wird und ob meine Musik sie überhaupt interessiert. Aber dann sagte ich mir, dass das alles wirklich passiert, dass es mir gut gehen wird. Ein besonderer Mann aus der Schweiz war auch mit dabei, Martin Tillman. Er ist gebürtiger Zürcher und lebt teilweise hier, aber auch in Los Angeles. Er hat Musik für unzählig viele Soundtracks gemacht und ist wirklich ein Meister seines Fachs. Ich würde so gerne auch in Zukunft wieder und noch mehr mit ihm arbeiten, ich hoffe, hoffe es wirklich!

MF: Dann lass den Martin Tillmann mal nicht aus den Augen, ich hoffe nämlich immer noch auf ein Remake von "The Mists Of Avalon". Es wäre doch grossartig, wenn man auf dem Soundtrack auch etwas von dir hören würde (wir lachen beide lauthals los).

TT: Die Idee gefällt mir wirklich gut! Aber jetzt machst du mich neugierig; warum gerade ich?

MF: Weil ich davon überzeugt bin, dass du die Gefühle, die der Film vermittelt sehr gut musikalisch umsetzen würdest. Ich meine, schon die ersten fünf Songs auf dem Promo Track zu "My Winter Storm" zeugen davon, dass du eine Menge Gefühl in die Musik einpflanzst!

TT: Da hast du einen wichtigen Punkt erfasst! Emotionen sind in Filmen die wichtigste Sache. Filmmusik geht Hand in Hand mit den Bildern, die in einem Film gezeigt werden, somit auch mit den Gefühlen, welche die Musik vermittelt. Wenn man von einem Film nur Bilder sieht, dann wird man davon nicht berührt, erschreckt, erfreut oder traurig, weil das Feeling fehlt. Das wird erst durch die Kombination von Bildern und Musik ins Leben gerufen. Die treibende Kraft der Emotionen machte mir auch mein eigenes Album möglich, obwohl darin eher dunkle Emotionen spürbar werden. Aber hey, das bin nun mal ich (lacht). Es ist meine Vision der Dinge, und ich brauche die Ruhe, um Distanz zu gewinnen. Es beschreibt einfach die Gefühle, die ich habe. Mit den richtigen Leuten mein eigenes Album zu erarbeiten, das war für mich einfach toll!

MF: Somit ist es auch sowas wie der Soundtrack deines Lebens?

TT: Der Soundtrack meiner letzten fünfzehn Jahre, ja! Warte, ich bin jetzt dreissig Jahre alt, damals also... hmm... Ja, es ist der Soundtrack meiner letzten fünfzehn Jahre.

MF: Das Video zu "I Walk Alone" schaut ja wirklich märchenhaft schön aus! Wie entstand diese Idee?

TT: Ich hatte eine Vorstellung davon, wie das Video aussehen soll. Die Personen in dem Video, all die Charaktere basieren auf meiner Idee. Ich habe mit dem Regisseur darüber gesprochen, wir haben unsere Vorstellungen darüber ausgetauscht. Er hatte meine Vorgaben und ich sagte zu ihm, er solle mir eine Story daraus machen. Ich mag dieses ganze dunkle Zeug, alles mysteriös und gespenstisch wirkende. Für mich ist das etwas schönes, und ich bin immer auf der Suche nach Schönheit. Das können in der Musik zum Beispiel schöne Melodien und schöne Harmonien sein. Ich bin nicht so gut darin, happy Tunes und happy Songs zu machen, wirklich nicht! Ich kann mir den Grund nicht erklären, aber melancholische Melodien liegen mir einfach mehr. Ist das nicht irgendwie eigenartig?

MF: Nein, eigentlich nicht. Einige der grössten Poeten haben gesagt, dass sie mit einer melancholischen Grundstimmung besser schreiben.

TT: Hmm, das stimmt! Paulo Coelho zum Beispiel hat eine Menge schlimmer und trauriger Sachen erlebt. Wenn man seine Lebensgeschichte kennt, dann bemerkt man in seinen Büchern autobiographische Züge. Ich denke schon, dass man das wahre Leben in seiner Kunst verewigen sollte, und nicht solche unrealistischen Träume, wie "Oh, ich werde eines Tages im Covent Garden spielen". Sicher habe ich selbst viele Träume, aber ich habe mich in der Vergangenheit Schritt für Schritt darauf hin gearbeitet.

MF: Realistische Ziele also? Ich meine, wenn man sich selbst absurd hohe Ziele steckt, an die man ja nicht mal selber glaubt, dann wird man sie auch nicht erreichen. Verstehe ich dich da richtig?

TT: Genau das meine ich! Wenn man sich seinen grössten Traum sofort erfüllt, was kommt dann danach? Was kann man dann noch tun? Sicher waren meine eigenen Ziele für mein Album auch etwas verrückt, aber ich habe sie alle erreicht.

MF: Spielt du auf deine Cover Version von Alice Cooper's "Poison" an?

TT: (bricht in schallendes Gelächter aus) Ja! Ich meine, das Lied ist ein Klassiker der späten Achtziger. Wie kommt eine Tarja Turunen bloss auf die Idee, ausgerechnet diesen Song zu covern? Es war so, dass ich in Finnland mit dem Auto unterwegs war und Rock Radio gehört habe. Die spielten den Song fünf Mal am Tag, und da hat es mich getroffen wie ein Hammer. Zu dieser Zeit dachte ich gerade über ein Cover für mein Album nach. Ich wusste, dass ich einen Coversong darauf haben möchte, aber ich fand einfach keinen guten Song. Bei all den Hard Rock Songs der Siebziger und Achtziger war ich mir unsicher. Was "Poison" betrifft wusste ich aber schon sehr bald, welchen Weg ich damit einschlagen wollte. Ich war mir sicher, dass die Cover Version gut werden würde, denn ich hatte schon genaue Vorstellungen davon, wie der Song klingen könnte und was ich ändern wollte, damit der Song zu mir passt, ohne dabei den Respekt vor dem tollen Original zu verlieren. In meiner Version gibt es ein Cello-Solo zu hören, das von Martin Tillmann gespielt wird. Wie bei Alice Cooper gibt es auch enorme Background Vocals, bei denen mein Bruder mitgewirkt hat, der auch Lead Vocals singt. Ich hatte viel Spass mit dem Song, aber um ehrlich zu sein, war es für die Band hart.

MF: Warum denn das?

TT: Sie konnten meine Vision davon nicht sehen. Sie kannten den Song einfach nur als Gesang, Gitarre, Bassgitarre und Schlagzeug und ihre Reaktion auf meinen Vorschlag war "Wohin soll das bloss führen?" Aber ich sagte nur "Vertraut mir einfach! Es wird grossartig, das weiss ich!" Er war hart für mich, die Jungs davon zu überzeugen, dass das Resultat fantastisch wird. Aber ich wusste es einfach und habe darauf vertraut.

MF: Du hast ja ein paar überwältigende Musiker um dich geschart! Die Namen erschlagen einen fast!

TT: Ja, da wäre Doug Wimbish an der Bassgitarre. Ihn wollte ich unbedingt dabei haben, wegen seines grossartigen Backgrounds. Er hat schon für Joe Satriani gespielt. Ich wusste, dass er meine Vision verstehen würde, denn er ist grossartig! Alex Scholpp spielt Gitarre. Alex habe ich vorher gar nicht gekannt, der Produzent hat uns miteinander bekannt gemacht. Earl Harvin habe ich als Schlagzeuger bei Seal gesehen. Ich war an einem Konzert, und da war dieser atemberaubende Drummer am kleinsten Schlagzeug, das ich je gesehen habe. Er hat einen tollen Sound gemacht und einen guten Eindruck bei mir hinterlassen. Ich dachte nur noch "Diesen Drummer will ich für mein Album haben!" und nun bin ich sehr glücklich, dass er mit dabei ist. Martin Tillmann hatte ich schon erwähnt, und meine gute Freundin Max Silja spielt Piano auf einigen Songs. Kiko Loureiro von Angra spielt auf ein paar Songs akustische Gitarre. Ich habe sofort an ihn gedacht, als ich den Posten der akustischen Gitarre besetzen wollte. Ich mag das Brasilianische an seiner Spielart, darum habe ich ihn gefragt, ob er mitmachen würde. Torsten Stenzel spielt ein wenig Keyboards, aber wirklich nur wenig.

MF: Du hast ja ein Weihnachtsalbum veröffentlicht. Was bedeutet dir Weihnachten?

TT: Weihnachten war für mich schon immer eine Zeit, die ich mit meiner Familie verbringe. Es ist für mich ein wichtiges Fest geworden, da ich meine Familie nicht mehr so oft sehen kann, und sie sehr vermisse. Solche Werte sind mir im Leben viel wichtiger geworden, als das früher der Fall war. Viele Musiker in Finnland machen Weihnachtsalben und spielen Weihnachtskonzerte, aber für mich war das nur ein Nebenprojekt. Weihnachten ist eine sehr musikalische Zeit in Finnland, und war für mich schon immer eine sehr besondere Zeit. Mit dem Weihnachtsalbum wollte ich einfach etwas davon zurück geben.

MF: Reden wir über klassische Musik. Gibt es einen Komponisten, den du favorisierst?

TT: Oh, das ist schwierig! Schumann und Chopin mag ich. Es kommt ein wenig auf meine Stimmung an. Wenn ich relaxen möchte, dann höre ich klassische Musik. Einfach klassische Musik ohne Lyrics, oder Soundtracks und orchestrale Musik. Ich finde es toll, wie es für jede Stimmung passende Musik gibt. Wenn ich Kraft brauche, dann höre ich gerne Metal, das pusht mich. Es ist so interessant, für sich selbst zu entdecken, welche Musik einem hilft. Man hört etwas vielleicht zuerst unbewusst, und plötzlich wird einem klar "Oh? Das hilft mir ja!" Das ist einfach schön!

MF: Gibt es eine Melodie, welche nie ihre positive Wirkung auf dich verfehlt?

TT: Der Song "To The Moon" aus der Oper "Rusalka", mit dem ich auch positive Erinnerungen verbinde. Für mich war es traumhaft, als ich zum ersten mal diese Arie gesungen habe.

MF: Mal angenommen, du hättest musikalisch begabte Kinder, würdest du sie dann auch so unterstützen, wie deine Eltern das bei dir gemacht haben?

TT: Auf jeden Fall! Ich schätze es immer noch sehr, was meine Eltern für meine musikalische Ausbildung auf sich genommen haben! Ich bin mir nicht sicher, was für eine Mutter ich sein werde, und ob ich überhaupt Kinder haben werde. Aber es wäre sicher fantastisch, die Freude an der Musik in meinen eigenen Kindern zu sehen. Aber es würde mir nichts ausmachen, wenn meine Kinder musikalisch nicht besonders begabt wären, dafür hätten sie dann sicher ein anderes Talent, welches man fördern kann. Aber es gehört schon eine Menge Verantwortung und Hingabe dazu, seine Kinder richtig zu fördern, so wie das meine Eltern gemacht haben. Sie haben mich fünfmal pro Woche zum Musikunterricht gefahren, eine Strecke betrug 30 km. Das schätze ich so sehr!

MF: Wir sind schon bei der letzten Frage! Möchtest du den Lesern von Metal Factory und deinen Fans in der Schweiz etwas mitteilen?

TT: Ich freue mich sooo sehr auf das Konzert hier am 18. Dezember und würde mich echt freuen, euch alle an diesem Anlass zu sehen! Ich möchte all denen danken, die mir geschrieben haben. Es ist so schön zu sehen, dass es Menschen in der Schweiz gibt, die mich wirklich mögen! Solche Menschen zu haben ist wunderbar! Ich hoffe, dass dieser Tag kurz vor Weihnachten zauberhaft schön wird und dass die Atmosphäre von Wärme erfüllt ist! Ich freue mich auf euch!


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