Die «sick mother fuckers» aus den Staaten sind auf
der Bühne kaum zu schlagen und gehörten in den achtziger
Jahren mit ihren unschlagbaren Hits der Marke «We’re Not
Gonna Take It» und «I Wanna Rock» zur Speerspitze des
amerikanischen-bürgerlichen Zorns. Die dazugehörenden
Videoclips sorgten bei besorgten Eltern für rote Köpfe,
bei allen anderen für unterhaltsame Momente. Die räudige
«Fuck-you»-Attitüde, die Angriffe gegen Lehrer und
Eltern und das furchteinflössende Auftreten der Herren
Snider, French, Ojeda, Mendoza und Pero waren genau das
richtige Benzin für den damaligen Teenager-Motor. Man
wollte anders sein, sich nicht unterbuttern lassen von
der Autorität der Erwachsenen und einfach nur eine geile
Zeit erleben.
Die «verdrehten Schwestern» waren die idealen
Vorkämpfer, mit lauten Gitarren, fetten Rhythmen und dem
Hohepriester des Heavyrocks in Person, Dee Snider. Seine
Shows sind legendär, seine Monologe von der Bühne aus
das Evangelium jedes Entertainers und sein Outfit ein
Bild für die Götter. Die Runde, dass Twisted Sister nie
mehr touren sollten geisterte seit einiger Zeit durch
die Fankreise. Eine Band, die speziell durch ihre
Live-Shows und ihr farbiges Bühnenoutfit von sich reden
machte, sollte nicht mehr sein? Da musste Licht ins
Dunkle kommen. Den ersten Termin mit Daniel «Dee» Snider
wurde leider kurzfristig abgesagt. Glücklicherweise
bekamen wir eine neue Möglichkeit. Diese zwar nicht mit
Sänger Dee, dafür mit Dad John «Jay Jay» French. Viel
Zeit blieb leider nicht, dafür entpuppte sich der
Gitarrist als sehr zuvorkommender und netter
Interviewpartner.
MF: Stimmt es, dass ihr keine Konzerte mehr spielen
wollt?
Jay Jay: Das stimmt so nicht ganz. Es ist richtig, dass
wir keine Tournee mehr spielen werden. ABER! Wir werden
weiterhin Auftritte haben. Das sind aber Einzelshows.
Wir wissen nicht, wie sich diese Angelegenheit
entwickeln wird, da wir uns diesbezüglich keine Pläne
machen. Twisted Sister werden aber so lange spielen, wie
man uns sehen will und spielen lässt.
MF: Würdest du heute nochmals eine Karriere als
Musiker einschlagen?
Jay Jay: Ich war gerade mal 20 Jahre alt, als ich mich
entschied Musiker zu werden. Heute haben sich die Regeln
total verändert. Wenn man diese aber kennt und du das
Risiko abschätzen kannst, zum Beispiel, dass heute
niemand mehr CDs kauft... Glücklicherweise war das
damals, als ich noch jung war, anders. Wäre ich heute
20, so würde ich mir selber viel Glück wünschen (lacht).
MF: Hattest du jemals das Gefühl, dass die Show bei
euch mehr im Vordergrund stand, als die Musik?
Jay Jay: Nein, die Show war nicht wichtiger als die
Musik. Sie war ebenso wichtig wie die Songs und somit
gleichberechtigt. Heute treten wir ohne Make-up auf, und
einige Leute fragen uns: «Wieso tut ihr das?» Es gab so
viele Bands, die sich schminkten, wie Kiss, Poison oder
Mötley Crüe... Plötzlich liessen all diese Combos die
ganze Pinslerei weg. Poison liessen sie weg, ebenso wie
Mötley Crüe oder nun auch wir. Nur Kiss behielt sie. Sie
brauchen es, weil diese Pinslerei ein Stück von Kiss ist
und zur Show gehört. Aber für uns hat sie heute keine
Wichtigkeit mehr.
MF: Wie wichtig ist dann ein Image für euch?
Jay Jay: Wir sind eine richtige Heavy-Band. Ich denke,
wir probierten in der Vergangenheit verschiedene Dinge
aus. Als die Zeit nahte konzentrierten wir uns mehr auf
die Musik und weniger auf ein spezielles Image.
MF: Wie wichtig waren die Videoclips in den achtziger
Jahren für euren Erfolg?
Jay Jay: Tja (lacht)... Wir würden jetzt nicht hier
miteinander sprechen. Ganz klar, die Welt lernte Twisted
Sister über die Videoclips und den damit verbunden Humor
und die darin enthaltene Message kennen. Das war aber
auch bei Van Halen, Mötley Crüe, Madonna oder Michael
Jackson so, dass die Leute diese Stars zuerst über die
laufenden Bilder kennen lernten. Die Videoclips waren
verantwortlich dafür, dass vielen Künstler die Türen für
die ganze Welt geöffnet wurden.
MF: Was damals in den Clips stark zum Tragen kam war
diese «Fuck-off»-Attitüde. Hätte diese heute den
gleichen Effekt wie damals?
Jay Jay: Ich kann dir nicht sagen, wie das heute wirken
würde, sondern nur wie es damals war. Twisted Sister
versuchten immer das Publikum zu unterhalten. Wir sind
Entertainer und verschwendeten keine Zeit, sondern gaben
immer Vollgas. Noch heute, nach 31 Jahren, unterhalten
wir auf unsere Art die Leute. Einige finden das cool,
andere nicht.
MF: Auf dem Cover von «Stay Hungry» sieht man nur Dee.
Wurde das zu einem Problem für die anderen
Bandmitglieder?
Jay Jay: Absolut! Dies führte auch zur Trennung der Band
(1988). Mit diesem Cover entstand das Gefühl, dass Dee
wichtiger sei, als die anderen Musiker in der Truppe.
Doch die Zeit heilte alle Wunden. Wir sind nun schon
wieder ein paar Jahre zurück im Geschäft und jeder weiss
um die Wichtigkeit des andern. Das eigentliche Cover war
später auf «Still Hungry» zu sehen. Aber das damalige
Label entschied sich für das Bild mit Dee.
MF: Welches ist für dich das Beste Twisted
Sister-Album?
Jay Jay: «You Can’t Stop Rock’n Roll» ist mein absoluter
Favorit. Darauf sind die besten Songs, sowie auch die
beste Attitüde. Da hat alles gepasst und war grossartig!
Das Timing war perfekt und alles hat den damaligen
Zeitgeist getroffen.
MF: Wie denkst du heute über «Come Out And Play»,
«Love Is For Sucker» und «Twisted Christmas»?
Jay Jay: «Twisted Christmas» ist grossartig und
entwickelt sich zu einem fabelhaften, erfolgreichen
Album. Auch wenn viele Leute ihre Schwierigkeiten mit
dem Werk haben. «Love Is For Sucker» ist ein sehr
spezielles Album. A.J. Pero hat darauf nicht Schlagzeug
gespielt. Der Produzent hat die meisten meiner
Gitarrenspuren nicht verwendet, sondern hat sie Reb
Beach spielen lassen. Auch wenn ich mir die Scheibe
heute nicht mehr anhöre, gefallen mir einzelne Songs. Ab
und zu spielen wir «Wake Up (The Sleeping Giant)». Aber
nicht heute Abend (grinst).
MF: Seid ihr wieder zu guten Freunden zusammen
gewachsen oder Leute, die bloss zusammen Musik machen
und gemeinsam auf der Bühne stehen?
Jay Jay (überlegt): Wir... sind professionelle Musiker
und jeder vertraut dem anderen auf der Bühne. So klappt
alles bestens und wir können zusammen tolle Shows
spielen. Zu Hause hat jeder seine Familie. Aus diesem
Grund verbringen wir unsere Zeit daheim mit unseren
Frauen und Kindern und nicht mit den anderen
Bandmitgliedern.
MF: Wie ist das denn für deine Kinder? Auf der Bühne
bist du dieser verrückte Twisted-Gitarrist und zu Hause
dann der wohlsorgende Vater?
Jay Jay: Well! Auf der Bühne war ich nie dieser
Crazy-twisted-Gitarrist, da war ich immer der Vater
(lacht). Auch wenn ich wild herumgerannt bin, ich war
immer der Dad.
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