Livereview: Backyard Babies - Bullet - Radio Dead Ones
08. Oktober 2008, Rohstofflager, Zürich
Pics und Text by Urs
Draussen stand der Herbst vor der Tür - Grau, Nieselregen, Kälte. Doch das machte allen, die sich im Rohstofflager in Zürich auf die Backyard Babies (and friends) freuten aber gleich gar nichts aus. Denn wenn man eines auf sicher weiss, dann die Tatsache, dass bei den Backyard Babies ausgiebigst geschwitzt werden darf! "Fuck off and die" mag da manch einer beim Gedanken an die bevorstehende ungemütliche Jahreszeit gedacht und dem Herbst den warmen Stinkefinger gezeigt haben. Und er sollte recht behalten!

Radio Dead Ones
Pünktlich wie die Maurer legten kurz nach 8 Uhr die "Radio Dead Ones" los. Die Punkband aus Berlin mit den lustigen Künstlernamen (Beverly Crime - Gesang, Rik Oldman - Gitarre, Andru Bourbon - Bass, Fab.Potenzano - Gitarre und TV Moerk - Drums) kamen beim Publikum aber von Anfang an nicht wirklich weit. Ausser ein paar Die-Hard Fans, die die erste Reihe in ganzer Breite (und sichtlicher Gelassenheit) für sich nutzen konnten, war nicht viel vom Publikum zu sehen. Die wenigsten Rock'n'Roller trauten sich näher als 5 Meter an die Bühne 'ran oder schlichen im Schutze der Dunkelheit gleich wieder zurück in den Vorraum. Buh! Doch wo andere vor Schwermut oder Selbstmitleid zusammengebrochen wären, legten die Jungs den sechsten Gang ein und gaben alles. Nun kann man nicht sagen, dass Punk was Neues wären und auch die "Radio Dead Ones" wollten uns dies an diesem Abend nicht weismachen. Doch die Attitüde mit der zur Sache gegangen wurde, beindruckte über alle Massen und mich beschlichen Zweifel, ob die "Backyard Babies" Stageacting und Posing in der Folge noch würden übertreffen können. Mit dem Hinweis, dass man schon bald alte Bekannte in der Schweiz wäre und vor kurzer Zeit mehrere Konzerte gespielt hatte, endete der Gig kurz und knackig aber so pünktlich, wie er angefangen hatte. Ich für meinen Teil war froh, dass der Gitarrist alles heil überstanden hatte, denn bei seinen Zappeleien war man nie ganz sicher, wo und wie er sich als nächstes wehtun würde. Anyhow. Radio Dead Ones - nichts Weltbewegendes aber eine solide und engagierte Liveband. Die berühmte Lockerheit, die nur Berliner Jungs an den Tag legen können, hat sie im Nachhinein sicher auch vor dem kollektiven Suizid (nach diesem für sie doch sehr ernüchternden Gig) bewahrt. Der Berliner Funke sprang nicht über - das kann passieren. Gut waren sie trotzdem. Verständnis für Punk vorausgesetzt.

Bullet
Ich habe keine Ahnung, wie man sich 2008 als Band ausgerechnet "Bullet" nennen kann, müssen diesen Namen doch schon mindestens 666 andere Metalbands zuvor verwendet haben. Man denke alleine einmal an die Copyright-Probleme! Woa! Doch dies war nicht die einzige Verwunderung, die mich beschlich, als "Bullet" die Bühne nahmen und loslegten. Wieso? Also erst war's Accept-isch, dann Halford-isch und zwischenzeitlich DiAnno-isch. Habe ich AC/DC-isch vergessen? Es sei hiermit offiziell mitvermerkt. Gerifft wurde durchwegs Querbeet durch die gesamte Akkord-Schule des Heavy Metal - abgegriffen, was man bei Bands und Klischees abgreifen kann. Doch genug genölt und gemosert. Denn was gut tat, dass waren die Unbefangenheit und Lockerheit der vier Jungs aus Schweden. Unverkrampft wurde in bester Judas-Manier gepost und Synchrongitarren-Balett geschunkelt. Und wenn einen Metaller etwas freut, dann sind es posierliche Schunkeleien. Wir Fans brauchen sowas! Und "Hampus Klang" und "Erik Alström", die Gitarristen, wissen das genau! Wilde Mähne und Brusthaare taten ihr übriges - die Girls im Publikum waren denn auch durchwegs entzückt ob so vieler Trueheit.

Wäre da noch Kreissäge "Hell Hofer" zu erwähnen - der Sänger mit guten Aussichten auf einen Sponsoring-Deal bei Burger King. Doch nicht der Bauchumfang war sein Manko an diesem Abend, sondern seine Englisch-Kenntnisse, die eine lockere Konversation mit dem Publikum sehr erschwerten. Man hatte den Eindruck, als müsste er sich jeden Satz erst mal zurechtlegen und dann umständlich, ja zuweilen sehr unsicher, vortragen. Also eine eher verkrampfte Sache (obwohl er mit seinen Wangenküsschen für den Gitarristen Erik durchwegs sehr sympatisch 'rüberkam). Hier können die Jungs sicher noch eine Menge Boden gut machen indem sie "Hell Hofer" mal eine guten Englisch-Kurs featuren. Fazit: Es wurde viel in Klischees geschöpft und abgekupfert. Dennoch, Bullet sind allemal ihr Geld wert und unterhaltsam anzuschauen. Merke: Nur weil ein anderer Gitarrist DEIN Riff schon gespielt (und mit fast 100%iger Sicherheit auch einen Song 'rundherumgebaut hat) darfst du das Riff doch auch spielen! Nur Mut! Oh, und zum Schluss gab's noch den Gitarren-Umdrehtrick. Da war dann beim Track "Bite the Bullet" genau selbiges auf die instrumente verteilt abzulesen; Bite - the - bullet! Ich hoffe, die Jungs tun dies nicht und beehren uns bald wieder. Frisch (und Englisch) aufmunitioniert und "all guns blazing" sind sie jederzeit sehenswert!

Backyard Babies
Gut, wir hatten den Punk, Wir hatten den Metal. Und zum Schluss nun kam endlich das, wofür die meisten an diesem Abend hier waren - der Sleaze! Backyard Babies, mit neuem Album im Gepäck und der original schwedischen Extraladung frischem Rozz in den Nüstern, schnaubten zum Angriff! Mit "The Ship" und "Come Undone" wurde der Gig eröffnet, kurz gefolgt vom Crasher "Dysfunctional Professional". Es war (im Gegensatz zum Sinn des Songtitels) unüberseh- und hörbar, dass die Band hochprofessionell, motiviert und von einer unglaublichen Präsenz getragen wurde. Weiter ging es mit "Fuck Off And Die", dem stilistischen Nachfolger des Publikumlieblings "Brand New Hate", der gleich danach gerockt wurde und der Stimmung im Rohstofflager noch mehr Zunder gab. Es wurde geschwitzt und gerockt, gefausballt und gebangt! Der Stimmung konnte auch ein kurzzeitiger Ausfall der Gesangsanlage keinen Abbruch tun: Das Publikum sang einfach alleine weiter! Anstatt 'rumzubasteln wurde innert Bruchteilen von Sekunden die Stage von der Band ver- und den Roadies überlassen. Nach kurzer Zeit (und dem Dank der Band an ihre Top-Roadcrew) konnte es weitergehen. Ok, da war dann noch Peder der Schlagzeuger, der nun seinerseits nix mehr von seinem Drum hörte wollte, aber vermutlich wollte er eben auch mal kurz ganz und gar im Rampenlicht stehen.

Als es dann weiterging, fragte Nicke erstmal nach bewährter, freundlicher Art der Nordics, ob sie den Song von Anfang an spielen sollten. Ein netter Mensch. Wäre es nach mir gegangen, hätten sie am liebsten mit dem Gig noch einmal ganz von vorne anfangen können, aber ok, dann halt nur den einen Song. Die Setlist insgesamt war weiterhin erfrischend und gut gewählt. "Degenerated" vom neuen Player cockte vom feinsten, direkt neben den Hits schon erwähnten Hits wie "Brand New Hate" oder dem später gespielten "Star War". Die Jungs rocken nun seit bald 20 Jahren (1987) unter dem Gütesiegel "Backyard Babies" und sind sich dessen auch bewusst. Bei Wikipedia findet sich der Vermerk, dass die vier sich seit Schultagen kennen und ich denke, dies ist auch einer der Gründe, weshalb sie die verschiedenen Querelen von denen Nicke erzählte (Plattenfirma, Management, etc.) überwinden konnten. Hut ab vor so viel Durchhaltevermögen und Glaube an die eigene Sache. Die Verteilung der Rollen war für den weiteren Verlauf des Konzertes denn auch wie gehabt; Nicke und Dregen als charismatische Aushängeschilder der Band und Johan und Peder als deren bombensicheres Fundament. Dabei ist die enorme Anziehungskraft von Dregen & Co. ungebrochen. So musste ich auch einem jungen Mädel hinter mir "...weisch, ich bin viel in Schwede und de Dregen isch eifach un-be-schrieb-lich..." hoch und heilig versprechen, *wirklich* gute Photos
"ihres" Dregen zu schiessen.

Kreativ und Ideenreich war man auch beim Bühnenaufbau. He, dass Stockholms Rotlichtbezirk während der Backyard Babies-Tour im Dunkeln liegt - we can take it! Sämtliche Verstärker waren mit roten Leuchtgirlanden eingefasst, was ein cooles, stimmungsvolles Licht warf. Auf den Amps waren Feuerwehr-Drehlichter angebracht. Der Clou waren die Backdrops, welche abwechselnd, in eindrücklicher Grösse, die Portraits der vier Jungs zeigten. So wurde nach und nach ein Backdrop fallengelassen und die Gesichter der Jungs zum Vorschein gebracht. Gute Idee, sympatisch. Trotzdem oder gerade deswegen erinnerten mich die eindringlich Schwarzweiss-Portraits daran, dass hier vier ernsthafte Musiker - Menschen, mit all ihren Ecken und Kanten und Stärken und Schwächen Rock'n'Roll atmen. Und es ist in dem Zusammenhang eigentlich immer wieder derselbe Schock: Jedesmal sehen Nicke, Dregen, Johas und Peder noch eine Ecke fertiger aus als auf der letzten Tour. Gut, Rock 'n' Roll ist eine Lebenseinstellung und nein, es ist nicht damit getan, das Rockgirl-Outfit, welches du mal schnell über die Mittagszeit einkaufst, aufzubügeln. Dennoch möchte man ihnen zurufen, Jungs: Passt auf euch auf! Lasst noch einen kleinen Fetzen Haut als "Tattoo-freie Zone" stehen. Macht mal eine dopefreie Woche. Esst mal wieder was Gesundes, 'n Häppchen Salat oder so! Es reicht doch, wenn uns die Amy abraucht - unsere Heroes aus Schweden werden weiterhin dringend benötigt! Please!

Setlist Backyard Babies: The Shine, Come Undone, Dysfunctional Professional, Fuck Off And Die, Brand New Hate, Degenerated, The Clash, Back On The Juice, Idiots, Star War, Highlights, Look At You, Nomadic. Zugaben: Saved By The Bell, Minus Celsius, Bombed