Draussen stand der Herbst vor der Tür - Grau, Nieselregen, Kälte.
Doch das machte allen, die sich im Rohstofflager in Zürich auf die
Backyard Babies (and friends) freuten aber gleich gar nichts aus.
Denn wenn man eines auf sicher weiss, dann die Tatsache, dass bei
den Backyard Babies ausgiebigst geschwitzt werden darf! "Fuck off
and die" mag da manch einer beim Gedanken an die bevorstehende
ungemütliche Jahreszeit gedacht und dem Herbst den warmen
Stinkefinger gezeigt haben. Und er sollte recht behalten!
Radio Dead Ones
Pünktlich wie die Maurer legten kurz nach 8 Uhr die "Radio Dead Ones"
los. Die Punkband aus Berlin mit den lustigen Künstlernamen (Beverly
Crime - Gesang, Rik Oldman - Gitarre, Andru Bourbon - Bass,
Fab.Potenzano - Gitarre und TV Moerk - Drums) kamen beim Publikum
aber von Anfang an nicht wirklich weit. Ausser ein paar Die-Hard
Fans, die die erste Reihe in ganzer Breite (und sichtlicher
Gelassenheit) für sich nutzen konnten, war nicht viel vom Publikum
zu sehen. Die wenigsten Rock'n'Roller trauten sich näher als 5 Meter
an die Bühne 'ran oder schlichen im Schutze der Dunkelheit gleich
wieder zurück in den Vorraum. Buh!
Doch wo andere vor Schwermut oder Selbstmitleid zusammengebrochen
wären, legten die Jungs den sechsten Gang ein und gaben alles. Nun
kann man nicht sagen, dass Punk was Neues wären und auch die "Radio
Dead Ones" wollten uns dies an diesem Abend nicht weismachen. Doch
die Attitüde mit der zur Sache gegangen wurde, beindruckte über alle
Massen und mich beschlichen Zweifel, ob die "Backyard Babies"
Stageacting und Posing in der Folge noch würden übertreffen können.
Mit dem Hinweis, dass man schon bald alte Bekannte in der Schweiz
wäre und vor kurzer Zeit mehrere Konzerte gespielt hatte, endete der
Gig kurz und knackig aber so pünktlich, wie er angefangen hatte. Ich
für meinen Teil war froh, dass der Gitarrist alles heil überstanden
hatte, denn bei seinen Zappeleien war man nie ganz sicher, wo und
wie er sich als nächstes wehtun würde.
Anyhow. Radio Dead Ones - nichts Weltbewegendes aber eine solide und
engagierte Liveband. Die berühmte Lockerheit, die nur Berliner Jungs
an den Tag legen können, hat sie im Nachhinein sicher auch vor dem
kollektiven Suizid (nach diesem für sie doch sehr ernüchternden Gig)
bewahrt. Der Berliner Funke sprang nicht über - das kann passieren.
Gut waren sie trotzdem. Verständnis für Punk vorausgesetzt.
Bullet
Ich habe keine Ahnung, wie man sich 2008 als Band ausgerechnet "Bullet"
nennen kann, müssen diesen Namen doch schon mindestens 666 andere
Metalbands zuvor verwendet haben. Man denke alleine einmal an die
Copyright-Probleme! Woa! Doch dies war nicht die einzige
Verwunderung, die mich beschlich, als "Bullet" die Bühne nahmen und
loslegten. Wieso? Also erst war's Accept-isch, dann Halford-isch und
zwischenzeitlich DiAnno-isch. Habe ich AC/DC-isch vergessen? Es sei
hiermit offiziell mitvermerkt. Gerifft wurde durchwegs Querbeet
durch die gesamte Akkord-Schule des Heavy Metal - abgegriffen, was
man bei Bands und Klischees abgreifen kann.
Doch genug genölt und gemosert. Denn was gut tat, dass waren die
Unbefangenheit und Lockerheit der vier Jungs aus Schweden.
Unverkrampft wurde in bester Judas-Manier gepost und
Synchrongitarren-Balett geschunkelt. Und wenn einen Metaller etwas
freut, dann sind es posierliche Schunkeleien. Wir Fans brauchen
sowas! Und "Hampus Klang" und "Erik Alström", die Gitarristen,
wissen das genau! Wilde Mähne und Brusthaare taten ihr übriges - die
Girls im Publikum waren denn auch durchwegs entzückt ob so vieler
Trueheit.
Wäre da noch Kreissäge "Hell Hofer" zu erwähnen - der Sänger mit
guten Aussichten auf einen Sponsoring-Deal bei Burger King. Doch
nicht der Bauchumfang war sein Manko an diesem Abend, sondern seine
Englisch-Kenntnisse, die eine lockere Konversation mit dem Publikum
sehr erschwerten. Man hatte den Eindruck, als müsste er sich jeden
Satz erst mal zurechtlegen und dann umständlich, ja zuweilen sehr
unsicher, vortragen. Also eine eher verkrampfte Sache (obwohl er mit
seinen Wangenküsschen für den Gitarristen Erik durchwegs sehr sympatisch 'rüberkam). Hier können die Jungs sicher noch eine Menge
Boden gut machen indem sie "Hell Hofer" mal eine guten Englisch-Kurs
featuren.
Fazit: Es wurde viel in Klischees geschöpft und abgekupfert.
Dennoch, Bullet sind allemal ihr Geld wert und unterhaltsam
anzuschauen. Merke: Nur weil ein anderer Gitarrist DEIN Riff schon
gespielt (und mit fast 100%iger Sicherheit auch einen Song 'rundherumgebaut
hat) darfst du das Riff doch auch spielen! Nur Mut!
Oh, und zum Schluss gab's noch den Gitarren-Umdrehtrick. Da war dann
beim Track "Bite the Bullet" genau selbiges auf die instrumente
verteilt abzulesen; Bite - the - bullet! Ich hoffe, die Jungs tun
dies nicht und beehren uns bald wieder. Frisch (und Englisch)
aufmunitioniert und "all guns blazing" sind sie jederzeit
sehenswert!
Backyard Babies
Gut, wir hatten den Punk, Wir hatten den Metal. Und zum Schluss nun
kam endlich das, wofür die meisten an diesem Abend hier waren - der
Sleaze! Backyard Babies, mit neuem Album im Gepäck und der original
schwedischen Extraladung frischem Rozz in den Nüstern, schnaubten
zum Angriff!
Mit "The Ship" und "Come Undone" wurde der Gig eröffnet, kurz
gefolgt vom Crasher "Dysfunctional Professional". Es war (im
Gegensatz zum Sinn des
Songtitels) unüberseh- und hörbar, dass die
Band hochprofessionell, motiviert und von einer unglaublichen
Präsenz getragen wurde. Weiter ging es mit "Fuck Off And Die", dem
stilistischen Nachfolger des Publikumlieblings "Brand New Hate", der
gleich danach gerockt wurde und der Stimmung im Rohstofflager noch
mehr Zunder gab. Es wurde geschwitzt und gerockt, gefausballt und
gebangt!
Der Stimmung konnte auch ein kurzzeitiger Ausfall der Gesangsanlage
keinen Abbruch tun: Das Publikum sang einfach alleine weiter!
Anstatt 'rumzubasteln wurde innert Bruchteilen von Sekunden die
Stage von der Band ver- und den Roadies überlassen. Nach kurzer Zeit
(und dem Dank der Band an ihre Top-Roadcrew) konnte es weitergehen.
Ok, da war dann noch Peder der Schlagzeuger, der nun seinerseits nix
mehr von seinem Drum hörte wollte, aber vermutlich wollte er eben
auch mal kurz ganz und gar im Rampenlicht stehen.
Als es dann weiterging, fragte Nicke erstmal nach bewährter,
freundlicher Art der Nordics, ob sie den Song von Anfang an spielen
sollten. Ein netter Mensch. Wäre es nach mir gegangen, hätten sie am
liebsten mit dem Gig noch einmal ganz von vorne anfangen können,
aber ok, dann halt nur den einen Song. Die Setlist insgesamt war
weiterhin erfrischend und gut gewählt. "Degenerated" vom neuen
Player cockte vom feinsten, direkt neben den Hits schon erwähnten
Hits wie "Brand New Hate" oder dem später gespielten "Star War".
Die Jungs rocken nun seit bald 20 Jahren (1987) unter dem Gütesiegel
"Backyard Babies" und sind sich dessen auch bewusst. Bei Wikipedia
findet sich der Vermerk, dass die vier sich seit Schultagen kennen
und ich denke, dies ist auch einer der Gründe, weshalb sie die
verschiedenen Querelen von denen Nicke erzählte (Plattenfirma,
Management, etc.) überwinden konnten. Hut ab vor so viel
Durchhaltevermögen und Glaube an die eigene Sache.
Die Verteilung der Rollen war für den weiteren Verlauf des Konzertes
denn auch wie gehabt; Nicke und Dregen als charismatische
Aushängeschilder der Band und Johan und Peder als deren
bombensicheres Fundament. Dabei ist die enorme Anziehungskraft von
Dregen & Co. ungebrochen. So musste ich auch einem jungen Mädel
hinter mir "...weisch, ich bin viel in Schwede und de Dregen isch
eifach un-be-schrieb-lich..." hoch und heilig versprechen,
*wirklich* gute Photos
"ihres" Dregen zu schiessen.
Kreativ und Ideenreich war man auch beim Bühnenaufbau. He, dass
Stockholms Rotlichtbezirk während der Backyard Babies-Tour im
Dunkeln liegt - we can take it! Sämtliche Verstärker waren mit roten
Leuchtgirlanden eingefasst, was ein cooles, stimmungsvolles Licht
warf. Auf den Amps waren Feuerwehr-Drehlichter angebracht. Der Clou
waren die
Backdrops, welche abwechselnd, in eindrücklicher Grösse,
die Portraits der vier Jungs zeigten. So wurde nach und nach ein Backdrop fallengelassen und die Gesichter der Jungs zum Vorschein
gebracht. Gute Idee, sympatisch.
Trotzdem oder gerade deswegen erinnerten mich die eindringlich
Schwarzweiss-Portraits daran, dass hier vier ernsthafte Musiker -
Menschen, mit all ihren Ecken und Kanten und Stärken und Schwächen Rock'n'Roll atmen.
Und es ist in dem Zusammenhang eigentlich immer wieder derselbe
Schock: Jedesmal sehen Nicke, Dregen, Johas und Peder noch eine Ecke
fertiger aus als auf der letzten Tour. Gut, Rock 'n' Roll ist eine
Lebenseinstellung und nein, es ist nicht damit getan, das
Rockgirl-Outfit, welches du mal schnell über die Mittagszeit
einkaufst, aufzubügeln. Dennoch möchte man ihnen zurufen, Jungs:
Passt auf euch auf! Lasst noch einen kleinen Fetzen Haut als "Tattoo-freie
Zone"
stehen. Macht mal eine dopefreie Woche. Esst mal wieder was
Gesundes, 'n Häppchen Salat oder so! Es reicht doch, wenn uns die
Amy abraucht - unsere Heroes aus Schweden werden weiterhin dringend
benötigt! Please!
Setlist Backyard Babies: The Shine, Come Undone, Dysfunctional
Professional, Fuck Off And Die, Brand New Hate, Degenerated, The
Clash, Back On The Juice, Idiots, Star War, Highlights, Look At You,
Nomadic. Zugaben: Saved By The Bell, Minus Celsius, Bombed
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