Livereview: Brienzersee Rockfestival 2019

02. & 03. August 2019, Brienz
Text & Pics by Tinu (tin) & Oliver (oli)

Auch das 32. Brienzersee Rockfestival stand ganz im Zeichen des Hard- und Glam Rocks der Achtziger Jahre. Mit den Schweden Europe und den Amerikanern Tyketto standen gleich zwei Schwergewichte dieser Dekade als Headliner auf der Bühne am oberen Brienzersee. Ansonsten bot das Line-up ein buntes Potpourri aus Punk und Rock aller Art, wobei für meinen Geschmack noch ein paar grosse Namen des Genres Platz gehabt hätten. Zumindest liess das Wetter keine Wünsche offen, sodass die Besucher im Freien, ja sogar teilweise im See, ihren Lieblingsbands lauschen konnten. Dieses Jahr konnte ich erstmal die Berichterstattung mit meinem Metal Factory-Kollegen Tinu teilen, der besonders den Freitag aufs Korn nahm. Am Samstag machten wir beide das Gelände unsicher, was so unterhaltsam war, wie das Festival selbst. (oli)

Jaded Heart
Die deutsche Truppe um Bassist Michael "Mülli" Müller ist eigentlich immer ein Garant für eine gute Rock-Show. Die Band ist eingespielt, hat Songs, welche auch Besuchern denen Jaded Heart unbekannt sind, gefallen und alleine Michaels Bühnenpräsentation reisst die Combo aus dem Mittelmass heraus. Die Spielfreude schien auch bei den Gitarristen im Mittelpunkt zu stehen, und der schwedische Shouter Johan Fahlberg versuchte immer wieder die noch geringe Anzahl Fans vor die Bühne zu locken. Was in meinen Augen der Truppe fehlt, ist ein richtiger Hit, der die Band unsterblich macht. So lief dieser Auftritt einmal mehr neben mir vorbei. Den Fans allerdings schien es zu gefallen und alleine nur das zählt! (tin)

Ohrenfeindt
Das Trio aus St. Pauli lieferte feinsten Hardrock mit viel Herz wie Seele und deutschen Texten. Logisch schimmern Airbourne, AC/DC und Rose Tattoo in allen Songs durch, und man könnte fast sagen, dass die Herren sich mit Nitrogods messen können. Die Soundprobleme zu Beginn lähmten den Einstieg der Jungs, dies schien der Spielfreude aber keinen Abbruch zu tun, und es war nicht nur die sich immer wieder um die eigene Achse drehende Zunge vom singenden Bassisten Chris Laut, die für Freude sorgte. Es zeigte sich einmal mehr, dass eine Band mit deutschen Texten sehr wohl punkten kann, wenn die Lyrics, einmal gehört, nicht mehr aus den Gehörgängen gehen. Dies ist ein absolutes Plus von Ohrenfeindt, da wohl alle Besucher nach dem ersten Refrain, selbigen nach Herzenslust und bierseliger Laune mitgröhlten. Den AC/DC-Angus-Enten-Walk kopierte Gitarrist Pierre Blesse gekonnt, und so vermochte das Trio einen souveränen Sieg verbuchen. (tin)

Crashdïet
Auf die Schweden war ich mehr als nur gespannt, hinterliessen die beiden letzten Gigs bei mir doch einen sehr faden Beigeschmack. Dies lag zum einen am neuen Sänger Gabriel Keyes, der für mich zu übermotiviert auf der Stage stand und zum anderen die in meinen Augen fast ein bisschen unsicheren Performances von Gitarrist Martin Sweet und Bassist Peter London. Ganz zu schweigen von der sehr bescheidenen Setliste. Also, die Schweden hatten was gut zu machen und Fazit vorneweg: Sie taten es auch. Dies lag vor allem an der absolut tollen Setliste und an der sehr eingespielten Präsentation der Jungs. Gabriel war auch um einiges besser integriert, überzeugte mit seinen hohen Schreien, und so durfte er auch alleine, mit einer Akustikgitarre bewaffnet, den W.A.S.P.-Klassiker «Hold On To My Heart» vorführen. Ein in meinen Augen gewagtes Unterfangen, das nur in die Hosen gehen konnte... Zumindest der weibliche Zuspruch war dem Sänger gewiss, da die holden Ladies dem Blonden förmlich an den Lippen hingen. Das Quartett zelebrierte den Sleaze Rock, kupferte mal bei Skid Row wie den Hardcore Superstars ab und mischte das Ganze mit einer gehörigen Portion eigener Identität. Die Band und das Publikum schienen sich förmlich zu vermischen, und als Gabriel einige Male an der Lichttraverse empor kletterte, kannte die Euphorie des Publikums kein Grenzen mehr. Mit Tracks wie «Chemical», «Breaking The Chainz», «Circus», «Riot In Everyone» oder «It's A Miracle» spielten Crashdïet einige Asse aus und waren in meinen Augen die klaren Gewinner an diesem Abend! (tin)

Tyketto
Die Jungs um den ehemaligen Waysted-Sänger Danny Vaughn sind für mich eine spezielle Angelegenheit. Es gibt diesen einen Track, «Forever Young», der mich durch meine Jugend begleitete. Der Rest ging spurlos an mir vorbei, da ich das Ganze immer zu unspektakulär einstufte. Lassen wir meine persönliche Meinung aussen vor und konzentrieren wir uns auf die Reaktionen des Publikums, die sehr gut ausfielen. Gespielt wurde zur Feier des 25. Jubiläums das komplette «Strength In Numbers»-Album. Danny ist nach wie vor ein begnadeter Shouter, der mit seinen langen Haaren auch optisch einiges hergibt. Er war immer in Bewegung, animierte das Publikum und ist genau das, was man sich von einem perfekten Entertainer erhofft. An seiner Seite hatte der Sänger mit dem Thunder-Bassisten Chris Child und Schlagzeuger Michael Arbeeny ein sehr tightes und eingespieltes Rhythmusduo, auf dem sich Gitarrist Chris Green austoben konnte (er bekam vor dem Konzert eine neue Gitarre eines Schweizer Gitarrenbauers). Trotz dem guten Hardrock, der eigentlich perfekt nach Brienz passte, zogen Crashdïet mehr Leute als Tyketto vor die Bühne. Dies schien die Combo um Danny aber nicht zu beeindrucken, denn sie spielte mit viel Freude in den Backen und konnte an diesem Abend viele neue Fans für sich gewinnen. (tin)


QL
Tja, der Mundart-Punk der Seeländer passte wie der berühmte Deckel auf den Arsch ins Berner Oberland. Man kann ja über Originalität diskutieren, und ob das, was die Vier da auf der Bühne abliefern, gut ist. ABER! QL zogen die Massen in Scharen an und liessen die alten Schweizer Hits mit einem rockigeren und punkigeren Flair aufleben. Ob dann Paolas «Blue Bayou», Florian Ast «Sex», Gölä oder wer auch immer in anständigen Versionen gezockt wurde, es spielte keine Rolle. Ja, man kann davon halten was man will, aber die Jungs hatten mächtig Spass auf der Bühne und die Fans auch, welche die Lieder logischerweise in- und auswendig kannten, textsicher und dank einem hohen Alkoholpegel jede noch vorhandene Melodie lautstark abwürgten, sorry mitsangen... Es waren aber nicht nur die Lieder, sondern auch die Ansagen, welche passten und sich wohl jede und jeder ertappt fühlte, wie man sich mit der Naivität eines Teenagers an das Thema "Liebe" heran tastete. Ja, es war eine verdammt gute Unterhaltung bei der ich gestehen muss, dass mich der "Cool-" Faktor packte und ich mich an meine Jugend erinnert fühlte, was damals so alles im Radio lief. Ob man es nun hören wollte oder nicht. Es war das Umarrangieren der Lieder, welches diesen ansteckenden Spassfaktor mit sich brachte und man, ob gewollt oder nicht, zumindest mit dem Fuss mitwippte und sich ein breites Grinsen auf den eigenen Lippen breit machte. Danke QL, hat Spass gemacht und ihr wart an diesem Abend der perfekte Ausklang eines tollen ersten Tages. (tin)





Zweiter Tag

Jesters Quest
Exclamation verpasste ich, da ich zu diesem Zeitpunkt noch gemütlich beim Morgenessen sass. Auch von Jesters Quest sah ich nur noch knapp die Hälfte der Show, war aber dermassen geflasht von den singenden Ladys, dass ich nicht anders konnte, als zuzusehen. Speziell Madeleine überzeugte von der ersten Note weg mit ihrem kräftigen Organ und liess die wenigen Anwesenden jubeln. Ansonsten war die Truppe in keine musikalische Schublade zu packen. Von allem etwas und dies mit einer gehörigen Portion Eigenständigkeit. Eine Besucherin liess sich sogar dazu hinreissen, folgendes Statement abzuliefern: "Endlich Frauenpower auf der Bühne!" Wie recht sie hatte und dies nicht zu knapp. Vielleicht hätte sich die Truppe aber den Versuch des Mitsingparts mit den Anwesenden sparen sollen, denn der ging in die Hosen. Die, welche aber schon vor der Bühne standen, hatten ihren Spass und feierten Jesters Quest wie einen Headliner ab. Was auch in die Hosen ging, war die Konfettikanone, welche Sängerin Gabriela entfachen wollte… Na ja, das nächste Mal halt. Sympathisch auf jeden Fall, wie alle auf diesen kleinen Fauxpas reagierten. Jester Quest sind sicher nicht meine musikalische Baustelle, aber was sie boten, war absolut toll und hat Laune gemacht. Werde ich mir sicher nochmals ansehen. (tin)

Jolly Jackers
Noch mehr Frauenpower gab es dann mit den Ungaren Jolly Jackers. Am Bass, an der Violine und der Querflöte standen gleich drei Grazien auf der Bühne. Neben ihnen ein Sänger, der wie ein Hardcore-Shouter auf der Bühne rumhüpfte. Auf der Bühne stand, in meinen Augen, eine Truppe, die rein optisch nicht zusammen passte. Von Wochenendmusiker über Vollblutmucker bis hin zu einem Bankangestellten hätte wohl jeder auf der Bühne seinen Platz gefunden. Musikalisch erinnerte mich die Truppe an Skyclad, eine Band, welche den Folk-Rock/Metal nachhaltig prägte und begründete. Was somit dem Sound fehlt, sind die packenden Melodien, die Refrains, die man nach einmal anhören mitsingen kann, und somit verloren sich die Besucher mehr schlecht denn recht vor der Bühne. Jolly Jackers würden eine gute Figur in einem Pub oder an den Highland Games abgeben. Am Brienzer Rockfest war die Truppe sicher ein musikalischer Farbtupfer, mehr aber auch nicht. (tin)

Grand Design
Ja, ich habe ein paar Scheiben der Schweden bei mir zu Hause. Der Def Leppard-Sound mit leichten Van Halen- und Bon Jovi-Vibes lässt sich anhören, aber mit einer Spielzeit von neunzig Minuten wurde der Auftritt, je länger das Set dauerte, fast langweilig. Für einen Headliner-Gig besitzem Grand Design dann doch nicht das Material der oben erwähnten Truppen, sondern eben auch B-Songs, die man sicher anhören kann, die aber mit der Zeit auch monoton wirken. Lustig, wie sich Sänger Pelle mit seinen Sternenhosen als eine kleine Reinkarnation von Vince Neil (Mötley Crüe) und David Lee Roth (Van Halen) entpuppte. Der Sänger war immer in Bewegung, versuchte das Publikum auf seine Seite zu ziehen und präsentierte sich als sehr freundlicher Shouter. Mit den beiden Gitarristen Dennis und Janne lieferte die Truppe tolle Riffs und immer wieder coole Solos ab. Mit vielen Melodien, noch mehr Refrains und ganz viel Hardrock der achtziger Jahre ging Brienz zeitweise förmlich auf. Sprich das Publikum schien immer grösser zu werden, um sich dann doch wieder an den Getränke- und Essständen zu verköstigen (das Essen war wirklich sehr gut!) und sich auf die kommenden Bands (Bonfire und Europe) vorzubereiten. Eigentlich schade, dass Grand Design nicht mehr Applaus für sich beanspruchen konnten. Aber dafür hätte es den einen oder anderen Hit mehr gebraucht. (tin)

Jack Slamer
Die Winterthurer Jack Slamer erobern momentan die Musikwelt wie eine Rakete das Weltall. In diesem Jahr kommt man um die 70's Rock spielende Truppe einfach nicht drum herum. Mit der zweiten Platte im Koffer, SRF-3 Best-Talent-Würdigung in der Tasche und unzähligen Gigs im Rucksack, pilgern sie momentan von Auftritt zu Auftritt. So auch am Samstagnachmittag beim Brienzer Rockfest. Inspiriert von den ganz Grossen wie Led Zeppelin, Deep Purple, Rival Sons oder Monster Truck, legte der Fünfer um Florian Ganz mächtig los. Die Gitarren heulten, die Haare flogen und das Lebensgefühl von früher, gepaart mit dem Zeitgeist von heute, sprang dem Publikum mitten ins Gesicht. Die Vorschusslorbeeren waren ihnen ja bereits im Vorfeld des Gigs sicher, doch live waren Jack Slamer nach Ansicht der Zuschauer noch besser, als man es hätte erahnen können. Die Gruppe hatte für einen warmen Nachmittag mehr Publikum, als der Durchschnitt an anderen Tagen. Ich für meinen Teil konnte dies nicht ganz nachvollziehen, da ich bereits ab Song drei das Gefühl bekam, alles schon mal gehört zu haben und mich an den See zurück zog. Ein Grossteil des Publikums blieb ihnen aber treu und lebte den Rock'n'Roll bis zur letzten Faser aus. Vermutlich war ich einfach nicht bereit dazu und freute mich zu sehr auf die restlichen Bands des Abends. Bonfire und Europe! (oli)

Setliste: «Wanted Man» «Biggest Mane» «Dä Hoschti chunnt z'spat» «Monkey Dance» «I Want A Kiss» «Sechsachtelgeil» «Noise From The Neighbourhood» «The Truth» «Secret Land» «Turn Down The Light» «Nobilität» «Shaman» «Entire Force» «Call It A Day» «Honey & Gold»

Für die nächsten beiden Liveberichte muss ich etwas ausholen und in der Zeit zurück reisen. Beim Betreten des Festivalgeländes fühlte es sich an, als wäre ich wieder dreizehn Jahre alt. Meine Helden von damals, Europe, hatten gerade «Out Of This World» (1988) und Bonfire «Point Blank» (1989) veröffentlicht. Live waren aber beide Bands für mich unerreichbar, und ich musste mich mit einer Langspielplatte der Schweden und einer MC (nein, das ist kein Motorradclub, sondern eine Musik-Cassette) der Deutschen zufrieden geben. Ich hörte beide Bands rauf und runter, bis die Kassette dem Bandsalat und die LP dem wirtschaftlichen Fortschritt zum Opfer fiel. Dazu kam, dass ich die Truppen bald aus den Augen verlor, da ich mich härteren Genres zuwandte. In der Zwischenzeit hätte ich natürlich genügend Zeit gehabt, mir beide selbstfinanziert live anzusehen, aber ich habe mich immer wieder dagegen entschieden. Doch jetzt, genau dreissig Jahre später, spielten gleich beide Bands am selben Tag vor meiner Haustür! Ich musste nicht zu Bonfire und Europe, sie kamen zu mir! Dies war ein Zeichen, dem ich mich nicht widersetzen konnte, und so zog ich los, bewaffnet mit Block und Fotoapparat, um ein Versäumnis der Jugend nachzuholen. (oli)

Bonfire
Die deutschen Hardrocker von Bonfire legten zur Primetime ziemlich energiegeladen und gepflegt los. Zu Beginn bekam das Publikum eine Kostprobe ihres neuen Albums «Temple Of Lies» zu hören, danach ging es aber sogleich um Jahre zurück, sprich in die Erfolgszeit von Bonfire. Die Zuschauer dankten es ihnen mit kräftigem Applaus und lautem Mitsingen, soweit sie textsicher genug waren. Songs von «Don't Touch The Light», «Fireworks» und «Point Blank» füllten einen Grossteil der Setliste des Abends aus. Klingt gut, war es aber aus meiner Sicht nicht durchs Band weg. Nach gut zwanzig Minuten schlich sich eine Art Monotonie ein, die für den Auftritt der Ingolstädter nicht förderlich war. Etliche Midtempo-Songs und Balladen bremsten die Stimmung der Anwesenden, die doch ganz zahlreich im Festzelt zum Feiern eingetrudelt waren. Der Fünfer spielte solide weiter und machte etliche Showeinlagen, die bei der Menge wieder gut aufgenommen wurden. Die Verjüngung der Band hat sich insofern positiv ausgewirkt, als dass Sänger Alexx Stahl topmotiviert mit den Zuschauern agierte und auch wie ein Gummiball die Bühne in Beschlag nahm. Hans Ziller, einziges übrig gebliebenes Gründungsmitglied, wirkte dagegen wie ein Greis mit Gitarre. Die Finger flink, doch der Rest der Person machte keine grossen Sprünge mehr. Die Zeit arbeitete für alle Beteiligten und während der letzten zwanzig Minuten nahm der Tross nochmals richtig Fahrt auf. Bei «SDI» sang das ganze Zelt die berühmten drei Letters mit, und ich war echt überrascht, wie viele Bonfire-Fans den Weg nach Brienz gefunden hatten. Zu dem Zeitpunkt erreichten sie mich ebenfalls und ich wünschte, sie hätten die ganze Zeit über so Vollgas gegeben. Doch es war zu spät. Nichtsdestotrotz haben sie ihre Arbeit gut gemacht, denn ich war warmgelaufen und hatte total Bock auf Europe. So ging es nicht nur mir, sondern auch den gut 3'000 Zuschauern, die am ausverkauften Rockfest den finalen Countdown anzählten. (oli)

Setliste: «Intro» «In The Beginning» «Temple Of Lies» «Never Mind» «Don't Touch The Light» «Under Blue Skies» «Praying For A Miracle» «Give It A Try» «Crazy Over You» «Sword And Stone» «Stand Or Fall» «American Nights» «Tony's Roulette» «Can't Break Away» «Sweet Obsession» «SDI» «Ready For Reaction» «You Make Me Feel»

Europe
Der Höhepunkt am Samstag waren natürlich Europe. Die fünf sympathischen Nordländer blicken ebenfalls auf eine fast 50-jährige Karriere zurück, die mit Höhen und Tiefen gespickt ist. Seit Jahren sind sie aber wieder eine feste Grösse im Hardrock-Zirkus, die zu überzeugen weiss. Beinahe wieder in Originalbesetzung (bis auf Kee Marcello) von ihren «The Final Countdown»-Jahren, rocken die Köttbullar-Jungs ein Festival nach dem anderen. Das Publikum war warm gelaufen, nicht nur wegen des fantastischen Wetters und erwartete nun eine "Europe-Show" mit all ihren Hits. Genau das taten sie dann auch. Vor ihrem grossen Backdrop, das wieder einmal den Rahmen der Seebühne sprengte, nahm Ian Haugland hinter seinem Schlagzeug Platz. Einer nach dem anderen trudelte ein und als letzter "flog" Sänger Joey Tempest auf die Bühne. Energetisch und voller Spielfreude hatte der charismatische Frontmann das ganze Publikum schnell in der Tasche. Hätte er diesem verdorbenes Essen angeboten, es hätte ihm aus der Hand gefressen. Vor der Bühne wurde gerufen, getanzt und gesungen. Viele machten Fotos vom quirligen Sänger, der noch immer wie ein Mitzwanziger die Bühne beherrscht. Im Gegenzug haben seine Mitstreiter John Norum (Gitarre) und John Levén (Bass) an Beweglichkeit eingebüsst, sind aber mit Sicherheit die einfacheren Fotomotive. Schon beim dritten Song kochte das Zelt über, und die Menge nahm die Aufforderung «Rock The Night» mehr als wörtlich. Bis zum Mischpult hin tanzten die Leute auf dem staubigen Boden, dahinter standen dann alle auf den Tischen und Bänken, um möglichst viel vom Bühnenspektakel mitzubekommen. Nebst den Klassikern feierte die Crowd auch die neueren Songs frenetisch ab. Zur Mitte hin sorgte ihr wohl berühmtester Schmachtfetzen «Carrie» für Tränen in den Augen und wieder einmal echte Feuerzeuge in der Luft. Die Handydisplays waren eindeutig in der Unterzahl, ein schönes Bild. Es war eine Show der Superlative! Keine Pyros, keine grosse Lichtshow, kein Theater! Einfach nur Europe und ihre Songs. Es stimmte einfach alles während den neunzig Minuten Spielzeit. Das Schlussbouquet war dann nochmals der Reisser schlechthin, der nicht zu toppen war. Ein Dreier mit «Superstitious», «Cherokee» und «The Final Countdown» ist unbezahlbar, was die Zuschauer ebenso sahen. Vermutlich hörte man die Mitsingchöre bis nach Interlaken und die Zugabe-Rufe noch bis Meiringen. Mich hat es jedenfalls angesteckt und zwischenzeitlich sass da wieder der 13-jährige Junge auf der Bank, der seine Idole ungehemmt anhimmelte. Die Schweden liessen sich noch einen Moment feiern, bevor sie dem Berner Oberland endgültig den Rücken kehrten. Danach folgte zwar noch eine Band, aber da kam nichts mehr! Nach so einem Auftritt konnte es nur einen folgerichtigen Schritt geben – ab nach Hause und die Erinnerungen möglichst lange konservieren!

Setliste: «Walk The Earth» «The Siege» «Rock The Night» «Scream Of Anger» «Last Look At Eden» «Sign Of The Times» «Heart Of Stone» «War Of Kings» «Hole In My Pocket» «Carrie» «Nothin' To Ya» «Dance The Night Away» «Ready Or Not» «Superstitious» «Cherokee» «The Final Countdown»

Ocean Orchestra
Was war das dann? Ein Truppe, die aussah, als hätte sich John Travolta zu «Saturday Night Fever»-Zeiten mit einen paar Strassenkötern vermischt. Ocean Orchestra stand mit Leuchterketten an den Mikrofonständern bewaffnet auf der Stage. Hippie-Rock, der mit Coverversionen von Status Quo («Caroline»), The Beach Boys («Surfin' USA»), Bon Jovi («Runaway»), Kiss («I Was Made For Lovin' You»), Queen («Radio Gaga»), Blondie («Maria»), The Pointed Sister («I'm So Exited»), John Travolta / Olivia Newton-John («You're The One That I Want») oder Shocking Blue («Venus») zum passenden Rausschmeisser wurde. Ich bin mir nicht sicher, ob der Sänger jeden Text ablesen musste... Am Ende des Tages kannte die Stimmung kein Halten mehr, auch wenn mehr als die Hälfte der Leute nach Europe schon auf dem Heimweg waren. Nach den Schweden war es extrem schwer, denn die Stimmung, welche die Band um Sänger Joey Tempest nach Brienz zauberte, erreichte locker jene, als «The Final Countdown» zum ersten Mal in der Schweiz im Zürcher Hallenstadion gespielt wurde und den Soundtempel damals völlig aus den Grundelementen hob. Die genau gleiche Stimmung gab es an diesem Samstagabend in Brienz. Trotz dieser undankbaren Aufgabe lieferten Ocean Orchestra einen sehr guten Job ab und beendeten den zweiten Tag mit vielen Hits und interessanten Interpretationen selbiger. (tin)