Livereview: Disturbed - Papa Roach - Buckcherry - Halestorm
26.11.2010 – Eishalle Deutweg, Winterthur
by Kissi
Von Beginn meiner Konzertbesucherkarriere an war ich es mir gewohnt, einer der jüngsten im Publikum zu sein. Mit 16 an einen Gig von Saxon, Metal Church oder Magnum, dann zieht man den Altersdurchschnitt schon ziemlich runter. Mit dem Alter verschwindet dieser Sonderstatus natürlich, doch hätte ich nicht erwartet, gerade mal mit 22 Jahren schon zur älteren Hälfte der Anwesenden zu gehören. So geschehen beim Besuch der „Rockstar Taste Of Chaos Tour“. In der Winterthurer Eishalle angekommen, staunte ich nicht schlecht, als mir bewusst wurde, wie jung Fans von Disturbed und Papa Roach zu sein schienen. 15 bis 25 Jahre schien hier der/die durchschnittliche Besucher/in alt zu sein, was wohl mitverantwortlich war für den frühen Beginn um 18.30 Uhr. Was für die Getränkeverkäufer ein Nachteil (Ausweiskontrolle!), das war dann aber für die Bands ein hundertprozentiger Vorteil. Selten habe ich ein Publikum so durchdrehen hören wie bei Papa Roach an diesem Abend. Doch referieren wir chronologisch:

Halestorm

Eher spärlich gefüllt zeigte sich die Halle, deren Ränge gesperrt waren, um 18.30 Uhr, als die amerikanischen Newcomer Halestorm die Bühne enterten. Es brauchte aber nur ein beeindruckend langer Schrei von Frontfrau Elizabeth „Lizzy“ Hale und schon hatte sich eine euphorisch mitfeiernde Traube aus ca. 200 Fans vor der Bühne versammelt. Schnell wurde klar wieso: Nicht nur ist Madame Hale ein wandelnde Männerphantasie, auch ihre Band (allen voran ihr überschwänglicher Bruder Arejay an den Drums) liess nichts anbrennen. Begonnen beim eingängigen Rocker „It's not You“, über Balladeskes wie „Familiar Taste Of Poison“ bis zum abschliessenden „Get it Off“ mit einleitendem Alle-Trommeln-mal-Teil – der Fünfer inszenierte sich perfekt als grosse Rocker und konnte dabei mehr als nur ihre eigenen Fans überzeugen und zeigte sich so als perfekter Opener.

Buckcherry
Genauso showbewusst, dabei aber noch ein Stück traditioneller und somit etwas quer im heutigen Line-up zeigten sich Buckcherry. Wer gedacht hätte, dass Sleaze Metal bei diesem Publikum nicht ankommen würde, der hatte sich geirrt, denn allerspätestens beim dritten Stück, dem eingängig „All Night Long“ vom letzten gleichnamigen Output sang die Hälfte der langsam ganz ansehnlich gefüllten Halle voller Feierlaune mit und insbesondere Rhythmus-Gitarrist Stevie D. Konnte sich über eine beachtliche Anzahl kreischender Girls vor seinem Teil der Bühne freuen, wobei auch er gut dabei beraten wäre, zuerst einmal die Ausweise zu kontrollieren. Fronter Josh Todd derweil schrie sich gekonnt die Seele aus dem Leib, wirkte dabei aber abwechselnd wie ein Duracell-Häschen mit zu wenig Platz bzw. Wie ein herumgeworfenes Gummibällchen. Ob der Herr mit dem Sixpack sich vor der Show wohl die Nase gepudert hatte? Den Anwesenden wars egal und so wurde der Mischmasch aus Ac/Dc, Mötley Crüe und Aerosmith amtlich abgefeiert und Songs wie „It's a Party“, „Lit it up“ (dessen Riff etwas zu sehr nach dem kiss'schen „Christine“ klingt) oder das abschliessende „Crazy Bitch“ freudig intoniert. Simpler Party-Rock funktioniert halt bei jeder Altersklasse.



Papa Roach
Im Gegensatz zu dem was nun an Euphorie folgen sollte, war das bisherige aber noch gar nichts. Als Papa Roach auf die Bühne stiegen brach eine Welle des Entzückens über das Publikum aus, die sich in exzessivem Schreien und Kreischen entlud, was einem im Photograben die Haare zu Berg stehen liess. Jeweils drei mannshohe LED-Wände auf beiden Seiten des Drums stellten dabei die Kulisse dar für eine Show, die vom einleitenden „Kick in the Teeth“ bis zum erwartungsgemäss finalen Smasher „Last Resort“ fixiert ist auf Fronter Jacoby Shaddix. Dieser zeigt sich bei bester Laune und bester Stimme, kocht förmlich über vor Energie und dirigiert sein devotes Publikum mit vollem Erfolg durch Bandhits wie „Scars“, „Between Angels and Insects“ und „Getting Away with Murder“, die, ob gewollt oder nicht, auch der Nichtfan mitpfeiffen kann und getragen von der frenetischen Stimmung auch tut. Und wenn sich Mr. Shaddix dann zu „One Track Mind“ auch noch in den Photograben begibt, um sich an der Absperrung pflichtbewusst befummeln und bekreischen zu lassen, dann kann sich das vornehmlich weibliche Publikum in den ersten Reihen überhaupt nicht mehr einkriegen und die Halle springt im wogennden Takt. Man mag von den MTV-Stammgästen halten was man will, Papa Roach zeigen sich an diesem Abend als verdammt tighte und stimmungsvolle Liveband, die ihr Publikum ohne Abstriche im Griff hat. Beeindruckend!

Disturbed
Zwar sorgen darauf auch Disturbed für eine amtliche Rocksause, doch das Ekstase-Niveau von Papa Roach können sie nicht halten. Dafür trumpft der Vierer mit einer imposanten Bühne auf, deren ganze Rückwand aus mehreren Bildschirmen besteht, die mal zusammen als Ganzes, mal getrennt die Songs der Truppe bestens optisch untermalen. So wechseln sich, wie bei der sozialkritischen Band zu erwarten, Muster und Symbole ab mit Bildern von Krieg, Elend und Missstand, welche die Stimmung aber alles andere als trüben. Mit „Asylum“ wird in ein perfekt arrangiertes Set gestartet, dass mit einem logischen Schwerpunkt auf dem aktuellem, gleichnamigen Album, alle Alben der Band berücksichtigt. So wechseln sich Publikumslieblinge wie „The Game“ oder „Prayer“ ab mit Neuem der Sorte „The Animal“ oder „Another Way to Die“, die im Vergleich kaum abfallen, wobei natürlich auch das hervorragende Genesis-Cover „Land of Confusion“ von „Ten Thousand Fist“ (2005) nicht fehlen darf. Glatzkopf und Overall-Liebhaber David Draiman, dessen Stimme in der Vergangenheiten oftmals der Schwachpunkt der Darbietungen war, singt heute überraschend kraftvoll und auch die übliche Bewegungsfaulheit scheint das Quartett heute einmal in der Garderobe gelassen und gegen Spielfreude („Brothers & Sisters, it's great to be back!“) zu haben. Nicht, dass Draiman und sein Kollege Dan Donegan,wie das Publikum, energisch herumspringen würden, doch zumindest sind sie sich nicht zu schade, die auf beiden Seiten begehbaren Plattformen zu besteigen und sich in Pose zu werfen. Schade nur, dass es Disturbed immer noch nicht schaffen, den unvergleichlich fetten Sound ihrer Platten auf die Bühne zu transferieren. An diese Wand an Gitarren und Getrommel kommen die Jungs live einfach nicht heran. Trotzdem reissen Songs wie „Inside the Fire“ (mit passender Feuervisualisierung), „Stricken“ oder „Stupify“ mit ihrem zum Springen und Bangen gleichermassen einladenden Groove mit und spätestens bei „Ten Thousand Fists“, bei welchem auf den Bildschirmen das Publikum gezeigt wird, sind alle Nörgeleien in den Wind geblasen und man schreit sich den Refrain dieses Übersongs aus der Seele. Nach dem ebenfalls „Indestructible“ ist dann erst einmal Zeit für die Zugabe-Rufe, was durch das Projizieren einer Schweizer-Flagge signalisiert wird. Das dies gut ankommt versteht sich von selbst und so mobilisiert die sichtlich geschaffte Rockjugend für „Down with the Sickness“ noch einmal alle Kräfte, bevor dann endgültig Schicht im Schacht ist. Guter Sound, gute Beleuchtung, vier energiegeladene, mehr als überzeugende Bands und ein Publikum, dass sich vor Freude kaum halten kann, so die Bilanz dieses Abends. Ob die Anwesenden in ein paar Jahren wohl auch so lethargisch rumstehen, wie so mancher traditionelle Metaller dieser Tage? Wir hoffen nicht.

Setlist Disturbed:
„Remnants“ - „Asylum“ - „The Game“ - „Prayer“ - „Liberate“ - „Land of Confusion“ - „The Animal“ - „Inside the Fire“ - „Stricken“ - „Another Way to Die“ - „Stupify“ - „Ten Thousand Fists“ - „Indestructible“
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„Down with the Sickness“