Livereview: Kadavar - Phased

17. Oktober 2013, Bern - ISC Club
by Kissi
Als in den 70er-Jahren die Rockmusik ihren definitiven Siegeszug antrat (nachdem Beatles, Stones und Co. den Weg geebnet hatten), geschah dies nicht zuletzt durch das Moment der Live-Darbietung. So gut die Studio-Scherben auch waren, die wirkliche Wucht und Kraft einer kreischenden Gitarre entfaltete sich erst, wenn sie von einer Bühne auf das Publikum niederdröhnte. Rock'n'Roll war erlebte, (im besten Fall) kollektive Ekstase, Ausschweifung, Spontaneität. Noch heute ist das so: So gut ein Album auch sein mag; wer live nicht überzeugt, der kann es vergessen mit der "Hall of Fame".

Und umso mehr gilt dies für eine Band, die nicht nur in ihrem Sound, sondern in ihrem ganzen Auftreten, vom Equipment, über das Coverdesign bis zur Kleidung (Fransen und Schlaghose) und Frisur (viel Haar, nicht nur über, sondern auch im Gesicht) authentisch ist. Für eine Band wie Kadavar eben, deren beide bisher erschienenen Alben reinster, hochgezüchteter Retro-Stoff waren. Wer nach 70's klingt auf Platte, der muss auch live zu zünden wissen, wie in den 70's. Als eine Art Beweisführung könnte so die aktuelle Konzertreise bezeichnet werden, welche das Berliner Trio auch dreimal in der Schweiz Halt machen liess. Und zumindest am ersten dieser Abende, im ausverkauften (!!) Berner ISC Club, blieb jedem Zweifler die Kritik im Hals stecken, wohingegen Optimisten für einmal vollends belohnt wurden.

Phased
Vorher aber sorgte der Support-Act Phased für Sprachlosigkeit in leider etwas anderer Weise. Es ist ja eine löbliche (wenn auch nicht ganz selbstlose, da einige Leute mehr bringende) Sache, wenn man lokalen Bands den Opener-Posten überlässt, doch birgt dies eben auch ein gewisses Risiko. Ob man es nun Sludge nennt oder Doom (Eigendeklaration: «Psychedelic Motor Doom»), was die aus Basel stammenden Phased da aus den Verstärkern dröhnen liess – überzeugen tat es das Publikum inklusive mir, an sich spartanischen Kellerriff-Repetitionen alles andere als abgeneigt, nicht. Zu ziel- und lustlos rumpelte und grollte sich der Dreier aus Basel durch sein rund 40-minütiges Set. Umso bedauerlicher ist dies, da sich das Soundmaterial der Truppe zur Abwechslung mal nicht nur bei Uralt-Idolen wie Sabbath bediente (schon, aber nicht nur), sondern in seinen wenigen packenden Momenten auch 90er-Epigonen wie die Melvins durchklingen liess. Dies und das unerschütterliche Zeitlupen-Klöppeln von Drummer Marko Lehtinen waren die wenigen positiven Eindrücke in einer ansonsten blutleeren Performance, welche vom schon ziemlich vollen ISC nur mit Höflichkeitsapplaus quittiert wurde (ausgenommen der extra wegen Phased Angereisten natürlich). Randnotiz: Nur wenige Tage nach dieser Show verliess Basser Marco Grementieri die Band, über das Warum kann man nur spekulieren.

Kadavar
Keine wirklichen Spekulationen gab es jedenfalls danach. Noch bevor Kadavar die Bühne betraten, stieg die Vorfreude des Publikums, umso enger es wurde. Zugegeben, mit einem Fassungsvermögen von höchstens 200 Leuten ist das ISC nicht gerade riesig. Dass Kadavar es aber alleine, ohne die Zugkraft eines arrivierteren Headliners oder Tourpackage, schafften, zumindest eines von gleich drei Schweizer Konzerten auszuverkaufen, das zeugte von den Vorschusslorbeeren, die sich die Berliner mit ihren beiden Alben hatten sichern können. Und zwar durch und durch verdient. Ohne Umschweife segelte das Trio mit «All Our Thougths», dem Opener vom selbstbetitelten Debüt auf die Bühne und legten gleich eine Punktlandung hin. Knackig die Gitarre, vibrierend der galoppierende Bass, krachend und treibend die Drums. Und darüber, und zwar genauso eindringlich wie auf Scheibe (zu selten bei anderen Bands dieses Genres der Fall), die zwischen beschwörendem Ozzy und flötendem Roger Daltrey (The Who) mäandernde Stimme von Fronter und Klampfer Christoph «Lupus» Lindemann. Beginnt man ein Konzert mit solcher Entschlossenheit und Beherztheit, dann kann eigentlich nichts mehr schief gehen. Und das tat es dann auch nicht: Ohne gross für Worte oder sonstige Mätzchen Zeit zu verschwenden, schüttelte der Dreier eine astreine Heavy-Rock-Performance aus dem Ärmel, die vor 40 Jahren wohl noch euphorischer aufgenommen worden wäre, als es an diesem Abend schon der Fall war. Ob das galaktisch hallende «Living In Your Head», die stramm galoppierende «Doomsday Machine» oder das mit seinen tribal-artigen Drums heidnisch anmutende «Black Sun», einer nach dem anderen wurden sie abgefeiert und von vielen gar mitgesungen, als wären es alte Klassiker der Love Generation, dabei das Debüt der Mannen gerade mal von 2012 stammt.

Überhaupt wirkten Kadavar an diesem Abend, als würden sie schon seit Jahrzehnten auf den Bühnen dieser Welt auf- und abgehen. Sicher genug, um auch mal aus der Songstruktur zu rasseln (beim sogar für Kadavar-Fans eher unbekannten, zusammen mit den französischen Psych-Rockern Aqua Nebula Oscillator veröffentlichten «Broken Wings» etwa) und doch mit der nötigen Erfahrung ausgestattet, dass allzu lange Jams bei denen, die zuhören, meist weniger Freude erzeugen als bei jenen, die sie machen. Und auch wenn die drei Jungs sich dabei wenig um Bühnenshow scherten, sowohl Fronter Lindemann als auch Basser Simon Bouteloup kaum mehr als drei Schritte am Stück machten, so herrschte doch nie Stillstand auf der Bühne. Hauptgrund dafür: Trommeltier Christoph Bartelt, der seinen Kopf genauso heftig in der Luft herumschleuderte wie er auf die Felle eindrosch und so nicht wenig an Keith Moon, beziehungsweise sein Muppet-Alter Ego Beast erinnerte. Ordentlich gezimmerte Songs, Spielfreude und Energie (und vielleicht auch etwas Talent und Übung), mehr braucht es nicht, um eine Rock-Show hinzulegen, wie sie sein soll: schweisstreibend, spontan und laut. Das war in den frühen 70ern das Nonplusultra und das ist es auch heute noch. Nach rund 80 Minuten beschlossen Kadavar ihr Set mit dem Doom Rocker «Forgotten Past». Wenn es solche Bands gibt, die an die glorreiche Vergangenheit des Rock'n'Roll anknüpfen, sie wieder lebendig werden lassen, dann wird die noch lange nicht vergessen sein.

Setliste: «All Our Thoughts» - «Living In Your Head» - «Doomsday Machine» - «Black Sun» - «Eye Of The Storm» - «Broken Wings» - «Come Back Life» - «Purple Sage» - «Creature Of The Demon» - «Goddess Of Dawn» - «Forgotten Past».