Livereview: Mötley Crüe - Alice Cooper - Saint Asonia

09. November 2015, Basel – St. Jakobshalle
By Tinu - Pics by Rockslave
Man schrieb das Jahr 1984, ein winterlicher 14. November sollte die musikalische Entjungferung eines Berner Jünglings sein. Ort des Geschehens, die St. Jakobhalle in Basel. Die Täter, Iron Maiden auf ihrer «Powerslave»-Tour, zusammen mit dem damals aufstrebenden, wilden Haufen namens Mötley Crüe, der gerade das Wohnzimmer des Jünglings mit seiner neuen Scheibe «Shout At The Devil» verzauberte. Pünktlich um 14 Uhr (!!!) stand der zu allen Schadtaten bereit stehende Junge mit seinem Kumpel vor den noch verschlossenen Türen der Halle und war geplättet ob der holden Weiblichkeit, die in einem Hauch von Nichts gekleidet war, umgeben von purem Sex und willenloser Hingabe. Schon von diesen Bildern total geflasht, erlebte der Junge am Abend ein Konzert, das sich so schnell nicht mehr wiederholen sollte.

Mit «Bastards» legten Vince Neil und seine Jungs seinerzeit wie die Feuerwehr los und liessen die Frauen ohnmächtig zurück. Was damals in knapp 45 Minuten zelebriert wurde, war an geilen Songs, einer wilden Performance, einem ungestümen Posing und einer unermüdlichen Spielfreude lange Zeit nicht mehr zu toppen. Knapp 31 Jahre später standen Vince, Nikki Sixx (Bass), Mick Mars (Gitarre) und Tommy Lee (Schlagzeug) wieder in dieser Halle auf der Bühne. Allerdings um ihren Abschied von der gemeinsamen Zeit als Band zu zelebrieren. Es soll tatsächlich die letzte Möglichkeit gewesen sein, die Truppe in dieser Konstellation zu sehen und das schien schätzungsweise 7'000 Leute anzulocken, um Mötley «fucking» Crüe nochmals live zu erleben. Dass dabei die Groupies von damals mit der Combo gealtert sind, beziehungsweise viele damalige Headbanger heute mit einer Glatze oder einem Kurzhaarschnitt glänzen, liegt am Umstand, dass viele Fans die Band über Jahre hinweg treu begleitet haben. Betrat man 2015 die Halle, fiel sofort die einer Achterbahn ähnelnde Konstruktion auf, welche von der Bühne zum Mischpult führte und an der Hallendecke hing. Man durfte sich also wieder auf ein spektakuläres Solo von Tommy freuen. Aber sicher war auch, dass Mötley Crüe kaum an die wilde Show von 1984 anknüpfen konnten. UND! Dass man einen Special Guest wie Alice Cooper zuerst toppen musste!

Saint Asonia
Anstelle eines wirklich tollen Supports, in Form von W.A.S.P., Slaughter oder Danger Danger, welche perfekt zu den folgenden beiden Truppen gepasst hätten, standen Saint Asonia auf der Bühne. Eine angebliche Supertruppe aus Kanada und Amerika. Nun ja, die Halle war kaum gefüllt und im Vergleich zu Alice Cooper und Mötley Crüe fast leer, als der Vierer die Bühne bestieg. Das grosse Backdrop war schlussendlich das Einzige, was gross war an der Band. Ansonsten glänzten die Jungs mit gleichklingenden Songs und Langeweile. Zu emotionslos oder zu kalt wurden die Lieder vorgetragen. Selbst wenn sich Leadgitarrist Mike Mushok als bangendes Monster gebärte, der grosse Applaus blieb nach dem letzten Ton aus und es schien, dass die Leute froh waren, dass der Spuk beendet ist. Der Vierer hat keinen Hit und das in Kombination mit den folgenden Truppen glich einem Selbstmordversuch. Dass man so im Gedächtnis der Fans bleibt, ist sehr fraglich. Auch wenn die grösste Fanreaktionen dann erfolgte, als Sänger Adam Gontier Alice Cooper und The Crüe als weitere Acts anpries. Es war ein netter, 25 Minuten dauernder Versuch zu gefallen. Mehr als das war es nicht und im Vergleich zur Supportshow von Mötley Crüe 1984 an gleicher Stelle schon fast eine Arbeitsverweigerung.

Alice Cooper
Das Bühnenbild änderte sich schnell und wer Alice Cooper dieses Jahr schon am «Rock Im Ring»-Festival sah, wusste, was ihn erwarten wird. Mit tosendem Applaus wurde Vincent Damon Furnier (Gesang), Chuck Garric (Bass), Glen Sobel (Drums) und das Gitarren-Dreigestirn Nita Strauss, Tommy Henriksen (wohnt im Zürcher Oberland) und Ryan Roxie empfangen. Der Meister (in einem schwarzen Umhang gekleidet) stieg erhaben die Stufen vom Schlagzeug-podest herunter und ein fetter Funkenregen prasselte hinter ihm herunter. Mit «The Black Widow» startete Alice Cooper die folgenden knapp 55 Minuten und zelebrierte eine Rock-Show, die es in sich hatte. Da durfte der schwarz/rote Frack («No More Mr. Nice Guy») ebenso wenig fehlen, wie der Krückenstock bei «I'm Eighteen», die Billion Dollar Noten bei «Billion Dollar Babies», die Perlenketten bei «Dirty Diamonds», die vollgefressene fette Boa Constrictor und die Peitsche in «Go To Hell», das Frankensteinmonster und Doktor Frankenstein bei «Feed My Frankenstein», die fast erdrosselte, verrückte Krankenschwester bei «Ballad Of Dwaight Fry», die Guillotine bei «I Love The Dead» und der weisse Anzug mit Zylinder sowie die grossen Ballone bei «School's Out». Was Mister Cooper bot, war eine Headlinershow, zusammen mit einer unglaublich tighten Truppe. Angeführt von Supertrommler Glen Sobel - er ersetzte Tommy Lee bei einigen Crüe-Auftritten - der heute der wildere und showtechnisch interessantere Trommler ist (wirft seine Sticks in die Höhe, jongliert mit ihnen) wie Tommy! Das Gitarrentrio harmonierte perfekt, wechselte sich dabei immer wieder bei den Solos ab oder spielte banddienlich einen Solopart nach dem anderen («Under My Wheels»). Chuck entpuppte sich wie ein kleiner Sohn von Gene Simmons und brillierte mit seinen marschierenden Schritten und seinem Charisma. Es war eine durchgestylte Rock-Show, während der nichts dem Zufall überlassen wurde, aber niemals langweilig wirkte, sondern auf der ganzen Linie begeistern konnte. Dabei hinterliess Nita einmal mehr einen viel vitaleren und agileren Eindruck als ihre oftmals in den Himmel gelobte Vorgängerin Orianthi, die in meinen Augen viel zu kühl auf der Bühne wirkte. Das pure Gegenteil ist Frau Strauss, die bangend und rennend die Bühne beherrscht und sich gerne mit ihren männlichen Kollegen duelliert und dabei noch verdammt gut aussieht.

Mister Cooper ist der Showman, einer der genau weiss, wie er seine nach wie vor tolle Stimme einzusetzen hat, die auch mal völlig verrückt und paranoid klingt («Ballad Of Dwaight Fry»). Wenn er mit dem Säbel unzählige Dollar-Noten verteilt, mit galanten, fast Diven haften Bewegungen seine Perlenketten ins Publikum wirft oder bei «Poison» mit fordernder Stimme verkündet: «Raise your hands if your poison!» und die Hände der Besucher wie bei einer Welle in die Höhe schiessen, dann erkennt man, wer hier das Sagen hat. «Poison» liess zum ersten Mal an diesem Abend die spitzen Mädchen- und Frauenschreie hören. Alice lieferte einen Hit nach dem anderen, selbst wenn er keine Songs der Erfolgsalben «Hey Stoopid» und «The Last Temptation» spielte. Zeit wäre noch gewesen, hätte die Band auf das sicherlich coole Schlagzeugsolo und die folgenden Soloausflüge der Saitenfraktion verzichtet. Alice erhält durch diese Besetzung eine Art Frischzellenkur. Es ist unglaublich, mit welcher souveränen Art er noch immer zu begeistern weiss und sich dabei Abend für Abend den Kopf abhacken lässt, sich gesanglich den entsprechenden Songs anpasst und sich herrlich theatralisch aus der Zwangsjacke befreit, um kurz davor noch die verrückte Krankenschwester zu erdrosseln und dabei die Gesangslinien dem Thema entsprechend singt oder schreit. Mit dem Rausschmeisser «School's Out», wo der Schluss erneut mit dem Refrain von Pink Floyds «Another Brick In The Wall» garniert wird, beendeten Mister Cooper und seine Truppe unter aufbrausendem Applaus und Geschrei ein Konzert der Spitzenklasse. Die Messlatte für den Headliner war somit extrem hoch gelegt.

Setliste: «Vincent Price (Intro)» - «The Black Widow» - «No More Mr. Nice Guy» - «Under My Wheels» - «I'm Eighteen» - «Billion Dollar Babies» - «Poison» - «Dirty Diamonds» - «Go To Hell» - «Feed My Frankenstein» - «Ballad Of Dwight Fry» - «I Love The Dead» - «School's Out».


Mötley Crüe
Diese hochkarätige Vorlage wurde von Mötley Crüe im Verlauf des Konzerts sogar noch übertroffen. Das lag einerseits an der spektakulären Pyro-Show, die schon fast Dimensionen der Marke KISS annahm – ein namhafter Schweizer Musiker meinte dazu, das wäre nichts für seine Band, das sähe wie ein riesiges Grillfest aus, da bekäme er nur Hunger – und man schon fast frech bei Stanley und Simmons klaute, als am Schluss von «Kickstart My Heart» Nikki und Vince mit schwenkbaren Podesten über den Köpfen des Publikums schwebten. Zudem tauchten immer wieder die beiden Backgroundsängerinnen auf, die Mötley-like verdammt knackig aussahen und bei den Männern die Betriebstemperatur zusätzlich erhöhten. Die Setliste war in meinen Augen allerdings zu durchdacht und man fokussierte sich zu stark darauf, die Singles der vergangenen Jahre zu spielen. Die einzige Überraschung, sofern man dies als solche sehen kann, war «Louder Than Hell» vom «Theatre Of Pain»-Album. Ansonsten ging der Vierer auf Nummer sicher, was ganz klar einer «Best Of»-Setlist gleichkam, aber man sich auf einer Abschiedstour doch wünschte, vielleicht wieder mal «Take Me To The Top», «All In The Name Of Rock' n Roll», «Save Our Souls», «Too Young To Fall In Love», «Red Hot», «Bastards» oder die Beatles-Coverversion «Helter Skelter» zu hören, anstelle der zu Tode gespielten «Anarchy In The U.K.» oder «Smokin' In The Boys' Room» Covers. Doch wir jammern hier aber auf hohem Nievau!

Die Band spielte, wie man sich dies erhoffen konnte. Sicher weit weg von der 84er-Show und der damals präsentierten ungebändigten Spielfreude, aber noch immer als gestandene Rocker mit Pfeffer im Arsch. Mick Mars spielte wie immer mit einer stoischen Ruhe seine Riffs und Solos. Verpackt unter einem grossen Zylinder war sein Gesicht kaum zu erkennen. Tommy Lee, und das überraschte, beschränkte sich jedoch auf sein Powerdrumming, bot aber mit Ausnahme seines verrückten Solos, kaum Showmässiges. Wo blieb denn die berühmte Show der schwingenden Drumsticks? Das Jonglieren und Hochwerfen seiner Arbeits-geräte? Er, der dies als Erster populär machte und auf den höchsten Stand brachte? Schade, da hätte zumindest ich mehr erwartet. Nikki posierte derweil wie gewohnt cool und lässig, marschierte über die Bühne, animierte die Fans und sang meistens bei seinem freihängenden Mikrofon, an welchem der berüchtigte «Shout At The Devil»-Stern hing. Tja und Vince… Er ist in die Jahre gekommen und hat seine schlanken Linien schon länger eingebüsst. Dass er gesanglich kein Paul Shortino, kein David Coverdale und kein Joe Lynn Turner ist, wissen wir seit den ersten Konzerten. Aber genau dies macht eben auch das Flair seines Gesanges aus, dieses Krächzen in der Stimme. Ansonsten bewegte sich der Blonde noch immer sehr aktiv auf der Bühne. Was dem Konzert aber das Flair raubte, war der völlig beschissene Sound, bei dem man die Songs meistens nicht auf Anhieb erkannte. Schade, schon Alice Cooper litt unter einer nicht optimalen Beschallung, aber bei Mötley war dies schlicht unerträglich!

Und wenn der Sound schon dürftig war, konnte man sich wenigstens an den beiden Mädels auf der Bühne kaum satt sehen. Synchrones Tabledancing könnte man die Darbietung der Beiden auch nennen. Wer zu weit weg von der Bühne stand, dem wurde ein klarer Blick mit den beiden Videoscreens beschert. «Basel, make some fucking noise!» Vince Anfeuerungsrufe war zwar nicht einmal nötig, denn Basel stand vom ersten Ton wie eine Bank hinter dem Quartett. Dabei sorgten die Eröffnungsnummer «Girls, Girls, Girls», «Wild Side» und «Primal Scream» schon für eine ausgelassene Stimmung, unterstützt von vielen Pyroeffekten und Feuerfontänen. Dass bei der Setliste der Millionenseller «Dr. Feelgood» im Mittelpunkt steht, war klar. Auch dass man mit «Smokin' In The Boys' Room» einen ersetzbaren Track spielte. Dafür trumpften «Looks That Kill» und das fantastisch in Szene gesetzte «Shout At The Devil», der Hexenstern von Nikkis Mikrofon brannte lichterloh und aus dem Bass schossen unzählige Stichflammen, gross auf! «How do you feel so far? How many motherfuckers are here tonight?» Vince animierte die Crüe-Fans immer wieder und man weiss ja nicht erst seit 1984, dass die Mötley-Freaks zu den Loyalsten gehören. Nikki «bad ass motherfucker» richtete kurz vor «Anarchy In The U.K.» ein paar Worte an die Fans, mit denen er für die langjährige Unterstützung dankte. «Hello Swiss, German and French people, can you understand me?», waren die einleitenden Worte, bevor er über die Entstehung von Mötley Crüe sprach, um dann mit den Worten «Mötley Crüe is nothing without you! Switzerland, that's the last fucking Mötley Crüe concert in fucking Switzerland!», seine Ansage beendete. Tja, das wars dann also. Eine der besten und skandalträchtigsten Truppen schliesst seine Pforten und wird in dieser Besetzung nie mehr auftreten. Doch bevor der letzte Ton ausklang, standen bei «Anarchy In The U.K.» vier in orangen Overalls gekleidete Typen mit grossen Wasserpistolen auf der Bühne, welche die vordersten Reihen besprühten. Das wie eine Achterbahn fahrende Drum von Tommy, welches sich während der Fahrt von der Bühne zum Mischpult über den Köpfen der Fans auch immer um die eigene Achse drehte, war ein weiterer Höhepunkt. Einmal mehr eine Showeinlage, die auch gut im Europa-Parc seinen Platz finden könnte. Auch wenn das Solo nicht so spektakulär war, spielte er mal kopfüber Schlagzeug…

Das Finale wurde mit dem Peitschenschlag «Live Wire» gestartet, bevor die Truppe mit «Dr. Feelgood» und «Kickstart My Heart» Konfettischlangen und Pyros ohne Ende den Abschluss setzte und Vince wie Nikki von den schon erwähnten schwebenden Podesten grüssten und dankten. Fertig war das Konzert freilich noch nicht. Die Scheinwerfer leuchteten erneut auf und suchten die Musiker, welche sich den Weg durchs Publikum mit Taschenlampen bahnten und auf einer Minibühne hinter dem Mischpult angelangt «Home Sweet Home» spielten, begleitet von einem kleinen Video, welches den Werdegang der Amis vom Start bis heute präsentierte. Unzählige brennende hoch gereckte Feuerzeuge verabschiedeten die Band in eine ungewisse Zukunft. Werden wir Nikki, Mick, Vince und Tommy jemals wieder auf einer Bühne sehen, oder sollte es doch nicht der letzte Gig auf Schweizer Boden als Mötley Crüe gewesen sein? Sicher war, dass sich die Herren würdevoll und mit viel Tam-Tam verabschiedeten. Eine Truppe, die in den letzten 35 Jahren durch viele Skandale auf sich aufmerksam machte, sich musikalisch auf jeden Album anders präsentierte und die Szene mit den ersten vier Scheiben nachhaltig geformt und geprägt hat. Auch wenn die Showelemente seit einigen Jahren überhand genommen haben..., Jungs..., wir werden euch vermissen und den Fussabdruck, den Mötley Crüe da hinterlassen, wird keine andere oder neue Band je gleichwertig ausfüllen können…

Setliste: «So Long, Farewell (Intro)» - «Girls, Girls, Girls» - «Wild Side» - «Primal Scream» - «Same Ol' Situation (S.O.S.)» - «Don't Go Away Mad (Just Go Away)» - «Smokin' In The Boys' Room» - «Looks That Kill» - «Mutherfucker Of The Year» - «Anarchy In The U.K.» - «In The Beginning (Intro)» - «Shout At The Devil» - «Louder Than Hell» -- «Drum Solo Tommy Lee» - «Guitar Solo Mick Mars» - «Saints Of Los Angeles» - «Live Wire» - «T.N.T. (Terror 'n Tinseltown)-(Intro)» - «Dr. Feelgood» - «Kickstart My Heart» --- «Home Sweet Home» - «My Way (Outro)».