Livereview: Scorpions - Juliette Lewis - K's Choice
15. Mai 2010, Longirod (VD) - «Long-I-Rock»-Festival
By Rockslave
Nach dem superben, (wirklich letzten?) Studio-Album «Sting In The Tail» und der Ankündigung, man gehe jetzt noch bis 2012 auf Abschiedstour, war es für meine Wenigkeit klar, dass ich zu diesem Anlass hin musste. Da konnte auch der relativ lange Anfahrtsweg nichts in Frage stellen. Was ich allerdings nicht voraus sehen konnte, war zum Einen das Wetter mitte Mai und zum Andern, dass der Ort Longirod, ein kleines Kaff in der Nähe von Lausanne und oberhalb des Genfersees, auf nicht weniger als 900 m ü. M. liegt! Der insgesamt 3-tägige Anlass als Solcher ging zurück auf die Idee einer Handvoll Enthusiasten, die das Ganze lange geplant und sich eigentlich als einmaligen Event vorgestellt hatten. Das ideale und weitläufige Gelände wurde entspre-chend mit einer währschaften wie typischen Zeltstadt versehen. Wichtig-ste Elemente waren dabei die drei Stage-Zelte, die entweder 8'000, 3'000 oder 1'500 Fans aufnehmen konnten. Die Riege der Stars und auch weniger bekannten Bands konnte ich sich sehen lassen. Mein Bericht stammt vom Samstag und ist im Wesentlichen den Scorpions zugedacht.

K's Choice

Als ich noch im Anfahrtsstau stand und versuchte, den Vorteil meines vorhandenen Presse-Parkscheins in einen dem Eingang möglichst nahe gelegenen Parkplatz um zu münzen, standen die belgischen Post/Grunge Rocker mit der Sängerin Sarah Bettens bereits als erster Act auf der Mainstage. Die anfangs der 90er gegründete Band fand nach der Auflösung von 2003 letztes Jahr wieder zusammen und ist seither wieder aktiv. Das, was ich von Weitem und noch als letzte paar Takte mitbekam, klang aber ziemlich lasch. In der Blütezeit, als man auch entsprechend Airplay in den Medien hatte, besass dieser Name zumindest eine vorübergehende Popularität. Hier und heute ging mir das aber ziemlich am Arsch vorbei und auch die Reaktionen der Leute, die sich im grossen Zelt eingefunden hatten, spendeten maximal einen Höflichkeitsapplaus. Derweil war ich ebenfalls auf ein Zelt aus, nämlich das Pressezelt. Darin befanden sich angenehm wärmende Gasstrahler, die den permanent gehenden, bissigen Wind vergessen liessen.

Juliette Lewis
Auf diesen Auftritt war ich tatsächlich mindestens etwas gespannt. Die singende US-Schauspielerin, bestens bekannt von Filmen wie «Natural Born Killers» oder «Cape Fear» entschloss sich anfangs 2003, eine eigene Band mit Namen Juliette And The Licks zu gründen. Ein Jahr später kam das Debüt heraus und bis heute sind drei Alben erschienen. Inzwischen tritt die quirlige Fronterin unter ihrem eigenen Namen auf und veröffentlichte letztes Jahr den aktuellen Tonträger «Terra Incognita». Stilistisch bewegt sich Juliette grund-sätzlich auf dem Rock-Parkett, das zum Einen etwas alternativ bis zuweilen punkig ausgelegt ist. Dazu kommt ihre immer noch sehr energie-reiche Performance. Soweit so gut, aber das, was ich von ihr schon am TV gesehen habe, und das waren meistens auch Festival-Auftritte, konnte mich selten bis gar nicht aus der Reserve locken. Dies geschah nun an dieser Stelle abermals, was aber wie gesagt nicht an ihrer Art, sondern klar der Musik lag. Technisch war an ihrer Begleitband The New Roman-tiques allerdings nichts auszusetzen, doch das Ganze klang zwar meist irgendwie wild, war jedoch selten ansteckend rockig und kaum melodiös. Die Songs waren teils sogar recht sperrig und besassen keinen Wiedererkennungseffekt. Deshalb sprang auch der Funke nicht auf das jetzt deutlich zahlreichere Publikum unter der Zirkuskuppel über. Auf der neuen Scheibe sind auch gemächlichere Songs vertreten, die gut von Avril Lavigne stammen könnten. Ich hatte schon nach den ersten drei Songs im Fotograben genug gesehen und gehört. Mag ja sein, dass Juliette Lewis vor dem richtigen Publikum ankommt und absahnen kann, hier war aber nichts davon zu sehen. Den Rest ihres Auftrittes schenkte ich mir darum und verbrachte die restliche Zeit mit einem Erkundungsgang auf dem Gelände.

Setliste: «Small Intro» - «Noche Sin Fin» - «Kick Drum Song» - «Hot Kiss» - «Purgetory Blues» - «Fantasy Bar» - «Hard Lovin' Woman» - «Beauty #2/The Devil Knows» - «Sticky Honey» - «Terra Incognita» - «Got Love To Kill» - «Suicide Dive Bombers».

Scorpions
Es war schon ein ganze Weile her, seit ich die Scorpions das letzte Mal in der Schweiz live gesehen hatte (2004 in Uster), und darum freute ich mich tierisch auf diesen Auftritt! Nach dem Intro ging es gleich mit dem Titeltrack vom neuen Album los und innert Kürze bebte das prall gefüllte Zelt! Es folgte «Make It Real» und legte zeitlich gleich satte drei Dekaden zwischen sich und den Opener. Spätestens beim Smasher «Bad Boys» war der Zapfen ab und das Konzert entwickelte sich zum viel umjubelten Selbstläufer. Die ganze Band präsentierte sich sehr agil und liess rein gar nichts anbrennen. Mein persönliches Highlight war der zweite neue und gleichzeitig letzte Song auf der neuen CD: «The Best Is Yet To Come». Was schon auf dem Tonträger für eine mordsmässige Gänsehaut sorgt, überzeugte live ebenso, hammer! Zur weiteren Untermauerung der Balladen-Phase während des Sets folgten «Send Me An Angel» und «Holiday», die unmissverständlich aufzeigten, über welch einzigartige Stimme unser aller Klaus Meine verfügt! Sollte diese eines Tages wirklich mal verstummen, sind die Scorpions für immer und ewig Geschichte. Rudolf Schenker und Matthias Jabs bearbeiteten derweil ihre Klampfen, wie wenn es kein Morgen gäbe und die verjüngte Rhythm-Section mit Pawel Mąciwoda und Drum-Tier James Kottak setzte ein wuchtiges Rhythmus-Gerüst, das alles zusammen hielt. Die Stimmung war bombastisch und draussen standen fast nochmals so viele Fans an wie welche drinnen waren.

Bevor dann Ex-Kingdom Come Drummer James seinen mit Videos witzig angereicherten Solo-Part zum Besten gab, zeigten weitere zwei neue Songs (darunter der Opener der CD), wie gut die neuen Songs in der Tat geworden sind und eigentlich nahtlos an die alten Klassiker anschliessen können. Dass mit «321» ein einziger Vertreter des nicht minder guten Vorgängers «Humanity-Hour I» auf der Setliste stand, war natürlich schade, aber nicht zu verhindern. Wären jetzt Led Zeppelin in den 70ern auf der Bühne gestanden, hätte man gewusst, dass es bis zu drei Stunden hätte dauern können. So viel Zeit hatten die Scorpions heute Abend in Longirod leider nicht vorgesehen, aber der Schlussspurt inklusive den beiden "Musts" «Still Loving You» und «Wind Of Change» sowie dem obligaten Rausschmeisser «Rock You Like A Hurricane» lockten das enthusiastisch abfeiernde Publikum nochmals aus der Reserve und sorgten für ein lang anhaltendes Wohlgefühl, soeben was Beson-deres erlebt zu haben. Keine Ahnung, ob das nun wirklich der letzte Openair-Auftritt auf Schweizer Boden gewesen ist. Bis zum selbst verordneten und ja schon vor der Tour angekündigten Abschied aufs Altenteil dürfte sicher auch noch eine (wirklich?) letzte Hallentournee anstehen. In diesem Sinne, also 2011/2012, Augen auf und nicht lange fackeln, denn mit Meine & Co. wird sich die grösste, deutsche Rock-Band ever von den Bühnen der Welt und ihren Fans verabschieden. Seien wir darum nochmals dabei und rocken zusammen den Hurrikan!

Setliste: «Intro» - «Sting In The Tail» - «Make It Real» - «Bad Boys Running Wild» - «The Zoo» - «Coast To Coast» - «Loving You Sunday Morning» - «The Best is Yet To Come» - «Send Me An Angel» - «Holiday» - «The Good Die Young» - «Raised On Rock» - «321» - «Kottak Attack (Drum-Solo James)» - «Black» Out - «Big City» -- «Still Loving You» - «Wind Of Change» - «Rock You Like A Hurricane».