Livereview: Steven Wilson

27. März 2013, Zürich - Volkshaus
By Liane P.
«Catalogue/Preserve/Amass» - das Live-Album der letzten Tour aus dem Jahre 2012, bei der Steven Wilson sein zweites Solo-Album «Grace For Drowning» vorgestellt hatte, höre ich mir an und lasse den Konzert Abend im Volkshaus Zürich Revue passieren. Herr Wilson ist im Prog-Olymp angekommen und feiert gleichzeitig mit seinem dritten und aktuellen Solo-Werk «The Raven That Refused To Sing (And Other Stories)» Erfolge, mit denen er vielleicht gar nicht gerechnet hat. Wenn man bedenkt, wie lange er schon eigene Musik komponiert, musste er vielleicht länger daran arbeiten, um seine Brötchen zu verdienen als andere.

Bereits mit elf Jahren kreierte er eigene Musikstücke und experimentierte in seinem Kinderzimmer mit Instrumenten, die sein Vater für ihn baute. Der Sequencer von damals kommt heute noch auf seinen Veröffentlichungen zum Einsatz. Sein Vater war es auch, der dem Eigenbrötler bereits in jungen Jahren hochkarätige Sounds wie die von Pink Floyd nahe brachte. In der Mitte des Lebens angekommen, ziert sein Gesicht nun alle namhaften Cover der Musikzeitschriften Europas. Ebenso tummelt er sich an den Chartspitzen und das mit Musik, die auf höchstem Niveau brilliert! Triumph mit recht langem Anlauf. Es wäre schön, wenn der Meister des Progressive Rock zum Umdenken anregt. Die kommerzielle und konsumverwöhnte Dieter Bohlen Gesellschaft, mit der er nun gezwungenermassen im Chartgewitter konkurrieren muss, wird vielleicht dazu animiert, auch mal wirklich hochwertige Musik schätzen und geniessen zu lernen. Die ersten schunkelnden Pärchen im Klammergriff wurden bereits gesichtet. Es lässt sich darüber streiten, ob das ein gutes Zeichen ist...

Steven Wilson & Band
Tatsächlich hat Herr Wilson neues Publikum dazu gewonnen. Gewohnt ist man, dass 99.9% männliche Zuschauer den Raum füllen, darunter viele Musiker mit hohem Anspruch versteht sich. Dass bereits vor Konzertende die Girlie-Shirts schon ausverkauft waren, scheint der Beweis dafür zu sein, dass nun auch mehr und mehr weibliche Zuschauer den Zugang zu der hoch anspruchsvollen Musik finden. Ein grosser Beitrag dazu liefert bestimmt auch das neue Album «The Raven That Refused To Sing (And Other Stories)» das meiner Meinung nach viel zugänglicher ausgefallen ist als das, was Herr Wilson sonst so aus der Hüfte schiesst (Blackfield nicht berücksichtigt). So zugänglich, dass man sich erst mal daran gewöhnen muss. Aber auch das sollte nichts Neues für Musikfreaks sein, die den Engländer und seine Kunst über Jahre hinweg bereits verfolgen: Herr Wilson hat eine Abneigung gegen alles Gradlinige und langweilt sich schnell. Somit hält er auch sein Publikum immer bei Laune und überrascht mit grossartigen Live-Auftritten, die durch Artwork von Lasse Hoile und Haio Mueller untermalt werden.



Auch an diesem Abend war der Vorhang, auf den bewegte Bilder projiziert wurden, integraler Teil dieser
Vorführung. Die hochkarätige Bandbesetzung, die keinen Lückenbüsser zulässt, überzeugte ein weiteres Mal bei diesem Auftritt und nahm einem den Atem. Da wurden Emotionen frei gesetzt, die viele Zuschauer im gestandenen Alter nur aus der Jugendzeit her kannten. Euphorisch wurde gejubelt und geklatscht. Zu recht, denn egal an welcher Stelle man sich im Volkshaus aufhielt, man war besorgt darum, ein aussergewöhnliches Klangerlebnis zu initiieren. Umgesetzt wurde dies durch das Verteilen von unzähligen Lautsprechern in der ganzen Venue und selbstverständlich auch auf der Empore. Dies führte zu einem Sound Erlebnis der besonderen Art und immer wieder sah man Leute die sich „erschrocken“ umdrehten, um zu schauen, von wo das Ticken der Uhr denn nun her gekommen ist («The Watchmaker»). Surround Sound at its best! Für Abwechslung sorgte aber auch der Herr Direktor selbst und wechselte zwischen seinem omnipräsenten „antiken Schreibtisch“, welcher als Midi-Keyboard umfunktioniert wurde, seinen Gitarren und neuerdings auch dem Bass. Dabei zappelte er immer wieder hin und her, als hinge er an einem Strommast.

Nick Beggs die Show zu stehlen, wird aber auch einem Herrn Wilson nicht gelingen! Nick Beggs ist einer der auffälligsten Bassisten, die ich je erlebt habe und dass er auch noch den Chapmanstick gekonnt mit einbringt, macht ihn um so interessanter und facettenreicher. Ohne Zweifel, auch der Rest der Truppe trug genau so zum Gelingen der Show bei: Marco Minemann (drums) Theo Travis (flutes, saxophones), Adam Holzmann (keyboards) und Gutherie Govan (lead guitar). Wenn ich mir einen Kritikpunkt aus der Nase ziehen müsste, dann wäre das, dass für mich der ganze Auftritt von den alten Songs lebte und mich besonders der Anteil aus dem Album «Grace For Drowning» am meisten begeisterte. Ein Song wie «Raider II» der in der Regel knapp 25 Minuten einnimmt und keine Sekunde lang langweilt oder «Index», bei dem Steven Wilson offensichtlich seine Leidenschaft für das Sammeln von Dingen verarbeitet, überraschen mich fortwährend und fordern mich durch die komplexe Songstruktur immer wieder aufs Neue heraus. Grossartiger Konzertabend in einem wunderschönen Ambiente, welcher ganz lange in Erinnerung bleiben wird. Die volle Konzentration galt dem Künstler selbst, denn anstelle eines Support-Acts wurden als Intro und Outro Songs seiner Nebenprojekte gespielt und von Projektionen untermalt.

Fazit: Steven Wilson hat wie gewohnt eindrücklich bewiesen, dass der Hype, der im Augenblick um ihn gemacht wird, durchaus gerechtfertigt ist. Man darf gespannt sein, ob das nächste Album das noch zu toppen vermag, denn diese Tour war schon eine Klasse für sich!

Setliste: «Raven Artwork Video, inkl. Bass Communion Song» - «Luminol» - «Drive» - «Home» - «The Pin» - «Drop» - «Postcard» - «The Holy Drinker» - «Deform To Form A Star» - «Watchmaker» - «Index» - «Insurgentes» - «Harmony» - «Korine» - «No Part Of Me» - «Raider II» - «The Raven That Refused To Sing» - «Radioactive Toy» - «Ljudet Innan» -- «(Storm Corrosion Song)».