Interview: Annihilator
By Kissi
Die Sache sah nach einem ganz normalen Interviewtermin aus. Um 15.30 Uhr würde ich von der Managerin in der Lobby abgeholt, um dann mit Jeff Waters, Mastermind und Flitzefinger der kanadischen Metal-Institution Annihilator, bekannt für glorreiche Alben wie "Alice In Hell" oder "King Of The Kill", wohl ca. 20 Minuten über dieses und jenes zu quatschen. Vornehmlich wohl über "Annihilator", dem selbstbetitelten, aktuellen und somit 13. Studiosilberling der Band, welche seit jeher nur zwei Konstanten besass: Jeff Waters und den knallroten, kursiven Schriftzug. Sowohl Labels als auch Mitmusiker kamen und gingen unzählige in den 20 Jahren Bandgeschichte, wobei Waters in Fronter Dave Padden, welcher seit "All For You" von 2004 dabei ist, doch noch so etwas wie ein echtes Bandmitglied gefunden zu haben scheint.

Ich sass also in der Hotellobby und wartete auf meine Audienz beim Shreddmeister, als dieser plötzlich selbst durch die Tür spazierte, mich begrüsste, dann gleich zum Iphone griff und zwar mit der Erklärung, dass der Bus gleich da wäre. "Welcher Bus? Und wozu?", fragte ich. "Wir werden das Interview im Bus machen", erklärte Jeff freudig, "und ich verspreche dir, das ist der coolste Bus, den du gesehen hast. Wir müssen unbedingt zuerst eine Tour durch den Bus machen, bevor wir mit dem Interview beginnen." Als der Bus vor dem Hotel vorfuhr, war die Freude Jeffs verständlich. Es handelte sich dabei nämlich nicht um irgendeinen popeligen Tourbus, sondern um den legendären roten Gibson-Bus, die Promo-Kutsche der Gitarrenfirma, in welcher von Jimmy Page über Angus Young bis Slash schon alles gefeiert hatte, was im Rock-Business Rang und Namen hat und auf einer Gibson-Klampfe zockt. So wurde aus dem vermeintlich 20-minütigen Interview eine einstündige Spazierfahrt durch Zürich mit Halt auf dem Busparkplatz am Bahnhof inklusive kleiner Photo-Session, wobei natürlich auch genügend Zeit blieb, mit einem unglaublich mitteilsamen Jeff Waters (JW) über die wirklich wichtigen Dinge, d.h. über die neue Scheibe "Annihilator", die Hochs und Tiefs der letzten Jahre, Linernotes und die guten alten 80er Jahre, zu sprechen.

MF: Hey Jeff! Eigentlich hast du dir in Zürich ja ein Hotelzimmer gemietet. Warum machen wir das Interview jetzt trotzdem in diesem Bus?

JW: Weil es ein verdammt cooler Bus ist! Es ist eine Art Tourbus, aber ohne Betten drin. Einfach ein Stück fahrbare Gibson-Epiphone-Geschichte. Dieser Bus ist eine Legende und phantastisch, um damit herumzufahren und Interviews zu geben. Weisst du, was verdammt cool ist? Wenn du damit durch die Strassen einer Stadt fährst, glotzen dir alle mit riesigen Augen hinterher und manchmal halten wir dann an irgendeiner Strassenecke und fragen Leute, ob sie nicht schnell reinkommen wollen, um mit uns etwas zu trinken. Der Bus steht auch an verschiedenen Festivals, und jetzt haben ihn mir die unglaublich netten Leuten von Annihilator ausgelehnt, um Leute wie dich zu treffen und meine neue Scheibe zu promoten.

MF: Du befindest dich auf einem über einen Monat dauernden Promo-Trip quer durch Europa. Was machst du sonst so den ganzen Tag, ausser mit Journalisten wie mir sprechen?

JW: Auf diesem Trip? Naja, nicht viel Anderes. Manchmal mach ich nicht nur Interviews mit Musikmagazinen, sondern auch mit Leuten von Gitarren-Mags und dann steck ich diese da (nimmt eine der beiden Custom Flying V's, die herumliegen) in meinen Verstärker und spiele ein paar Licks und Riffs für die DVDs, die es in solchen Heften manchmal gibt. Bis vor ein paar Tagen war auch Dave Padden noch mit von der Partie, mein Sänger und Rhythmusgitarrist. Da haben wir während dem Reisen auch oft gejammt und Songideen ausprobiert. Jetzt ist er aber wieder zurück in den Staaten. Deswegen kommen diese Babies (zeigt auf zwei riesige Flachbildschirme an der Wand) öfter zum Einsatz. Wenn wir aber in einer Stadt sind, dann bleibt mir nicht viel Zeit für Sightseeing oder so, da ich den ganzen Tag Interviews gebe. Hier in der Schweiz sind das aber nicht so viele Termine wie in Holland oder Deutschland, wo ich von morgens um 11 Uhr bis abends um 20 Uhr oder so mit Leuten sprach.

MF: Klingt nach einer ziemlich gemütlichen Reise.

JW: Das ist es! Es ist viel entspannter und luxuriöser als auf einer normalen Konzerttour, da ich viel mehr Platz habe. Es ist auch weniger stressig, und um ehrlich zu sein habe ich Angst, ein paar Kilo zuzunehmen, da ich jeden Tag unglaublich leckeres Essen aus den verschiedensten Länder Europas essen kann und den ganzen Tag nur hier rumsitze. Cool ist auch, dass ich auf diesem Trip Leute treffen kann, welche ich schon seit 10 oder 20 Jahre kenne und die so etwas wie Freunde geworden sind über die Jahre.

MF: Der Grund für diese Reise ist deine neue Scheibe mit dem simplen Titel "Annihilator". Warum hast du das Album einzig mit dem Bandnamen betitelt?

JW: Der Grund dafür ist simpel: Mir ist kein besserer eingefallen! Was ich bis jetzt nämlich immer gemacht habe, ist folgendes: Nachdem ich die Scheibe vollendet habe, schaue ich mir die Songtitel an und überlege mir bei jedem einzelnen, ob er einen guten Albumtitel abgeben würde. Denk an "Alice In Hell", "Never Neverland", "King Of The Kill" oder auch neuere Scheiben wie "Schizo Deluxe" oder "All For You". Das habe ich auch dieses Mal wieder so versucht, nur gibt es dieses Mal keinen Songtitel, der gleichzeitig einen guten Albumtitel abgeben würde. Dieses Mal haben wir Titel wie "Coward" (dt: Feigling – Anm. d.Verf.), das wäre ein dummer Titel, "The Trend", auch das wäre eine blöde Wahl etc. Dave Padden und meine Managerin brachten dann den Vorschlag "Annihilator", da sie der Meinung sind, dass die Scheibe wirklich gut und irgendwie richtig herausgekommen ist und es momentan so gut läuft mit Annihilator. Dazu kommt, dass Dave nun seit fast 8 Jahren in der Band ist und seit vier Jahren auch die Rhythmusgitarre live spielt. In dieser Zeit entwickelte er sich von einem noch unerfahrenen Sänger zu einem grossartigen Live-Musiker im Stile von James Hetfield oder so. Dave ist nicht mehr nur ein weiteres Temporär-Mitglied in Jeff Waters Solo-Projekt Annihilator. Annihilator ist jetzt wirklich das Projekt von Jeff Waters und Dave Padden, und der Titel der neuen Scheibe drückt das irgendwie aus.

MF: Wie kam das eigentlich? Ich meine, in den letzten 20 Jahren Annihilator hat sich das Line-Up fast von Scheibe zu Scheibe verändert.

JW: Bei jeder Scheibe! Ich hatte bei jeder Scheibe zumindest teilweise ein anderes Line Up. Es gab sogar Zeiten, da hab ich ein Album mit einer Gruppe von Musikern aufgenommen, bin dann mit anderen Musikern auf die dazugehörende Tour gegangen und habe beim zweiten Teil der Tour schon wieder zwei oder drei neue Musiker dabei gehabt. Das war bei Annihilator schon immer so. Als ich in den 80ern begann, Demos aufzunehmen und eine Band gründen wollte, dann waren die Leute, mit denen ich das versuchte, gute Musiker, aber meistens wollten sie lieber mit ihren Freundinnen rummachen oder sich betrinken anstatt wirklich Zeit zu investieren, um technisch und songwriterisch besser zu werden. Das führte dazu, dass ich 1986 in komplettem Alleingang inkl. Drums ein Demo einspielte. Dieses Demo brachte mir einen Plattenvertrag mit Roadrunner ein, und seitdem ist das meine Arbeitsweise. Ich schreibe alle Songs, spiele alle Gitarren und den Bass ein, produziere und mastere das ganze Zeug, nur die Drums und der Gesang wurde von jemand anderem beigesteuert. Zwei andere Leute brauchte ich im Studio und noch zusätzlich einen Rhythmus-Gitarristen und einen Bassisten auf Tour. Dank Dave brauche ich jetzt nur noch den Drummer im Studio und zusätzlich einen Bassisten für Konzerte.

MF: Natürlich würden unsere Leser gerne wissen, wie deine neue Scheibe denn klingt. Wie würdest du "Annihilator" persönlich beschreiben?

JW: Natürlich behauptet jeder Musiker, die neueste Scheibe sei die beste, die man je gemacht habe bla bla bla... Und das sagt man nicht immer nur wegen dem Business und der PR, sondern meistens glaubt das der Musiker wirklich. Das geht allen so: Musiker, Maler, Schriftsteller oder Regisseure, wir glauben immer, dass das, was man gerade gemacht hat, das beste unserer Karriere sei. Ich hab vor einigen Jahren damit aufgehört, meine aktuellen Sachen ernsthaft einordnen zu wollen. Es gibt drei Stufen von Hörerreaktionen bei einer neuen Scheibe. Zuerst stellst du es deinem Label vor, dann der Presse und danach erst hören es die Fans. Alle drei Stufen sind wichtig, da dein Label an das Produkt glauben muss, um es richtig zu bewerben, die Presse es gut finden muss, damit sie den Fans sagen, sie sollen es kaufen. Die Fans sind natürlich die wichtigsten Kritiker, aber ohne die beiden anderen kommt die Scheibe gar nicht bis zu den Fans. Die Fans haben "Annihilator" bis anhin aber noch nicht gehört, und deswegen kann ich dir nur sagen, was die Presse bis jetzt meint. Zwei Dinge sind mir dabei geblieben: Einerseits, dass "Annihilator" unsere beste Scheibe seit "King Of The Kill" sei, das heisst seit genau 15 Jahren, und dass andererseits Dave Padden seine beste Performance bisher abgeliefert habe. Jetzt warten wir halt auf die Reaktionen der Fans.

MF: Ich kann diese Einschätzungen eigentlich nur unterschreiben, obwohl ich "Schizo Deluxe" von 2005 für eine verdammt starke Scheibe halte.

JW: Das ist eigentlich eine meiner absoluten Lieblingsscheiben überhaupt bis heute. Weisst du, was mit diesem Album passiert ist? Wir waren damals bei AFM Records unter Vertrag, und Andi, der Label-Chef, starb bei einem Autounfall. "Schizo Deluxe" sollte zu diesem Zeitpunkt veröffentlicht werden, und wegen dieses Schicksalsschlages erhielt unser Album nicht die nötige Promotion und Unterstützung. Wir waren nicht sauer oder so, denn es war wirklich eine traurige Sache, aber für uns war das natürlich auch nicht gerade vorteilhaft. Bald darauf verliessen wir AFM aus verschiedenen Gründen. 2011 erhalte ich aber die Rechte für "Schizo Deluxe" zurück, und ich denke, dass wir dann irgendetwas damit machen werden, damit die Scheibe die Aufmerksamkeit erhält, die sie meiner Meinung nach verdient hat.

MF: Hoffen wir das mal! Nun aber zurück zu "Annihilator"!

JW: Genau! Die neue Scheibe ist cool, da sie einerseits ziemlich hart und aggressiv ist, andererseits aber auch nicht. Sie startet mit dem langen Song "The Trend". Zu Beginn besteht dieser Song ja nur aus Gitarrenmelodien, und daran ist überhaupt nichts hart oder thrashy. Ab der dritten Minute allerdings wird es rifflastiger und wütender. In diesem Stil sind auch die beiden nächsten "Ambush" und "Coward" mit einem Touch Slayer oder Metallica. Nach den ersten drei Songs also denkst du, dass Annihilator ein ganzes Stück härter geworden sind, doch im Verlauf der CD wirst du auch die melodischen Seiten von uns wiederfinden.

MF: In der Mitte von alledem steht ein ziemlich aussergewöhnlicher Song, "21 Seconds", äh "25 Seconds" meine ich.

JW: "25 Seconds", oder? Oder heisst der Song "25 Minutes Alone"?

MF: Nein, du hast recht. Er heisst "25 Seconds".

JW: Genau! Oh Gott, ich vergesse die Namen meiner eigenen Songs. Ich hab gerade an "5 Minutes Alone" von Pantera gedacht, hahaha... Der Song, den du meinst, ist ziemlich interessant, das stimmt. 25 Sekunden lang hörst du ja nur eine eingängige Bassline, die irgendwie an ein Kinderlied erinnert oder so, und danach beginnt Dave heftig zu schreien und das Schlagzeug gibt Gas. Das ist sehr speziell, aber der Schlüssel liegt in den Lyrics. Ich werde das dann auch in den Linernotes zu diesem Song thematisieren.

MF: A propos Linernotes: Deine Booklets enthalten immer Linernotes zu den Songs. Was hat es damit auf sich?

JW: Das hat mit meiner Jugend zu tun. Ich wuchs in den 80ern auf, und damals gab es noch kein Internet, nicht einmal Mobiltelefone. Als ich dann begann, Demos zu verschicken, dann musste ich immer Kassetten aufnehmen und diese an Labels, Magazine und Fanzines schicken, in der Hoffnung, irgendeine Rückmeldung zu erhalten. Das konnte manchmal Wochen oder Monate dauern und kostete jedes Mal fünf Dollar. Jetzt kannst du einen Song in ein paar Sekunden kostenlos aus der Schweiz in die Türkei hochladen... Was war nochmal deine Frage?

MF: Was es mit den Linernotes auf sich hat.

JW: Ah, genau! Sorry! 1986, Drei Jahre vor dem ersten offiziellen Debut "Alice In Hell" konnte ich mit Annihilator durch unser Demo "Phantasmagoria" etwas Berühmtheit erlangen. Als ich das Demo rund um die Welt schickte, erhielt ich viele Rückmeldung aus nicht-englischsprachigen Ländern, in welchen mich die Leute nach der Bedeutung der Songs respektive der Lyrics fragten. Ich begriff damals, dass ich es doch gerne hätte, wenn die Leute, welchen meine Musik gefällt, auch den Inhalt verstehen könnten und deshalb beschloss ich damals, Linernotes zu schreiben, falls ich je einen Plattenvertrag kriegen würde. Danach haben das dann auch viele andere Bands getan, wobei ich zugeben muss, nicht wirklich der Erfinder dieser Sache zu sein. Im Metal aber tat das, glaube ich, noch niemand.

MF: Seit deiner letzten Scheibe "Metal" sind drei Jahre vergangen. Kannst du kurz erzählen, was in dieser Zeit so alles mit Annihilator geschehen ist?

JW: 2007 veröffentlichten wir "Metal" über SPV. Als Dave und ich mit den Aufnahmen fertig waren, dachte ich zwar schon, es sei eine gute Scheibe geworden, hatte aber in keiner Weise so ein euphorisches Gefühl wie jetzt mit "Annihilator". Eines Tages telefonierte ich, einfach, um etwas zu quatschen, mit Corey Beaulieu von Trivium, ein guter Freund von mir. Er fragte mich, ob die Scheibe schon fertig sei und ich sagte: "Beinahe!". Darauf fragte er mich: "Kann ich ein Solo darauf spielen?" Natürlich sagte ich sofort zu. Am nächsten Tag erhielt ich einen Anruf von Michael Amott von Arch Enemy, der mich zu einer Show von ihm in Kanada einladen wollte. Ich fragte ihn spontan, ob er nicht auch ein Solo beisteuern wolle, und auch er sagte zu. Meine Freundin, welche gleichzeitig auch meine Managerin ist, riet mir darauf, doch noch andere Gitarristen anzufragen. Die Phantasie ging gleich mit mir durch und ich stellte mir schon vor, wie Kirk Hammet oder K.K. Downing auf meinem Album solieren würden. Meine Freundin holte mich auf den Boden der Realität zurück und riet mir, die Musiker zu fragen, welche ich sowieso schon kenne und welche von meiner Musik beeinflusst wurden. So kamen dann noch Alexi Laiho, William Adler von Lamb Of God oder Danko Jones dazu. Anders war es bei Steve 'Lips' Kudlow von Anvil. Der kannte Annihilator gar nicht wirklich, doch ich bin seit meiner Jugend ein riesiger Anvil-Fan, sodass ich ihn dennoch anfragte. Ich löschte also spontan alle meine schon eingespielten Soli und liess all diese wunderbaren Musiker spielen oder singen.

MF: Das hatte sicherlich auch verkaufstechnisch seinen Nutzen.

JW: Auf jeden Fall! So erreichten wir viele junge Leute, die Annihilator sonst überhaupt nicht kannten oder dachten, wir wären Schnee von gestern. Wir gingen danach ja auch als Vorband von Trivium auf Europa-Tournee. In Grossbritannien spielten wir insgesamt vor über 40'000 Trivium-Fans. Rückblickend muss ich aber eingestehen, dass die Songs auf der Scheibe eigentlich nicht so stark sind. Ohne Gäste würde ich der Scheibe 6 von 10 Punkten geben, mit Gästen 7,5, vielleicht 8 Punkte. Das aber auch nur, da es einfach spannend ist, Musiker aus anderen Bands in Verbindung mit ungewohnter Musik spielen bzw. singen zu hören.

MF: Wie hat sich "Metal" auf "Annihilator" ausgewirkt?

JW: Ich wusste, dass "Metal" ohne die Gäste nicht so gut geworden wäre und sich auch deutlich weniger gut verkauft hätte. Mit dieser Erkenntnis im Hinterkopf machten Dave und ich uns an die Arbeiten zu "Annihilator". Das Motto lautete: Wir machen eine starke Scheibe mit starken Songs, ohne Special Effects, ob es zwei Wochen oder ein verdammtes Jahr dauert. Das heisst nicht, dass wir uns vorgenommen hätten, eine Scheibe für die Ewigkeit zu schreiben. Wenn du nämlich mit diesen Erwartungen an ein Projekt herangehst, dann bist du praktisch schon zum Scheitern verurteilt. Das Ziel sollte einfach immer sein, möglichst gute Songs zu schreiben und dabei Spass zu haben. Denn wie viel Spass du dabei hast hört man anschliessend auf den Aufnahmen. Deswegen hab ich mir auch viele meiner alten Lieblingsscheiben wieder angehört, von denen ich glaube, dass diese Spielfreude eben zu hören ist – Scheiben wie "Bonded By Blood" von Exodus oder "Justice For All" von Metallica. Immer, wenn ich etwas Mühsames machen musste wie Abwaschen oder die Finanzen, dann liess ich mich von diesen Klassikern inspirieren, und ich glaube, das hat sich gelohnt.

MF: Wie stark war Dave Padden dieses Mal am Songwriting beteiligt?

JW: Bei uns läuft das immer gleich ab. Dave wohnt ziemlich weit weg von mir, in den Staaten, und manchmal sehe ich ihn über ein Jahr nicht, wenn wir nicht touren oder im Studio sind. Wenn dann die Musik einer neuen Scheibe geschrieben und produziert ist, dann kommt er zu mir rauf und wohnt ein paar Wochen bei mir. Er hört sich dann die Demo-Versionen an, die ich vom Gesang selbst gemacht habe und weiss dann ziemlich schnell, was ich meine, sodass wir schon am nächsten Tag ins Studio aufnehmen gehen können. Ich reserviere aber immer zwei, drei Songs für ihn. Da schreibt er dann Text und Melodie selbst. Wenn er zuhause ist, schreibt er eben keine Songs, obwohl er ein verdammt grosses Talent wäre. Bei mir zuhause ist er dann eben in Arbeitsstimmung und kreiert in sehr kurzer Zeit phantastische Sachen. So gehen Gesangsmelodien und Text von "Coward" und "Death in your Eyes" auf sein Konto. Zwei der besten Songs auf dem Album.

MF: Du hast erwähnt, dass du für die Gast-Soli auf "Metal" deine eigenen gelöscht hast. Auf "Annihilator" finden sich laut Promo sage und schreibe 66 GitarrenSoli von dir. Kompensierst du jetzt das, was du auf "Metal" gelöscht hast?

JW: Scheint irgendwie so. Ob es wirklich 66 Soli sind, weiss ich nicht. Ich zähle nie, wieviele Soli ich auf einem Album spiele. Das hat ein Typ von der Plattenfirma geschrieben und ich hab nicht einmal gewusst, dass das im Promo-Text stehen würde. Es war aber eine ziemlich clevere und coole Idee von ihm. Zwei Tage, nachdem er die Scheibe von mir geschickt bekommen hatte war er ziemlich begeistert von "Annihilator" und fragte mich, ob ich wisse, 66 Soli auf dem Album eingespielt zu haben. Ich wusste es natürlich nicht, freute mich aber irgendwie darüber, dass sich ein Typ von einer Plattenfirma die Zeit genommen hatte, jedes einzelne Solo zu notieren. Da dachte ich dann: "Vielleicht habe ich endlich die passende Plattenfirma gefunden". Es erinnerte mich auch daran, wie viel Arbeit ich dieses Mal in die Soli gesteckt habe.

MF: Mehr als sonst?

JW: Auf jeden Fall! Nicht, dass die Soli jetzt irgendwie schwieriger wären. Ich habe mir einfach deutlich mehr Gedanken dazu gemacht als sonst. Freunde von mir zuhause in Ottawa sagen mir schon seit Jahren: "Jeff, du musst härter und aufmerksamer an deinen Soli arbeiten" Darauf ich: "Warum? Bin ich ein schlechter Gitarrist? Spiele ich die Sachen nicht sauber?" Das ist aber nicht das, was sie meinen. Was sie eigentlich meinen, ist, dass ich mir mehr Gedanken über die Soli machen soll, über ihren Aufbau, ihre Struktur, ihre Länge und Platzierung innerhalb der Songs. Das habe ich dieses Mal gemacht.

MF: Dadurch, dass deine neue Scheibe keinen eigenen Titel hat sondern schlicht "Annihilator" heisst, schaffst du eine starke Beziehung zu deiner Geschichte und der Band als solches. Gleichzeitig ist "Annihilator" aber die erste Scheibe überhaupt, auf welcher nicht der prägnante, rote Schriftzug prangt. Was hat es damit auf sich?

JW: Der Grund ist ein rein ästhetischer. Als es um das Layout ging hatte ich eines Nachts einen Albtraum. Ich schaue viele Horror-Filme, keine Ahnung warum, sie gefallen mir einfach. Im Traum schwebte ein junges, bleiches Mädchen, dessen Augen komplett weiss waren. Das Mädchen ähnelte irgendwie der Hauptfigur aus "Der Exorzist". Als ich am nächsten Tag aber darüber nachdachte, erinnerte mich das Mädchen auch an Alison, dem Mädchen, welches in unserem Song "Alison Hell" von der Scheibe "Alice In Hell". Dieses Mädchen ist ja auch auf dem Cover dieser Scheibe zu sehen. Als wäre Alison von den Toten auferstanden und suchte mich in meinen Träumen heim. Dies alles erzählte ich unserem Künstler in Budapest, welcher schon die drei vorherigen Cover gestaltet hatte, und eine Woche später hatte er es fertig. Zuerst dachte ich: "Oh-oh... Das sieht ziemlich nach Death Metal aus". Da wir jetzt aber ja bei Earache Records sind, passt das irgendwie. Ein weiteres Problem sah ich in der Frage, wo wir das Logo platzieren sollten. Der Künstler sagte, das brauche es nicht, da "Annihilator" dem Mädchen ja in die Stirn eingeritzt wurde. Noch gruseliger wird die Sache, wenn man bedenkt, dass "Annihilator" unser 13. Studioalbum ist. Dave's Geburtsdatum ist der 13. Februar 1976, mein Geburtsdatum ist der 13. Februar 1966 und geboren wurde ich genau um 13.00 Uhr. Wenn das keine teuflische Scheibe ist!

MF: Eine andere Sache, die mich überraschte, ist die Cover-Version von Van Halen's "Romeo Delight" am Ende des Albums. Warum ein Cover? Warum diese Band? Warum dieser Song?

JW: Während dem Schreiben der Songs fiel mir einmal auf, dass ich noch nie eine Cover-Version auf einem regulären Album hatte. Wir coverten zwar "Hell Bent For Leather" von Judas Priest und "Live Wire" von AC/DC, aber nur als B-Sides von Singles, damals, als es noch Vinyl gab. Also entschloss ich mich dazu, auch, da mir die Idee gefiel, einen meiner Lieblingssongs auszuwählen. Kurz darauf merkte ich aber, dass ich ungefähr 1000 Lieblingssongs habe. Mein Freundin/Managerin empfahl mir dann, einen Song zu covern, welcher mein Leben musikalisch massgeblich verändert bzw. beeinflusst hat. Die Wahl war einfach: Das war ganz klar "Romeo Delight" von Van Halen.

MF: Inwiefern?

JW: 1980 veröffentlichten Van Halen ihre dritte Scheibe, genannt "Women And Children First". Auf der dazugehörenden Tournee machten sie auch in Ottawa halt, wo ich wohnte. Ich wusste: Ich muss dahin. Das Problem aber war, dass ich erst 13 Jahre alt war und meine Eltern mir das niemals erlaubt hätten. Also kletterte ich filmreif aus meinem Fenster und schlich mich unerlaubt zum Konzert. Natürlich hatte ich als 13-jähriger aber auch nicht genug Geld für ein Ticket. So sass ich vor dem Stadion auf der Treppe und hörte mir an, wie Eddie van Halen 20-minütige Soli zockte und David Lee Roth unendlich lange mit dem Publikum plauderte. Als ich die rohe Live-Version von "Romeo Delight" hörte, da war es um mich geschehen. Von da an war ich auf der Suche nach immer härterem Sound, fand den Weg zu Black Sabbath, Judas Priest, Motörhead und Iron Maiden. Das klingt heute vielleicht komisch, aber damals war "Romeo Delight" einer der vielleicht aggressivsten Songs überhaupt. AC/DC, Kiss und Van Halen wurden damals als Heavy Metal bezeichnet. Heute gilt "Romeo Delight" als cooler Rock-Song, zu dem man gut feiern kann. Damals war dieser Song gleichbedeutend mit Revolte und Aggression. Wenn ich diesen Song also nicht gehört hätte, würde ich wohl heute nicht die gleiche Musik machen. Mein Leben wäre vielleicht ein völlig anderes.

MF: Von dieser schönen Geschichte aus der Vergangenheit zurück in die Zukunft: Wann wird man euch das nächste Mal live hier in der Gegend sehen können? Es ist ja schon eine Weile her, seit Annihilator das letzte Mal hier spielten.

JW: Das stimmt. Ich persönlich war aber letzten November schon hier in der Schweiz. Das waren aber keine Konzerte, sondern Guitar Clinics. In Musikläden hab ich einen neuen Verstärker von Hughes & Kettner vorgestellt, unter anderem hier in Zürich. Diesen Termin werde ich wohl nie wieder vergessen, denn der Laden war ziemlich voll, und anstatt der geplanten 70 Minuten haben wir fast zweieinhalb Stunden gemacht. Was aber deine Frage betrifft: Wir hoffen, dass wir im Oktober als Teil eines unglaublich coolen Tour-Packages, welches ich noch nicht verraten darf, nach Europa zurückkommen werden. Ansonsten werden wir im Sommer noch das eine oder andere Festival spielen, jedoch leider nicht allzu viele. Ende Sommer oder September werden wir dann richtig zu touren beginnen. Zuerst aber in Australien und Japan, wo wir auch schon lange nicht mehr waren. Wenn bis dann alles klappt, werden wir Anfang nächsten Jahres als Headliner zurück nach Europa kommen.

MF: Und die letzte, obligatorische Frage: Wo wirst du und/oder Annihilator in 10 Jahren stehen?

JW: Zuerst einmal hoffe ich, dass ich dann noch stehen werde und nicht in irgendeinem Krankenhausbett dahinsieche, hahaha... Nein: Annihilator veröffentlichten das Debut 1989, ziemlich genau einen Monat, bevor die 90er begannen. Wir sind also noch eine 80er-Band, jedoch noch jung genug, um ein Weilchen weiterzumachen. Und wenn man sieht, wie Maiden, Priest, Slayer oder sogar Ronnie James Dio immer noch Gas geben, dann habe ich keine Angst um meine Zukunft. Übrigens fühle ich mich auf dieser Promo-Tour, mit "Annihilator" im Gepäck, so jung wie schon lange nicht mehr. Vielleicht liegt es auch daran, dass der Metal wieder da ist oder dass Bands wie Exodus oder Testament härter rocken und bessere Alben veröffentlichen denn je. Jedenfalls freue ich mich auf einige weitere Jahre voller Metal und Annihilator. In Zahlen heisst das, dass ich hoffe, in 10 Jahren mit dir über unsere 17. Scheibe sprechen zu können.

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