Interview: Blind Guardian
By Roger W.
Die blinden Wächter schlagen wieder zu. Vier Jahre nach „A Twist In The Myth“ unterstreichen die vier Deutschen, dass das einzig Konstante in ihrer Musik die harmonische Veränderung ist. Blind Guardian schocken dabei ihre Fans nicht wie Metallica mit plötzlichen Stiländerungen, sondern erweitern ihren Sound konstant, ohne dabei ihre Vergangenheit zu verleugnen. Mit dieser Vorgehensweise ist ihnen bereits wieder ein kleines Meisterwerk gelungen, welches diesmal auf den Name „At The Edge Of Time“ hört. Gitarrist Marcus Siepen rief mich Ende Juli an, um mit mir die neusten und wichtigsten Informationen zum neuen Silberling zu erläutern. Dabei stellte sich heraus, dass Blind Guardian ähnlich wie Mr. Big wahre Musiker sind, bei denen vieles aus Intuition geschieht. Lüftet also zusammen mit mir das Geheimnis des vier Jahresrhytmus, ihres Cover-Artworks, ihres Image und ihres plötzlichen Bartwuchs.

MF:  Seit "Nightfall In Middleearth" bringt ihr alle vier Jahre ein neues Album raus. Wie fest geplant ist dieser Rhythmus?

MS: Das ergibt sich einfach mit dem Alben-Tour-Rhythmus. Wir brauchen mittlerweile rund 1 ½ Jahren um ein neues Album zu schreiben und aufzunehmen. Und auf Tour können wir keine Stücke schreiben. Wir brauchen dazu unsere Ruhe und unser Studio mit den Setups, mit denen wir arbeiten können. Das heisst, dass wir uns während wir Live-Spielen und Touren gar keine Gedanken über neue Stücke machen. Danach brauchen wir schätzungsweise 1 bis 1 ½ Jahren um die Stücke auf dem Level zu komponieren, auf dem wir sie gerne haben wollen. Wir gehören ja in jeder Beziehung zu den Perfektionisten. Das heisst wir können uns auch an kleinen Gitarren verbeissen, um dann schliesslich zum optimalen Ergebnis zu kommen, oder das, was wir dann als optimal betrachten. Und danach brauchen wir nochmals Zeit, um das Ganze aufzunehmen. So kommst du dann auf diesen 4-Jahres Rhythmus. Also das ist nicht so geplant. Es ist nicht so, dass wir uns jetzt hinsetzen und sagen: „Da ist die neue Platte und jetzt haben wir erst mal vier Jahre Zeit um dann die nächste zu komponieren.“ Wir brauchen einfach diese Zeit. Sollten wir irgendwas beschleunigen können, sollten wir mal schneller Stücke schreiben und dann 10 Songs zusammenkriegen, von denen wir überzeugt sind, dass alle so geil klingen, dass wir die jetzt rausbringen müssen, dann würde die nächste Platte auch schneller kommen. Aber wen wir dafür länger brauchen, wird sie noch später kommen. Wir wollen einfach das optimale Produkt abliefern. Und wir nehmen uns dafür all die Zeit, die wir dafür brauchen.

MF:  Ist mit der Zeit auch der Anspruch an euch selber gestiegen? Früher hattet ihr ja nicht so lange um die Songs zu schreiben?

MS: Der Anspruch an uns selber war glaube ich immer relativ gleich. Aber unsere Fähigkeiten sind gewachsen (lacht). Das heisst, dass als wir die ersten Alben aufgenommen haben, wir die Stücke vom Songwriting her ganz anders konzipiert haben, als wir es heute machen. Damals gab es relativ direkten Melodic-Speedmetal. Da gab es zum Beispiel einmal Schlagzeug, zweimal Gitarren, ein Bass und Gesang. Mehr wurde nicht komponiert. Das war aber auch Absicht. Bei einem Song gab es vielleicht einen Chorus im Refrain, bei dem wir Hansi gedoppelt haben. Aber das war alles sehr, sehr simpel vom Songwriting her. Und darum waren wir auch wesentlich schneller fertig. Wir brauchten damals entsprechend weniger Dinge aufzunehmen. Wie gesagt, waren da also ein Schlagzeug, zwei Gitarren, Bass und Gesang. Das war‘s bereits und die Songs waren aufgenommen. Das erste Album war zum Beispiel in drei Wochen im Kasten. Und wenn wir heute solche Stücke schreiben würden, dann könnten wir diese natürlich auch entsprechend schneller aufnehmen und produzieren. Aber da wir als Songwriter zum Glück gewachsen sind und auch auf den Instrumenten Fortschritte gemacht haben, sind wir heute in der Lage, ganz anders zu komponieren. Und deshalb klingt ein Album wie At "The Edge Of Time" ganz anders als zum Beispiel beim Song „Majesty“ vom ersten Album. Der Anspruch war wohl damals bereits der gleiche. Wir wollten Stücke schreiben, die wir geil fanden. Und das so gut wie möglich. Nur waren wir damals von unseren Fähigkeiten ein wenig eingeschränkt. Da war alles simpler und ging auch entsprechend schneller.

MF:  Hansi hat mir bei der letzten Platte im 2006 erzählt, dass ihr mit dem Album „A Night At The Opera“ einen Neuanfang gewagt habt. Wann steht denn der nächste Neuanfang an?

MS: Das ist eine gute Frage. Da müsste man… Das weisst ich nicht. Es ist jetzt nicht so, dass wir das geplant haben… Eigentlich ist jede Platte für uns insofern ein Neuanfang, als dass wir uns nicht wiedeholen möchten. Es war für uns nie so, dass wir uns z.B. nach „A Night At The Opera“ gesagt haben, dass wir jetzt da weitermachen müssen. Es war das Gegenteil der Fall. „A Twist In The Myth“ sollte bewusst komplett anders werden. Weil wir wussten, dass wir mit „A Night At The Opera“ eine Grenze erreicht hatten, mit dem was man in dieser Richtung machen kann. Wir hätten nicht gewusst, wie wir ein Stück wie „And Then There Was Silence“ noch hätten toppen können. Okay, wir hätten versuchen können, ein Stück zu schreiben, welches eine halbe Stunde lang ist und 1000 Spuren hat. Aber das konnte nicht das Ziel sein. Das heisst wir wollten bewusst etwas anderes machen. Das war derselbe Ansatz, den wir auch beim neuen Album wieder hatten. Auch da wollten wir wieder etwas ganz anderes machen wie bei „A Twist In The Myth“. Logischerweise ist das immer eine Entwicklung. Und logischerweise sind auf dem neuen Album auch Stücke drauf, wo man Parallelen zu z.B. „A Night At The Opera“ hört. Und man hört, wie wir zu dem Punkt gekommen sind, wo wir heute sind. Aber eigentlich stellt für uns dieses Album wieder eine Art Neuanfang dar. Ob das jetzt eine neue Epoche im Blind Guardian-Sound einläuten wird, kann ich heute noch nicht sagen. Dafür ist es noch zu früh. Keine Ahnung. Das müsste man vielleicht dann mit einem Abstand von einem Jahr mal anschauen, ob wir uns da wahnsinnig weiterentwickelt haben.

MF:  Der Album-Titel „At The Edge Of Time“ gilt in diesem Falle nicht für Blind Guardian? Also dass ihr das Album speziell als Wegweisend seht, welches euch in eine neue Richtung schieben soll?

MS: Nein, wie gesagt versuchen wir uns immer in eine neue Richtung zu schieben. Wir haben auch auf dem neuen Album definitiv Sachen gemacht, welche wir vorher noch nie gemacht haben. Wir haben zum ersten Mal mit einem echten Orchester gearbeitet, was für uns ein grosser Schritt war. Weil alle Orchester die du bisher auf den Blind Guardian-Alben gehört hast, kamen immer aus Keyboards. Wenn die gut gemacht sind, klingt das schön. Aber es ist kein Vergleich zu einem echten Orchester. Dieses Mal hatten wir die Chance, dass zu machen, was für uns ein riesen Schritt war. Wir hatten auch früher bereits keltische und folkloristische Einflüsse. Die haben wir aber noch nie soweit ausgebaut, wie wir es auf diesem Album gemacht haben und wir sind auch von den Instrumenten her konsequent in diese Richtung gegangen. Bei „Curse My Name“ hast du Streicher, Flöten, Harfen, Dudelsäcke. Das heisst wir haben jede Menge Sachen mitgebracht, die komplett Neuland für uns sind. Und wie gesagt, jedes Album ist für uns ein Neuanfang.

MF:  Das Orchester-Projekt ist ein wichtiges Stichwort. Denn Hansi hat mir 2006 auch erzählt, dass das kurz vor dem Abschluss steht. Er dachte damals, dass es in zwei Jahren rauskommt.

MT: „Kurz vor“ ist immer relativ (lacht).

MF:  Ja, das stimmt.

MS: Nein, das Ding ist, dass wir daran arbeiten. Und inzwischen sind glaube ich schon fünf Songs aufgenommen. Für uns war natürlich ein wichtiger Punkt, dass wir das richtige Orchester finden konnten, mit dem wir arbeiten wollten. Dass Projekt sollte wirklich von vornherein mit Orchester laufen, das war nie mit Keyboards oder so geplant. Wir haben jetzt für die Platte, also „The Edge Of Time“ mit dem Prager Symphonie-Orchester zusammen gearbeitet. Und mit dem Ergebnis sind wir nun mehr als zufrieden. Und mit dem Orchester haben wir jetzt auch die fünf Songs für das Orchesterprojekt aufgenommen. Das Ergebnis klingt gigantisch gut und genau so, wie wir es haben wollten. Es sollen in absehbarer Zeit oder spätestens Anfang nächstes Jahres noch weitere Aufnahmen für das Orchesterprojekt aufgenommen werden. Das heisst, dass wir konkret daran arbeiten. Wir müssen jetzt allerdings auch noch das Songwriting dafür fertig stellen. Es sind noch nicht alle Stücke geschrieben. Es geht also nicht nur darum, das ganze einfach noch aufzunehmen. Aber wie gesagt wir arbeiten konkret daran und kommen immer näher an den Release. Ich kann jetzt noch kein fixes Datum oder ein fixen Release sagen. Das wird aber vielleicht Mitte nächstes Jahres passieren. Wir sind erstmal auf Tour bis Ende oder Mitte nächsten Jahres. Die Tourpausen werden wir nutzen um weiter daran zu arbeiten. Aber wann wir das jetzt konkret fertig stellen, kann ich noch nicht sagen.

MF:  Die zwei Songs mit Orchesterpassagen auf dem neuen Album sind in diesem Falle also neue Songs, und nicht solche, welche fürs Orchesteralbum vorgesehen gewesen wären?

MS: Jain. Also „Sacret World“ nicht. „Sacret World“ ist ursprünglich als Sacred für das Computerspiel Sacret 2 geschrieben worden. Die Computer-Spiel-Version hat auch noch das Keyboard-Orchester. Für uns stand aber von Anfang an fest, dass wir die Nummer sehr, sehr stark finden und sie nicht so stehen lassen sondern auch auf dem neuen Album haben wollen. Als dann feststand, dass wir auf dem neuen Album mit Orchester arbeiten wollen, haben wir natürlich die Chance genutzt und davon eine neue Version aufgenommen, diesmal mit Orchester. Aber das Stück hatte nie was mit dem Orchesterprojekt zu tun. „Wheel Of Time“ war dagegen ursprünglich fürs Orchester Projekt geplant. Das heisst, der Song wurde ursprünglich komplett orchestral angelegt, hat aber in dieser Version nicht so funktioniert, wie wir uns das erhofft hatten. Und daraufhin, haben wir dann mal die normale Blind Guardian-Variante probiert, sprich mit der Metalband. Und so ist die Nummer langsam zu dem gewachsen, was sie heute ist. „Wheel Of Time“ war aber ursprünglich wirklich fürs Orchesterprojekt geplant.

MF:  Heisst das, dass das Orchesterprojekt komplett mit Orchester und nicht „Orchester triff Metal“ sein wird? Also nur Orchester mit Hansis Stimme?

MS: Das wird definitiv nur aus dem Orchester zusammen mit Hansi's Stimme sein. Du wirst keine Gitarren, keinen Bass und kein Schlagzeug hören. Das ist wirklich ein Symphony-Orchester, dass aber quasi Blind Guardian-Songs spielt. Du hast all die typischen Arrangements, die typischen Melodien und Harmonien und so Zeugs. Aber es wird von einem Orchester gespielt. Das ist zumindest im Moment noch der Plan. Zumindest es das, was wir im Moment bereits aufgenommen haben.

MF:  Kommen wir nochmals zurück zu „The Edge Of Time“. Mir ist aufgefallen, dass die Coverartworks von „A Twist In The Myth“ und dem neuen Album einen ähnlichen Aufbau haben. Wir haben da also den Drachen in der Bildmitte, sowas wie Wächter oder Bäume auf der Seite. Wie fest waren die Parallelen geplant?

MS: Die Parallelen waren gar nicht geplant. Eine Ähnlichkeit besteht sicher darin, dass beide an Computern entstanden sind. Das ist weder gemalt noch per Airbrush oder sowas entstanden. Das gibt natürlich bereits eine gewisse Ähnlichkeit. Geplant war von uns keine Ähnlichkeit. Wir wollten ein Cover, welches mit der Geschichte von „Wheel Of Time“ zu tun hat. Wir hatten diese Idee mit der Pyramide, die aus einem Sandmeer taucht. Und wir waren auf der Suche nach neuen Cover-Designern. Und André hatte diesen im Internet entdeckt. Wir haben ihn kontaktiert und gefragt ob er nicht Bock hätte, für Blind Guardian ein Cover zu erstellen. Dabei hat sich dann rausgestellt, dass der seit vielen Jahren Die-Hard Blind Guardian-Fan ist. Er hat sich sehr, sehr über das Angebot gefreut. Die Arbeit war dann sehr entspannt mit ihm. Wir hatten ihm unsere Vorschläge geschildert und er hat darauf logischerweise Entwürfe gemacht und uns diese zugemailt. Und wann immer wir Verbesserungsvorschläge hatten oder irgendwas korrigieren wollten, hat er unglaublich schnell reagiert. Das heisst, du hast ihm eine Mail geschrieben im Stile von „das ist alles super, aber könntest du in der Beziehung etwas ändern“ und du hattest dann eine halbe oder eine Stunde später einen neuen Entwurf auf dem Tisch. Das Ergebnis hat ein paar Parallelen zum „A Twist In The Myth“-Cover. Aber wie gesagt war das nicht geplant. Es war jetzt nicht so, dass wir sagten, dass das jetzt unser neuer Cover-Stil ist. Also dass da jetzt ein Drache drauf und am Computer gezeichnet sein muss. Das hat sich jetzt einfach so ergeben. Und das stört uns jetzt aber auch nicht weiter.

MF:  Also ich finde es cool. Und es passt auch.

MS: Ja, wir auch (lacht).

MF:  Der Drache und die Pyramide kommen also auch in den Songs vor?

MS: Der Drache kommt in der Geschichte von „Wheel Of Time“ vor, also dem Rad der Zeit. Da geht es um die Figur des wiedergeborenen Drachens, der einen Auftrag zu erfüllen hat. Der muss die Welt gegen irgendwelche Fantasy-Figuren verteidigen, die auch auf dem Cover drauf sind. Von daher macht der Drache durchaus Sinn. Es gibt in den Geschichten die Figur des wiedergeborenen Drachens. Wie gesagt handeln zwei Stücke von dieser „Wheel Of Time“-Geschichte. Das ist logischerweise „Wheel Of Time“ selber und „Ride Into Obsession“. Von daher macht es durchaus Sinn.

MF:  Das Album erscheint ja in verschiedenen Versionen. Die eine enthält eine CD mit früheren Versionen. Ist das ein Geschenk für Fans oder konntet ihr euch nicht auf eine einzige Version einigen?

MS: Eher das erste. Wir selber finden es interessant, solche Sachen zu präsentieren. Wir packen gerne solche Demoversionen auf die Limited Edition, oder teilweise hatten wir früher auch irgendwelche Single-B-Seiten dabei. Der Fan kann damit nachvollziehen, wie ein Stück wächst. Weil die Demos dann schon teilweise anders als die Stücke dann auf dem Album klingen. Teilweise sind andere Parts drin, teilweise sind die Aufbauten anders, teilweise ist die Interpretation ganz anders. Und wir glauben einfach dass das für die Fans eine interessante Sache ist, wenn man so mit verfolgen kann, wie aus einer ursprünglichen Idee, sprich der Demoversion, dann das endgültige Stück wie es schliesslich auf dem Album steht, entsteht.

MF: Verfolgt ihr dass auch selber mit, wenn ihr andere Bands hört?

MS: Ja, ich fände so was auch interessant. Wenn ich die Möglichkeit habe, sowas zu hören, interessiert mich das alleine schon als Musiker. Also einfach zu hören, wie die das machen. Welche Grundidee haben sie und wie kommen sie dann zum endgültigen Stück. Das fände ich sehr interessant.

MF:  Ich habe Henjo Richter von Gamma Ray kürzlich interviewt. Er hat mir verraten, dass er vom Gamma Ray-Album Majesty eine eigene Abmischung zu Hause hat, die er dem Schlussmastering vorzieht. Wie ist das bei euch? Hat da jeder seinen eigenen Mix zu Hause?

MS: Nein, das eigentlich nicht. Dazu muss ich sagen, dass wir mit dem Mix von diesem Album zu 100 Prozent zufrieden sind. Also so, wie man eigentlich nicht zufriedener sein kann. Meiner Meinung nach ist das die mit Abstand beste Produktion, die wir je hatten. Und von daher gibt es da auch keine verschiedenen Versionen. Es gibt verschiedene Mixe. Aber das sind Stufen gewesen im Mix auf dem Weg zum fertigen Mix. Das sind verschiedene Vorschläge und Versionen die wir mal Mischen haben lassen. Und wir haben uns schlussendlich auf die geeinigt, die jetzt veröffentlicht wird. Wir hatten mal den Backkatalog mit neuen Mixen neu rausgebracht. Da haben wir teilweise wirklich was am Sound verbessern können, weil die Originalaufnahmen damals noch nicht optimal gemischt oder noch nicht optimal gemastert waren. Aber vom Sound der neuen Platte sind wir definitiv 100 Prozent überzeugt. Das ist genau der Sound, den wir haben wollten und da gibt es bei keinem von uns irgendwelchen Bedarf an anderen Mixen oder so.

MF:  Etwas komplett anderes: Mir ist aufgefallen, dass in Interviews sobald bei euch ein neues Album rauskommt, auf dem jeweiligen Vorgänger rumgehackt wird.

MS: (lacht)

MF:  Also beim jeweiligen neuen Album heisst es immer, dass das super ist, während es beim nächsten Interview wieder kritisiert wird. Wo ist da die Logik?

MS: Die Logik gibt es nicht. Früher war das mal anders. Ganz früher in den Anfangsjahren, in den ersten Blind Guardian Jahren, war es genau anders rum. Da war immer das Album, das wir vorher gemacht haben total geil, und das neue war scheisse, wenn du mit den Leuten gesprochen hast. Das stand dann nie in den Reviews drin, aber wenn du mit den Leuten gesprochen hast, fanden die immer: „Die letzte Scheibe fand ich ja total geil, aber die neue…“ Ich weiss es nicht. Es gibt Leute, die mit aller Gewalt etwas suchen, was sie schlecht reden können, weil sie sich ansonsten wahrscheinlich nicht wohl fühlen. Mit Kritiken muss man leben können. Ich habe auch nicht den Anspruch, dass ich sagen würde, dass jeder jetzt die Platte geil finden muss. Das ist auch immer eine Geschmackssache. Und mit konstruktiver Kritik habe ich überhaupt kein Problem. Also wenn jemand sagt, ich finde die nicht gut, weil… keine Ahnung, er keine Orchesterstücke oder er Hansis Stimme nicht mag. Wenn jemand konkret Kritikpunkte nennen kann, habe ich damit überhaupt kein Problem. Dann muss ich diese akzeptieren, weil es wirklich immer eine Geschmacksfrage ist. Ich mag es einfach nicht, wenn jemand pauschal sagt: „Das Ding ist Scheisse.“ Und wenn du die Person dann fragst, warum denn, dann kommt: „Weil es Scheisse ist.“ Das braucht kein Mensch. Aber keine Ahnung. Manche Leute suchen immer mit Gewalt einen Punkt, über den sie meckern können.

MF:  Hat diese Kritik auch etwas mit dem Abstand zum Album zu tun? Ich meine, als Musiker würde ich es verstehen, wenn ihr auf Tour vier Jahre mit dem Album gearbeitet habt und dann merkt, was euch am Album weniger gefallen hat Das könnt ihr ja dann auf dem nächsten besser machen.

MS: Natürlich versucht man das. Du hast logischerweise mit Abstand zum Album eine andere Ansicht zu gewissen Dingen, die du direkt nach der Fertigstellung des Albums noch nicht gesehen hast. Das heisst, es kann durchaus sein, dass wir in ein, zwei Jahren sagen: „Ja, die Platte war zwar cool, aber dies und jenes hätte man noch besser machen können. Ich bin mir sogar sicher, dass wir mal an diesen Punkt kommen werden. Weil wenn wir langfristig sagen würden, dass das jetzt das perfekte Album war, dann würde sich die Frage stellen, was wir den jetzt noch neues machen könnten. Dann könnten wir es ja beim nächsten Mal nicht mehr besser machen. Und wir haben immer den Ehrgeiz, beim nächsten Mal noch einen drauf zu legen. Es wird uns mit Abstand also mit Sicherheit etwas auffallen, wo wir sagen werden: „Ja, das hätte man vielleicht mal so probieren können. Das wäre so vielleicht geiler gewesen.“ Das wird man sehen. Dafür fehlt aber jetzt noch der Abstand, dafür sind die Sachen momentan noch zu frisch. Der Mix ist noch zu frisch. Wir haben es noch nicht live gespielt, weil die Tour ja noch nicht begonnen hat. Da wird man wohl erst in ein bis zwei Jahren etwas darüber sagen können, wenn man wirklich den Abstand hat.

MF: Jemand, der es ein Bisschen anders macht ist die Band Van Canto, die den "Bar"d’s Song gecovert haben. Was hältst du von ihrer Version?

MS: Ich finde sie witzig. Als ich das erste Mal von der Band gehört habe, da war ich zuerst stutzig, wie das klingen sollte, Die haben ja hier bei uns im Studio bereits zwei Alben aufgenommen. Ich bin dann einfach mal ins Studio gefahren und habe es mir angehört und fand es sehr interessant. Das hat einen komplett anderen Ansatz. Das ist zwar nichts, was ich mir den ganzen Tag anhören könnte, dafür bin ich wahrscheinlich zu Traditionell was Metal-Musik betrifft (lacht). Da möchte ich dann schon auch Gitarren und Bass und alles drum herum hören. Aber an sich finde ich es eine sehr witzige Idee. Die Jungs und das Mädel setzen das ganz gut um. Das ist schon cool gemacht. Wir werden sie jetzt auch bei einigen Konzerten mit dabei haben. Wenn wir auf Tour gehen, werde ich mir definit einige Konzerte ansehen um zu erfahren, wie das Ganze live funktioniert. Ich bin wirklich gespannt. Ich kann mir ja auch nicht wirklich vorstellen, wie die Fans sowas aufnehmen und wie das im Konzert funktioniert. Aber ich finde es eine sehr spannende Angelegenheit.

MF:  Gibt es auch andere Bands die euch gecovert haben?

MS: Es gibt einige Bands, die uns gecovert haben. Es gab sogar einmal einen Tribute-Sampler to Blind Guardian, wo 10 bis 15 Bands covers von uns gemacht haben. Das hört man immer mal wieder. Und ich finde das immer ziemlich geil. Es ist immer spannend zu hören, wenn eine andere Band deine Lieder interpretiert, Weil es natürlich fast immer anders klingt, als wenn wir es spielen. Das ist sehr witzig zu hören, was dann dabei raus kommt. Es gibt zum Beispiel vom Bard’s Song eine Death-Metal-Version mit Blast-Beats und allem drum und dran. Ich finde das sehr spannend. Es klingt logischerweise komplett anders als unser Bard’s Song. Aber ich fand es cool, dass jemand gesagt hat: „So die Nummer ist geil. Aber die krempeln wir jetzt mal komplett um. Da machen wir jetzt was ganz anderes draus.“ Und so was zu hören ist geil und spannend. Einfach zu sehen, was andere aus dem Zeugs machen. Und es ist natürlich immer auch eine Respektsbekundung, wenn dich jemand covert und damit sagt, dass er geil findet, was wir machen. Das ist Klasse und das hören wir auch gerne.

MF: Gibt es da auch Songs, wo du gesagt hast: „Ne, das geht jetzt gar nicht“?

MS: (überlegt) Also bei Covers von unseren Liedern habe ich das bisher noch nie sagen müssen. Das Langweiligste dabei fand ich eigentlich immer, wenn es jemand relativ nah am Original einfach nachgespielt hat, ohne was eigenes reinzubringen. Da fand ich die Death-Metal-Version vom Bard’s Song interessanter. Aber an wirklich schlechte Covers kann ich mich gerade nicht erinnern. Da waren alle zumindest relativ okay.

MF:  In der August-Ausgabe des Metal-Hammers liegt eine exklusive Live-CD von euch bei. Ist die von euch autorisiert oder wie viel Einfluss hattet ihr darauf?

MS: Die ist komplett von uns autorisiert und alle Stücke sind so abgesegnet. Von "Sacred World" ist nicht die originale Album-Version sondern eine gekürzte als Teaser und Appetit-Häppchen fürs neue Album drauf. Und als Bonus gibt es acht Stücke aus Wacken 2007. Aber das ist von uns so komplett autorisiert. Das sind Songs, die wir exakt dafür frei gegeben haben.

MF:  Was wollt ihr damit bezwecken? Eine noch grössere mögliche Fan-Schar erreichen?

MS: Es ist natürlich eine Promo-Tool (Werbe-Werkzeug). Du kannst Leuten einen Song vom neuen Album präsentieren, ohne jetzt den kompletten Song frei zu geben. Aber die Leute können schon mal sehen, wie das klingt, wenn Blind Guardian mit Orchester loslegen. Das ist auch der Grund, warum wir nach wie vor daran festhalten, vor dem Album-Release eine Single rauszubringen. Damit kannst du den Leuten schon mal ein paar Sachen vorstellen, was sie dann auf dem Album erwarten wird. Das heisst, du kannst nach vier Jahren Pause, die wir ja im Prinzip hatten, sagen: „Hallo wir sind zurück. Hier ist die Single. Und so was in der Art erwartet euch.“ Und mit dem Metal-Hammer kam es dann dazu, dass wir eine komplette CD reingepackt haben. Ich finde es eine gute Idee. Es ist natürlich ein Werbetool, das viele Leute ansprechen kann. Und für die Fans ist ein neuer Song dabei, auf den sie sich hoffentlich freuen. Und als Bonus gibt es noch acht Stück live die sonst noch nicht veröffentlicht wurden, und die es wirklich nur auf dieser CD gibt. Und das ist meiner Meinung nach eine gute Sache.

MF: Heisst das, dass ihr in eurem Archiv noch mehrere solche Live-Sachen habt, die ihr bei Gelegenheit raus zücken könnt? Oder sind das eher seltene Aufnahmen, bei denen die Songs wirklich gut aufgenommen worden sind?

MS: Wir haben ein paar Sachen. Wacken ist damals vom Deutschen Fernsehen komplett aufgenommen worden. Das Fernsehen hat die Show komplett übertragen. Ich glaube, das war bis auf zwei Songs komplett. Die haben eineinhalb Stunden im Fernsehen gezeigt. Und darum hatten wir von da wirklich qualitativ hochwertiges Aufnahmen. Wir haben auch noch andere Aufnahmen. Wir haben im Rahmen der Night At The Opera-Tour sehr viele Konzerte aufgenommen, weil wir im Anschluss eine Live-CD rausbringen wollten und auch rausgebracht haben. Da haben wir mit Sicherheit noch das ein oder andere Stück, das man veröffentlichen könnte. Dafür müssten wir das Material aber erst mal durchhören. Es gibt auch den Plan, eventuell bei der nächsten Tour wieder einmal ein Bisschen was aufzunehmen. Es gibt jetzt keinen konkreten Plan wieder eine Live-Platte rauszubringen oder eine Live-DVD. Weil es dafür ist definitiv noch zu früh ist, da Live und Imagination Through The Looking Glass ja noch nicht so alt sind. Da sollten jetzt erst mal noch mehr Studioalben folgen, damit man wirklich ein komplett neues Set auf dem Live-Album präsentieren könnte. Aber es kann natürlich nicht schaden Live-Aufnahmen für B-Seiten. Bonusmaterial oder solche Gimmicks zu haben.

MF:  Machen wir noch eine Frage Boulvard-Journalismus. Auf den neuen Bandfotos zeigen sich alle ausser André mit Bärten. War das geplant oder kam da der Fototermin ein wenig überraschend?

MS: (lacht) Also geplant war das nicht. Ich bin letztlich schon darauf angesprochen worden und wurde gefragt: „Warum dann dieser Imigewechsel?“ Und ich wusste gar nicht, was der Mann von mir wollte. Was für ein Imagewechsel? Also ich habe jetzt seit einem halben Jahr oder ¾ Jahren einen Vollbart und das einfach weil ich keinen Bock hatte ihn zu rasieren. Ich hasse es mich zu rasieren. Dass ist der einzige Grund, warum ich einen Bart habe wachsen lassen. Ich mag einfach rasieren nicht. Hansi hat immer wieder mal zwischendurch einen Bart. Keiner von uns rasiert sich wirklich gerne. Frederik hatte einfach nur einmal keine Bock mehr auf seinen langen Kinnbart und hat ihn abgeschnitten. Danach hat er sich einen anderen Bart wachsen lassen. Aber es ist jetzt nicht so, dass wir uns hingesetzt haben und gesagt haben, wir müssen jetzt alle Bärte haben. Es kann auch durchaus sein, dass wenn wir der Bart mal irgendwann auf den Sack geht, ich ihn sofort wieder abrasiere. Es ist jetzt nicht so, dass ich für den Rest meines Lebens einen Bart tragen werde. Wenn er mich nervt, geht er wieder weg. Und in diesem Fall ist es einfach so, dass ich mich damit nicht rasieren muss.

MF:  Also ich fand es witzig.

MS: Ja, und das ist das grosse Geheimnis dahinter. Dass es nicht geplant ist. Wir wollen jetzt nicht irgendwem damit Konkurrenz machen. Es war einfach so.

MF:  Das heisst eurer Image entsteht einfach, weil ihr so seid. Ihr habt keinen Werbeplan? .

MS: Also zu unserem Image: Früher haben die Leute ja gesagt, dass unser Image ist, dass wir keines haben. Wir sind so wie wir sind und verkleiden uns auch nicht grossartig. Auf den Fotos, welche jetzt im Rahmen des neuen Albums veröffentlicht worden sind, sind wir einfach so zu sehen, wie wir auch privat aussehen. Ich habe jetzt exakt denselben Bart wie bei der Fotosession und ich habe den auch nur deshalb weil ich einfach Bock drauf hatte und nicht weil ich mein Image als Gitarrist bei Blind Guardian verändern wollte. Das hat damit gar nichts zu tun. Und wie gesagt: Sollte er mich morgen stören werde ich ihn morgen auch wieder abrasieren. Und somit hätte ich wieder ein neues Image bei Blind Guardian was mir wiederum vollkommen egal sein würde.

MF:  Kommen wir zur zweitletzten Frage: Nach zwei Tourneen startet ihr zum ersten Mal nicht in der Schweiz Hat sich das auch einfach so ergeben?

MS: Auch das hat sich einfach so ergeben. Darüber war ich auch sehr überrascht. Normalerweise war es ja der Klassiker immer im Z7 zu starten. Das hat sich diesmal aber anders ergeben. Bei den letzten Tourneen hatten wir es so, dass wir immer schon drei, vier Tage vorher im Z7 waren und dann mit der vollen Produktion geprobt haben. Also mit dem richtigen Licht, mit der richtigen Anlage und allem drum und dran. Da hatten wir wirklich drei, vier Tage Generalprobe, bevor dann die Tour überhaupt begonnen hat. Und diesmal ist es eben anders gekommen und wir starten in einer Halle, die eine Stunde von hier entfernt ist. Und so ist es natürlich einfacher, weil man Abends einfach nach Hause fahren kann, wenn man Bock hat. Und deshalb ist das Z7 erst zwei oder drei Wochen später dran. Wir haben das Z7 also nicht vergessen, wir lieben es immer noch, und wir kommen auch immer noch zurück.

MF:  Die letzte obligatorische Frage: Was möchtest du euren Schweizer Fans noch mitteilen?

MS: Dass wir die Schweiz immer noch lieben. Das Z7 ist unvergessen und wir freuen uns drauf. Wir waren lange nicht mehr präsent, also vier Jahre oder zweieinhalb Jahre, wenn man die Tour ausklammert. Ich hoffe, dass jeder seine Chance nutzt, das neue Album anzuhören und es ev. auch kauft. Wer will, kann bereits jetzt drei komplette Songs auf unserer Homepage anhören. Das Album kommt oder ist beim Erscheinen des Interviews bereits draussen und die Tour startet im September. Die Schweiz steht auf dem Programm und ich hoffe, alle Leute wieder in der Halle zu sehen.