Interview: Crematory
By Liane P.
Das letzte Crematory Interview für Metal Factory mit Markus Jüllich, dem Drummer und Sprecher der Band, hat damals der Chef Roxx noch selbst geführt. In den gut 10 Jahren ist sehr viel passiert bei der Vorzeige Gothic Metal Band aus meiner Heimatregion Rheinland Pfalz. Ich muss sagen: „Schäh eich zu treffe und mol widder pälzisch babble zu känne.“ Bülent Ceylan lässt grüssen. Schön ist er ja nicht der Dialekt, awwa witzisch!

Aktuell zelebriert man das 20jährige Bandbestehen mit dem im November 2010 veröffentlichen Werk „Black Pearls“, eine akustische wie visuelle Zeitreise des Quintetts: 32 Songs, 21 Videoclips, 90 Minuten Live-Material und on top gibt es noch privat gefilmte Backstage-Szenen. Entspannt sassen mir Sänger Felix Stass (FS) und Markus Jüllich (MJ) gegenüber, um in Worte zu fassen wie es ist, im Musik Business die Rosinen herauspicken zu können. Mit stolz geschwelter Brust ohne überheblich zu wirken stellen sie klar, dass die Band selbst allen die Ansage macht, wo der Hase wann und wie warum wohin laufen soll. Da folgt man auch ohne Widerrede dem Befehl der Herren: „Macht euch mal naggisch ihr Weiber!“...


MF: Euer letztes Album „Infinity“ wurde 2010 veröffentlicht, zudem die „Black Pearls“, bleibt nur zu sagen: Herzlichen Glückwunsch zum Jubiläum! Wie sind die Resonanzen?

MJ: Danke, wir haben sensationelles Feedback zur „Black Pearls“ bekommen. Bisher hatten wir auf jeder Platte einen Hit. Wir hätten locker 3 CDs füllen können. Die meiste Arbeit hat die DVD gemacht . Wir haben immer alles mit gefilmt: Backstage, im Studio, beim Wacken Festival vor 2 Jahren mit ca. 80.000 Zuschauern und so weiter. Den Wacken Auftritt hätten wir gerne komplett drauf gehabt, aber da fehlten noch die neue Stücke vom „Infinity“ Album. Daher haben wir noch 30 Minuten vom M`era Luna Festival mit dazu genommen. Die restliche Zeit wurde dann mit jugendfreien Backstage Szenen aufgefüllt. (lacht)

MF: Konntet ihr die Auswahl mitbestimmen?

FS: Das haben wir alles selbst ausgesucht. Wir haben bestimmt, was auf das Album drauf soll. Wir haben uns jetzt 20 Jahre lang nicht in unsere Arbeit rein reden lassen und das lassen wir uns auch zukünftig nicht. Die Entscheidung liegt immer bei uns. Wir sind eine fannahe Band und wissen was die Leute hören wollen oder sehen wollen, dementsprechend haben wir das ganze zusammengestellt.

MJ: Die Video Clips sind auch alle drauf, angefangen mit mit den Low Budget Videos, chronologisch geordnet bis zum 50.000 Euro Video. Man sieht eben schön die Entwicklung im Laufe der Zeit. Wir haben uns für die Zusammenstellung sehr viel Zeit genommen. Eigentlich haben wir das nur für uns gemacht. Wenn man so etwas in den Händen hält, ist das natürlich eine tolle Sache. Zu sehen was man alles gemacht hat und bewegt hat, das ist schon toll. Da sind wir stolz drauf. Es hätte keiner gedacht, dass „Black Pearls“ so guten Anklang findet, denn die Fans haben ja schon alle Alben.

MF: 2001 entschied man sich aufgrund persönlicher, gesundheitlicher und finanzieller Gründe die Band nach 10 Jahren aufzulösen. Gut 3 Jahre später hat Nuclear Blast Euch bekniet wieder ein Album aufzunehmen. Was hat Euch dazu gebracht, wieder ins Studio zu gehen?

MJ: Nun jeder hat halt seinen Preis. (lacht)

FS: Uns hat halt was gefehlt im Leben. Wir machen nun schon so lange Musik. Die Live Konzerte und das alles hat uns sehr gefehlt. Ich hatte zwar auch noch eine Band neben her, aber es war nicht das selbe. Wir hatten privat einiges zu klären gehabt und mussten im realen Leben wieder Fuss fassen. Das hatten wir über Jahre hinweg stark vernachlässigt. Nach 3 Jahren hatten wir alles im Griff und waren heisshungrig darauf wieder durchzustarten. Unsere Situation war wieder stabil, daher konnten wir die Zusage für eine Reunion geben.

MF: Warum hattet ihr nicht einfach eine Pause gemacht bzw. offiziell eine Auszeit genommen?

MJ: So etwas funktioniert einfach nicht. Das ist doch wie in einer Beziehung. Machen wir mal 4 Wochen Pause. Das ist Bullshit. Das heisst so viel wie, ich hab ne Andere und schau mal ob es mit der besser geht. Das ist doch nichts. Bin ich auch nicht der Typ dafür. Entweder ganz oder gar nicht. Für uns war das Kapitel damals beendet. Wir hatten so viel erlebt und erreicht, Dinge von denen hätten wir noch nicht mal davon geträumt, als wir die Band damals 1991 gegründet hatten. Das Ding war für uns durch. Und nach einer Zeit vermisst Du halt das Rock & Roll Feeling, die Festivals, die Konzerte. Dann wurden wir gebeten nochmals was zu machen. Wir haben uns zusammen gesetzt und überlegt wie wir das umsetzen könnten. Unter der Voraussetzung, dass wir das als Hobby Band weiterführen können und dass die Rahmenbedingen stimmen und wir weiterhin unseren Jobs nachgehen können, haben wir zugesagt. Geregelter Job, mit festem Fuss im Leben aber auch ein bisschen Rock & Roll zu machen - das war die Idee.

MF: Aber auch da ist es nicht einfach die Balance halten zu können oder?

MJ: Wir gehen ja nicht mehr auf Tour. 6 Wochen oder länger am Stück touren wird nie wieder passieren. Wir machen nur noch ab und an eine Show und das am Wochenende so wie es uns eben passt. Oder nutzen Brückentage. Was wollen wir machen und wie viele Shows wollen wir spielen, das bestimmen wir. Wir sitzen zusammen, bestimmen die Daten und geben diese dann an den Booker weiter. Dementsprechend wird das koordiniert.

FS: Da sind wir auch zu alt dafür. (lacht)

MJ: Du, wir gehen jetzt alle auf die 40 zu, wir sind auch nicht mehr die Jüngsten. Das ist tatsächlich ein physisches Problem. Man merkt das schon. Zudem haben ich ja mit Katrin (key) 2 Kinder. Das ist eine grosse organisatorische Sache. Da muss man halt als mal Gelder an die Schulen fliessen lassen, damit die die Klappe halten (lacht). Daher haben wir gesagt, wir wollen es nicht übertreiben damit wir auch nicht wieder den Spass verlieren. Wir sind eben in der komfortablen Situation, dass wir auf das Geld nicht angewiesen sind. Jeder hat seinen Job und verdient sein eigenes Geld. Wir suchen uns die Perlen raus und bestimmen selbst, was wir in
welchem Ausmass machen wollen. Wenn wir auf was keinen Bock haben, dann machen wir das auch nicht.

MF: Klingt nach erfülltem Rock & Roll Leben. Schätze mal da gibt es einige Bands die nur davon träumen können. Felix, ich möchte gerne mal noch über Deine Gesangstechnik sprechen. Man spricht ja von Growling, gutturalem Gesang, Grunzen und so weiter. Wie würdest Du sagen? Gibt es auch Frauen die growlen?

FS: Angela Gossow von Arch Enemy beherrscht das auch sehr gut. Sie kann growlen wie ein Mann. Man braucht da schon eine gewisse Veranlagung dafür. Es ist eine Ausatemtechnik und man muss über den Hals singen. Das habe ich mir selbst beigebracht und recht viel geübt. Klarer Gesang habe ich auch mal probiert, aber das ist nicht so meine Sache. Dafür haben wir ja auch
den Matze.

MF: Auch wenn es schon recht lange her ist (1998), war es doch damals zunächst ein recht grosser Einschnitt in die Geschichte von Crematory. Was war positiv, was war negativ an der Trennung von Lotte Först aus eurer heutigen Sicht? Er war ja hauptsächlich für das Songwriting verantwortlich.

MJ: Positiv ist an einer Trennung nie etwas. Nun ja positiv war eigentlich, dass wir den Matze Hechler gefunden hatten, der mit seinem musikalischen Können und seinem Gesang die Band bereichert hat. Lotte hatte damals Crematory mit uns gegründet. Jeder von uns hat etwas positives zur Geschichte beigetragen. Man merkt halt auch erst nach ein paar Jahren, dass es so nicht mehr weiter gehen kann. Der Entscheid war nicht einfach uns sehr traurig, aber es war der bessere Entscheid, sonst würde es uns jetzt so nicht mehr geben. Matze hat frischen Wind in die Band gebracht und einen grossen Teil zur Weiterentwicklung beigetragen.

MF: Interessant finde ich, dass man grosses Theater um den Weggang gemacht hatte damals und an eine Zukunft der Band nicht mehr geglaubt hatte. Jetzt sind die Alben teilweise viel erfolgreicher als zuvor. „Believe“ und „Act Seven“ gehören zu den besten Alben in der Geschichte von Crematory.

MJ: Wir hatten, bevor wir den Matze am Start hatten, 20 andere Leute getestet. Das war für uns auch ein Risiko und wir haben damals schon auf das eine neue Pferd gezählt und gehofft, dass es gut kommt. Lotte war damals der Songschreiber bei uns und von daher recht wichtig für die Band. Wir wussten nicht was danach passieren würde.

MF: Ist ja alles gut gegangen. Ihr habt Euch damals schon immer selbst von von A-Z um alles bei Crematory gekümmert. Auch um das Mailorder und die Fans. Hat sich da was geändert?

MJ: Nein, das machen wir immer noch so. Je persönlicher der Bezug ist zu den Leuten, desto intensiver ist alles. Da sind Leute im Publikum die sind fast 50 Jahre alt. Die sind mit uns gereift, gewachsen und sind uns über die Jahre treu geblieben. Das ist auch ein wichtiger Punkt. Wir gehen an den Merchandising Stand und unterhalten uns mit denen. Ich war auch mal Fan und habe das immer sehr geschätzt bei den Bands.

MF: Im Zeitalter von sozialen Netzwerken kann man auch noch intensiver die Fans betreuen und und direkt mit News versorgen. Ich denke da an Facebook oder Wer Kennt Wen.

MJ: Das kann auch ganz anstrengend sein. Die Leute sehen, dass man online ist und dann kommen plötzlich 20 Chats von Leuten auf, die dich anschreiben. Das kann man fast gar nicht bewältigen. Aber wir versuchen das beste den Kontakt zu halten. Das komplette Management machen wir auch immer noch selbst.

MF: Lasst uns mal über das Cover von Depeche Mode reden, welches auf der „Infinity“ Scheibe zu hören ist. „Black Celebration“ ist euch super gelungen. Wie kam das zustande?

FS: Das ist auf Markus Mist gewachsen. Ich war nicht so begeistert zu Beginn, da ich nicht so der Depeche Mode Hörer bin. Ich konnte mir das gar nicht vorher vorstellen, wie das klingen könnte. Aber jetzt im Nachhinein gefällt es mir sehr gut. Wir konnten richtig einen Crematory Stempel aufdrücken.

MF: Der Videoclip dazu ist recht erotisch ausgefallen. Man sieht 2 Frauen im Käfig die sich befummeln und küssen.

MJ: Die Grundidee war einfach, dass wir 2 Videoclips machen. Wir haben ja Gothic und Metal Fans. Mit dem Clip für den Song „Infinity“ wollten wir was machen, wo es den Metallern richtig was auf die Ohren gibt. „Black Celebration“ haben wir für die Gothics gemacht. Eine Videofirma und Felix haben das Drehbuch geschrieben. Für Black Celebration haben wir in Mannheim im MS Connexion gedreht. Wir kamen da an und da standen dann diese Käfige herum...

FS: Das war auch wieder so eine spontane Geschichte. Da waren dann die Mädels, die haben wir uns geschnappt und gesagt „Macht euch mal naggisch“... (Huch, der Felix ist ja plötzlich so aufgeweckt und redselig... Anm. Redation)

MJ: Jetzt warte doch mal ab, es geht ja weiter. Also das war echt Zufall. Hinten hingen dann die Mörder Disco-Kugeln und da dachte ich „Geil wir machen das mal auf 80er“. Sex sells! Wir machen einen Scheiss auf die Story, denn das haben wir beim Clip für „Infinity“ schon umgesetzt. Wir machen das auf „oldstyle“, so mit gerastertem Filmmaterial. Die Weiber machen sich naggisch und ab in de Keffisch. Rock & Roll. Und das haben wir dann gemacht. Die spontanen Sachen sind eben die Besten. Die Mädels mussten wir halt etwas bearbeiten. Die eine ist ja die Frau vom Backliner und die andere ist die Merchandiserin. Die waren eigentlich nur so dabei und haben dann mitgemacht.

MF: Es ist ja nicht so, dass die nur im Käfig herum stehen, da geht es ja richtig zur Sache ...

MJ: Na ja wenn es nach mir gegangen wäre hätten die noch mehr Betrieb gemacht und die Höschen ganz ausgezogen. (grosses Gelächter)

MF: Haben die Euch nicht bei den Aufnahmen irritiert?

MJ: Das war ja so positioniert, dass die Käfige hinter uns stehen und wir schauen ja nach vorne.

MF: Nun ja gezwungener massen....

MJ: Also wir haben schon öfters Frauen an Stangen tanzen sehen (lacht).

FS: Nun ja nackte Frauen sind uns durchaus bewusst. Das macht uns so schnell nicht mehr fertig.

MF: Ist noch schwierig wenn die eigene Frau immer mit auf Tour ist, nicht Markus.

MJ: Näää! Wo ein Wille ist ist auch ein Weg. Aber da erzähle ich keine Details. (lacht)

MF: Ihr habt heute die Kinder dabei. Fühlen die sich wohl im Rock & Roll Zirkus?

MJ: Die finden das sensationell. Wir haben immer ein Kindermädchen dabei und das Wohnmobil welches Katrin fährt. Die anderen fahren im Sprinter. Die Kinder gehen dann immer am Abend schlafen. Die schauen sich ja das Konzert nicht an. Denen gefällt das super, die haben grossen Spass. Jeder spielt mit und und so. Die fragen zu Hause auch immer „Wann geht es den wieder los?“.

MF: Gibt es zum Abschluss noch etwas über die Zukunft von Crematory zu berichten?

FS: Das wissen wir noch nicht, wir schauen mal. Das lassen wir auf uns zu kommen. Wie wir lustig und launig sind...

MJ: Es war bei uns halt schon immer so, dass wir sagen wo der Hase läuft. Es war damals schon cool, wie wir erste Erfolge hatten. Wir haben halt auch immer alles selbst gemacht, das ganze Management, alles. Du lernst eben viel über das Business und es kann Dir keiner was vor machen. Wenn Du einen externen Manager nimmst, verkauft der dir einen Apfel für ein Ei. Du knüpfst wichtige Kontakte und weisst Dinge richtig einzuschätzen. Ja mal schauen was jetzt noch kommt. Unser Deal bei Massacre ist jetzt beendet, die wollen verlängern, schauen wir mal, andere Mütter haben auch schöne Töchter. Wir sind da total entspannt. Jetzt ziehen wir erst mal das Greatest Hits Ding durch und spielen ein paar Konzerte dieses Jahr. Bekommen wir keinen Deal mehr so wie wir uns das vorstellen, spielen wir die Greatest Hits bis wir sterben. Schauen wir was die Zukunft bringt.

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