Interview: Knorkator
By Roger W.
Knorkator sind nicht nur auf CD ein Erlebnis. Auch im Interview gibt-Keyboarder und Mentor Alf Ator immer wieder knorkateske Statements von sich. Ein paar Beispiele gefällig? „Da läuft man weg, wenn man das hört.“, „Aber die waren zu blöd es zu spielen (lacht).“ oder „Dieser Song musste jetzt geschrieben werden.“ Da glaubt man ihm gerne, wenn auf die Frage nach dem Grund zum erneuten Rücktritt vom Rücktritt antwortet: „Ich bin im Herzen doch immer ein knorkatesker Komponist und Texter geblieben.“ Aber von vorne: Bis zur Auflösung 2008 hatten die Berliner sechs Alben veröffentlicht, welche durch ihren speziellen und tiefsinnigen Humor in deutscher Sprache und ihrer Musikalität viele Fans begeisterte. Nicht minder wichtig waren dabei die wilden Bühnenshows. 2011 kam nun also die Rückbesinnung der „meisten Band der Welt“ und mit „Es werde Nicht“ ein neues Album. Gute Gründe also für ein Interview. Und weil die oben erwähnten Zitate völlig aus dem Zusammenhang gerissen wurden, habt ihr nun die Aufgabe, dieses Interview zu lesen! Keine Widerrede! Zur Versüssung gibt’s hier gratis und franko etwas Weiteres auf den Leseweg: „Und uns bleibt die Genugtuung, dass selbst der schlechteste Popsong immer noch mehr Bedeutung hat, als die Kritik, die ihn als solchen bezeichnet.“ Viel Spass! (AA = Alf Ator, BD = Buzz Dee)

MF: Hallo Alf. Du warst heute in Zürich Fahrradfahren.

AA: Ja.

MF: Kennst du Zürich bereits schon?

AA: Na so richtig Gelegenheit dazu hatte ich noch nicht, die Stadt zu erkunden. Weil wir sonst immer mit Reisebussen kamen und in Hotels geschlafen haben. Da waren wir dann eigentlich immer nur zum Spielen und Schlafen hier. Und da wir jetzt mit einem Nightliner unterwegs sind, kamen wir früh morgens an. Ich wanderte in die Innenstadt, sah dass zwar eine Bockwurst 7 Franken kostet, aber dafür ein Fahrrad mieten umsonst ist. Also habe ich mir eines ausgeliehen und bin den ganzen Tag herum gefahren.

MF: War es schön?

AA: Es war sehr schön, ich war da hinten am See. Bin einmal auf der rechten Seite entlang gefahren und einmal auf der linken, dann bin ich hoch zum Lindenhof gefahren und habe die ganzen Camper (Occupy Bewegung) beobachtet. Ich habe heute sozusagen einer Versammlung beigewohnt (lacht). Nein, die haben gerade Pläne geschmiedet. Das war ganz lustig. Ich habe nichts verstanden, weil die Schweizerdeutsch gesprochen haben.

MF: Ja, der Dialekt unterscheidet sich vom Berliner. Wobei Berlin ja innerhalb der Stadt auch verschiedene Dialekte hat.

AA: Ja, wir haben einige.

MF: Wie läuft die Tour?

AA: Die läuft grandios, ich kann mich überhaupt nicht beschweren. Das ist richtig toll, also volle Säle. Im Durchschnitt 30 bis 40 Prozent mehr Leute als wir uns sonst gewohnt sind, wunderbar!

MF: Ihr bestreitet ja im Moment vor allem Wochenendtourneen.

AA: So ist es. Das hat sich für uns ganz gut herausgestellt, im Schnitt drei Konzerte am Stück zu machen und danach wieder nach Hause zu fahren. Wahrscheinlich sind wir einfach etwas zu alt, um einen Monat durch zu touren.

MF: Arbeitet ihr daneben noch?

AA: Nein, im Moment können wir ganz gut von der Musik leben. Und was im nächsten Jahr ist, müssen wir sehen. Zur Not würden wir einen unserer Ferraris verkaufen und dann würde es wieder für eine Zeit gewisse Zeit gehen (lacht).

MF: Ich habe euch dieses Jahr an Wacken gesehen, was toll war. Wie war es für euch?

AA: Für uns war es auch toll. Wacken war richtig geil. Das hat gefetzt. Man weiss ja nicht immer, wie das am Ende ist. Man hört immer, dass die Party Stage bei manchen Festivals immer ganz klein und erbärmlich ist. Und dort war das im Prinzip so gross wie sonst eine Hauptbühne. Das war schön.

MF: Und für diese Zeit hatte es auch bereits sehr viele Leute vor der Bühne.

AA: Ja, das war wirklich voll und hat gute Laune gemacht. Ich meine, machen wir uns nichts vor: Auf einem Festival sind nun mal viele Leute. Und 40‘000 würden wir bei einem Einzelkonzert niemals ziehen. Aber es ist trotzdem schön, diesen Anblick geniessen zu können.

MF: Kommen wir Rücktritt von euch 2008. Ich habe mir die Abschieds-DVD nochmals angeschaut. Du hast damals verlauten lassen: „Ich habe alles gesagt, was ich jemals gedacht hatte, mal zu sagen.“ Das hat sich also wieder relativiert?

AA: Ja, anscheinend habe ich doch ein bisschen mehr zu sagen. Ich meine, es schien wirklich so… Wir hatten gerade ein wirklich sehr, sehr gutes Album gemacht. Und dieses Level zu halten, schien einfach unmöglich. Und da habe ich gesagt… Ich meine ich hätte jetzt auch nicht sofort gedacht, dass wir jetzt die Band auflösen müssen. Aber als der Stumpen dann gesagt hat, dass er nicht mehr kann, weil ihm das alles zu viel würde, und er am Ende sei. Und da wir keine Superpopstars sind, sondern immer noch so quasi Wochenendtouren machen, hat sich der Aufwand, den er getrieben hat, für ihn nicht wirklich gelohnt. Er musste einfach mal gucken, wie er seinen Arsch weg von der Wand bekommt. Und dann habe ich gesagt: „Okay, das ist vielleicht der Moment, wo ich jetzt auch sagen kann, dass das nun eben so endet. Und dann versuche ich mich halt anderweitig auszutoben.“ Und es dauerte nicht lange bis es wieder das eine oder andere Argument gab, ach könnten wir nicht, und hm… Und irgendwie habe ich dann beim Schreiben neuer Songs auch gemerkt, dass ich doch oft sehr der einen Stilistik verfalle. Das liegt wahrscheinlich daran, weil das eigentlich meine Ausdrucksweise zu sein scheint. Ich habe aber auch ein bisschen etwas anderes gemacht. Ich habe zum ersten Mal Songs geschrieben, die sich komplett davon unterschieden haben. Sachen, die ich schon lange mal so im Hinterkopf hatte, wo ich aber immer wusste, dass das für Knorkator nicht so geeignet ist. Aber es war eben doch nicht so viel, dass man hätte sagen können: „So jetzt machen wir ein richtiges, eigenes Projekt damit.“ Und dann kam das eine Thema zum anderen. Und irgendwann waren ein paar Songs da, wo man sagen konnte, dass das was wäre. Wir haben uns eh immer wieder getroffen, wenn was anstand wie zum Beispiel die Steuersachen zu klären.

MF: Ihr seid ja auch nicht im Streit auseinander.

AA: Ja eben, und irgendwann kam das eine oder andere Argument, wie es denn wäre… Und irgendwann waren genug Songs da, um diese mal aufzunehmen. Wahrscheinlich wäre es sicherer gewesen, die Wiedervereinigung ein Jahr später zu machen, um noch mehr Zeit zu haben. Aber es hat geklappt. Das neue Album wird sehr gut angenommen. Und wir freuen uns.

MF: Eine deiner Aussagen erstaunt mich. Denn ich habe Knorkator bisher immer als Band wahr genommen, bei der grundsätzlich alles möglich ist. Für dich hatten also Knorkator doch gewisse stilistische Einschränkungen?

AA: Ja, auf jeden Fall. Der Eindruck kann natürlich entstehen, dass wir einfach nur alles machen. Aber es gibt gewisse Dinge, die wir aus ganz speziellen Gründen nicht machen. Zum einen sind das Sachen, die ich nicht kann. Wo ich nicht in die richtige Richtung denke. Zum Beispiel, wenn es in die Soul- oder Funkmusik gehen würde, dann kann ich dazu nichts beitragen. Ich finde, da gibt es gute Sachen. Aber ich begreife die musikalischen Zusammenhänge nicht. Ich könnte bestenfalls versuchen das zu analysieren, und irgendwie würde es vielleicht dann ein wenig in diese Richtung tendieren. Viele Bands leben ein Leben lang mit diesem Anspruch. Aber mir ist das zu wenig, ich muss Zeichen setzen. Ich muss wirklich Songs schreiben, wo ich sage: „Dieser Song, der musste jetzt geschrieben werden. Und ich war es!“ Und bei Funk, Soul und Blues, da wüsste ich nichts, was ich dem beizutragen hätte. Ich covere gerne aus dem Soul, aber das hat dann andere Gründe. Und dann gibt es Sachen, die mit Stumpen (Sänger) schlecht gehen. Stumpen ist ein Typ, der auch sehr stark dafür verantwortlich ist, dass das bei Knorkator immer so viel ist, weil er kein Mass hat. Du kannst ihn ganz sanft und ganz leise singen lassen, so wie es nie zuvor geschah, und du kannst ihn ausflippen lassen, so wie es nie zuvor geschah. Aber alles was dazwischen ist, ist nicht wirklich seine Stärke. Das rechte Mass, einfach nur einen schönen Popsong zu singen, in einer mittleren bis hohen Stimmlage, eigentlich das, womit Welthits geschrieben werden, geht bei ihm überhaupt nicht. Da läuft man weg, wenn man das hört. Das heisst, man muss ihm schon Songs auf den Leib schreiben.

MF: Geht es denn von seiner Stimme oder von seiner Einstellung, seinem Typ her, nicht?

AA: Beides. Er hat eine Stimme die genau dann, wenn andere Stimmen so zu blühen beginnen, nicht mehr funktioniert. Da sind bei ihm Frequenzen drin, die keiner hören will (lacht). Der kann gut tief und übertrieben rumknödeln, also von Wah über brüllen, Richtung Bellen. Er kann auch opernhaft so herum nerven. Und er kann natürlich seine wunderschöne Sopranattacken machen. Aber sagen wir mal einen Song wie „Eye Of The Tiger“… Also hätte ich „Eye Of The Tiger“ geschrieben und das Stumpen singen lassen, dann wäre dieser Song niemals… (lacht) Nein. Man muss ihn auf jeden Fall Deutsch singen lassen. Englisch ist ganz dünnes Eis. Wenn man das übertreiben und karikativeren will, wie schlecht er Englisch kann, dann passt das sehr gut. Das haben wir ein paar Mal auch gemacht. Aber ansonsten…

MF: Da gab es ja mal „Ma Baker“.

AA: Ja, aber da siehst du, dass das ja auch im Original keine englische Band war. Darum ist es da nicht so schlimm, dass er da vor sich hin deutschelt. Das ist aber okay. Um im Kern zu sagen: Es gab ein paar Sachen, so dachte ich, dass ich das jetzt mal probieren kann. Aber irgendwie ist es doch so, dass ich im Herzen doch immer ein knorkatesker Komponist und Texter geblieben bin. Und deswegen war es für mich wahrscheinlich am besten, dass die Band wieder zusammen gefunden hat.

MF: Das heisst, egal was du schreibst, es kommt Knorkator raus?

AA: Ja, so ein bisschen. Ich habe in der Zwischenzeit Sachen gemacht, die nicht wirklich Knorkator waren. Eigentlich war «Arschgesicht» auch nicht für Knorkator. Aber als wir uns dann wieder zusammen gefunden hatten, und dachten, dass da noch ein Song auf der Platte fehlt, haben wir den dazu genommen. Ich habe in der Zwischenzeit zum Beispiel mit einem Mädchen zusammen englische Songs geschrieben. Das sind schöne Songs geworden, aber nicht genug, um zu sagen: „Das ist jetzt ein eigenständiges Projekt.“ Das haben wir einfach mal so gemacht, um mal zu gucken.

MF: Auf der DVD hast du gesagt, dass du nach Thailand auswandern wirst.

AA: Das war in der Tat quatsch.

MF: Das war also dahin Gerede?

AA: Ja, wir hatten am Anfang mal abgemacht, dass wir erzählen, dass wir uns auflösen, weil ich nach Thailand gehe. Einfach, damit wir nicht so was erzählen müssen wie „Wir sind am Ende und fühlen uns schlecht.“ Wir wollten ja Werbung für unsere letzte Tour machen. Und wenn wir da gesagt hätten „Wir sind alte Opas, die es nicht mehr bringen.“ Dann wäre vielleicht niemand mehr zu den Konzerten gekommen. Und insofern haben wir uns für die Thailand-Geschichte entschieden. Ich fand das danach schlecht und es hat mir kein Spass mehr gemacht, dass zu relativieren. Weil „Ich gehe nach Thailand“ das hört sich an, als würde ich so ein Opa sein, der einen Strand braucht, um glücklich zu sein. Das war mir zu doof. Ausserdem hatte ich ja schon längst vor, mit meinen Solo-Performances was zu machen. Und da war es mir überhaupt nicht recht, wenn alle denken, dass ich jetzt in Thailand bin.

MF: Das war dann ein falscher Werbeeffekt.

AA: (lacht). Ja, ich komme zu jedem kleinen Auftritt mit dem Helikopter, direkt aus Thailand.

MF: Naja, wenn die so viel Gage zahlen…

AA: Ja.

MF: Ihr hattet auf dieser DVD euer letztes Lied „Kinderlied“. Das wurde damals von euren Kindern gesungen. Haben die Kinder damals den Text verstanden?

AA: Nein.

MF: Nö?

AA: (lacht) Da waren sie wirklich noch zu klein. Da habe ich natürlich mit Absicht wunderschöne Worte einfliessen lassen, die sehr schwierig waren. Es war völlig korrekt, dass sie das nicht verstanden haben. Beim „Arschgesicht“ später, da war der Timtom dann schon so alt, dass er das durchaus verstanden hat, worum es geht. Obwohl auch da noch einige schöne Worte drin waren. Ich kann halt nicht über meinen eigenen Schatten springen. Und eigentlich war das Lied für ihn gedacht, weil er eine Band hatte. Und da dachte ich: „Wenn die eine Band haben, dann schreibe ich denen ein Lied.“ Aber die waren zu blöd es zu spielen (lacht).

MF: Aber den Kindern hat es Spass gemacht?

AA: Ja, natürlich.

MF: Das sieht man ja auch auf dem Video. So mit den Daddys als Rockstars.

AA: Ja, also das ist glaube ich meinem Sohn scheissegal. Der hat andere Interessen.

MF: Ihr habt damals auch dieses Unplugged-Konzert aufgenommen. Wie schwer war es, diese Songs ins neue Gewand zu verwandeln?

AA: Also für mich war es schwerer. Weil ich normalerweise, bei den Songs, die ich mache, sehr viele Sachen habe, wo ich meine Maschinen dafür arbeiten lasse. Und bei unplugged war es so, dass ich richtig ran musste. Ich musste unplugged passend was auf dem Klavier zu Recht drücken. Und es ist mir nicht wirklich leicht gefallen. Es hat nachher, als ich es konnte, Spass gemacht. Aber es war auch ein Bisschen so bei unplugged, das da mehr Band war. Das heisst, dass ich sonst eher so der Diktator bin, der sagt: „So, du spielst jetzt das so, und das und das.“ Und bei unplugged haben die Songs ihr Eigenleben bekommen. Da hat jeder so ein bisschen rumgeswinged, wie ihm gerade der Hut stand. Das ist eine völlig andere Kiste geworden. Eigentlich war ich da mehr so ein eingekaufter Pianist in einer Band, die Knorkator covert. Stimmt doch?

BD: (Gitarrist): So so (kritisch). Ja, das stimmt. (lacht)

MF: Aber die Songs klingen gut in diesem Gewand.

AA: Ja, schon.

BD: Das war meine Idee.

MF: Du bist der Rockabilly-Typ?

BD: Eigentlich nicht, aber mir macht so was Spass.

AA: Hm… Nein, ich finde das furchtbar (lacht).

MF: Also hattet ihr Spass auf der Bühne mit diesem Scheiss.

AA: Ja, das war durchaus mal eine geile Erfahrung. Und es ist ja auch wirklich sehr gut angekommen. Und ich habe mich einfach ans Klavier gesetzt und habe dann so normal Klavier gespielt. Was ich sonst eigentlich kaum tue.

BD: Ich muss das noch ganz kurz erläutern. Alf kam erst mit einem Keyboard an, und damit klangen all die Songs wie NDW, die Neue Deutsche Welle. Und dann wurde ihm ein Klavier besorgt und dann fand er plötzlich: (analytisch) „Das macht mir Spass.“ Und darum haben wir das mit dem Klavier so gelassen.

MF: Hatte das jetzt auch Auswirkungen auf's neue Album?

AA: Nein, nicht wirklich. Also da ist jetzt kein Rockabilly dabei, und Klavier hatte ich sonst auch schon dabei, aber halt mehr so maschineller. Es kommt selten, dass wir irgendwelche Songs haben, wo so richtig balladesk voll in die Tasten gegriffen wird. Das ist mehr so anders eben. Das kann ich jetzt nicht beschreiben.

MF: Ihr habt jetzt diese Stuhl-Sessions gemacht. Wie habt ihr es geschafft, Till Lindemann von Rammstein dafür zu gewinnen? War das einfach so von Berliner zu Berliner? Wobei Berlin ja sehr viele Einwohner hat.

AA: Na ich sage dir, wie wir das gemacht haben: Wir haben einfach irgendwann auf seine vielen E-Mail mit „Ja“ geantwortet (lacht). Nein, es ist wirklich so, dass es halt an Berlin lag. Nun ist Berlin zwar gross und nicht jeder kennt jeden. Aber die „Crème de la crème“ kennt sich doch. Das heisst jetzt nicht, dass wir ständig Kaffee miteinander trinken, aber zumindest ist es so, dass die freien Eintritt haben, wenn wir irgendwo spielen, und wenn die irgendwo spielen, haben wir freien Eintritt.

MF: Schön. Gerade bei Rammstein, wo man heute Schwierigkeiten hat, überhaupt noch ein Ticket zu kriegen.

AA: Ich gönne ihnen den Erfolg von ganzem Herzen. Die haben wirklich gute Musikgeschichte geschrieben. Da kann man jetzt über die Musik hin und her diskutieren, ob sie jetzt zu monoton ist, oder was weiss ich. Wer die heute noch in eine Faschisten-Ecke drängt, der weiss sowieso nicht Bescheid. Das ist gar nicht mehr ernst zu nehmen. Ich glaube, dass ihr Werdegang einer ist, den man als Musiker eigentlich gar nicht schöner haben könnte. Dass das sein Eigenleben kriegt, dass du niemanden mehr fragen musst, dass du den Sendern absagen kannst… Wahrscheinlich hätte gern jemand die mal gehabt bei was weiss ich… Wetten dass? Oder so… Selbst wenn es so wäre, bin ich mir sicher, dass die gesagt hätten: „Tut uns leid, das passt nicht in unser Konzept.“ Und das ist gut. Das finde ich schön, dass jemand, der sich mit seinem Erfolg so viel Macht aufgebaut hat, diese auch wirklich nutzt, um Dinge zu bewegen und nicht um einfach nur am Ball zu bleiben. Ab einem bestimmten Level neigen viele dazu Schiss zu bekommen, dass da irgendwas zerbrechen könnte. Und die gehen dann immer auf Nummer sicher. Und das haben Rammstein eigentlich nie gemacht. Die haben immer auf neue Weise gnadenlos angeeckt. Richtig schön, also für mich auch lustig. Und die haben einfach niemanden mehr nötig. Die brauchen einfach nur auf ihrer Webseite zu sagen, dass sie Konzerte spielen und sind dann innerhalb von Stunden ausverkauft. Ich freue mich einfach nur. Ich lache mir dann ins Fäustchen und sage mir: „So muss es sein!“

MF: Etwas Ähnliches ist ja jetzt mit Unheilig ebenfalls passiert. Eine kleine Band, die auf einmal einen riesigen Erfolg hat.

AA: Ja, gut von der Sache her. Bei Unheilig kommt dazu, dass es mich anekelt. Da ist es so, dass der sich schon ein bisschen für den Erfolg prostituiert hat. Der hat richtig schön auf die „Ich schenke dir Rosen und ohh furchtbar gesetzt.“ Das ist einfach Schlager. Das hat nichts mehr mit Rock’n’Roll oder sei es Dark oder wie auch immer zu tun. Das ist einfach nur Schlager. Das ist einfach nur Schlager mit schwarzen Klamotten.

MF: Kommen wir zu euch zurück. Ihr spürt ja ebenfalls keinen Druck. Das heisst, der Druck entsteht in einer Grösse zwischen Rammstein und euch?

AA: Ich glaube der Druck, der ist bei uns… Ich glaube, dass jedes Bandschicksal was ganz eigenes ist. Ich glaube, dass bei uns eine Besonderheit ist, dass wir unseren Erfolg bis heute, bis zu diesem Status, über ganz viele Jahre selber aufgebaut haben. Also über die letzten 14 oder 16 Jahre mit leichten Schwankungen. Und so wie es heute ist, ist es richtig toll. So gut war es noch nie von den Besucherzahlen her. Und das ist eine Sache, die glücklich für uns ist. Da bin ich extrem froh darüber. Es ist etwas, was nicht gehypt ist. Das heisst, es ist nicht etwas, dass entstanden ist, weil sich plötzlich ein Sender für uns interessiert hat, oder ich die Musik zu einer Serie machen durften, oder weil Werbung gelaufen ist oder…

MF: Da war ja mal der Eurovision-Song…

AA: Ja, aber das ist auch bereits einige Jahre her und vergessen. Das ist einfach so passiert. Wir sind halt über lange Zeit dabei gewesen. Und wenn die Qualität nicht nachlässt und die Leute wissen, dass da was Gutes kommt, kann auch nicht viel schief gehen. Dann können wir uns, ohne dass ich das jetzt an die grosse Glocke hängen möchte, alle auf die Schulter klopfen und sagen: „Da haben wir etwas für uns erreicht, was uns auch keiner mehr wegnehmen kann.“ Uns würde ein bisschen mehr Medienpräsenz durchaus nützen. Da sind wir uns alle sicher. Aber wir wissen, dass wir den Status, den wir jetzt haben, eigentlich ohne grössere Medienpräsenz erreicht haben. Und das Gute daran ist, dass bei den Fans, die jetzt kommen, keiner mehr sagen kann: „Ich will euch nicht mehr, und jetzt ab in die Versenkung.“ Wir wissen, dass wenn wir weitermachen, und noch ein Album machen, und dieses auch nicht scheisse wird, wir dann diese Fans wieder haben. Wir sind nicht auf irgendein „Okay“ von irgendwelchen Leuten angewiesen. Und das ist schön. Das ist zwar nicht in so einem riesen Rahmen, dass man sagt: „Ich habe jetzt drei Ferraris!“ Aber ist immerhin so, dass man sagt: „Das läuft gut!“

MF: Im Gegenzug müsst ihr auch nicht derart viel Kohle in die Werbung stecken.

AA: Das kommt dazu. Man muss dazu noch anfügen, dass wir natürlich trotzdem versuchen, irgendwas anzuleiern. Wir wollen natürlich auch stattfinden. Wir wollen gerne irgendwo gezeigt werden. Aber die Praxis zeigt bei uns, dass, wahrscheinlich weil es uns schon lange gibt, uns einfach die meisten Medien für uninteressant halten oder für „Ach 10 Jahre! Also wenn die bis jetzt noch nicht ganz oben sind. Dann bringt es jetzt auch nichts mehr.“ Insofern ist es gut, dass es trotzdem zum Existieren reicht. Weil andere Bands… Also wenn wirklich weniger wäre, dann wäre das ein Grund, nach ein paar Jahren zu sagen: „Naja, vielleicht war die Idee jetzt doch nicht so gut.“ Was meinst du?

MF: Das ist eine Frage der Einstellung. Es gibt viele Musiker, die sehen ihre Band als aufwändiges Hobby. Und für ein Hobby zahlt man auch. Und dieses können sich aufgrund ihres regulären Jobs leisten.

AA: Das ist insofern richtig. Aber wenn ich jetzt uns angucke, dann sehe ich, dass wir alle schon „alte Männer“ sind. Wir haben alle irgendwie schon Heim, Herd, Kinder und Frauen. Und da muss man dann irgendwann mal ein allzu intensives Hobby in der Familie auch rechtfertigen können. Ansonsten muss man Single bleiben. Und wir haben das Glück, das wir unser Hobby rechtfertigen können.

MF: Also so im Stile: „Ich bin zwar oft weg, aber es kommt dafür Kohle rein.“

AA: Naja, die Kohle ist sicher nicht alles, aber du weisst ja wie das ist. Mit zwanzig ist mir das noch Wurst, solange die Freundin noch studiert. Aber irgendwann sollte man seinen Platz im Leben gefunden haben.

MF: Die Apokalyptischen Reiter haben mir immer wieder erzählt, dass sie Mühe damit hätten, in die reine Spassecke gestellt zu werden. Stört euch das, wenn ihr da rein gedrückt werdet?

AA: Naja, also besonders glücklich bin ich darüber nicht. Aber es gibt wirklich schlimmere Schicksale. Es gibt Momente, wo es nervt. Aber was sollen wir machen? Die Menschen sind nun mal wie sie sind: Die brauchen Schubladen. Und wenn man uns jetzt weder beim Heavy Metal, noch beim Pop, noch sonst wo wirklich unterbringen kann, weil wir immer wieder Songs haben, die da aus dem Rahmen fallen, dann sagt man eben, dass das eine Comedy-Band ist. Und mein Gott, dann haben die halt ihre Schublade. Ich finde, sie ist nicht passend, aber… ach…

MF: Die Texte gehen ja viel tiefer…

AA: Gut, aber damit man das merkt, müsste man sich ja mit den Texten beschäftigen. Wir haben immer noch das Glück, dass wenn wir positive oder negative Kritiken über uns lesen oder hören, schön merken können, wie sehr sich der Journalist mit uns befasst hat. Die positiven Kritiken sind das Resultat von Leuten sind, welche das intensiv gehört und darüber nachgedacht haben. Und die negativen Kritiken sind zumeist von Leuten, die es eh nicht interessiert. Die haben sich die Lieder vielleicht einmal beim Staubsaugen angehört und sagen nun: „Naja, das ist das gleiche wie früher.“ Das ist schnell zu schreiben. Und es macht auch Spass, schlechte Kritiken zu schreiben. Das macht sehr viel Spass, denn ich habe das auch schon gemacht. Dem Kritiker bleibt die Genugtuung, dass er wahrscheinlich nach einem Jahr nicht mehr dafür gerade stehen muss, für das was er da verzapft hat. Weil es niemanden mehr interessiert. Und uns bleibt die Genugtuung, dass selbst der schlechteste Popsong immer noch mehr Bedeutung hat, als die Kritik, die ihn als solchen bezeichnet.

MF: Ich schreibe selber CD-Kritiken, und ich finde das Schlimmste sind durchschnittliche Alben, welche mich jeweils weder positiv noch negativ ansprechen und einfach vor sich hin plätschern. Also lieber ein ganz schlechtes Album, als ein Mittelmässiges.

AA: Also dann wäre ich schon lieber für ein Mittelmässiges. Also ganz schlecht… Nein, eigentlich mittelmässig auch nicht. Unter sehr gut läuft nichts.

MF: Zum Schluss noch zur Zukunft. Wie geht es weiter?

AA: Wir werden jetzt mit Ach und Krach diese Tour zu Ende bringen, und dann lösen wir uns auf. (lacht). Weil schau mal hier (zweigt auf seinen Bart). Siehst du diese weissen Ansätze? Das ist einfach nicht Rock'n'roll!

MF: Das könnte man ja färben...

AA: ...ja gut, aber das Zeug wächst immer wieder weiss nach.