Interview: Overkill

By Tinu
 
Mit 55 Jahren nicht mehr ins Publikum hüpfen.



Fast seit 35 Jahren leitet Sänger Bobby „Blitz“ Ellsworth die Power Thrash Truppe Overkill. Zusammen mit seinem Sidekick und Bassisten D.D. Verni hat er alle Hochs und Tiefs miterlebt und steht heute gefestigter denn je mit seiner Combo da. Mit dem 18. Studioalbum „White Devil Armory“ hat der Fünfer erneut eine astreine Overkill-Scheibe veröffentlicht. Auch wenn der ultimative Hit auf dieser Scheibe fehlt, kann man der Truppe die enorme Power und Aggressivität nicht absprechen. Vor einigen Jahren spielten Overkill sehr zu meiner Freude eine Setliste, auf der unter anderem auch der Titeltrack des Debütalbums „Feel The Fire“ gespielt wurde. Eine Setliste, die ich persönlich als „no fillers, just killers“ einstufte und mich Bobby noch heute jedes Mal mit genau diesem Satz und seinem markerschütternden Lachen begrüsst. Der mittlerweile 55-jährige Shouter hat nichts von seinem Charisma verloren. Noch immer steht er mit einem durchtrainierten Body auf der Bühne, grinst fies ins Publikum und hat eine Menge Spass. Weder ein Schlaganfall auf der Stage, noch Krebs konnten den Shouter aufhalten. So freute ich mich auf ein weiteres, absolut amüsantes Gespräch mit dem nun doch schon ein bisschen grauhaarigen Sympathiebolzen.

Bobby (mit lautem Lachen): Hey Martin! Remember!!! No fillers… Just KILLERS!!!!!!!!!!!!

MF: Ja, und genau darum will ich von dir wissen, wieso spielt ihr „Feel The Fire“ nicht mehr?

Bobby: Martin, wir haben den gespielt!

MF: Aber das ist lange her!

Bobby: Ab und zu kommt er rein, aber meistens ist er raus (lachend). Wir erinnern uns immer woher wir kommen. „Rotten To The Core“, „Elimination“ oder der Song „Overkill“, den wir heute Abend nach langer Zeit wieder spielen. „Feel The Fire“ gehört nicht zu meinen Favoriten. Wie ein stinkender Fisch, den man nicht mag (lautes Lachen). Mir gefällt „Rotten To The Core“ bedeutend besser und passt besser in die heutige Zeit. „Feel The Fire“ ist ein Relikt aus 1985. Mit diesem galoppierenden Basssound könnte er von einer alten Iron Maiden Scheibe stammen. Es ist wichtig den Fans zu zeigen, was Overkill 2014 ist. Dabei spielen wir nicht nur das neue Material, sondern fügen gerne auch mal einen Track ein, den wir noch nie, oder lange nicht mehr spielten. Dieses Mal ist es „End Of Line“ vom „Under The Influence“-Album. Es ist verdammt schwierig bei all den achtzehn Scheiben eine Setliste zusammen zu stellen, die aus dem neuen Material und den alten Klassikern besteht. Wir möchten Overkill mit all den Facetten zeigen, welche die Band berühmt gemacht hat. Wir sind mächtig stolz auf die letzten drei Werke, weil sie beweisen, dass Overkill noch immer am Leben ist. Alleine aus diesem Grund fallen ältere Tracks aus der Setliste raus. Es ist verdammt hart eine Setliste zusammen zu stellen, da wir wissen, wie gross der Fundus an Songs ist, die wir spielen möchten.

MF: Alleine einen Track wie „Solitude“ mit seiner steigenden Emotion dürfte nie auf einer Setliste fehlen…

Bobby: …den haben wir gespielt. Nehmen wir Lieder raus, die für dich einen wichtigen Part von Overkill haben… Overkill haben über 117 Songs aufgenommen. Heute Abend spielen wir gerademal siebzehn Tracks, da bleibt nie die Zeit übrig, um alle Leute glücklich zu machen. Das Level bei einem Konzert von uns ist immer sehr hoch. Bauen wir das ruhigere „Solitude“ ein, bricht meistens die Stimmung zusammen. Diese wieder zurück zu bekommen, ist nicht immer ganz einfach. Schau unser neues Album an. Es sind extrem viele Einflüsse zu hören. All die unterschiedlichen Overkill-Charaktere kannst du auf „White Devil Armory“ hören. Das hast du eine Midtempo-, Thrash-, Rock’n Roll- und New Wave Of British Heavy Metal Band. Dazu kommen noch punkige und groovende Elemente dazu. Das macht heute eine komplette Platte von Overkill aus. Was ergibt das? Eine Heavy Metal Band, die all ihre Einflüsse und Parts in den vergangenen Jahren aufgesogen hat und daraus etwas Eigenes kreiert.

MF: Ist es für euch heute einfacher neue Lieder zu schreiben?

Bobby: Du machst dir heute den Druck selber. Persönlich fühle ich keinen Druck, wenn ich neues Material schreibe. „White Devil Armory“ klingt nicht wie „The Electric Age“ oder „Ironbound“. Es ist hart neue Tracks zu komponieren, Druck gibt es keinen, weil wir genau wissen, woher wir kommen und nur uns selber sein müssen.

MF: Wo habt ihr den vierten Teil eurer „Overkill“-Saga versteckt? „Overkill III“ war auf „Under The Influence“ zu hören und „Overkill V“ stammte von „Immortalis“. Hört man sich die Lieder an, müsste es „E.vil N.ever D.ies“ sein?

Bobby: Korrekt mein Bruder! Wir haben dem Stück aber nie den Namen eines „Overkill“-Parts gegeben. Stilistisch nimmt „E.vil N.ever D.ies“ aber den Schluss von „Under The Influence“ auf und spannt den Bogen zu „The Brand“. Wir fanden es richtig cool, dass die Kids nicht wussten, wo der vierte Streich versteckt war (schallendes Gelächter). Das war aber nicht der Grund, wieso wir diesen Track nie „Overkill“ nannten, sondern es war für uns zu dem Zeitpunkt keine Option.

MF: Ihr hattet mal eine leicht vom Industrial geprägte Zeit. Wenn man an „Bloodletting“ oder „From The Underground And Below“…

Bobby: …eine meiner absoluten Lieblingsscheiben ist „From The Underground And Below“. Das war ein sehr intensives Album. Auch wenn es ein bisschen moderner ist, es ist eines der kompaktesten Werke, die wir jemals veröffentlichten. Etwas, das sich bei den vorherigen Scheiben aufbaute und in „From The Underground And Below“ entlud. Es war heavy, groovy und freshy und hat bestens in die damalige Zeit gepasst. „Bloodletting“ ist für mich dieses thrashy und punky Album. Diese Scheibe zu komponieren, war sehr hart. Der Typ, unser Engineer, hatte viele unglaubliche Familienprobleme. Die Songs aufzunehmen, war sehr schwierig. Ich erinnere mich, dass ich in der Aufnahmebox stand und ganz freundlich fragte: „Hallo, ist da jemand?“ (schallendes Gelächter). Es war nicht, dass ich schlechte Erinnerungen an die Songs habe, aber der Aufnahmeprozess war schon seltsam. Colin Richardson hat uns dann aus der Patsche geholfen. Er war schon bei „From The Underground And Below“ an Bord. Wir baten ihn noch zu retten, was es zu retten gab. Der Aufnahmeprozess zu „Bloodletting“ war sehr anstrengend. Es gibt aber einige Scheiben, bei denen ich heute gerne was ändern würde. Ich mochte die Produktion von „Under The Influence“ nie. Ich finde den Gitarrensound auf „ReliXIV“ beschissen und bei „I Hear Black“ hätten wir die Songs anders schreiben müssen. Ich mag das Album zwar, aber ich denke, wir hatten zu wenig Zeit, damit sich das Album entwickeln konnte.

MF: Wer hatte damals die Idee zu eurem fliegenden Totenschädel, der seit Jahren euer Markenzeichen ist.

Bobby: D.D…. Danke dafür (schallendes Gelächter). Er hatte die Grundidee, die wir an allen möglichen Orten hin kritzelten und mit den Jahren wurde daraus immer etwas Besseres. Das Interessante war auch, wie es zu der grünen Farbe in unserem Logo kam. Unser erstes Band-Shirt war weiss. Der einzige Grund dafür war, dass wir uns abheben wollten. Alles andere war rot oder weiss. Grün hast du zu diesem Zeitpunkt nirgends gesehen. Frag mich aber nicht, wer zuerst mit dieser Idee ankam. Ob es D.D., Bobby oder Rat war.

MF: Wie wichtig ist ein stabiles Line-Up für dich?

Bobby: In der heutigen Zeit ist es sehr wichtig. In unsere Historie kamen und gingen die Leute. In den 90er-Jahren hatte der Metal einer schwere Zeit. Es gab wenige Leute oder Clubs wie das Z7, welches den Metal-Bands eine Möglichkeit gab. Es war eine schwere und dreckige Zeit und schwierig, die eigenen Leute zu zahlen. Wenn du dann ein stabiles Line-Up aufweisen kannst, war dies schon fast ein Wunder. Mit dieser Besetzung heute, mit D.D., Dave Linsk (Gitarre), Derek Tailor (Gitarre) und Ron Lipnicki (Schlagzeug), da passt die Chemie. Es ist wie eine Wiedergeburt bei jedem neuen Album. Wie einer neuer Stromstoss, der durch die Truppe geht. Wir haben ein neues Kapitel seit „Ironbound“ geöffnet. Die Band besteht aus Brüdern. Das letzte Steinchen darin war Ron, der uns jeden Abend auf der Bühne den Arsch versohlt (schallendes Gelächter). Er hat eine unglaublich Energie und hat uns einen wahnsinnigen Auftrieb verliehen. Das ist sehr aufregend, im Studio oder auf Tour. Als Ron damals zu uns stiess, hat er auf Tour die Songs spielen gelernt. Er hat sich die Songs aufgeschrieben und an sein Kickdrum geheftet. Wenn du verstehst, wie eine Truppe live spielt, kannst du diese Attitüde mit ins Studio nehmen. Ron war zuerst mit uns auf Tour und hat erst danach den Weg ins Studio gewagt.

MF: Früher bist du beim Song „Fuck You“ immer ins Publikum gesprungen. Wieso machst du das heute nicht mehr?

Bobby: Ich bin verdammt 55 Jahre alt (schallendes Gelächter). Das ist die verdammte Wahrheit! Einige Male sind bei meinem Sprung kleine Fehler passiert und den letzten Jump habe ich mit 53 gemacht. Da wusste ich, scheisse, die Zeit ist reif, dass ich diesen Scheiss sein lasse (schallendes Gelächter). Ganz ehrlich, ich wusste, dass ich diesen Sprung nicht bis ins hohe Alter machen kann.

MF: Wie gehst du heute mit deiner Gesundheit um?

Bobby: Alles ist wirklich gut. Über zwei Jahre fühle ich mich blendend, dabei mache ich meine Übungen und bekomme dadurch mehr Energie für Overkill. Als 55-Jähriger fühle ich mich sehr gut und mache mir sicher auch mehr Gedanken über mein Leben. Den Krebs habe ich besiegt, der Schlaganfall ist Geschichte. In all den Jahren hat sich aber auch einiges bei uns geändert, rein aus privaten Gründen. Wir spielen auch nicht mehr die gleiche Anzahl Shows wie in den alten Tagen, sondern gönnen uns schon mal einen Day-Off mehr. Wir spielen öfter, dafür kleinere Tourneen. Waren wir früher fünf bis sechs Wochen unterwegs, sind es heute noch zwei bis drei Wochen. So können wir für uns den Energielevel höher halten. Das ist unsere „work live balance“. Schlussendlich haben wir auch Kinder, die wir sehen möchten. Es ist schrecklich nicht mit ansehen zu können, wie die Kinder grösser werden. Das ist aber ganz wichtig. Es ist absoluter Mist nicht mitsprechen zu können, welche Fortschritte deine Kids gemacht haben. Früher war unsere Gemeinschaft die Bandkollegen und die anderen Bands. Aber ganz ehrlich, deine Frauen und Kinder sagen dir, welches die richtige Gemeinschaft ist (schallendes Gelächter). „Hör mal mein Lieber, du kannst den ganzen Scheiss vergessen, wenn ich dir nicht den Rücken frei halte. Wie und von was willst du leben?“ Wir haben tolle Jungs in der Band und jeder dieser Typen hat eine grossartige Familie zu Hause. Das macht den Reiz aus und ist das Wichtigste in unserem Leben. Halt die Balance und du kannst rocken.

MF: Wie ist es für dich wenn du auf Tour bist und deine Frau oder deine Kinder ihren Geburtstag feiern?

Bobby: Wir spielten gerade in Holland (schallendes Gelächter) und meine wundervolle Frau hatte Geburtstag. Aber! Nach der Tour werden wir alles nachfeiern, zusammen mit ihrer Familie. Dann werde ich die Zeit nur mit meinen Kindern, meiner Frau und meinen wie ihren Eltern verbringen. Es spielt aber keine Rolle, ob ich nun in Texas bin (schallendes Gelächter). Sie würde sagen, dass alles bestens sei, aber ich weiss, dass dem nicht so ist.

MF: Hast du jemals gedacht, als du mit Overkill gestartet hast, dass Kinder und deine Ehegattin jemals so wichtig sein würden?

Bobby: Ja, denn ich wusste, dass wir mit Overkill niemals so gross werden würden. Wie andere Artisten, die durch den Metal krank wurden (schallendes Gelächter)..., wie andere Jungs aus New Jersey (schallendes Gelächter). Meine Frau hat immer gesagt, liebe deine Familie, arbeite hart. Kürzlich hat ein Journalist gesagt, dass er froh sei mit einer Legende sprechen zu können. Meine Antwort war, dass ich erst eine Legende sein werde, wenn ich mir selber den Atem abschneiden werde (schallendes Gelächter). Ich halte meinen Garten sauber und gehe mit dem Hund spazieren. Legenden machen das nicht (schallendes Gelächter)!

MF: Wäre es für dich möglich, eine Band ohne D.D. zu haben?

Bobby: Ich glaube nicht. Ich weiss, wie er denkt und er weiss, wie ich denke. Es passiert, dass wir zur gleichen Zeit das Gleiche sagen. Ich erzähle dir eine lustige Geschichte. Wir waren in Japan und das müsste 2004 gewesen sein. Wir sassen zusammen mit all den japanischen Journalisten in einem Hotel. Wir sassen an unserem Tisch und zwischen uns und den Journalisten sass ein Translater. Er bekam die Fragen auf japanisch und übersetzte es auf englisch. Die Frage war: „D.D. erzähl uns etwas über die Freundschaft zwischen euch beiden in all den Jahren im Metal-Zirkus.“ D.D. gab an den Übersetzer zur Antwort: „Ohne mich wäre Bobby Blitz ein Nichts! (schallendes Gelächter). Ich fand den Typen besoffen in der Gosse (schallendes Gelächter).“ D.D. erzählte weiter und weiter und wir beide sassen mit versteinerten Mienen da (schallendes Gelächter). Der Übersetzer fragte uns: „Meine Güte, wie schrecklich, das kann ich so nicht übersetzen!“ D.D. sagte nur: „Erzähl's ihnen!“ (schallendes Gelächter) - Aber im Grunde genommen und zwischen den Zeilen gelesen… Was D.D. sagte, beschreibt genau, wie unsere Freundschaft aufgebaut ist. Es ist diese spassige Balance zwischen uns, die verbindet.

MF: Besten Dank für das Interview, es war wie immer sehr lustig und unterhaltsam! Alles Gute!

Bobby: Danke, da wünsche ich dir auch. Wie geht’s deinen Kindern…