Ich persönlich habe den Zugang zur Musik von Rage eigentlich eher spät
gefunden, da mir viele deutsche Bands bis auf ein paar wenige so oder so nie so gut
gefielen. Das hat sich mittlerweile aber geändert (Martin "El Tino" Fust sei
Dank!), nachdem ich mir ein paar Werke von Peavy & Co. zur Brust nehmen konnte. Dabei
kristallisierte sich heraus, dass ich dem neueren Material weitaus mehr abgewinnen kann.
Die Orchester-Geschichten mit Lingua Mortis hingegen fielen bei mir durch. Die Songs der
letztjährigen Scheibe "Welcome to the other side", wo die heutige Besetzung mit
Victor Smolski (g) und Drum-Tier Mike Terrana erstmals zusammen arbeitete, ebneten den Weg
zu "Unitiy", dem aktuellen Silberling, der grandios ausgefallen ist. Rage waren
bisher wohl noch nie so kompakt und gleichzeitig virtuos. Da war es für mich natürlich
eine Pflicht, auf der laufenden Tour (zusammen mit Primal Fear) einen Interview-Termin zu
ergattern. Nach dem total überzeugenden Auftritt baten mich Peavy und Victor in den
Tourbus, um sich meinen Fragen zu stellen. Als erstes fragte Peavy mich jedoch, was ich
gerne trinken möchte. Erfreut wie überrascht entschied ich mich für ein kühles Bier
und dann konnte es vor einer Armada von Whiskey-Flaschen auf dem Tisch (für wen waren die
denn alle?) losgehen. Die Metal- und die Musik-Szene allgemein bekam dabei mächtig ihr
Fett weg. Beide Musiker redeten Klartext und waren sich nicht zu schade, eine klare
Meinung zu bestimmten Themen zu vertreten! (P: = Peavy / V: = Victor)
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MF: Erst mal
Kompliment zur neuen Scheibe! Ich denke, ihr seid auch zufrieden damit?
P: Ja, absolut...
V: Sehr zufrieden...
P: ...hat gut funktioniert! So wie für uns hier und auch für's Publikum, glaube ich.
(lacht)
MF: Ich habe gesehen, dass "Unity" in den aktuellen Leser-Charts des
Rock Hard in den Top-10, also auf Platz 8 steht. Interessieren euch solche Rankings oder
ist...
V: (fällt mir gleich ins Wort!) ...ja sicher! Das zeigt am besten, wie Fans reagieren,
weil Leser-Charts..., die kann keiner kaufen! Wenn ein (Heavy-) Magazin Punkte vergibt,
dann kannst du nachdenken warum...
P: "Brennt-an"-Besprechungen meinste, ne?! (Es hörte sich zumindest so an,
vielleicht sagte er aber auch "Break-Out", wie auch immer! Peavy redet eben sehr
zügig! MF)
V: ...ob die Plattenfirma da vielleicht Einfluss hatte, aber Fans, also Leser-Charts, das
ist das Ehrlichste so zu sagen.
P: Das weiss ich auch gerade von Götz (Kühnemund)..., die kriegen da wirklich ständig
unheimlich viele tausend Zuschriften und das ist ziemlich repräsentativ, diese
Leser-Charts. Gerade vom Rock Hard, das von allen Magazinen im deutschsprachigen Raum die
derzeit repräsentativsten Leser-Charts bringt.
MF: Wie sieht es mit den Verkäufen des neuen Albums aus, habt ihr da Feedback?
P: Ja, die Verkäufe haben wieder angezogen und was für uns sehr wichtig war..., warum
wir auch die Plattenfirma halt gewechselt haben (von BMG zu SPV), international weiter zu
kommen. Die BMG, die haben eigentlich, bis auf den deutschsprachigen Raum überhaupt
nichts für uns gemacht. Im restlichen Ausland waren wir nur als Import erhältlich. So
war es natürlich nicht einfach, neue Fans zu gewinnen. Da wurde keine Promotion gemacht,
keine Interviews arrangiert, keine Promotion-Reisen unternommen, gar nix. Das ist jetzt
bei SPV viel besser irgendwie und in den letzten Jahren wird es für eine Metal-Band, wie
vorher auch schon, immer wichtiger, dass man international arbeitet und auf allen Märkten
vertreten ist, die es gibt. Sonst kann man einpacken.
MF: Ich habe in diesem Zusammenhang mal eine Auflistung gesehen, welche Bands in
den Staaten drüben wieviele Alben verkaufen und war dabei erstaunt zu sehen, wie wenig
einzelne Bands absetzten, von denen ich dachte, sie müssten dort gross rausgekommen sein.
P: Hmm, ja...
V: ...alle in Europa denken, dass wenn eine Band aus Amerika kommt, sie deswegen gut sind,
den Ruf als Stars haben. Das ist lächerlich! Also Jungs wie..., ich weiss nicht...,
Savatage oder so spielen in Amerika fast überhaupt nicht.
P: Ja..., Manowar, die gibt es da gar nicht, die dürfen ja nur die Clubs spielen.
V: Manowar gibt es in Amerika gar nicht..., es kann kein Mensch..., diese Jungs spielen da
überhaupt nicht, diese Band existiert dort gar nicht. Alle denken "aahh", jetzt
kommt ein Ami und macht alle platt, ich versteh das nicht.
MF: Europa ist da eh das bessere Pflaster für Metal!
V: Ich meine, es gibt weltweit gute Musiker. Du kannst nicht sagen, wo es die besten hat.
In Brasilien gibt es Musiker, die genau so gut wie in Europa sind, aber das Business ist
hier am stärksten.
P: Für jegliche Hard Rock-Musik im Augenblick, weil MTV hat leider in Amerika den
gesamten Markt für Rockmusik generell versaut irgendwie, passiert hinterher auch schon in
grossem Masse, aber hier gibt's dann halt noch Publikum, fern ab von MTV und diesem ganzen
manipulierten Plastik-Scheiss, die sich noch eine eigene Meinung über Musik bilden.
MF: Wie ist es dann zu erklären, dass frühere Metal-Sendungen wie Metalla oder
Headbangers Ball wieder verschwunden sind?
P: Das liegt daran, weil die Industrie das nicht supported. Das sind alles Geschichten,
die bezahlt werden müssen letztendlich. Wenn die da nicht investieren und kein Interesse
an dieser Musik haben..., die generell zu unterstützen..., können solche Sendungen auch
nicht bestehen. Das ist alles nur gekaufter Mist, im Grunde alles gehackter Scheiss. Ich
habe jetzt im November Rock Hard eine schöne Kolumne geschrieben über dieses Thema so.
Es ist ziemlich weitreichend und ich möchte es jetzt auch nicht ausführen so, aber
meiner Ansicht nach sägt die grosse Musikindustrie an ihrem eigenen Ast und macht die
Musik auf längere Sicht hinaus kaputt, indem halt nur noch so Fastfood-Plastikscheiss
gefeatured wird, der sich leicht verkaufen lässt. Das ist vor allen Dingen mal die
Gewinnoptimierung sicherer.
MF: Prost!
P: Prost ne!...die Firmen investieren ja riesige Summen an Geld und sie kriegen sag ich
mal ihre Gewinne, ihre Investitionen sicherer zurück, wenn sie in so 'nen Zeug
investieren, als wenn sie auf lange Sicht versuchen müssten Rockbands auf zu bauen, wie
das früher halt gelaufen ist. Da sind zuviele Unsicherheitsfaktoren und es ist einfach zu
teuer, Rockmusik, verglichen mit diesem ganzen Plastikkrempel da, ne! Das kannste ja
wirklich im Dutzend produzieren und gleich zwölf Produkte genau dieser Art an die Wand
werfen und alles bleibt hängen, während du für dasselbe Geld versuchen kannst eine
Rockband auf zu bauen. Und wenn die nicht funktioniert, haste das ganze Geld in den Sand
gesetzt.
MF: Also mehr Quantität als Qualität?!!
P: So ist die Musikindustrie weisste..., die hauen dir irgendwie hundert Dinger vor die
Wand, alsdass sie an einem Ding wirklich mal arbeiten. Das macht man heut' einfach nicht
mehr. Das liegt daran, weil bei der Musikindustrie eigentlich nur Buchhalter in den
Chefetagen sitzen und zu entscheiden haben und keine Leute, die was von Musik verstehen.
In diesem ganzen Plattenfirmengeschäft sind nur Verkäufer und keine Musiker ne, deswegen
ist unsereiner, die wir wirklich noch selber Musik machen und das gelernt haben, eine
aussterbende Rasse (lacht und beweist Galgenhumor!).
MF: Na hoffentlich nicht..., ihr seid ja noch nicht so alt!
P: Nein..., so alt sind wir noch nicht, aber ich sag ja, das wird auch nicht in zwei
Jahren passieren, auch nicht in fünf, aber wart mal, was in fünfzig Jahren sein wird. Da
sieht die Welt ganz schön anders aus!
MF: Ich denke auch, dass wenn mal grosse Namen wie zum Beispiel Dio weg sind...,
genial was der immer noch bringt!
V: Ich habe eine Musikschule und sehe, wieviele Leute vor zehn Jahren noch Musik und
Gitarre spielen lernen mochten und was jetzt passiert. Das ist schlimm..., schlimm...
P: ...also er kann das am besten beurteilen, er hat den Nachwuchs.
V: Es gibt keinen Nachwuchs an jungen Leuten mehr. Sie möchten gar nix mehr lernen,
keiner will hinsitzen und üben, weil es diese beschissenen Computer gibt, welche schon
fertige Loops anbieten. Keiner hat Bock so wie ich hin zu sitzen und 8 Stunden am Tag zu
üben, keiner! Sie wollen nur mit diesem Spielzeug rumfummeln, nichts richtig lernen und
keine echte Musik machen.
P: Ich sage mal einen guten Spruch dazu. Da kommen eben die Kiddies heute an und sagen:
"Ich bin jetzt auch Musiker!" Wenn man sie fragt: "Was spielste denn?"
lautet die Antwort: "Ich mache DJ weisste, ich spiele Plattenspieler". Das ist
für die heute schon ein Musikinstrument. Ein Plattenspieler ist für die ein Instrument!
Das muss man sich mal vorstellen..., das ist lächerlich! Die haben doch überhaupt keine
Ahnung mehr, was ein Instrument eigentlich ist. Die glauben tatsächlich, dass ein DJ ein
Musiker wäre..., so ein DJ ist nicht..., das ist kein Musiker! Das sind einfach nur
Pappköppe, die Platten auflegen, weisste. Die haben mit einem Musiker so wenig zu tun,
wie irgendwie 'ne Kuh mit einem Dichter (lacht).
MF: Das ist richtig, ja...
P: Das wissen die gar nicht mehr, die können das gar nicht mehr unterscheiden. Soweit
sind wir schon und das wird sich noch verstärken dieser Trend und irgendwann wird kein
Mensch mehr verstehen, was so Leute wie Victor und ich eigentlich hier machen überhaupt.
In fünfzig Jahren werden wir unverstanden sein.
V: Ich halte viele Workshops in Musikläden und spreche mit diesen Leuten, den Verkäufern
von Instrumenten wie Gitarren und Schlagzeugen und so. Der Absatz ist tierisch gesunken,
weil die Mehrzahl der Jungen nicht mehr üben und richtige Musik machen will. Das ist
grausam! Ich habe an einem solchen Workshop mal ein paar Songs von Hendrix gespielt und da
kommt einer und sagt: "Jaaa, guter Sound..., von wem ist das?" Von Hendrix!
"Von Hendrix?? Wo (und wann) hat der gelebt??" Die Leute kennen keine Musiker
mehr, es ist vorbei! Nur irgendwelche DJ's..., diesen Rapper-Scheiss und sowas.
P: Kuck dir den Video-Schrott an im Fernsehen. Du siehst keine Musiker mehr, du siehst nur
noch Typen, die da irgendwie lallend durch die Gegend laufen, mit weiten Hosen und so...
V: ...ich muss immer lachen, wenn da irgendein DJ-Wichser steht, seine CD's reinschiebt
und im TV als Musiker präsentiert wird. Was hat denn der mit Musik zu tun?
P: Nix! (sagt's und kaut weiter auf seinen Erdnüssen herum...)
V: Diese Pfeife hat keinen Monat Musik studiert, gar nichts und nennt sich Musiker! Das
ist lächerlich für mich. Ich habe achtzehn Jahre studiert, acht Stunden am Tag!
MF: Das hört man...
V: ...ja, aber die Leute akzeptieren (würdigen) das nicht und das stimmt mich traurig.
Dem Musiker wird einfach kein Respekt mehr entgegen gebracht.
P: Das meinte ich ja mit dem was ich vorher sagte, was ich in der Kolumne für das Rock
Hard auch geschrieben habe, dass die Grossindustrie sich den eigenen Ast absägt, indem
sie halt Musiker nach und nach zum Teufel jagt. Die ist dann schuld, dass irgendwie die
Leute das auch nicht mehr verstehen können, den Unterschied zwischen einem wie ihm
(Victor) und irgendeinem blöden Plattenaufleger, der dir den ganzen Tag nur noch was um
die Ohren schlägt. Ist doch klar, dass so ein Typ, der sich mit dem Computer dahinsetzt
und so ein paar Furzgeräusche und Loops zusammen schraubt, sich so einen Eierkopp dazu
holt, der darauf ein bisschen herumspricht ne, viel billiger zu produzieren ist. Das Ganze
kannste in zwei Tagen im Wohnzimmer machen, da haste Produktionskosten von 100 Mark (auch
Peavy scheint noch so seine liebe Mühe mit der neuen Währung zu haben! MF). Wenn du aber
'ne Rockband aufnimmst, dann kannste nicht mal ein Demo dafür aufnehmen, eigentlich gar
nichts damit machen! Und die Produktion von einer Rockplatte, die kostet einfach nun mal
ein paar zehntausend Mark, oder mindestens!
MF: Wenn sie dann wenigstens noch so kreativ wären und eigenes Material
komponieren und nicht bloss ein altes Cover nachspielen würden...
P: ...kannste sie ja nicht..., wie willst du denn das machen? Die klauen sich nur die
Sounds zusammen, die es schon gibt. Die klauen uns unsere Riffs..., was meinste, was die
als nächstes mit dem "Straight to hell"-Riff anstellen werden? Das wirste dann
in irgendeiner Rap-Version hören..., mit einem Schwarzen, der darauf rumlabert: (Peavy
stimmt das Riff an: blädädä- dä -dädädä -- yo man! -- blädädä - dä...) Weisste,
so wird es abgehen. Über kurz oder lang wird diese Nummer so enden.
MF: Ihr habt gestern in Frankreich (ich sagte zwar zuerst Belgien, peinlich!)
gespielt. Wie sind die Reaktionen auf diese(r) Tour?
V: Es ist o.k....
P: ...sehr gut! Die verrücktesten Fans sind aber immer noch die Spanier in Europa
(lacht)..., das waren sie vorher auch schon.
V: Schweizer rauchen vielleicht zuviel!
P: (lacht laut) ...sind zugekifft!
V: Die Halle ist (respektive war ein bisschen) zugekifft, das kriegen wir auch auf der
Bühne mit.
MF: Peavy, stört dich das beim Singen?
P: Nein..., gar nicht!
V: Och, das ist gar kein Problem, aber gewisse Leute kriegen dann weniger von der Musik
mit und gehen völlig breit nach Hause, das ist schade!
MF: Man hört oft, dass Bands auf Tour neue Songs schreiben. Wie geht das bei euch
ab?
V: Auf Tour ist das sehr schwierig. Wir geben soviel Energie für die Konzerte, dass wir
danach platt sind, da ist nichts mehr (lacht)!
P: Ich habe in zwanzig Jahren Karriere vielleicht zwei Songs im Bus geschrieben.
"Days of december", das habe ich im Bus geschrieben..., bloss teilweise.
V: Das ist schon passiert, aber...
P: ...ist aber nicht die Regel, zumindest nicht bei uns.
MF: Peavy, du bist das Urgestein von Rage und hast in verschiedenen Besetzungen
gespielt. Was sagst du zum heutigen Line-Up?
P: Das ist die Krönung meines musikalischen Lebens! Ja, etwas Schöneres ist mir bisher
nicht passiert, da bin ich wirklich stolz drauf.
MF: Das ist auch das, was ich heute Abend auf der Bühne gesehen habe. Drei gute
Einzelmusiker, die als Einheit absolut harmonieren. Zudem versteht ihr es als Trio
(ergänzt durch ein paar eingebrachte Keyboards), zum Teil erwartete Soundlücken gekonnt
zu füllen.
P: Es gibt auch wenige Bands, die da rankommen von der Qualität her, da fallen mir
eigentlich nur so die Progressiv Metal Bands ein. Dream Theater, die haben auch so ein
Qualitätslevel. Und dass da jetzt kein Loch entsteht, liegt sehr stark daran, wie die
Begleitung unter dem Solo arrangiert ist, also was Mike und ich dazu spielen. Das ist eben
so gemacht, dass auch keine Löcher entstehen. Das muss man kapieren, wie das geht.
V: Andererseits spielen wir keine Metal-Songs, die unbedingt Riffs und Soli haben müssen.
Wenn ich mir ein Solo ausdenke, dann möchte ich es gerne auch hören. In Bands mit zwei
Gitarristen kommt es oft vor, dass Soli einfach Pause(n) für den Sänger bedeuten und
sowas hasse ich. Es gibt Studioproduktionen, wo ein Solo kommt und ich höre es nicht!
Macht die Stimme Pause, dann muss wohl das Solo kommen.
MF: Noch ein Wort zur Zusammenarbeit mit dem Lingua Mortis Orchester. Wer musste
sich da auf wen einstellen und war das schwierig?
P: Wer musste sich auf wen einstellen..., hmm..., eigentlich haben wir die Stücke
umarrangiert, dass für ein Orchester die Noten da waren, also das, was sie zu spielen
hatten und dann haben wir die Leute einfach angemietet. Diesen Musikern legste die Noten
hin, spielst es einmal mit ihnen durch und dann können sie das.
MF: Hört ihr euch bewusst auch Musik von anderen Bands an und falls ja, welche?
P: Wir drei hören verschiedene Musikstile und sind da offen. Ich höre im Augenblick
gerne so progressive Bands wie Spock's Beard, Transatlantic und solche Geschichten und
manchmal auch ganz anderes Zeug. Die neue Korn gefällt mir zum Beispiel, obwohl das nicht
viel mit uns zu tun hat. Eine Art härtere Auflage von Siouxiee and the Banshees. Hmm...,
Mike mag viel Jazz..., der hat sehr gerne Frank Sinatra und so 'nen Zeuch. Was Viktor
jetzt im Augenblick gerade hört, kann er gleich selber eben sagen!
V: Boa..., alles Mögliche, schwer zu sagen. Ich versuche, den Überblick nicht zu
verlieren, deshalb höre ich oft extra verschiedene Richtungen, zum Beispiel Ark.
MF: Peavy hat vorhin Spock's Beard und Transatlantic erwähnt. Ich habe so das
Gefühl, wenn ich mir das neue Album anhöre, dass so einiges an Progressivem eingeflossen
ist. Ist diese Ansicht richtig?
V: Das ist normal. Ich denke, jeder Musiker probiert etwas Neues zu finden, wenn es nicht
einfach eine stumpfe Kopie von bisher Vorhandenem sein soll. Wenn du also was Neues
machst, dann wird das immer progressiv, geht nicht anders. Klar, wir können auch alte
Songs nehmen und einfach in das heutige Metal-Gewand stecken. Vielleicht gibt es Fans, die
immer das Gleiche hören wollen, aber mir als Musiker macht es schon Spass, etwas Neues zu
finden versuchen.
P: Es ist im Grunde der Trick, den jede Band herauskriegen muss, dass sie sich auf eine
Art und Weise immer neu erfindet. Bei der neuen Platte haben wir versucht, das Ganze ein
bisschen mehr auf den Punkt zu bringen. Bei der Platte davor haben wir sehr viel
Veschiedenes drauf gehabt. Die war vielleicht zu lang gewesen, die Hälfte hätte auch
gereicht. Daher kamen dann solche Sprüche, die wäre sehr progressiv. Sie ist nicht
progressiver als die Neue und andere davor. Wir haben einfach ein bisschen zuviel auf
einmal gemacht. Mittlerweile ist es komprimierter, fokussierter.
V: Deshalb ist "Unity" auch so gut geworden, weil wir so viel bei
"Welcome..." experimentiert haben. Da haben wir alles ausprobiert, was möglich
ist. Darum ist "Unity" so tight geworden. "Welcome..." war die
perfekte Übergangsplatte. Wäre sie kürzer ausgefallen, wäre "Unity" nicht so
stark. Die Scheibe ist das Resultat der Entwicklung der Band nach "Welcome...".
Viele Leute erschraken über den Song "Straight to hell". Keine Metal Band hat
jemals zuvor einen Shuffle mit Heavy Metal-Groove gemacht!
P: Grad deswegen hat ihn der Bully beim "Schuh des Manitou" da reingepackt...,
wegen dem Shuffle-Groove.
V: Es ist etwas Neues, das niemand erwartet hat und wir hatten auch keine Angst, das aus
zu probieren.
P: Wir waren in dem Moment unserer Zeit vielleicht ein wenig voraus. Die Leute haben
wirklich etwas anderes erwartet nach der "Ghost", es komme irgendwie wieder was
aus der Richtung oder was.., Bombast und so. Da haben wir einfach etwas verändert, wir
sind im Grunde ja auch eine neue Band. Die konnte nicht so klingen wie auf der
"Ghost", obwohl wir drei auf dem Foto zu sehen sind. Die Scheibe ist ja noch mit
dem alten Line-Up entstanden. Insofern war die "Welcome..." unser erstes Ding,
das wir zusammen verbrochen haben. Ist klar, das die nicht so klingt wie die
"Ghost", nur haben die Leute das eben nicht erwartet.
V: Es gibt zwei Arten von Musikern. Die einen gehen auf Nummer sicher und die anderen
entwickeln sich weiter und probieren was Neues aus. Auf Sicherheit habe ich aber keinen
Bock. Da reicht schon Running Wild, wo alles beim alten bleibt. Die spielen seit zehn
Jahren den gleichen Song und kopieren ihn immer wieder. Darauf kann ich aber echt nicht.
P: Ja, das wäre der Tod für uns als Musiker. Das ist halt alles ein bisschen eine
Gratwanderung, wie es natürlich auch ein Risiko darstellt, das die Leute verstören kann,
weil sie es nicht nachvollziehen können. Ich habe in meiner Karriere schon viele Alben
veröffentlicht, die ihrer Zeit voraus waren und erst später von den Fans entdeckt
wurden. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung war es vielleicht einfach zuviel für die
Leute.
MF: Wenn ihr wählen könntet, mit welchen Musikerkollegen würdet ihr gerne mal
zusammen arbeiten und vielleicht sogar ein Album aufnehmen?
V: Mindestens mit tausend Gästen! Ich möchte mit so vielen Musikern Aufnahmen machen,
aber die würden alle zusammen gar nicht in ein Studio passen.
P: Victor nimmt ja auch mit jedem auf... (lacht)!
V: Ich habe tierisch Bock auf Festivals und Jams und das fehlt mir sehr. Ich finde das
sehr schade, dass es gerade in Europa sehr wenig davon gibt. In Amerika und Russland gibt
es immer wieder solche Anlässe, Musikertreffen, wo man zusammen spielt. Hier ist alles so
ernst, kaum einer macht mit.
P: Alle denken sofort immer daran ach, jetzt gehen sie wieder fremd und so 'nen Scheiss,
ne. Diese blöden Fragen vonwegen "Bist du noch Mitglied von Rage?", bloss weil
Mike zum Beispiel noch tausend andere Sachen macht. Dann glauben sie eben nicht, dass er
noch Mitglied bei uns in der Band ist..., ist doch alles Blödsinn!
V: Ich finde solche Treffen unter Musikern so geil, gemeinsam auf die Bühne zu gehen und
los zu jammen. Wie anlässlich des Grave Digger-Jubiläums, wo wir alle zusammen mit
Helloween gespielt haben. Das war wunderschön und findet viel zu wenig statt. Mike hat
dazu (zur beschriebenen Situation, dass sich kaum einer für gemeinsame Aktionen
begeistern mag) einen passenden Spruch..., hmm, wie geht der auch wieder...?
P: Ich weiss jetzt nicht, was du meinst..., "Geh doch zum Lachen in den Keller?"
- irgendwie so.
V: Vergessen..., (überlegt) ...schade schade..., egal!
P: "Laughing is a sign of weakness"?
V: Genau!
MF: Letzte Frage zum eben genannten Stichwort "Festivals". Victor, 1989
fand ja in Moskau, also noch vor der Wende in Deutschland, das "Music and
Peace"- Festival statt (u.a. mit Skid Row, Gorky Park, Cinderella, Ozzy Osbourne,
Mötley Crüe, The Scorpions und Bon Jovi). Warst du damals auch dabei und was hat sich
seither in der russischen Szene getan?
V: In Russland war es so, dass das Music-Business sehr gut und viel besser organisiert als
hier war. Das war perfektes Business, aber nur für Russland. Es gab keine Möglichkeiten,
ausserhalb zu touren. Agenturen wie bei uns in Europa bezüglich der Zusammenarbeit
fehlten. Trotzdem war alles sehr professionell und die Tour mit meiner ersten Band super
genial und ehrlich gesagt besser organisiert als hier. Heute ist die Zusammenarbeit
untereinander besser, aber es ist zu europäisch geworden und die Qualität von früher
ist weg. Traurig, aber wahr..., tja. Das ist der Kompromiss zwischen Sozialismus und
Kapitalismus mit all seinen Vor- und Nachteilen. (Gesagt hat er es zwar nicht, aber ich
gehe jetzt mal schwer davon aus, dass Victor beim "Music & Peace"-Festival
'89 auch dabei gewesen ist! MF)
MF: Das ist ein schönes Schlusswort! Danke vielmals, hat Spass gemacht mit euch
zu sprechen!
V: Yo...
P: ...bitte sehr!
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