Interview: Reece

23.06.2020
By Tinu
 
Mag die Schweiz und ihre Kühe.



Er sollte Accept zum grossen Durchbruch in den Staaten verhelfen und ersetzte somit Udo Dirkschneider bei der Solinger Metalschmiede. Das Unternehmen ging bekanntlich baden. Der Grund lag garantiert nicht beim stimmgewaltigen David Reece, sondern eher beim für damalige Verhältnisse eher mittelmässigen Songwriting. Auch wenn sicher einige Höhepunkte zu hören waren, aber als Ganzes konnte «Eat The Heat» nicht glänzen. Um David wurde es deswegen nicht ruhiger. Der Ami sang bei Bangalore Choir, Sircle Of Silence, Gypsy Rose, EZ Livin, Bonfire und Sainted Sinners, um nur ein paar Truppen zu nennen. Dazwischen war David immer wieder an Projekten beteiligt oder auf Solo-Pfaden unterwegs. Wie auch mit den beiden letzten Reece-Studioscheiben, bei dem speziell der neuste Streich «Cacophony Of Souls» mit einer unglaublichen Ur-Gewalt ans Tageslicht trat. Durch die letzte Tour als Support von U.D.O. (genau dem Sänger, welchen er bei Accept ersetzte) scheint das neue Material zusätzlich beeinflusst worden zu sein. Dies auch dank dem ehemaligen U.D.O.-Gitarristen Andy Susemihl. Der Kreis schliesst sich oder wie sieht Mister Reece das neuste Solo-Album, der auch mit den Indianern vertraut ist? David stand Rede und Antwort. Einmal mehr mit einer unglaublich ehrlichen Art, die bei vielen gespielt ist, hier aber von Herzen kommt.

MF: Wie ist dir die U.D.O.-Tour in Erinnerung geblieben?

David: Es sind grossartige Erinnerungen! Ich denke, dass ich Udo Dirkschneider seit 2007 nicht mehr sah. Das war damals beim Sweden Rock Festival. Ich trat auf einer kleinen Bühne auf und er auf der grösseren. Die «Steelfactory»-Tour letztes Jahr war fantastisch. Ich rief Udos Manager an und er meinte nur: "Das ist echt komisch, ich habe an dich als Support gedacht» (lacht). Sie offerierten mir die ersten zehn Shows. Dann kamen vier dazu, dann die skandinavischen Konzerte und am Schluss waren es zusammen mit der Schweiz 28 Konzerte. Udo hat sich mir gegenüber immer sehr respektvoll verhalten. Dies beruht auf Gegenseitigkeit. Wir hatten nie Streit, weil ich ihn bei Accept ersetzte. Der Kreis schliesst sich, denn Andy Susemihl hat zu Beginn bei U.D.O. (beim zweiten Album «Mean Machine») mitgespielt. Ich war damals sehr nervös, als Udo sein erstes Soloalbum einspielte und ich mit Accept «Eat The Heat» im gleichen Studio aufnahm. Er kam zu mir, schüttelte meine Hand und sagte: "Ich habe kein Problem mit dir, denn ich weiss, dass Accept einen anderen Weg gehen wollen. Ich wünsch dir viel Glück. Ich werde nun mein eigenes Ding starten". Udo war immer sehr nett zu mir. Wir tranken öfter mal ein Bier und sprachen zusammen. Das hat sich über all die Jahre nie verändert. Das war nie ein Ego-Ding!

MF: Wie gross war der Einfluss dieser Tour auf das Songwriting?

David: Die hatte natürlich einen Einfluss (lacht). Auf dieser Konzertreise spielte ich einige Tracks von «Eat The Heat». Die Fans fragten immer nach diesen Liedern und wann ich wieder Songs in diese Richtung schreiben würde. Ich spürte, dass ich bereit war, wieder zu diesen Wurzeln zurück zu gehen. Den Song «Cacophony Of Souls» schrieb ich vor zwei Jahren. Eigentlich sollte er schon Verwendung für «Resilient Heart» finden, aber irgendwie schien er nicht auf das Album zu passen. Andy und ich komponierten vor einigen Jahren «Chasing The Shadows» und dies war der Start zur musikalischen Rückbesinnung.

MF: Das Album strahlt eine unglaubliche Energie aus und geht direkt nach vorne los. War dies auch ein bisschen ein Befreiungsschlag?

David: Ja, irgendwie schon. Du weisst, ich war bei einigen Side-Projekten dabei und war sehr beschäftigt. Aber eigentlich bevorzuge ich mein Solo-Material. So muss ich nicht auf einen Bandleader hören, der mir sagt, was ich wie zu tun und zu singen habe. Ja, du hast absolut recht, ich fühle mich sehr gut mit dem neuen Material. Ich bin sehr glücklich mit meiner Stimme, die noch immer sehr stark klingt. Du weisst, dass ich vor zwei Jahren mit dem Trinken aufgehört habe. Das hat mir persönlich sehr viel Energie gegeben und meiner Stimme gut getan. Ich fühle mich frei und bis stressfrei (grinst zufrieden).

MF: Wie einfach war das Schreiben der neuen Lieder?

David: Weisst du, Andy und ich haben in den letzten Jahren viele Tracks zusammen komponiert. Ich kann dir nicht sagen was es ist, aber da besteht eine Chemie, bei der ich gar nicht wissen will, wieso sie vorhanden ist (grinst), weil sie funktioniert! «Collective Anesthesia» und «A Perfect World»… Malte, mein Bassist, hat die Musik geschrieben. Es macht unglaublichen Spass mit Malte und Andy zusammen zu komponieren. Es ist so unglaublich einfach und entspannt mit den Beiden zu arbeiten. Eine Idee entwickelt sich und wir ergänzen uns sehr gut. "Andy is one of the greatest guitar players in the world!" Er ist ein unglaubliches Talent und versteht wie ich denke. Ich muss mich dabei nicht erklären. Es ist ein Segen mit ihm zusammen arbeiten zu dürfen, und ich weiss wirklich nicht, was diese Magie ausmacht (lacht). Er und ich waren immer die schwarzen Schafe (lacht). Wir wurden zu Freunden. 2007 traf ich Andy bei einer Halloween-Party in Deutschland. Er meinte, dass wir mehr zusammen arbeiten sollten. Daraus entstand das Reece-Album «Universal Language». Es war immer diese Chemie und diese Freundschaft, bei welcher der Respekt gegenüber dem anderen sehr wichtig war. Natürlich hatten wir auch… Hey, das ist doch kein Drama, wenn man nicht immer der gleichen Meinung ist. Daraus haben sich stetig positive Dinge entwickelt, das ist völlig normal. Das Musikgeschäft ist verrückt (lacht). Die Definition des Wahnsinns ist, immer das Gleiche zu tun und dabei trotzdem ein anderes Resultat zu erwarten (lautes Lachen). Verstehst du was ich meine? Vielleicht ist dies der Grund, wieso der Rock'n'Roll kurzzeitig gestorben ist. Weil wir immer das Gleiche taten und immer ein neues magisches Resultat erwarteten. Ich wollte mit meinem neuen Album kein neues Whitesnake-Werk erschaffen. Ich suchte nach neuen Sounds für meine Stimme. Andy hat dieses Moderne in seinem Spiel. Auch wenn er mit Michael Schenker oder Gary Moore gross geworden ist. Er kann dieses Zeugs vor- und rückwärts spielen. Trotzdem hat er eine eigene Identität in seinem Spiel. Wie viele Gitarristen spielen wie George Lynch? Wieso? Auch wenn du über all die Jahren am Üben bist, versuche deinen eigenen Stil zu finden. Zu viele Gitarristen lassen dies vermissen. Sie wollen wie Blackmore, Schenker oder Malmsteen klingen. Das Schlimme bei vielen Sängern ist auch, dass sie beim ersten Track eines Albums alles raus schreien wollen, mit den höchsten Screams und dabei keine Emotionen zeigen.

MF: Auf dem letzten Album hattest du das «Heart», nun hast du die «Souls». Wie wichtig sind Gefühle für dich?

David (überlegt): Ich… war immer ein Mensch, der sich viele Gedanken über viele Dinge macht. Ich hörte auf mein Herz und dies ab und zu auch zu viel (grinst). Fühle ich nicht, dass ich das Richtige mache, so lernte ich vor einigen Jahren, nein zu sagen. Ich realisierte, wie einfach das ist und dass es mich glücklicher macht. Ich war zu oft unglücklich mit der Situation in meinem Leben und habe dabei zu oft den anderen den Arsch geküsst. Willst du erfolgreich sein, musst du dies im diesem Geschäft aber machen. Du kämpfst jahrelang, damit du einem Plattenvertrag erhältst, und wenn du ihn hast, musst du alles tun, damit du ihn behalten kannst. Dabei gehst du viele Kompromisse ein, für die du dich selber hasst. Ich wollte aber ehrlich zu mir selber sein und dies brachte mir viele Feinde ein. Es scheint aber, dass viele lieber Lügen und Scheisse erzählen, als bei der Wahrheit zu bleiben. Wie gesagt, es bringt dir viel Ärger ein, wenn du ehrlich bist. Das war mein grösstes Problem. Als ich bei Warner unter Vertrag stand und mit den grössten Managern der Welt zu tun hatte, kamen sie mit vielen völlig verrückten Ideen an. Wollte ich mich zur Wehr setzen, hielten sie mir den unterschriebenen Vertrag unter die Nase, in welchem stand, dass ihnen das zusteht. Meine Güte! Wieso verspricht ihr mir auf der ersten Seite etwas, das auf der zweiten revidiert wird? Verträge sind sehr schwierig zu verstehen. Ich rate daher jedem Künstler, lass dir den Vertrag zuerst von einer fachkundigen Person durchlesen, bevor du ihn unterschreibst. Das Kleingeschriebene zwischen all den Zeilen wird dich an die Wand drücken. Weisst du, jetzt erscheint schon bald das vierte Video zum neusten Album. Ich spreche in Juni mit dir über «Cacophony Of Souls», während das Album schon im März das Licht der Welt erblickte. Durch den Corona-Scheiss habe ich das Gefühl, das seit dem Release schon ein Jahr vergangen ist. Ich bin sehr glücklich über dieses Interview, denn so können die Leute sehen, was ich zum neuen Album zu sagen habe. Das Werk ist noch immer mein neustes Baby. Wir haben bloss zu Testzwecken zwei Tracks der neuen Scheibe live gespielt. Das Traurige ist, dass eine zweiwöchige Tour durch England und zwanzig weitere Shows abgesagt werden mussten. Darum danke ich dir für dieses Gespräch, damit «Cacophony Of Souls» im Gespräch bleibt, weil ich der Überzeugung bin, dass es das Beste ist, welches ich bis anhin komponierte.

MF: Da gebe ich dir recht, denn «Resilient Heart» war ein richtig gutes Album, aber «Cacophony Of Souls» ist perfekt…

David: …oh Martin… Wow, ich danke dir! Die Reviews lesen sich sehr gut, aber ich bin ehrlich. Oftmals veröffentlichst du ein Album und weisst, dass es zwei bis drei Tracks gibt, die abfallen und die du nicht magst. Mit «Cacophony Of Souls» habe ich meine passenden Schuhe zu meinen Füssen gefunden. Ich war sehr aufgeregt, zusammen mit Andy ins Studio zu gehen, und es war eine sehr leidenschaftliche Angelegenheit die Lieder einzusingen. Niemand kann nachfühlen, wie es in der Aufnahmebox war, als ich die Stücke eingesungen habe, aber man kann es nachvollziehen, wenn man die Tracks hört. «Cacophony Of Souls» zeigt die Leidenschaft von jedem Musiker in jedem Part. Du kannst den Bass hören und fühlen. Die Farben, welche von den Gitarren kommen, sind unglaublich. Andy hat mit vielen Sounds experimentiert, kleine Dinge, aber es passte alles zusammen und wirkt nicht zu überladen. Die neuen Tracks für das kommende Album sind "Killers". Wenn du «Cacophony Of Souls» liebst, werden dir die neuen Songs den Kopf wegblasen. Sie sind "heavier" und mehr Metal, aber noch immer mit genügend Melodien versehen. Die Stücke sind ein bisschen länger, aber sehr aggressiv. Malte… Es ist unglaublich. Ich spielte unzählige Konzerte mit ihm zusammen. Mit Sainted Sinners und anderen Truppen. Dabei wusste ich nie, dass er ein Songwriter ist. Eines Abends in seinem Hamburger Apartment… Er ist ein Nachtmensch. Wir sprachen zusammen. Dabei spielte er auf seinem Bass oder der Gitarre dieses Riff von «Collective Anesthesia». "Was ist das?", fragte ich ihn. "Oh, das ist eines meiner Lieder, sorry, ich will dich nicht langweilen!", war seine Antwort. "Spiel das nochmals, du hast das geschrieben?", fragte ich ihn. Es klang so frisch, da er von Megadeth und Guns n' Roses beeinflusst ist. Dadurch kam diese jüngere Vitalität in unseren Sound. Auch unser Schlagzeuger Andrea… Er ist so unglaublich hungrig und glaub‘ mir, ohne diese Jungs würde das Album nicht so klingen, wie es klingt. Klar, es ist die David Reece Band, aber ohne diese Musiker, das muss man ehrlich sagen, wäre vieles anders geworden.

MF: Auf «Resilient Heart» war dieser indianische Totenkopf zu sehen, der auch wieder beim neuen Album im Hintergrund vorhanden ist. Hast du einen Bezug zu den Indianern oder deren Kultur?

David: Ja, denn es fliesst sogar indianisches Blut in mir. Zu einem Viertel bin ich ein Blackfoot-Indiander aus Montana, auch wenn ich aus Oklahoma komme. Es ist tragisch, wie die Ureinwohner der Staaten ausgenutzt wurden. Das ist ein Albtraum, was alles mit meiner genetischen Historie passiert. In Oklahoma hast du Türken, Chinesen, die umgeben sind von amerikanischen Kids und meinen Vorfahren mit ihrem einheimischen Blut. Montana hatte früher viele indianische Stämme. Ich glaube an die Tradition und den grossen Spirit der Indianer. Sei es ein Baum, der Himmel, alles gehört zu Mutter Erde. Diese Spiritualität der Indianer fasziniert mich. Es ist eine Tragödie, dass man über die Ureinwohner der Staaten kaum ein Wort verliert und wie man sie aus ihrem eigenen Land vertrieb. Dabei starben tausende von Indianern. Das ist sehr, sehr traurig.

MF: Was sind die Pläne für die Zukunft?

David: Ich versuche alle Konzerte nachzuholen, aber dies scheint sich zu einem verdammten Albtraum zu entwickeln. Ich bin gerade im Studio in Italien. Hier lebe ich seit einiger Zeit mit meiner Frau zusammen und nehme den Gesang für John Steel auf. Das wird ein sehr progressives und hartes Werk. Zudem gibt es ein neues Wicked Sensation-Album. Michael Klein hat mich angefragt. Ich mag es wirklich bei solchen Projekten mitzumachen, aber grundsätzlich möchte ich nicht Derjenige sein, den man als Sänger kennt, der von Band zu Band hüpft. Darum will ich den Fokus mehr auf meine Solokarriere richten. Wir hoffen, dass die David Reece Band zu Beginn 2021 auftreten und dabei «Resilient Heart», «Cacophony Of Souls» und Lieder des kommenden Albums spielen kann. Wenn alles klappt, werden wir dabei auch bald wieder in der Schweiz auftreten. Ich liebe euer Land! Es ist so wundervoll… Ich bin mir nicht sicher, ob sauber das richtige Wort ist, aber die Schweiz ist eine natürliche Schönheit (lacht). Die Leute scheinen sehr relaxt zu sein. Ich traf einen Mann, bei dem ich dachte, dass er sechzig Jahre alt sei. Ein Bauer, der von den Bergen zu einem Konzert kam. Nach dem Gig sprach ich mit ihm und fragte ihn, wie alt er sei. Er antwortete: "Ich bin 85!" (lautes Lachen). "What???", war meine Frage. "«Ja, ich laufe schon mein ganzes Leben den Berg rauf und runter mit meinem Kühen, das hält mich in Form" (lautes Lachen). Er sah so verdammt gut aus und ich dachte, dass er gerade mal sechzig sei. Sein Bruder war 87 und ich war geschockt (lacht wieder). Gutes Essen und oft an der frischen Luft sein, das hält jung und ist fantastisch! Ich liebe die Landwirtschaft. Die schönsten Kühe in meinem Leben sah ich in der Schweiz (lacht). Als ich das erste Mal bei euch war, fuhr ich rum und schaute mir die Kühe auf den Wiesen an (lautes Lachen). Sie sind wunderschön, fantastisch (lacht)!

MF: David, danke für die Zeit und das einmal mehr sehr ehrliche wie interessante Interview.

David: Es war mir eine Ehre. Als du mich angefragt hast, wegen dem Interview, wusste ich, dass wir wieder sehr viel Spass zusammen haben werden, und ich freute mich auf dich.

MF: Danke dir! Pass auf dich auf und bleib gesund.

David: Ich verspreche dir, wir werden uns bald wieder sehen (lacht). Pass auf dich auf und danke für alles.