Interview: Scorpions

11.08.2020
By Tinu
 
Eine Band, die ihren Weg gegangen ist.



Wenn eine Band 55 Jahre im Geschäft ist und alle Höhen und Tiefen überlebte, dann gebührt ihr sehr grossen Respekt. Noch viel grösseren Respekt, wenn sie in den über fünf Jahrzehnten mit ihrer Musik Völker verbunden hat, bei den wichtigsten Open-Airs auftrat und Lieder für die Ewigkeit schrieb. Man erinnere sich nur an «Wind Of Change», «Still Loving You», «When The Smoke Is Going Down», «Send Me An Angel», «Blackout», «Rock You Like A Hurricane», «No One Like You» oder «Big City Nights». Dass dabei die Mutter aller Balladen «Holiday» nicht immer mitgezählt wird, ist eine Freveltat. Die Herren von den Scorpions, Klaus Meine (Gesang), Rudolf Schenker (Gitarre), Matthias Jabs (Leadgitarre), Pawel Maciwoda (Bass) und Mikkey Dee (Schlagzeug) liefern noch immer auf der Bühne ab, Abend für Abend, und dass sie jetzt wieder an einem neuen Album arbeiten, überrascht und erfreut zugleich. Das Was, das Wann, das Wie und das Warum erläuterte Klaus in einem ausführlichen Interview, bei dem für einen Sänger Erstaunliches ans Tageslicht kam...

MF: Wie hast du die Corona-Zeit erlebt?

Klaus: Bis jetzt haben wir dies alle gesund überstanden. Anfang des Jahres waren wir noch auf Tour in Australien und Südostasien. Am 5. März sogar noch in Singapur. Als wir wieder zu Hause waren, wurde alles von Tag zu Tag dramatischer, und als der Lockdown kam, versuchten wir in den Kreativmodus umzuschalten. Der Plan war, an unserem neuen Album weiter zu arbeiten. Aus diesem Grund kam uns der Virus fast ein bisschen entgegen, damit wir konzentriert und ungestört an den Songs und den Texten schreiben konnten. Wir fielen nicht in ein Loch (grinst), sondern haben uns voll ins Songwriting gehängt. Es hat unglaublich viel Spass gemacht. Klar ist es schade, dass wir die Shows in diesem Jahr alle verschieben mussten. In Juli hätten wir im Planet Hollywood in Las Vegas während eines ganzen Monats gespielt. Zum Glück mussten nicht noch mehr Konzerte abgesagt werden. Greg Fidelman wird das neue Album produzieren, der zuletzt mit Metallica und Slipknot zusammen gearbeitet hat. Wir hätten im Mai und Juni bei ihm im Studio in Los Angeles sein müssen. Das hätte sich sehr gut mit den Konzerten in Las Vegas ergänzt. Somit trat "Plan B" in Kraft, und wir schrieben ab anfangs Mai bis anfangs Juni sehr intensiv in Hannover im Peppermint Studio. Abends schalteten wir Greg per Zoom dazu, sind die neuen Tracks zusammen durchgegangen und haben uns die Files hin und her geschickt. Bis jetzt hat das alles gut funktioniert. Der nächsten Schritte sind Bass und Schlagzeug. Mikkey sitzt in Schweden und Pawel in Polen. Die Reiseeinschränkungen verhinderten, dass wir zusammen aufnehmen konnten. Die nächste Phase ist nicht einfach. Wir wollen die Songs zusammen mit dem Produzenten einspielen und damit die Form der guten alten Achtziger einfangen. Es ist eine spannende Zeit, und wir lassen uns nicht unterkriegen. Es gibt sehr viel neues Material, so dass wir nicht auf alte Achtziger-Demos zurück greifen müssen. Die Songs sind brandneu, wir sind brandheiss sie für unsere Fans einzuspielen und das Album fett fertig zu machen.

MF: Wann ist mit der Veröffentlichung zu rechnen?

Klaus: Das mit dem Planen ist in dieser Zeit so eine Sache (grinst). Wir hoffen aber, dass wir im Frühjahr 2021 veröffentlichen. So könnten wir im Sommer die Shows in Las Vegas nachholen und im Herbst auf Tour gehen. Dies mit einem neuen Set und hoffentlich auch vielen neuen Songs im Programm. Hoffentlich haben wir dann alle wieder in unser normales Leben zurück gefunden.

MF: Hat dich diese Zeit des Virus auch ein bisschen entschleunigt?

Klaus: Absolut! Wir sind die ganzen Jahre, wir kennen es auch nicht anders, unterwegs gewesen. Ein bisschen vermisst man das, aber es war der positive Effekt an der ganzen Geschichte, dass man sich tatsächlich so ein bisschen entschleunigen konnte. Zuhause hat man viel mehr Zeit mit seiner Familie verbringen und..., jetzt hätte ich fast gesagt Freunde sehen können (lacht). Aber die durfte man ja nicht sehen. Dieses Geniessen mit der Familie und nicht von einem Termin zu anderen zu hetzen, das habe ich sehr genossen. Wenn man die Möglichkeit hat in seinem eigenen Studio zu arbeiten und jeden Tag an den Songs und den Lyrics zu feilen, gewinnt man endlos viel Zeit. Als wir im Mai zusammen gekommen sind, zeichnete sich auch ab, wie sich das neue Album anhören wird. Die Lieder warten darauf, fertig gemacht zu werden. Mikkey hat mich vor ein paar Tagen angerufen und gefragt: "Wann gehts denn nun endlich los?" "They wait for you to beat them up", war meine Antwort (lacht). Mikkey und Pawel sind total heiss. Wir können es kaum erwarten, dass wir fünf wieder zusammen sind, denn in dieser Mai-Session trafen sich nur Matthias, Rudolf und ich. Klar hätten wir uns auf L.A. gefreut, aber zu Hause zu schlafen ist auch eine coole Sache.

MF: Du hast Mikkey erwähnt, was hat sich für euch verändert, als er bei euch in der Band eingestiegen ist?

Klaus: Er hat unglaublich viel positive Energie mitgebracht. Ein Tritt in den Hintern. POWER! Es macht tierischen Spass mit ihm zu spielen, er ist ein toller Musiker und Drummer. Nicht umsonst hat Lemmy über ihn gesagt, dass er der geilste Trommler der Welt ist. Es macht nur Freude mit ihm zusammen zu spielen. Die Chemie passt optimal. Wir kannten uns schon seit vielen Jahren. Von Konzerten und Festivals, als wir Motörhead begegnet sind. Wir waren uns vertraut und der gegenseitige Respekt war da. Mikkey hat sich sehr schnell in die Scorpions-Familie eingefunden. Er muss auch nicht ständig über den grossen Teich fliegen, wenn in Europa was ist. Das war mit James (Kottak, Vorgänger von Mikkey) anders. James lebt in Los Angeles. Mikkey in Göteborg, das nur ein Steinwurf entfernt ist. Pawel wohnt in Krakau. So kommen wir jetzt sehr schnell zusammen. Es sei denn, die Grenzen sind geschlossen (lacht).

MF: Nach 55 Jahren Scorpions, was ziehst du für ein Fazit?

Klaus: Eine Band, die ihren Weg gegangen ist und immer eine Live-Truppe war. Eine Combo, die immer mit grosser Leidenschaft live gespielt hat und sich nie Grenzen setzte. Wir sind losgezogen als junge Kerle, um ein Teil der internationalen Rock-Familie zu werden. Nach all den Jahren kann man sagen, das ist uns ganz gelungen (lacht). Es fühlt sich nach wie vor gut an. Die Qualität, die diese Band auszeichnet, ist unter anderem, dass wir nach so vielen Jahren, Highlights und grossen Erfolgen, noch immer hungrig sind und sich im Jahr 2020 nicht dabei verrückt vorkommt, ein neues Album zu kreieren (lacht). Dieser "old fashion way" (lacht) eine Scheibe zu veröffentlichen. Nach einer so langen Zeit müssten wir dies nicht mehr machen, aber wir haben einfach Lust darauf. So, wie wir es immer gemacht haben und nicht anders kennen. Auch wenn es aus der Mode gekommen ist, ein neues Werk zu schreiben (lacht). Wir tun es, weil wir es können, Freude haben, kreativ sind und weil wir einfach verdammt nochmal unglaublichen Spass dabei haben. Und! Weil wir weltweit unseren Fans nochmals so eine schöne Überraschung machen wollen. Bei der viele nicht mehr damit rechnen, dass die Scorpions nochmals so hart und heavy um die Ecke biegen. Diese Herausforderung wollen wir nochmals annehmen. Scorpions ist eine Band, die Geschichte geschrieben und die Leidenschaft in all den Jahren dafür absolut nicht verloren hat. Wir beginnen schon wieder die Bühne zu vermissen und im Sommer die Festivals (grinst).

MF: Du hast gerade erwähnt, dass das neue Werk richtig hart werden soll. Von den Songs her oder dem Sound?

Klaus: Beides! Wir fokussieren uns auf viele Up-Tempo-Nummern, die diesen "Heavy-Touch" haben. Wir orientieren uns an den alten Klassikern, die wir noch immer im Set spielen. Wie «The Zoo». «Animal Magnetism» war damals ein richtiges Heavy-Album. Das eine und andere haben wir auch in der Richtung auf der kommenden Scheibe. Vielleicht fehlt da noch die eine oder andere schnelle Nummer wie «Can't Get Enough» (grinst). Mal schauen, was unserem Riff-Master noch alles einfällt (grinst). Kommen wir dann endlich alle zusammen, wollen wir gemeinsam dieses neue Material spielen. Das Live-Feeling wollen wir für das neue Album einfangen und nicht mehr separiert, wie wir dies viele Jahre gemacht haben und wie man sich dies auch gewohnt ist..., Mikkey könnte locker in Göteborg seine Parts einspielen und Pawel seine Teile aus Krakau schicken. Aber Greg Fidelman will die Band in einem Raum haben und diese Attitüde einfangen. Das ist ein spannender Prozess, bei dem wir unsere Komfortzone verlassen. Klar haben die letzten Produktionen mit den schwedischen Kollegen sehr viel Spass gemacht und es hat bestens funktioniert. Aber der Fokus soll dieses Mal wieder auf der Band liegen und ich hoffe, dass sich sehr viele Lieder heraus kristallisieren, die wir später auch live spielen können. Es wird ein Unterschied sein, bezüglich der Aufnahmen und wir werden sehen, was dabei heraus kommt. Es ist insgesamt eine Herausforderung, schon alleine wenn wir ein neues Album machen und nicht wissen, ob uns die Ideen zufliegen. Man muss sich darauf ein- und fallen lassen. Zum Glück kam Dank der Kreativität alles sehr schnell in Bewegung. Das Schöne ist, dass wir dies noch immer machen können und da draussen eine globale Bühne ist, auf der wir spielen können und ein paar Leute warten und sagen: "Schön, dass die Scorpions nochmals mit einem harten Album kommen". Eine schöne Sache, ein gutes Gefühl und das motiviert uns unheimlich!

MF: Was war für dich eindrücklicher, das "US-Festival" 1983 oder das "Music Peace Festival" in Moskau 1989?

Klaus: Es gibt noch ein drittes Festival, das man nicht vergessen darf und das man in dem Zusammenhang erwähnen sollte. Das "Rock in Rio" von 1985. Diese drei Festivals waren herausragende Momente in unserer Karriere. Das "US-Festival" hat uns den Headliner-Status in den USA eingebracht. Dank unserem grandiosen Auftritt als Co-Headliner mit Van Halen, nach Quiet Riot, Mötley Crüe und Judas Priest. Da mussten wir schon ganz schön Gas geben (lacht). 1985 beim Rock in Rio waren die Scorpions eine weltweit angesagt Band. Mit über 350'000 Fans war der Event etwas ganz Besonderes, mit AC/DC, Queen oder Iron Maiden. Das "Music Peace Festival" ...als europäische Band nach Russland zu gehen, war ein Meilenstein. Es war sehr emotional aufgeladen, durch die Deutsch/Russische-Geschichte. 1988 haben wir die Türe für andere westliche Truppen nochmals ganz, ganz weit geöffnet, als wir in Leningrad spielten. Wie für Bon Jovi, Ozzy Osbourne, Cinderella, Mötley Crüe oder Skid Row, die dann mit uns zusammen 1989 in Moskau auftraten. Wir sind gemeinsam in London in den Flieger gestiegen und zusammen nach Moskau geflogen, wo wir die Welt auf den Kopf stellten.

MF: Wie schwierig waren die Zeiten damals bei den Aufnahmen zu «Blackout», als du Probleme mit deiner Stimme bekommen hast?

Klaus: "The end of the road". Anfangs der achtziger Jahre spielten wir in tolles Live-Album in Japan ein. Wäre alles vorbei gewesen, hätte ich mich nicht beschweren dürfen. Glücklicherweise habe ich nach zwei Stimmbandoperationen..., Rudolf protestierte vehement, als andere der Meinung waren, einen neuen Sänger zu suchen. Ich kämpfte, bis ich in der Lage war, dieses extrem harte Album «Blackout» einzusingen. Mein lieber Freund Don Dokken half in dieser Übergangszeit. Leider wurden die Bänder mit ihm gelöscht. Die hätte ich gerne nochmals gehört. Ich konnte die Lieder für «Blackout» einsingen, es ging weiter und glücklicherweise hat mich meine Stimme nie mehr auf die Art und Weise verlassen. Es fühlt sich an, wie die längste Zugabe, die wir jemals gespielt haben (lacht). Wäre alles vorbei gewesen, hätte ich nicht traurig sein dürfen. Für die Scorpions wäre es sicherlich weiter gegangen. Aber es war ein grosses Glück, dass die Jungs hinter mir gestanden sind und mich gepusht haben. Nach zwei Operationen, wenn man nicht singen darf und keinen Piep macht, kommt man schnell an den Rand einer Depression. "Freunde lasst euch nicht aufhalten und macht ohne mich weiter!" Dieser Schritt und der Gedanke kommt sehr schnell. Es war eine glückliche Situation. Eine Tragödie und der Triumpf der Freundschaft. Man hat gesehen bei AC/DC, wenn es nicht anders geht..., niemand ist unersetzlich. Das ist eine Erfahrung, die einige Bands selber erleben und durchziehen mussten. Nicht immer zum Gefallen der Fans. Das ist klar, denn man liebt seine Rock-Götter so wie man sie kennt und will sie genau so haben. Kleinste Abweichungen werden mit lauten Protest geahndet (lacht). Vor allem die der musikalischen Natur (lautes Lachen).

MF: Die Tourneen in den Achtzigern waren lang und selten mit Day-Offs verbunden. Wie bist du nach deiner Operationen mit dieser Situation umgegangen?

Klaus: Dank des sehr guten Arztes in Wien, der mich aufbaute..., alles war ein Weck-ruf, bei dem ich wusste, würde ich so weiter machen wie bis anhin, mache ich alles kaputt. Ich musste einen Weg finden, mit dieser Herausforderung klar zu kommen und im Jahr mehr als 150 Konzerte zu singen. In unseren Hochzeiten haben wir deutlich mehr Gigs gespielt. Ich musste einen guten Weg finden, besser auf mein Instrument, sprich die Stimmbänder, zu achten. Ich ging viel bewusster mit der Situation um und begann Warm-Ups zu singen und Stimmband-Vocals-Trainings zu machen. Auf Tour versuchte ich das Ende noch miterleben zu können (lacht). Dafür habe ich gerne die eine oder andere Party ausgelassen. Geschenkt gekriegt haben wir das alle nicht, was wir in all den Jahren erreichten. Im Zusammenhang mit Heavy Metal und Rock'n'Roll ist es ein hässliches Wort, das da wäre: DISZIPLIN! (lacht). Als Sänger in einer solchen Band, die so im "Overdrive" unterwegs ist, mit so viel Power und Energie, muss man sich selber einen Weg finden, dass man seine Leistung Abend für Abend abrufen kann.

MF: Was war für euch damals schwieriger? Einen Nachfolger für «Love At The First Sting» oder für «Eye II Eye» zu schreiben?

Klaus: Das war schwerer für «Love At The First Sting», weil die Scheibe ein grosser Welterfolg war. Mit Tracks wie «Rock You Like A Hurricane», «Big City Nights» oder «Still Lovin' You». Ausserdem wurde die Zeit ohne Dieter Dirks, Ende der achtziger Jahre auch nicht einfacher, nach einer so langen und erfolgreichen Epoche. Das nächste Werk war «Savage Amusement», das noch ein sehr erfolgreiches Album war. Wir spürten, dass wir an unsere Grenzen kommen. Die Erfolge von «Lovedrive», «Animal Magnetism», «Blackout» und «Love At The First Sting» waren so gigantisch, dass jede neue Produktion mit einem Riesendruck verbunden war! Ende der Neunziger gelangten wir an einen Scheideweg. Dieses Jahrzehnt war einerseits gigantisch dank «Wind Of Change» und «Crazy World», andererseits waren es die Jahre von Grunge und Alternative. Die Nirvanas hatten die musikalische Welt völlig auf den Kopf gestellt. Classic-Rock und viele Combos, die in den Achtzigern mega erfolgreich waren, zerbrachen, weil kein Hahn mehr nach dieser Musik schrie. Wir haben uns über Wasser gehalten, auch weil wir in Südostasien sehr viele Fans haben. Unsere Klänge fielen da noch immer auf fruchtbaren Boden und wurden mit Platin- und Doppelplatin ausgezeichnet, während der Rest der Welt durch Grunge dominiert wurde. Viele hofften, dass der "normale" Kreislauf wieder zurück kommt, zum "good old Rock'n'Roll». Das passierte dann zum Glück wieder. Nach «Eye II Eye» waren wir in einer sehr experi-mentierfreudigen Phase, zumindest für viele Fans, wie man weiss. Obschon das Album gar nicht mal so schlecht war. Aber es war für die meisten fremd. Die Projekte, wie mit den Berliner Philharmonikern («Moment Of Glory»), das nun auch schon zwanzig Jahre her ist, und «Acoustica» haben uns auf andere Weise gefordert und 2003 wieder auf den richtigen Weg gebracht. Mit «Unbreakable» waren wir zurück in unserem Fahrwasser. Die Neunziger waren keine einfache Zeit, auch wenn sie von einem Mega-Erfolg gekrönt waren, aber auch eine grosse Herausforderung bereit hielten, die wir überstehen mussten.

MF: Dafür waren die Achtziger enorm erfolgreich für euch. War es schwer auf dem Boden zu bleiben?

Klaus: In Hannover sind wir "gegrounded". Das ist eine Mentalitäts-sache. Aber klar, Grund genug zum Abheben hätten wir gehabt. Wer dreimal den Madison Square Garden als Headliner ausverkauft, mit Bon Jovi im Vorprogramm..., tja..., das sind Momente, die man nicht vergisst und die uns als Band noch enger zusammen geschweisst haben. Die Tatsache, dass wir noch immer zusammen sind, hat sicher damit zu tun, dass diese Geschichte, welche die Scorpions geschrieben haben, sich sehr schwer wiederholen lässt. Wie lange hat es gedauert, bis da draussen ein deutscher Act von sich reden gemacht hat? Da waren wir jahrzehntelang alleine auf weiter Flur. Wir wissen auch, wieso wir diesen Status erreichten. Eben weil wir immer abgeliefert haben. Man kann sicher ein schlechteres Album veröffen-tlichen oder Songs schreiben und eine Richtung einschlagen, die vom Kern abweicht oder nicht den Nerv der Leute treffen. Aber! Entscheidend ist, dass innerhalb der Band die Chemie stimmt und sie auf der Bühne abliefert. In dem Moment, als wir auf die Stage gingen, ging die Post ab und die Chemie der Scorpions hat dann immer am stärksten seine Früchte getragen. Egal und wo auch immer. Das hat uns als internationale Truppe sehr, sehr, stark gemacht.

MF: Das stimmt, denn euch habe ich immer in den grossen Hallen oder an Festivals in der Schweiz gesehen. Aber auf der «Eye II Eye»-Tour habt ihr im Zürcher Volkshaus gespielt und habt, wie immer, ABGELIEFERT! Vielleicht war dies sogar das intensivste Konzert, das ich von euch sah...

Klaus: ...ah, du warst da? Danke, das ist am Ende, auf was es ankommt. Damals, als wir als junge Truppe in England spielten, war es wichtig auf der Bühne zu zeigen, was du drauf hast. Wir haben nach den Sternen gegriffen, aber wenn du nicht die Mittel dazu hast, trittst du ganz schnell wieder die Reise nach Hannover an (grinst) und der Traum einer internationalen Karriere ist ausgeträumt (lacht). Aber die Engländer wie auch die Japaner haben uns in den Siebzigern geliebt. Von da gings in die USA, und dank dem Fahrwasser von AC/DC, Ted Nugent und Aerosmith haben wir sehr viel getourt, aber dabei auch gleichviel gelernt von diesem amerikanischen Rock'n'Roll-Zirkus. Auf unserer ersten US-Tour war Ted Nugent Headliner, AC/DC waren Special Guest und wir die Opener. 1979 haben sich beide Support-Bands nach oben gearbeitet. Damals war Amerika noch das verrückte Rock-Land, mit all den Rock'n'Roll-Stationen, die zu jeder Sekunde Classic Rock sendeten. Das gab es in Europa überhaupt nicht. Deine Lieder auf diesen Sendern zu hören und diese endlosen und tausenden von Interviews die wir gaben, waren immer mit unglaublich viel Spass verbunden. Diese Jahre prägten uns sehr für all das, was noch kommen sollte in den Achtzigern.

MF: Wie kam es zum Bandnamen?

Klaus: Rudolf gründete die Band um 1965. Er sagte, dass er einen Namen mit internationalem Klang wollte. Skorpion versteht jeder, als Tier oder Sternzeichen. Kleine Viecher, die sehr robust und gefährlich sind. Der Stachel hat ihn damals daran erinnert, wenn sich die Nadel vom Plattenspieler auf die Langspielplatte senkte. Schreibst du das heute, weiss kaum einer noch was ein Plattenspieler ist (lacht).

MF: Wie hast du dich über all die Jahre verändert?

Klaus: Ich hab mich ganz sicher verändert, aber ich hoffe nicht hin zum Schlechten (lacht). Ich denke nicht, dass mich der Erfolg veränderte. Im Kern bleibt man immer die Person, die man ist, da ich in Hannover und nicht in Hollywood aufgewachsen bin (lacht). Man sollte nie vergessen wo man herkommt. Ich hoffe, dass wir immer die Alten geblieben sind. Eigentlich bin ich ein schüchterner Typ. Wie ich am Ende auf der Bühne gelandet bin, dazu noch als Frontmann (lacht), das kann ich mir gar nicht vorstellen (lacht). Je länger man von einer Tour weg ist, desto mehr frage ich mich: "Bin ich das? Wirklich?" Einer, der in Rio auf die Bühne geht, bei all diesen Leuten..., ich bin Zwilling im Sternzeichen. Es fühlt sich an, als würde mein Zwilling auf die Bühne gehen und meinen Job machen und sich genau da so wohl fühlt. Es gibt auch die private Person. Die Zwei verstehen sich aber ganz gut (lacht). Um auf die Bühne zu gehen, dazu muss man geboren sein. Am Ende weisst du gar nicht, wie du dahin gekommen bist. Aber es scheint, dass dies der Platz ist, welcher der liebe Gott für mich vorgesehen hat (grinst). Ich habe das Glück, dass ich eine super Band fand, mit der ich noch immer sehr viel Spass habe auf der Bühne zu stehen. Das sind alles tolle Musiker, und dass ich in meinem Leben so viele Kollegen traf, gehört ja auch irgendwie dazu. Dabei muss man aber immer mit den Füssen auf dem Boden bleiben, sich von diesem ganzen Starkult fern halten und für die Fans da sein! Darum denke ich, dass ich immer bei mir geblieben bin (grinst). Wenn nicht, dann achtet meine Frau darauf, dass ich auf meine alten Tage nicht noch beginne abzuheben (lacht).

MF: Klaus, ich bedanke mich für diese interessante Interview, es hat unheimlichen Spass gemacht...

Klaus: ...das freut mich, mir auch...

MF: ...ich wünsche euch alles Gute und hoffe, dass wir uns bald wieder sehen.

Klaus: Martin, hab vielen Dank! Pass auf dich auf, so dass wir uns bei einem Konzert bald wieder sehen.


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