Interview: Sideburn
By Rockslave
Kein neuer Sänger und es keiner merkt es.



Etwas ältere Rock- und Metalfans (also so wie ich), kennen im Umfeld von Sideburn natürlich auch deren Anfangszeiten, die bis 1985 zurück reichen. Damals nannte man sich bekanntlich Genocide und deckte stilistisch mehr die Metal-Ecke à la Judas Priest und Konsorten ab. Wie üblich in der Zeit, musste mal als Metal-Band ordentlich rackern, um auch nur etwas voran zu kommen. Der Fleiss wurde dann 1990 mit einer ersten 4-Track EP belohnt und zwei Jahre später folgte das erste Langeisen. Mit einer Band namens Nirvana nahm leider auch für Genocide das Unheil seinen Lauf und deshalb wurden die Karten ab 1997 neu gemischt. Der Bandname wechselte hin zu Sideburn und die Musik ging deutlich mehr in die Richtung Rock der Währung Krokus, AC/DC oder auch Rose Tattoo. Frontmann Roland Pierrehumbert ist heute noch das einzig verbliebene Ur-Mitglied und mein Interview-Partner sowie Schlagzeuger Lionel Blanc stiess 1999 dazu. Somit ist er dienstaltermässig der zweitälteste Musiker im Lineup. Im vergangenen Herbst kam das mittlerweile achte Studioalbum «Electrify» heraus und es wurde nun wirklich Zeit, dass Metal Factory das allererste Interview mit Sideburn führt!

MF: Ihr habt jetzt für das neue Album zum zweiten Mal mit Producer Beau Hill zusammen arbeiten können. Daran hingen sicher gewisse Erwartungen, die euch aber dennoch die Sicherheit gaben, ihn wiederum anzufragen?

Lionel: Das ist eine gute Frage! Als wir nämlich «Jail» fertig gestellt hatten, dachte ich, dass wir das nie mehr so machen werden. Es war aber nicht wegen dem Resultat, denn damit waren wir echt happy, sondern wegen der Distanz und auch der Zeitverschiebung. Dazu kommt, dass du nicht direkt im Studio bist und dem Mann über die Schultern schauen kannst. Etwas das sonst zehn Sekunden dauern würde, erfordert ein entsprechendes Nachfragen und du musst abwarten. Wenn du zum Beispiel einen Vorschlag unterbreitest, dass er am Gitarrensound was ändern sollte, muss das zuerst wieder aufgenommen und zu uns geschickt werden. Dann brutzelst du eine CD davon und hörst dir das im Auto an. Und so zog sich das halt in die Länge und darum dachte ich, es nicht mehr so machen zu wollen.

MF: Und dennoch habt ihr es wieder getan…, zum zweiten Mal!?

Lionel: Ja! (lacht laut) – Die Sache ist die…, als wir da diesen «Rockstar»-Song gemacht haben, nahmen wir das Schlagzeug in einem anderen Studio als die «Jail»-Scheibe auf. So sagten wir uns, dass wir aufs Geratewohl hin Beau den Song einfach mal für einen Mix schicken und schauen, was er dazu sagt. Für diesen Zweck war der Song ideal. Nebst dem Umstand, dass er ja wusste, was wir wollten. Das erste Mal war er ja der Meinung, dass wir auf seinen typischen Sound der 80er aus waren, aber wir wollten es eben erdiger, mehr Rock’n’Roll halt.

MF: Letztlich scheint ihr ja erneut zufrieden zu sein, obwohl es schon umständlich ist, ein Album auf diese Weise zu machen…

Lionel: …ja genau…, so ist es! Das Wichtigste ist das Resultat… (lacht)

Und dann erzählte mir Lionel die Geschichte, wie Sideburn überhaupt mit Beau Hill in Kontakt gekommen sind. Der Ursprung war die CD-Release Party von Gotthards letztem Album mit Steve Lee («Need To Believe»). Da unterhielt er sich mit Thom Blunier von Shakra und vor der Show (von Gotthard) lief «Lay It Down» von Ratt, also ein Stück von einem der vielen Werke, die Beau Hill produziert hatte. So ging er dann am nächsten Tag auf dessen MySpace-Seite, sandte ihm einen Link zu Sound von Sideburn, verbunden mit der Frage, ob er am Mischen oder Produzieren interessiert sei und was es kosten würde. Mike Fraser (AC/DC, Aerosmith, Van Halen u.v.m) sei auch interessiert, aber etwas teurer gewesen. Für Beau sprach unter anderem, dass er ein eigenes Studio hatte, während sich Mike jeweils entsprechend eingemietet hatte.

MF: Heisst das nun, das Master Hill von nun an, respektive für künftige Scheiben, euer „Haus-Producer“ wird?

Lionel: Wiederum eine gute Frage… (lacht) – Wir wissen es zurzeit nicht. Wir haben mal Rough-Mixes mit unserem Live-Mischer gemacht. Wir mochten seine Arbeitsweise, es klang sehr erdig und vielleicht probieren wir es mit ihm, geben ihm eine Chance. Sollte es uns dann doch nicht gefallen, können wir immer noch auf Beau zurück greifen.

MF: Lass uns nun zum neuen Lineup über gehen. Ihr habt mit Mike Riffart (g/v), Lawrence Lina (g/v) und Nick Thornton (b/v) drei neue Bandmembers an Bord. Letzterer steht auf dem Bandfoto der Startseite eurer Homepage sogar zu vorderst und ihr alten Hasen hinter ihm! Wie kam es dazu?

Lionel: Die nächste gute Frage! Nun…, schon bei alten Pressefotos war Roland nicht immer vorne. Heuer machten wir eine Menge unterschiedlicher Fotos und hielten eine ziemlich lange Fotosession ab. Wir dachten, es sei besser so… (muss laut lachen) – und wir dachten hierbei nicht daran, dass die Leute nun vielleicht meinen, wir hätten einen neuen Sänger!

MF: Das hat jetzt wohl jeder Journalist gefragt, oder?

Lionel: Nein, nein…, du bist echt der erste…, aber da war letzthin mal ein Typ, der sandte uns per Internet eine Nachricht und meinte, das sei jetzt zu schade, dass wir den Sänger gewechselt hätten, weil er den alten viel lieber mochte und dabei nicht merkte, dass Roland ja immer noch auf dem Foto mit drauf ist. (lacht)

MF: Wie und wo habt ihr die neuen Bandmitglieder eigentlich rekrutieren können?

Lionel: Mike spielte schon ein paar Mal mit uns zusammen, als sein Vorgänger Boris mit seiner anderen Band Monkey3 beachtliche Erfolge feierte und deshalb keine Zeit mehr hatte. Er empfahl uns Mike als seinen Ersatz und dieser packte es. Wir spielten dann fünfmal mit ihm und schliesslich war es die logische Folge, da wir ihn mittlerweile kannten, er ein cooler Typ war und es drauf hatte. Lawrence hingegen hatte zuvor schon einige Jahre in der Bluesband von Roland mitgespielt. Er spielte damals schon als Profi Gitarre, war lange Zeit Freelancer und Roland ermutigte ihn dazu, doch in einer eigenen Band zu agieren, als nur für andere Musik zu machen. Obwohl er, zu meiner Verwunderung, bei seinen anderen Einsätzen nicht wirklich den Rock’n’Roll verkörpert hatte, war es offensichtlich, dass er es seit seinem Einstieg bei uns voll bringt. Was schliesslich Nick, unseren Bassisten angeht, so nahmen wir zuerst mit Sebastian Maeder, dem Bruder von Nick (Sänger von Gotthard – MF) Kontakt auf. Eigentlich fragten wir ihn an, ob er (also Seb) als Gitarrist zu uns käme. Dann erwähnte dieser, dass Nick Thornton in der Schweiz lebe und so zögerten wir natürlich nicht lange. Es stellte sich anschliessend ziemlich rasch heraus, dass Nick genau der richtige Mann für uns war und sich auch riesig darauf freute. Nach den ersten Rehearsals war die Sache sonnenklar und die Band komplett.

MF: Somit stimmte die Chemie innerhalb der Band von Anfang an?

Lionel: Es ist noch schwierig…, du kannst womöglich grosse Namen finden und verpflichten, aber du hast keine Gewähr, dass sie mit guten Ideen aufwarten. Es gibt in der Rockgeschichte einige Allstar-Bands, die es jedoch zu nichts gebracht haben. Sie waren einzeln zwar gute Musiker, brachten zusammen aber keine guten Songs zustande. Roland und ich wussten vorerst nicht, war wir kompositorisch erwarten können, doch als die Jungs mit den ersten Riffs ankamen, sahen wir uns darin bestätigt, dass es klappen wird. Wir sind auf jeden Fall sehr glücklich mit dem Resultat.

MF: Ist es ausserdem nicht noch cool, dass mit Nick Thornton ein ehemaliges Mitglied der Band Maeder, wo der aktuelle Gotthard-Frontmann ja zuvor auch mitwirkte, nun bei Sideburn spielt?

Lionel: Dieser Umstand bewirkte keine grössere Aufmerksamkeit für uns oder zog Reaktionen nach sich, weil man hierzulande die Band Maeder, trotz des wirklich guten Albums, eigentlich kaum kennt. Sie waren leider nicht sehr erfolgreich.

MF: Wenn du nun auch die letzten drei Alben zurück schaust…, welches ist deiner Meinung nach, gemessen an den jeweiligen Erwartungen, das stärkste und warum?

Lionel: Das läuft auf das hinaus, was die meisten Musiker sagen, wenn sie über ein neues Album sprechen…, nämlich dass es das bisher beste ist! Um ehrlich zu sein, fühle ich das aktuell wirklich stark…, aber das war bei allen vorherigen auch schon so! (lacht) – Wenn ich nun die älteren Sachen anhöre und wir die Setliste vorbereiten, stammen die meist gespielten Stücke von «Gasoline». Für mich ist dies das Referenzalbum, obwohl es nicht meine Lieblingsscheibe ist…, denn das ist «Electrify». Und «Gasoline» war so zu sagen die Referenz für alles, was danach folgte, also was den Aufbau der Songs anging, Variationen des Tempos und der Stimmung allgemein. Für uns war dieses Album perfekt gelungen und dies übertrug sich dann auch auf «Cherry Red» wie auch «Electrify». Bei Letzterem gibt es keine Filler, so wie es üblicherweise ein oder zwei davon halt einfach geben kann. Selbst den letzten Track «Destination Nowhere» mit seinen Country-Rock Vibes mag ich sehr und das, obwohl ich kein grosser Country-Fan bin. Der Song stammt von Roland und als er damit ankam, mussten wir attestieren, dass er wirklich cool war. (lacht) – Es bestand kein Zweifel darin, dass wir ihn nicht aufs Album packen.

MF: War das (bezüglich «Gasoline» - MF) auch der Grund, warum ihr dieses Album unlängst wiederveröffentlicht habt?

Lionel: Der erste Grund bestand darin, dass es mittlerweile zehn Jahre alt ist und des Weiteren war das Album offiziell nicht mehr erhältlich. Aufgrund der Nachfrage hatten wir uns dazu entschlossen und hängten dann als Bonus noch etwas 2012er Live-Material von Annecy hinten an. So konnten wir den Fans auch zeigen, was die neuen Musiker so drauf haben.

MF: Für meinen persönlichen Geschmack sind Sideburn stärker, wenn sie mehr in die Richtung von Rose Tattoo als AC/DC gehen. Hast du da auch Präferenzen oder macht es keinen Unterschied für dich aus?

Lionel: Jeder in der Band wird dir darauf eine differenzierte persönliche Meinung abgeben. Die ganze Sache muss einfach ehrlich rüber kommen und vor allem dann, wenn man live spielt. Es geht einfacher, einen Song richtig zu spüren, wenn er mit Tempo 120, wie die meisten Lieder im Stile von AC/DC gespielt wird. Dies im Gegensatz zu schnelleren Nummern wie «Remedy» von Rose Tattoo. Wir wissen auch, dass das Publikum die langsameren Sachen bevorzugt und uns geht es hierbei bezüglich des Feelings genau gleich. Die flotteren Sachen der frühen Rose Tattoo wie «Nice Boys (Don’t Play Rock’n’Roll)», als diese damals noch mit Drummer Dallas Royal (R.I.P.) spielten, grooven einfach nicht so. In Zeiten von iTunes ist ausserdem feststellbar, dass die Leute, wenn es um einzelne Songs geht, stets die „AC/DC-Songs“ runter laden. Wir haben aber dennoch auf jedem Album mindestens zwei schnellere Songs drauf, da sind wir uns treu geblieben. Gerade gestern Abend schrieb uns ein Fan aus den Staaten, welche der neuen Songs er mag und gab uns zu verstehen, dass er die live gespielten schnelleren Tracks wohl eher nicht so toll fände und ihm, wie uns, das bluesigere Material besser liegt. Wenn du aber zehn Leute hierzu befragst, erhältst du womöglich zehn verschiedene Antworten. Wo ich dir aber Recht gebe, ist, dass wir künftig etwas mehr Slide-Gitarren einsetzen sollten, definitiv. Doch selbst die aktuellen Rose Tattoo spielen nicht mehr so schnelle Stücke, wie zum Beispiel «Blood Brother». Der Slide-Gitarrensound macht denn auch den entscheidenden Unterschied aus. Fällt dieser weg, klingt es umgehend mehr nach AC/DC.

Anschliessend gab Lionel auf meinen Hinweis bezüglich jüngeren Bands aus dieser Stilecke wie Airbourne, Bullet, Bonafide, ' 77 und Konsorten zu Protokoll, was es in der heutigen Zeit damit auf sich hat. Er wies unter anderem darauf hin, dass zum Beispiel The Answer, die er als grossartige Band bezeichnet, mitunter ja mal als Support von Angus Young & Co. unterwegs waren. Ihre Popularität wurde dadurch leider nicht gestärkt und trotz weiteren Top-Alben wie unlängst «New Horizon», spielen sie heute noch vor vergleichsweise wenig Leuten. Zudem kritisierte er die jüngere Zunft der Musikjournalisten, die zu wenig Erfahrung und Tiefgang haben, respektive alles, was irgendwie nach AC/DC klingt, gleich als dessen Klon abtun. Sowas frustriere sie dann schon etwas, da sie, obwohl sich klar in der Nähe der musikalischen Wurzeln befindend, stets darum bemüht sind, die entsprechende Abwechslung rein zu bringen. Und ob sie jetzt trendy seien oder nicht…, sie mögen, was sie tun.

MF: Welche Ziele habt ihr euch nun für die Zukunft gesteckt?

Lionel: Wir möchten in erster Linie an grösseren Festivals auftreten, um so die Band einem breiteren Publikum bekannt zu machen. Wir mögen Club-Auftritte immer noch, keine Frage, werden auch weiterhin so unterwegs sein, aber wir möchten schon zulegen. Unglücklicherweise waren wir jetzt jahrelang ohne einen Manager unterwegs (und sind es immer noch!) und ohne einen Booker mit den entsprechenden Connections hätten wir zum Beispiel nicht in Brienz auftreten können. Wir haben oft in der Nähe der Schweiz gespielt, aber nicht auf dem Hoch-Ybrig. Darunter oftmals als Opening Act und hier möchten wir künftig schon weiter kommen, wie in Frankreich. Anzustreben ist auch Deutschland, wo wir noch nie versucht haben zu spielen! Die ehemaligen Bandmembers waren halt nicht bereit, mit dem Auto 1000 Kilometer zu fahren und vielleicht wirkt sich auch die sprachliche Barriere etwas aus. Mit dem neuen Blut in der Band haben wir jetzt aber in der letzten Zeit dreimal mehr im Ausland als in den letzten zehn Jahren zusammen gespielt. Selbst wenn es noch nicht so viele Konzerte sind, erhalten wir, vor allem aus Frankreich, sehr gutes Feedback. Doch wie ich bereits erwähnt habe…, steht Deutschland im Fokus und grössere Festivals.

MF: Hegst du einen persönlichen Traum, der dich mit Sideburn an welchen Orten aufspielen lässt?

Lionel: Als wir 1996 als Vorgruppe von Kiss im Hallenstadion spielen durften, war ich erst als Roadie mit dabei. Es wäre natürlich schon ein Riesending, dereinst dort mal auftreten zu können, denn die Akustik scheint mir gut zu sein. Ich würde zudem lieber an so einem Ort oder auch entsprechend in Bern, als in einem riesigen Stadion auftreten. Für den französisch sprechenden Teil der Schweiz wäre natürlich eine Visite in Montreux erstrebenswert!

MF: Wie sieht es mit einer ersten Live-DVD aus? Habt ihr da schon mal darüber befunden oder zumindest nachgedacht?

Lionel: Seit etwa gut einem Jahr denken wir darüber nach. Eigentlich wollten wir sowas anlässlich der Show in Annecy machen, aber diejenigen Leute, die das damals filmten, waren nicht die Sorte Profis wie wir dachten. Man sagte uns, es hätte drei Kameraleute und man würde sich noch um einen vierten bemühen, doch leider war nur einer der Leute ein Könner seines Fachs. Die Kamera, die sich beispielsweise ganz vorne befand, wurde nach einer halben Stunde einfach aus gemacht und der dritte Typ lieferte bloss Bullshit ab. Das Bild war unbrauchbar, dafür gab der Ton immerhin was her. Vor ein paar Wochen nahmen wir unter anderem eine Audiospur im Z7 auf und darüber hinaus haben wir uns nun eine 24-Spur Maschine gekauft. Damit werden wir nun möglichst viel aufnehmen und suchen gleichzeitig die richtige Location für die Realisierung der DVD.

MF: Was möchtest du abschliessend den Lesern von Metal Factory noch mitteilen?

Lionel: Ja…, danke…, für… (lacht)…

MF: …danke und tschüss?!!

Lionel: Was? (lacht) - Ja…, genau…, nein…, ich weiss es zu schätzen, dass ich dieses Interview geben und erläutern konnte, warum wir immer noch da sind, respektive wo noch nicht. Wir möchten uns bei all den Hardrock-Fans und gleichzeitig Lesern von Metal Factory bedanken und hoffen, dass sie Musik künftig weiterhin käuflich erwerben und nicht klauen, sowie dass wir, auf einer Bühne stehend, sie bald wieder sehen werden!

MF: Perfekt! Vielen Dank…

Lionel: …ich danke dir für die Zeit, die du dir genommen hast.