Interview: Steven Wilson Band Teil 1: Marco Minnemann (Drummer)
By Lliane W.
Am 25. September 2012 erschien endlich „Get All You Deserve“ - die Bluey Ray/DVD der „Grace For Drowning“ Tour. Das Konzert wurde im April 2012 in Mexico perfekt vom Haus und Hof Künstler Lasse Hoile eingefangen und verspricht visuell wie musikalisch ganz ganz grosses Kino. Jedes einzelne Mitglied dieser Produktion ist individuell und wichtig für das entstandene Meisterwerk. Die Selektion der hochkarätigen und interessanten Musiker die Steven Wilson (Porcupine Tree, Blackfield, No Man etc.) um sich scharrt, ist gezielt und mit dem höchsten Anspruch ausgewählt. In diesem Zusammenhang wollte ich gerne, nach dem ich mit dem Meister selbst sprechen konnte, auch die anderen Musiker treffen und mehr über sie erfahren. Das Interview hier mit Marco Minnemann (Schlagzeug) war eines der spannendsten, ehrlichsten, offensten und lustigsten Gespräche das ich für Metal Factory bis anhin führen durfte. Er sprach über die Zusammenarbeit mit Steven Wilson, über die Audition bei Dream Theater für die Nachfolge von Mike Portnoy und natürlich über sein aktuelles Solo Doppel Album welches dieses Jahr erschienen ist...

MF: Du gehört mittlerweile zu den angesagtesten Schlagzeugern, wie wichtig ist dir die Zusammenarbeit mit der Steven Wilson Band?


Marco:  Ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich Steven Wilson vorher gar nicht kannte. Von Porcupine Tree hatte ich mal was gehört, aber mir war nicht ganz bewusst welchen Sound die machen. Der Manager Andy hatte mich dann mal angerufen und gefragt, ob ich Lust hätte mit auf Tour zu kommen und wie es mit Interesse an einer grundsätzlichen Zusammenarbeit aussähe. Nun, wir haben dann mal einen Termin vereinbart und da Steven mit Blackfield einen Auftritt in der Nähe hatte, kam es dann zu einem Treffen. Steven und ich haben uns auf Anhieb sehr gut verstanden, was für mich einer der wichtigsten Aspekte ist. Mann geht zusammen auf Tour, lebt auf engstem Raum zusammen und teilt die Musik. Da muss es menschlich einfach passen.

MF: Hattest du dir die Musik dann vorab bereits vor dem Treffen anhören können?

Marco:  Ja nach dem ich dann wusste um wen es sich handelt, habe ich mir die Musik angehört bzw. Steven schickte mir vorab ein paar Sachen zu. Es hat mir auf anhieb gut gefallen und nach dem Treffen hatten wir dann auch bald zusammen geprobt und das war ein magischer Moment. Vor allem die Musik und die ganzen Projekte, ich kannte das ja alles gar nicht so richtig und als wir uns dann bei Blackfield getroffen haben war das ganz peinlich. Ich dachte „Ok, Blackfield, das wird wohl Stevens Band sein.“ Ich war dann im Backstage und traf auf Aviv Geffen und meinte so „Und? Behandelt euch Steven auch gut? Macht es Spass die Songs zu spielen?“ Aviv meinte dann nur „Ja ich habe einen grossen Teil der Lieder selbst komponiert.“ Das war dann die Introduktion, tja, aber sie haben recht cool reagiert und es war alles ganz ok.

MF: Ihr hattet euch ja getroffen, da war das Album „Grace For Drowning“ bereits eingespielt.

Marco:  Ja genau, ich übernahm dann den Live Part am Schlagzeug auf der Tour. Wir sind jetzt schon gut 6 Monate auf Tour zusammen. Es gibt heute Abend auch neues Material, das wirst du dann später hören. Es gibt schon neues Material.

MF: Wer schreibt die Songs, stammen die wieder aus Stevens Feder?

Marco:  Er schreibt schon hauptsächlich die Songs, aber wir wurden involviert und konnten uns einbringen. Die Platte wird im Herbst fertig aufgenommen und kommt dann im Frühjahr 2013 raus, gefolgt natürlich von einer gemeinsamen Tour.

MF: Das wird dann etwas anders sein, da du die Songs dann auch auf dem Album selbst eingespielt hast. Wir war es bei „Grace For Drowning“. Auf dem Album wurden das Schlagzeug ja von Nic France bedient. War es schwierig für dich den Bezug zu den Songs aufzubauen und dies live umzusetzen? In wie weit konntest du dich einbringen?

Marco:  Ich habe das live komplett geändert. Das ist auch ein gutes Talent was Steven Wilson hat. Er schreibt die Songs so, dass sich jeder Musiker einbringen kann. Die Arrangement stehen zwar, aber die Instrumente sind nicht so ausgeschrieben, dass alles genau so kopiert werden muss. Das heisst, da ist also genügend Freiraum. Es ist vergleichbar mit einem Haus das zwar gebaut wurde, aber jeder darf sich darin frei bewegen. Ich habe mir also vom letzten Album die Arrangements gemerkt und die Drum Parts alle ignoriert. Bis eben auf wichtige Fills oder Breaks. Und bei den neuen Songs hat er mir die Rohfassungen zuschickt und ich habe die dann bei mir zu Hause vervollständigt und zurückgeschickt. Dann wurde was geändert, dann hat Nick Beggs seinen Beitrag dazu gegeben. Das ist eine coole Arbeitsweise muss ich sagen. Steven weiss was er will und gibt aber trotzdem sehr viel Freiraum. Er weiss auch genau mit welchen Musikern er zusammen arbeiten möchte und welche Qualitäten in jedem der Musiker liegen. Es kam nie was zurück wo er sagte das gefällt mir nicht. Er sagte „Ok, done“. Und für mich ging das alles recht schnell. Zeigt auch, dass hier Harmonie herrscht und wir uns einig sind.

MF: Er sucht sich seine Musiker ganz gezielt aus und er ist ja ein grosser Fan von dir, Marco. Er hat in München beim Interview sehr von dir geschwärmt.

Marco:  Oh wow, das ist ja toll. Oh das freut mich aber zu hören! Das Kompliment gebe ich auch gerne wieder an ihn zurück. Er ist unglaublich talentiert und das Spezielle an ihm ist eben, dass er erkennt, was er wie komponieren muss, um das Beste aus dem Musiker herauszukitzeln.

MF: Da bist du mit dem Steven Wilson Projekt ganz schön ausgebucht für eine Zeit. Musste daher Herr Petrucci und Dream Theater auf dich verzichten?

Marco:  Oh mein Gott, ja. Puh, also diese Dream Theater Leute....Ich weiss auch nicht so recht, sie sind sehr von sich überzeugt. Das kam für meinen Geschmack alles irgendwie überheblich rüber.

MF: Du hast ja damals bei ihnen vorgespielt, als sie auf der Suche nach einem neuen Schlagzeuger gewesen sind.

Marco:  Ja genau, ich war nie ein grosser Fan von der Band, aber Jordan ist ein guter Freund von mir und wir haben auch schon Projekte zusammen gemacht. So kam ich dann mit den anderen zusammen und sie meinten komm doch mal vorbei und spiel mit uns. Ich wusste gar nicht, dass das aufgezeichnet und veröffentlicht wird. Ich wollte das auch gar nicht. Da fühlte ich mich komplett übergangen.

MF: Aber du profitierst bestimmt davon, Dream Theater ist in Musikerkreisen sehr geschätzt.

Marco:  Ja vielleicht ich weiss es nicht. Ist ja auch ok, es hat ja ganz gut harmoniert. Sie fragten mich dann wie gut ich die Band kenne und wie viele Alben ich von der Band zu Hause im Regal habe und ich sagte ich habe gar keins im Regal (lacht). Und die einzigen Songs die ich kenne sind die, die wir gerade gespielt haben. Das war es auch dann schon. Der Sänger und der Gitarrist wollten dann schon eher jemanden in der Band haben, der die Musik schon gut kennt und der dann auch richtig involviert ist und Dream Theater als Hauptband sieht und nicht noch ewig viele Projekte nebenbei hat. Das ist eben nicht so mein Ding. John Petrucci hat dann immer mal gesagt, dass wir was zusammen machen sollten, eventuell nach der Tour. Daher hatte er mich dann für die G3 Geschichte angefragt. Dies ist leider etwas unschön abgelaufen, hauptsächlich vom Management aus. Ich habe meine eigene Band die heissen The Aristocrats mit Guthrie Govan, einer der besten Gitarristen mit denen ich jemals zusammen gespielt hatte. Er ist ein hervorragender Mitmusiker genau so wie Bryan Beller. Wir sind ein Trio und das ist unsere Band und wir haben eine weltweite Tour geplant.

Von John Petrucci kam dann die Anfrage, ob ich die G3 Tour mitmachen könnte und ich sagte ihm, dass dies leider nicht gehe, da ich mit meiner Band Aristocrats auf Tour bin. Ich bekam dann eine Rückantwort vom Management von wegen „Du bist einer der intelligentesten Personen die ich je getroffen habe, du wirst schon einen Weg finden um das zu machen“. Was glauben die eigentlich wer sie sind? Queen? Pink Floyd? Also, meine eigenen Projekte sind mir recht wichtig und die möchte ich nicht verschieben. Wenn das alles etwas netter abgelaufen wäre, wäre das etwas anderes. So von wegen „Hey das ist echt schade, eventuell können wir was schieben? Da finden wir einen Weg drum herum“ oder so. Es wurde ja dann noch dreister. Ich sollte ja das Album einspielen aber da ich keine Zeit für die Tour hatte, sollte ich dann auch nicht für das Album berücksichtigt werden. Also entweder G3 komplett oder gar nichts. Dann sagte ich: Ok dann gar nichts! Ist in Ordnung. (lacht) Sie haben ja dann auch noch recht gut Geld angeboten, von wegen ich soll sagen was ich dafür haben will, das regeln wir dann schon. Nun ja, sie konnten es einfach nicht verstehen, dass ich auch meinen eigenen Projekten nachgehen möchte die auch gut laufen. Sie konnten es nicht verstehen, dass mal einfach jemand nein sagt.

MF: Am Ende gut für dich. Wer kann es sich schon gross aussuchen!?

Marco:  Ja, nun, ich hoffe du verstehst was ich meine, es soll ganz sicher kein Fight zwischen diesen beiden Parteien sein. Ich wollte das Thema einfach mal auf den Punkt bringen. Da bin ich ganz offen und ehrlich.

MF: Danke dir, das klingt alles ganz spannend und zeigt auch mal auf, was hinter den Kulissen so passiert. Lass uns über deine eigenen Projekte sprechen. Du hat eben wie gesagt die Band Aristocrats, dann die Steven Wilson Band und hast auch noch ein neues Solo Doppel Album veröffentlicht „Evil Smiles Of Beauty“ und „Sound Of Crime“ mit insgesamt 30 Tracks.

Marco:  Ja das ist jetzt schon meine 15. Veröffentlichung. Ich habe mir auch ganz genau überlegt was ich die nächsten Jahre so machen werde und die Dinge die du da jetzt genannt hast sind mir einfach am wichtigsten und darauf möchte ich mich konzentrieren.

MF: Auf deinem Solo Album spielst du alle Instrumente selbst und singst auch. Vielleicht kannst du mir zu dieser Produktion noch etwas mehr erzählen.

Marco:  Oh ja gerne ich hoffe es gefällt dir auch. Da spreche ich natürlich auch sehr gerne darüber, da es mein eigenes Album ist (lacht). Es besteht ja wie du gesagt hast aus 2 Teilen und der erste Teil „Evil Smiles Of Beauty“ ist recht tiefgründig und entstand in einer Phase wo ich durchgegangen bin, na ja, so mit Trennung von Freundin und so Klingt jetzt recht banal, die Musik ist aber echt kompliziert und komplex. Ich war eben mitten in Tourneen und es hat einfach nicht mehr funktioniert und wir sind auseinander gefallen. Ich habe mich dann für ein paar Wochen zu Hause eingeschlossen und habe das dann so verarbeitet und in Musik umgewandelt. Ich finde es recht schön, wenn man das psychologisch so raus lässt und in Kunst umwandelt. Das ist ein toller Prozess den man dann später wieder anschauen kann. Das lustige ist wir sind jetzt wieder zusammen (jubelt und klatscht). Jetzt frag ich mich, was soll ich nun mit dem Album machen? (lacht). Nun und der 2. Teil „Sound of Crime“ ist sehr experimentell aber auch sehr auskomponiert. Ich hatte sehr viel Voice bzw. Vocal Coder und Roboter Voices angewendet und orchestriert. Wenn man es sich anhört ist es stellenweise recht „scary“ macht aber auch sehr viel Spass. Ich denke das beschreibt es wohl ganz gut.

MF: Es ist in jedem Fall kein Album, was du dir mal so reinwirfst und nebenbei anhörst...

Marco:  Nee das läuft nicht auf NDR 2.

MF: Da gibt es viel zu verarbeiten. Ich habe es auch jetzt erst bekommen und muss sagen, dass ich dafür noch etwas Zeit benötige.

Marco:  Ja, am besten du nimmst dir noch eine Flasche Rotwein dazu (lacht). Daher ist es am besten, du beginnst mit dem ersten Teil, der ist etwas eingängiger und hat auch ein paar rockige Elemente mit drin. Im 2. Teil, da passiert es dann!

MF: Ich liebe es, Musik zu zelebrieren und mich damit auseinander zu setzen.

Marco:  Oh ja das kann ich gut verstehen und auch nachvollziehen. Das ist keine Musik die da rein und da raus gehen soll.

MF: Du vertreibst das Album selbst, ist das richtig?

Marco:  Ja das mache ich alleine. Seit es cdbaby.com gibt, ist das ja ganz einfach. Die bringen das ja auch direkt zu Itunes und zu Amazon. Dort können Künstler ihre eigenen Produkte unterbringen und die Einnahmen teilt man sich quasi mit cdbaby.com wobei der grössere Anteil an den Künstler selbst geht. Sie vertreiben aber deine Produktion über alle Medien und bewerben das dann auch und das ist klasse. Dadurch bekommt der Künstler eben direkt Geld und bekommt den grössten Anteil selbst in die Tasche.

MF: Da gehen die Plattenfirmen bald ganz leer aus...

Marco: Für die Plattenfirmen ist das recht fatal. Aber das ist gar nicht so schlecht muss ich sagen. Sie waren es doch die sich immer darüber beklagt hatten, dass unsere Songs zu kompliziert sind und das ja niemand hören möchte und keiner kann das verstehen. Ist aber nicht so. Die Menschen sind eben nicht blöd. Das haben Queen schon bewiesen mit Veröffentlichungen wie „Bicycle Race“ oder „Mustapha“ und heute zeigen auch Künstler wie Radiohead, Nine Inch Nails oder Björk, dass auch gewagtere Kompositionen erfolgreich sein können. Für uns ist daher cdbaby.com eine hervorragende Option.

MF: Was ist deiner Meinung nach das Projekt, dass dich im Laufe deiner Schlagzeuger Karriere am meisten geprägt hat bzw. weitergebracht hat?

Marco:  Muss ich sagen, das sind tatsächlich meine Solo Sachen, denn das sind die Projekte wofür mich Musiker buchen oder wofür mich Musiker gerne haben wollen. Da ist keine spezifische Band wodurch irgend etwas passiert ist. Es waren eher die DVDs oder Solo CDs die wohl beeindruckt haben und aufgrund dessen man aufmerksam wurde. Ich habe auch ein paar Sachen gemacht die nicht so toll gewesen sind wo ich einfach mal dachte „Ach ja machen wir halt mal mit“ und plötzlich spielt man bei Nena und denkt „Ach du scheisse!“. In Deutschland habe ich auch sehr gute Sachen gemacht wie zum Beispiel Udo Lindenberg, das war total super. In den Staaten waren es Paul Gilbert oder Mike Keneally mit denen ich zusammen gespielt habe. Und jetzt eben auch mit Steven in England. Das sind natürlich jetzt recht seriöse Bands.

MF: Bei vielen unterschiedlichen Projekten mitzumischen erweitert auch den Horizont...

Marco:  Ja das ist ja wie mit dem Essen. Wenn ich jeden Tag Sushi essen würde, wäre das auf Dauer sehr langweilig. Ich esse aber auch gerne mal einen Hamburger – was jetzt äquivalent zu AC/DC wäre. Sushi ist dann eher mit Frank Zappa gleichzusetzen.

MF: Gibt es etwas ausser der Musik was dich beschäftigt?

Marco:  Nee, ich kann nix anderes. Ich habe schon von Klein auf gemerkt, dass Musik genau mein Ding ist und habe bereits mit 11 Jahren meinen ersten Auftritt gehabt. Das war wie eine Eingabe, das ist wie Energie die ich gerne an die Menschen weitergeben möchte. Das ist ein positives Erlebnis, das kein Geld kaufen kann. Das sind Sachen die sind unbezahlbar. Talent oder sowas das hat man oder man hat es nicht.

MF: Danke Marco für das wirklich spannende Interview. Wir wären am Ende vielleicht gibt es noch etwas was du los werden möchtest, quasi ein Schlusswort?

Marco:  Oh ich habe das Schlusswort, ja das ist gut. Es hat mich sehr gefreut, mal meinen Quatsch hier zu präsentieren, so wie bei Loriot (lacht). Nein, hat mich wirklich sehr gefreut so offen zu sprechen und meine Ansicht so mitzuteilen zu können. Also, eine gute Message für die Leute wäre: Lasst euch nicht rein reden in das was ihr macht. Wenn ihr daran glaubt und dies dann den Menschen präsentiert, werdet ihr jemanden finden der sich damit verbindet. Aber es muss natürlich gut sein!! (lacht)