Interview: Stratovarius
By Tinu
Jörg Michael (JM) hat sich in all den Jahren einen fantastischen Ruf als Schlagzeuger erarbeitet. Dabei war es nicht nur sein knallharter Schlag auf die Becken und Trommeln, sondern auch sein grossartiges Entertainment mit den wirbelnden Schlagzeugstöcken, die ihn zu einem der Besten machten.

Zusammen mit Truppen wie Rage, Running Wild, Grave Digger, Mekong Delta, Axel Rudi Pell, Headhunter oder House Of Spirits war er immer präsent. Mitte der neunziger Jahre trat er der Mannschaft von Timo Tolkki bei und war ein wichtiger Bestandteil des grossen Erfolges von Stratovarius. Dass diese Band, bedingt durch die «verwirrte» Art ihres Bandleaders, fast vor dem Aus stand, verleitete Jörg kurzzeitig dazu seine Arbeit bei Strato zu unterbrechen und bei Saxon anzuheuern. Kurz darauf kehrte Mister Donnerfuss wieder in den Schoss der finnisch-schwedisch-deutschen Kooperation zurück und veröffentlichte das mit gespaltenen Reaktionen aufgenommene «Stratovarius»-Werk.

2008 warf Herr Tolkki das Handtuch und nahm seinen Hut bei Stratovarius. Sänger Timo Kotipelto, Bassist Lauri Porra, Keyboarder Jens Johansson und Jörg standen somit ohne Leithammel da. Einer, der alles nach seinem Gusto diktierte und für die meisten Songs verantwortlich war. Was nun? Die vier schnappten sich mit Matias Kupiainen einen neuen Saitenderwisch und veröffentlichten «Polaris». Auch wenn das Quintett nicht mehr an die ganz grossen Erfolg anknüpfen konnte, wurde die Tour bravurös und unter grossem Jubel abgeschlossen. Das alles gehört der Vergangenheit an, und die Zukunft wirft ihre Schatten voraus. Es steht die Konzertreise zusammen mit Helloween vor der Türe, das neue Album wird im Januar 2011 veröffentlicht, und ein gut gelaunter Trommler plauderte über all dies aus dem Nähkästchen. Übers neue Album, die Zeit nach Tolkki und die Tour mit den Kürbissen…

JM: …das ist ein sehr wertiges Paket. Du weisst von früher, dass, wenn wir auf Tour gefahren sind, immer auf starke Vorbands geachtet haben. Somit gibt man den Fans auch etwas zurück. Die letzte Helloween-Tour zusammen mit Gamma Ray war wahnsinnig erfolgreich. Dass die Kürbisse uns nun als Support mitnehmen ist für beide Truppen eine sehr gute Angelegenheit. Es war eine Bedingung, dass unser neues Album zur anstehenden Tour veröffentlicht ist. Wir wussten, dass dies zeitlich nicht zu schaffen war, da unser Ablauf ein klein wenig anders aussah. Aus diesem Grund versuchten wir eine Balance zu finden, dass einerseits der Zeitplan harmonisch mit der Tour und andererseits ein gewisser qualitativer Level mit dem Endprodukt verbunden ist. Die Single wird zum Tourstart erhältlich sein, und das Album sieht das Licht der Welt zum zweiten Teil der Europatour.

Insgesamt sind wir zufrieden, auch wenn die ganze Promotion zur neuen Scheibe nicht lange geplant werden konnte. Die müssen wir nun so ein bisschen aus dem Ärmel schütteln. Speziell Matias hat in den letzten drei Wochen jeden Tag 26 Stunden gearbeitet. Dieses Mal haben wir noch viel mehr Verantwortung in seine Hände gelegt. Speziell beim Engineering, Editieren und auch Produzieren, das dieses Mal schon ein so grosses Ausmass angenommen hat, wie früher bei Timo Tolkki. Wenn ich nun alles kurz Revue passieren lasse, wurden zwei Songs von Jens, einer von Lauri, und 60 bis 70 Prozent von Matias geschrieben. Auch wenn alle Musiker ihre Idee mit einfliessen liessen. Unsere Meinung war ganz klar, dass wir mit diesem Album die bestmöglichste Qualität auf Vinyl pressen oder im Internet umsonst downloaden lassen (lacht). Aber es kristallisierte sich heraus, dass die stärksten Songs von Mister Kupiainen sind. Einige Ideen, die ich persönlich auch sehr gut finde, fielen für Stratovarius vielleicht ein bisschen zu progressiv aus. Darum fanden sie auch nicht den Weg auf die neue Scheibe.

MF: Dann lass uns doch wissen wie die neuen Songs klingen werden?

JM: Wir haben es uns nicht so einfach gemacht und bloss Stratovarius kopiert. Bei «Polaris» war dies vielleicht noch der Fall. Das war aber unsere einzige Chance, da wir uns selbst erstmals finden mussten. Persönlich fand ich dies nicht schlecht und ich denke, das Werk kann sich auch hören lassen. Trotzdem haben wir gesehen, dass mit den Tracks, die zum Schluss entstanden sind, wie «Deep Unknown», durch Matias ein neuer Charakter in der Band ist. Trotzdem, dass der alte Songwriter, der 90 Prozent des Materials geschrieben hat, nicht mehr in der Truppe war, klang alles nach Stratovarius. Aus dem einfachen Grund, weil die Stimme, die Drums und die Keyboards noch immer zu hören waren und sie ein fester und wichtiger Bestandteil der Band sind. Bei «Elysium» haben wir diesen «einfachen» Weg verlassen. Auch wenn die Lieder von Jens noch immer nach einem Johansson-Track klingen, hat Matias seine neue Note reingebracht. Persönlich bin ich der Meinung, dass sich die Truppe gefunden hat. Auch wenn das Ganze ein bisschen anders klingt, vermisst man die alten Stärken von Stratovarius nicht. Speziell die Gesangslinien erinnern immer wieder an die alten Zeiten. Dafür geht die Gitarrenarbeit eher in die progressive Richtung, ähnlich wie vielleicht bei Symphony X.

Gemischt wird dies mit den simplen Dingen, wie meinem Schlagzeugspiel und den Keyboardklängen von Jens. Wir beide wissen, dass wir mit unseren 520 Jahren nicht zeigen müssen, was wir alles können, sondern versuchen die Lieder auf einen schlüssigen Nenner zu bringen. Ich bin der Meinung, das ist uns sehr gut gelungen. Das sage ich nicht einfach so, aber ich denke, dass «Elysium» ein absoluter Hammer geworden ist. Matias hätte ich gerne noch etwas mehr Zeit zum Mischen gegeben, da wir teilweise, nicht nur aus Zeitmangel, Parts ausgelagert haben, die dann von Mikko Karmila gemischt wurden. Der konnte uns Gott sei Dank helfen und hatte auch Zeit dafür. Für Matias hätte ich es schön gefunden, weil er so wahnsinnig hart gearbeitet hat, dass er auch die ganzen Früchte hätte ernten können. Natürlich hat es wie immer endlose Kämpfe gegeben. Dieses Mal nicht über die Lautstärkenverhältnisse, sondern weil man der jüngeren Generation zugestehen muss, dass sie so viele Ideen hat. Die wollen alles zeigen, sich beweisen und vielleicht auch profilieren. Obschon oftmals weniger mehr ist, und der jüngere Gegenpart hier und da noch einen Orchesterpart einbauen will. Da kann ich mich ans letzte Wochenende erinnern. Der Titelsong, ein 20 Minuten langer Epictrack bestehend aus drei Teilen. Das ist ein richtiges Mörderding! In einer geheimen Wahl, hat jeder in der Band diesen Track auf Platz Eins gesetzt. Das Teil ist voll bis oben hin. Ich hab gesagt, dass man den Track so nicht veröffentlichen kann. Das Endprodukt hatte mit der Demoversion überhaupt nichts mehr zu tun, da Matias den Song dermassen vollgestopft hat. Allerdings konnte er uns überzeugen, wieso der Song so umgesetzt wurde, andererseits konnten wir ihn auch überzeugen sich von ein paar Dingen zu trennen, die nicht notwendig sind, weil sie den Track nicht besser machen. Wenn etwas den Song nicht verbessert, dass lass es weg. Der Laie, der Konsument und der Musikfan, der wird dies zu schätzen wissen.

Die Leute, die sich heute Songs anhören, wollen nicht zuerst Musik studieren um die Komposition verstehen zu können. Dennoch bin ich absolut happy und der Meinung, dass wir einen totalen Killer produziert haben. Matias hat mich produziert. So konnte ich mehr unterschiedliche Dinge spielen und ausprobieren, als auf den vorhergehenden Stratovarius-Veröffentlichungen zu hören sind. Auf der «Polaris» musste ich zuerst sehen, dass ich alles auf die Reihe bekomme, da ich zwei Jahre nicht Schlagzeug gespielt habe. Hartes Arbeiten führten mich dann wieder dazu, diesen Level spielen zu können, damit ich das alte Material wieder vernünftig umsetzen konnte. Jetzt liegen eine Welttournee und diverse Festivals hinter uns, somit ist dies eine ganz andere Nummer und ich betrat bedeutend fitter das Studio. Matias hat mich Parts spielen lassen, die hätte es früher unter Timo Tolkki nicht gegeben. Das ist jetzt nicht böse gemeint, aber der hätte das einfach nur Scheisse gefunden. Da es nicht seinen Geschmack trifft, oder zu seinen Songs gepasst hätte. Jetzt ist alles ein bisschen vertrackter, auch vom Rhythmus her. Zudem möchte Matias eine stärkere Bassdrum-Note haben. Auf das Endresultat bin ich wahnsinnig Stolz. Das ist mir in den letzten Jahren nicht mehr so oft passiert, da ich ein bisschen abgestumpft bin. Wir haben damals Stratovarius nicht immer neu erfunden. Ich überlegte mir, ob ich dir im Vorfeld zu diesem Interview schon ein paar Files zuschicken soll, aber da musste ich uns beide ein bisschen schützen. Du kennst ja das Problem mit dem illegalen Runterladen und da mussten wir beim letzten Album die Erfahrungen machen, dass plötzlich zwei Monate vor dem eigentlichen Veröffentlichungsdatum die Scheibe schon im Umlauf war. Darum bekommen jetzt nur die Journalisten vorab eine Watermark-CD, die auch ein Interview mit uns führen. Das wird bei den Schreiberlingen nicht gut ankommen, das weiss ich, aber die Zeiten haben sich da einfach total geändert...

MF: ...einerseits das und andererseits sind auch gewisse Journis selber schuld, dass es soweit gekommen ist. Das muss man fairerweise auch mal sagen...

JM: ...das ist schön, dass du das so siehst! Es ist auch so, dass dies in der Regel keine Leute sind, welche die Szene seit Jahrzehnten unterstützen und selber auch Fans geblieben sind, sondern eher kleine Medien und jüngere Menschen. Keine Ahnung, was sie mit solchen Aktionen zerstören wollen. Weisst du, was passieren wird? Dass die Kunst irgendeinmal nichts mehr wert ist. Die ganzen Leute, die wie ich 20, 30, oder sogar 40 Jahre Schlagzeug gespielt haben, sind dann nicht mehr in der Lage eine gewisse Qualität in die Songs reinzubringen und haben keine Überlebensmöglichkeit mehr. Für mich war dies ein Fulltime-Job für viele, viele Jahre. So konnte ich mich entwickeln. Muss heute ein Trommler zuerst acht Stunden arbeiten, bevor er seinem Hobby frönen kann, wie soll die Musik dann in 20 Jahren klingen? Verstehst du, was ich meine? Man tut sich so keinen Gefallen. Hast du vor einiger Zeit 15 Millionen Platten verkauft, dann sind es heute noch fünf. - So Scheisse ist dies nun auch wieder nicht (lacht)! - Es geht hier schon eher um das Mittelfeld, das früher immer sehr innovativ war. Daraus ist die heutige moderne Szene entstanden. Metallica und all die anderen Combos sind über den Indie-Markt gekommen und nicht über irgendwelche Major. So etwas hat heute keine Chance mehr. Ich will hier nicht das Business revolutionieren. Das werde ich nicht mehr schaffen. In fünf Jahren wird es eh keine CDs mehr geben und es wird sich alles nur noch im Internet abspielen. Deswegen muss man auch umdenken...

MF: ...zerstöre meine Illusion nicht...

JM: ...dann schnapp dir morgen die Schweizer Charts und du wirst feststellen, dass viele Mucker, die sich da rumtummeln schon fast tot sind. Vor zwei Wochen habe ich das selber getestet und was sehe ich? Eric Clapton, Roger Waters... Fast 50 Prozent bestand aus Musik von Künstlern, die ein gewisses Alter haben. Daran siehst du, dass unsere Generation noch CDs kauft. Man will das Teil zu Hause haben, es in den Player schieben und dann das Booklet durchlesen. Die jüngeren Hörer laden sich das Album runter, zwei bis drei Songs werden als gut befunden und der Rest wird weggeschmissen. Ist ja egal, war ja alles umsonst. Wenn man es nicht ehren muss, ist es auch nichts wert. Na ja, so geht’s weiter!

MF: Mit «Darkest Hour» erscheint eine Vorabsingle. Welche dunkle Stunde wird da beschrieben?

JM: Die Message ist nicht so neu. Der Text beschreibt, dass es im Leben dunkle Stunden gibt. Tiefen, durch die man gehen muss, um am Ende das Licht zu sehen. Zu fühlen, dass es einem wieder besser geht, man gestärkt aus einer Situation tritt und man nicht alleine ist. Persönlich kritisierte ich diesen Titel etwas, weil ich der Meinung war, dass er nicht unbedingt die richtige Message wiedergibt. Aber Timo Kotipelto, der den Text geschrieben hat, sieht dies nun mal so und zusammen mit dem Cover bin ich der Meinung, dass es schlussendlich ein stimmiges Teil geworden ist. Zu Beginn habe ich es auch nicht verstanden und praktisch die gleiche Frage gestellt wie du. Wollen wir die dunkle Seite der Welt oder den Absturz von Mutter Erde beschreiben? Aber, es ist ganz einfach, du musst durch die stürmischen Zeiten gehen, um am Ende wieder Freude zu erlangen.

MF: Wird damit auch ein bisschen die letzte Zeit mit Timo Tolkki beschrieben?

JM: NEIN!!! NEIN, überhaupt nicht! Das kann man überhaupt nicht damit vergleichen! Zum Thema Timo Tolkki ist von unserer Seite aus alles gesagt, und ich bin der Meinung, dass man das dem neuen Album total anhört. Bei «Polaris» war dies noch nicht ganz der Fall. Da schwebte sein riesiger Schatten noch über uns. Das sollte und durfte aber auch so sein, weil er einfach ein starker Musiker und Komponist ist. Er hatte viel Anteil an Stratovarius. Das wissen alle. «Darkest Hour» hat überhaupt nichts mit ihm zu tun. Wir kriegen ab und zu mit, dass es ihn noch gibt, haben ihn aber schon lange nicht mehr gesehen. Nach all den Gerüchten, die es um Timo gibt, wünsche ich ihm wirklich, dass er wieder mit tollen Musikern und einer tollen Band den Anschluss schafft. Das wäre mir am allerliebsten. Wir von Stratovarius sagen zu dieser Geschichte nichts mehr. Ist auch nicht mehr das grosse Thema, wie bei der letzten Platte. Ich erinnere mich, dass wir uns in Helsinki zu einer Fotosession für «Polaris» getroffen haben. Zwischen Jens und mir wurde dies im Verlauf des Tages immer ein Thema. Aus dem einfachen Grund, weil alles was damals passiert ist so unfassbar für uns war. Darüber sind wir hinweg, weil wir uns viel mehr auf uns selber konzentrierten und wussten, dass es für uns tatsächlich eine Lebensberechtigung gibt. Das war bei «Polaris», so gut wie wir das Werk auch fanden, noch ziemlich unsicher. Wir sind auch nur Menschen und wollen keine Roboter sein. Für Mister Tolkki wünsche ich mir, dass er seinen Frieden findet.

MF: War «Polaris» für euch ein bisschen ein Neuanfang?

JM: Nicht nur ein bisschen! Der Bandleader verlässt uns und will die Truppe eigentlich auflösen. Ist ja auch sein gutes Recht. Da standen wir nun und fragten uns: «Was machen wir jetzt?» Sehr schnell sagten wir uns, Timo Kotipelto, Jens Johansson und ich, wir machen auf jeden Fall weiter. Über ein halbes Jahr war dies ein harter Kampf mit kontroversen Diskussionen, die immer sachlich geführt wurden. Trotzdem war ich völlig dagegen mit dem Namen Stratovarius weiter zu musizieren. Am Ende war dies eine falsche Entscheidung oder Einschätzung von mir, da wir die Idee und den Geist von Stratovarius immer weitertransportierten. Wenn sich jemand von der Combo abwendet, dann muss ich nicht sagen: «Okay, ich mache das gleiche». Die Truppe war immer unser zu Hause, das wir zusammen für über zehn Jahre teilten. Wir schrieben super Alben und absolvierten ebensolche Tourneen. Nachdem ich mir überlegte, welches Potenzial noch immer in der Band steckt… Da mit Timo ein Sänger, der immer an den Texten der grossen Hits mitgeschrieben hat, und mit Jens der beste Keyboarder in der ganzen Rockszene dabei sind, habe ich mich irgendwann nicht mehr dagegen gewehrt. Das hat auch einen ökonomischen Background, das will ich überhaupt nicht verleugnen.

Als wir zu einem einem Promoter gingen und sagten, dass hier Stratovarius mit einem neuen Gitarristen auftreten, hatte dies ein ganz anderes Gewicht, als wenn wir gesagt hätten, das sind die Leute von Stratovarius, die heissen nun aber «Eins-Zwei-Drei». Als wir mit den News, dass wir unter dem Banner Stratovarius weitermachen würden, ans Tageslicht traten, kamen von 100 Rückmeldungen vielleicht eineinhalb schlechte Feedbacks zurück. Das sind dann eh die Leute, welche auf Blabbermouth irgendeinen Scheiss schreiben, wahrscheinlich eine schlechte Kindheit gehabt haben und sich dann hinter einem Namen verstecken müssen. Das ist alles sehr grenzwertig was da teilweise passiert. Für uns war dies ein kompletter Neuanfang und wir mussten wieder richtig zusammenfinden. Das war bei «Elysium» wesentlich einfacher, da wir vorher sehr lange zusammen auf Tour waren. Wir haben noch viele tolle Songs aus der kreativen Phase von «Elysium» in der Hinterhand, um ein zweites Album zu füllen. Wenn ich mich nicht irre, wird die neue Scheibe über 60 Minuten dauern. Persönlich bin ich kein Freund von so langen Alben, da ich noch immer der Meinung bin, dass Megadeths «Peace Sells» mit 32 Minuten eines der besten Werke ist, die es gibt. Aber ich sehe jetzt bei uns auch keinen Track, den wir von «Elysium» runterschmeissen sollten. Die haben alle ihre Berechtigung.

MF: Werden die nicht verwendeten Songs später das Licht der Welt erblicken?

JM: Es ist nicht mehr so wie früher mit dem Vinyl. Heute fängt schon alles damit an, dass Japan einen Bonustrack will. Die kriegen ihren Bonussong, den haben sie sich verdient und zahlen auch dafür. In der heutigen Zeit muss man das Ganze für die Leute interessant halten, die sich für die Band interessieren. Sie sollen anstelle des Downloadens die CD kaufen. Denen muss man einen zusätzlichen Anreiz bieten. Schon damals bei «Intermission» und den beiden «Elements»-Scheiben legten wir der Erstauflage eine zweite CD bei. Mit Bonusmaterial und Demotracks. Es gibt jetzt noch eine Menge Songs im Rückraum, wie auch Livematerial von der letzten Tour, die herumliegen und nur noch gemischt werden müssen. Wir wollen «Elysium» als Jewel-Case und als limitierte Version veröffentlichen. Wie die Limitierte aussehen wird, kann ich dir noch nicht sagen. Da könnten aber zwei Lieder zum Zuge kommen, die ich als sehr stark einstufe und nicht verstanden habe, wieso sie nicht auf «Elysium» erschienen sind. Mit dem Material, das wir in der Hinterhand haben, können wir ein hochwertiges Paket zusammenstellen.

MF: Ihr habt «Polaris» nochmals mit einer Live-CD veröffentlicht und die «Infinite» mit einer Bonus-CD. Was waren die Beweggründe dazu?

JM: Bei «Infinite» ist es ganz einfach. Die Platte wurde nach zehn Jahren bei Nuclear Blast wieder frei, so konnten wir sie bei unserem jetzigen Label Edel neu lizensieren. Die waren der Meinung, dass es da einen neuen Anreiz braucht, um die Scheibe nochmals vernünftig bewerben zu können. In dieser freien Marktwirtschaft wird keiner dazu gezwungen was zu kaufen. Allerdings hätte ich es auch doof gefunden, einfach nur die CD nochmals in die Läden zu stellen. Das hat keinen Reiz, auch nicht für die Leute, welche das Album schon haben. Wieso sollte ich mir davon einen Re-Release kaufen? Schlimmer sind da nur die Remastered-Geschichten. Die Led Zeppelin Remastered wurden bestimmt schon acht Mal veröffentlicht. Das wollten wir nicht, ebenso wenig wie die Kunst von Tolkki zerstören. Der hat das damals so produziert, das war sein Ding und ist heute noch genau so. Das tasten wir auch nicht an. Packen wir da noch eine Live-CD dazu, hat das für Sammler was und auch für neue Fans. Und hat die gleiche Wertigkeit, es kostet ja nicht doppelt so viel. Bei «Polaris» ist das genau das Gleiche. Du darfst das nicht mit früher vergleichen. Keine Ahnung was andere Truppen heute noch verkaufen. In andern Sparten der Musik ging es ganz übel mit den Verkaufszahlen in den Keller. Da können wir in der Heavy-Metal-Szene noch froh sein, dass es noch so viele Die-Hard-Fans gibt, welche die Szene am Leben erhalten. Heute musst du dir etwas einfallen lassen. Wenn du eine Platte veröffentlichst, wie das damals Karl Walterbach von Modern Music tat, der nicht einmal das ganze Booklet übernahm, sondern nur das Cover reingeschoben hat und fertig war der Re-Release... Dann kannst du es auch downloaden.

MF: Werden noch anderen Alben folgen?

JM: Jaaa (lachend). Schau mal, «Infinite» wurde im Jahre 2000 veröffentlicht und 2010 wiederveröffentlicht. «Intermission» kam 2001... Ein Schelm, der da was Böses denkt (lacht)! Das Album wird frei, ebenso wie auch «Elements» aus dem Jahre 2003. Hätte uns da nicht ein gewisser Herr Tolkki in die Suppe gespuckt weil er denkt er könne die Welt regieren, dann wär’ das ganze Material von Modern Music/Sanctuary an Weihnachten 2009 an uns zurückgegangen. Die wollten sich aus dem Vertrag rauskaufen. Tolkki hat damals öffentlich gemacht, dass wir keine Band mehr sind. Diese Alben bekommen wir somit erst 2015 wieder. Wenn wir bis dann noch am Start sind, was ich nicht bezweifle, planen wir jetzt schon mit ganz vielen Live-Aufnahmen schöne Pakete zu gestalten, die wir dann vielleicht nur über unsere Homepage oder über Edel verkaufen. Viele Platten gibt es von uns gar nicht mehr zu kaufen, das finde ich schon schade.

MF: Kommen wir doch zum Schluss. Was wird die Zukunft für euch bringen?

JM: Ich bin felsenfest überzeugt, dass «Elysium» einschlagen wird, wie eine Granate. Martin, du kennst mich jetzt seit vielen, vielen Jahren. Logisch, ich erzähle nicht, dass das neue Album Scheisse ist. Aber du hast von mir immer eine ehrliche Meinung vernommen. Schon damals bei «Visions» wusste ich, dass wir ein sehr gutes Album am Start haben. Ebenso bei «Infinite». «Elements» fand ich persönlich auch klasse, wusste aber auch, dass wir mit den ganzen Orchester-Sachen zu überladen sind. Ich bin mir ziemlich sicher, dass «Elysium» Aufsehen erregen wird. Das würde uns erstmals mit Stolz erfüllen, dass wir gezeigt haben, dass wir super Lieder schreiben können. Was uns die Zukunft bringt, so wie sich die Szene momentan darstellt, ist unheimlich schwer vorauszusagen. Wahrscheinlich wird alles etwas zusammenbrechen. Was wir dann für uns rausnehmen können, da wage ich momentan keine Prognose abzugeben. Stratovarius ist eine hart arbeitende Band. Wir haben sehr gute Musiker in der Truppe, liefern gute Qualität ab und das setzt sich normalerweise immer durch. Zudem sehe ich nicht so viele Newcomer. Speziell für die ist es momentan sehr schwierig überhaupt etwas an den Start zu bringen.

Die Welt kauft nur Material von gesetzten Combos, wie auch die Geschäftsleute und das Business nur auf solche Bands setzt. Du hast Iron Maiden, die noch immer als grosse Headliner spielen, aber die sind irgendwann nicht mehr da. Was kommt dann nach? Mit «Elysium» haben wir uns einen grossen Gefallen getan und denke, dass wir viele der alten Fans zurückgewinnen können. Zudem werden wir mit der neuen Scheibe grosse Glaubwürdigkeit wiedererlangen. Da wir uns nicht versuchen zu kopieren, es hat noch immer den Anstrich von Stratovarius, auch wenn es ein bisschen anders klingt. Alle sind frohes Mutes und wir stehen vor unserer langen Tournee zusammen mit Helloween. Die muss man auch erst mal spielen. Vielleicht wissen wir dann mehr? Es ist schwierig geworden. Wenn ich es allgemein nochmals formulieren darf: Viele Bands verkaufen nicht mehr die gleiche Anzahl Platten und kassieren nicht mehr das Geld, um davon leben zu können. Also werden sie Amateure oder Halbprofis. Dann versuchen sie das Ganze durch die Live-Shows wieder rein zu bekommen. Somit ist der ganze Konzertmarkt noch überfüllter, als er es eh schon ist. Das macht die Abgabe einer Prognose nicht einfacher. Ich sehe das nicht düster, aber ich bin froh, so lange wir dies noch professionell betreiben können. Mit «Elysium» haben wir einen richtig guten Schlüssel dazu.

MF: Zusammen mit der Tour und Helloween wird das sicherlich auch eine gute Geschichte für die Fans...

JM: ...ich glaube, das haben die Kürbisse auch auf der letzten Konzertreise zusammen mit Gamma Ray gesehen, dass zusammen mit einem attraktiven Akt auf Tour zu gehen, eine gute und durchaus sehr erfolgreiche Angelegenheit ist. Aber auch über unsere «Polaris»-Tour kann ich nicht meckern. Auch wenn es nicht an allen Orten so gut lief. Das waren wir uns so von früher nicht gewohnt. So toll es war, etwas «Starkes» hat uns gefehlt. Die Vorbands waren zu unbekannt, als sie uns hätten helfen können zusätzliche Leute zu ziehen.

MF: Anstelle von zwei mittelmässigen Vorgruppen und einem Hauptakt, den ich mir ansehen will, bekomme ich bei euch zwei starke Truppen, bei denen ich mir nicht überlegen muss, wann ich die Konzerthalle betreten will und muss mich durch zwei Combos quälen. Helloween zusammen mit Stratovarius, da bekommt der Fan was fürs Geld und ich bin überzeugt, dass dies auch honoriert wird.

JM: Tja, dein Wort in Gottes Ohr! Ich sehe es genau so und ganz so blöd sind wir beide ja auch nicht.

MF: Herzlichen Dank für das Interview...

JM: ...ich sage erstmals Danke für den jahrelangen Support und dir einen schönen Abend. Wir sehen uns auf Tour.