Interview: Venom Inc.

By Tinu
 
Kein Aufruf zum Mord.


Es gibt Interviews, da weiss man nicht, mit was man rechnen soll. Speziell, wenn man zum ersten Mal Mantas, ein Urmitglied von Venom, vor dem Aufnahmegerät hat. Ein Musiker, der mich früher allein durch sein Auftreten verängstigte und ich mir nicht sicher war, wenn ich den Backstageraum betrete, er gleich den Tisch zu Holzspänen verarbeiten würde. Doch weit gefehlt. Jeff "Mantas" Dunn war ein sehr zuvorkommender, lustiger und unkomplizierter, sogar sehr ehrlicher Interviewpartner. Dies begann schon damit, dass mir sein Bassist, Tony "Demolition Man" Dolan, am frühen Morgen per WhatsApp Nachrichten vom Frühstück schickte und sich auf das bevorstehende Gespräch freute.

Nach dem eher "lauten" Split, aus dem Venom mit Ur-Bassist Cronos und Venom Inc. mit Mantas entstanden, sollte so einiges geklärt werden, aber das Gespräch nahm eine Wendung, bei der sich der Gitarrist von einer sehr menschlichen Seite zeigte.

MF: Jeff, ist «Avé», euer Debütalbum von Venom Inc., das beste Album, das du jemals veröffentlicht hast?

Jeff: Oh, besten dank (lacht). Gute Frage. Es war eine stressvolle Arbeit. Aus dem einfachen Grund, weil alle Augen auf mich gerichtet waren nach meiner Venom-Zeit. Es verging einige Zeit, seit ich meine letzten Tracks für ein Venom-Werk schrieb. Logisch lag noch immer der Ruf des «Black Metal»-Albums auf meinen Schultern. In welche Dimension würde ich vorstossen mit den neuen, eigenen Liedern? Bei den ersten Venom-Scheiben schrieb ich den Grossteil der Musik. Man liebte oder hasste Venom, etwas dazwischen gab es nicht. Ich schickte Tony einige Songs. Am Schluss waren es 25 Lieder, die ich für «Avé» schrieb. Ich war mir nicht sicher, in welche Richtung das Material gehen sollte und Tony meinte nur: "Mach was du willst und was du kannst!" Es ist Mantas, der das frühere Zeugs schrieb und dazu darfst du auch stehen. Eine Sache die half «Avé» zu schreiben, war, dass wir Abend für Abend auf Tour waren und uns durch das Spielen des alten Materials in einen Groove brachten, der uns den Weg ebnete. Die Musik der frühen Tage von Venom besass diesen naiven Charme. Es gab ein Buch, in welchem sich eine Flexi-Disc befand und ich so den ersten Akkord auf der Gitarre lernte.

Ich hatte keine Ahnung vom Gitarrenspielen und alles war sehr dilettantisch. So lernte ich meine ersten Power-Chords. Mein erster Song war «Red Light Fever» den ich schrieb. Darauf folgte «Angel Dust». Analysiert man diese Tracks, bestehen die aus Blues- und Rock-Riffs. Das war alles, was ich kannte. Wir spielten alles einfach schneller und härter. Ich machte was ich konnte, und wenn es gut klang, liessen wir es. Alles was ich aufnahm, kam auf den Kassettenrekorder meines Vaters (grinst). Klar habe ich mich betreffend des Songschreibens und der Arrangements weiter entwickelt. Ich denke, bei «Avé» haben wir einiges der intensiven Art der alten Venom einfliessen lassen, haben diese aber weiter entwickelt. Ich wollte dabei aber nie "heavy" sein. Bei «Avé» habe ich immer auf Hooklines und die Chöre geschaut, ähnlich wie bei den ersten Venom-Alben. Kürzlich haben wir auf dem "Hellfest" gespielt, und wir konnten uns selber nicht mehr auf der Bühne hören, als wir «Countess Bathory» spielten, da die Audience dermassen laut mitsang. Beim "Keep It True"-Festival, damals noch zusammen mit Abaddon (ehemaliges Ur-Mitglied von Venom), hatten wir eine ähnliche Resonanz. Das wollte ich mit den neuen Tracks von «Avé» auch erreichen. Hooklines und Chöre zu erschaffen, wie es Judas Priest taten, die den Leuten im Kopf bleiben und sie alle mitsingen oder mitschreien wollen. Dabei spielt die Härte eine untergeordnete Rolle, auch wenn «Painkiller» ein absoluter Hit ist. Aber da gibt es Priest-Songs, die mir besser gefallen, wie «Living After Midnight», die mehr aus dem Rock'n'Roll beeinflusst sind. Das ist die Marke eines grossartigen Liedes für mich. Die Fans bestimmen, was ein guter Song ist.

MF: Wie wichtig ist ein Image für dich? Speziell da Venom in der Frühphase viel mit ihrem Image kokettierten.

Jeff: Es war ein grosser Schock damals für die Leute. Das wurde bei uns aber nie am Reissbrett entworfen, sondern ergab sich so. Wir wollten etwas Lebendiges sein, wie KISS. Einfacher, schneller, dreckiger und lauter (grinst). Das Image hatte vieles mit unserem Erfolg zu tun. Ich erinnere mich, wie ich mit einem Fan nach der Hammersmith Odeon Show unterhielt. Das war 1984. Es war dieses man liebt oder hasst uns Ding. Er sagte, dass er die verdammte Musik hasst, aber das Image und die Show fände er fantastisch. Es war aber ein klein wenig schade, dass das Image die Musik verdrängte und mehr im Mittelpunkt stand. Klar, wir waren weder die "tighteste" Band, noch die besten Musiker. Aber das half uns auch so zu sein, wie wir waren. Viele junge Truppen hatten damals nicht die Gelegenheit, sich zu präsentieren. Wir konnten es und erzielten Aufsehen. Was immer es bei Venom war, aber wir waren zur rechten Zeit am richtigen Ort. Die Welt war bereit für etwas anderes, Spezielles. Und die Sterne am Himmel wussten, dass es keine andere Combo als Venom sein konnte.

Die Geschichte mit dem Pentagramm war uns auf dem Leib geschrieben. Es war aber kein neues Zeichen, doch für uns war es ein Markenzeichen, das zu uns passte. Das Gleiche mit dem Kruzifix. Wir hatten es umgekehrt und plötzlich drehten alle die Kreuze um. Ja, das Image trug Seines dazu bei, dass wir diesen Erfolg hatten. Auch wenn wir die Musik in den Mittelpunkt stellen wollten, es war das Drumherum, das uns aus den vielen Bands hervor hob. Wir haben alles von unseren Lieblingsbands nur noch eine Spur ausgeweitet und aggressiver präsentiert. Wir haben schneller und härter gespielt. Das Corpsepainting stammte aus dem Jahr 1979. Es war ein theatralisches Make-up (lacht). Dieses "White Wash", wie wir es in England nannten, dazu hatten wir kein Geld (lacht), aber es wird uns heute angedichtet. Wir wollten kein Follower von irgendjemand sein, sondern der Leader. Das Face-Make-up..., das hatten doch schon Alice Cooper und KISS. Wir wollten nichts kopieren, sondern was Neues kreieren.

MF: Ihr habt die komplette Black Metal Szene beeinflusst. Was denkst du dabei, wenn du weisst, dass einige Musiker aus diesem Bereich Mörder sind und Kirchen angezündet haben?

Jeff: Das ist doch völlig verrückt und hat mit der Musik überhaupt nichts zu tun! Das war NIE unsere Intension. Klar besassen Venom einen sehr bösen Humor. «Poison» oder «Teacher's Pet» hatten auch einen sexuellen Hintergrund. Trotzdem wollten wir nie jemanden dazu anstiften, Kirchen anzuzünden oder andere Menschen umzubringen. Wie damals die Geschichte mit Judas Priest, als sie angeklagt wurden wegen des Selbstmordes eines Fans. Komm schon, was soll das?! Da läuft irgendwas bei jemandem aber sehr schief in seinem Leben. Es war vor einiger Zeit, als in einer Strasse ein Typ in voller Militärmontur die Leute mit seinem Maschinengewehr förmlich abknallte, den Rambo-Film in seinen Gedanken. In der Presse war dann natürlich zu lesen, dass er durch den Film beeinflusst worden sei. Ich sah diesen Movie unzählige Male, und sie haben nun eine neue Version gedreht. Ich meine, ja es sind intensive Kämpfe zu sehen, aber Millionen von Leuten haben diesen Film angeschaut und gehen deswegen nicht auf die Strasse und schlachten andere Menschen ab. Es ist doch verrückt, solche Taten zu begehen und deswegen der Musik die Schuld zu geben. Was hätte dann 1973 passieren sollen, als "Der Exorzist" im Kino zu sehen war? Da wird eine Geschichte von sehr kreativen Personen erzählt, die vielleicht eine verdrehte, morbide Vorstellung preis geben. In allen Texten, die ich für Venom schrieb, gab es keine überlieferte Message. Geh raus und tu dies oder das. NIE! Lyrics sollten Geschichtenerzählungen sein. Als ich «Seven Gates Of Hell» schrieb, war dies eine Hommage an Ronnie James Dio. Ich sah in meinen Gedanken Ronnie diesen Song singen. Es sollte nicht die Aussage haben, tue dies, oder tue das! Ich wurde bei einem Interview gefragt, was ich mit dem Titel «Kill It» meine. Ganz einfach, nimm den Menschen die technologischen Mittel weg und sperr die Person in einen Käfig ein, die soeben den Tiger töten wollte. Auge in Auge, nackt wie der Tiger. Was denkst du, wer wird gewinnen? (lacht). «Game over»! Da wirst du zu einem verdammten Raubkatzenessen.

MF: Was war für dich früher wichtig, und was ist es heute?

Jeff: Was ist wichtig? Seit letztem Jahr..., ich hatte diesen schweren Herzinfarkt und war klinisch tot. Über fünf Minuten war ich weg. Sie haben Adrenalin in mein Herz gepumpt, und meine Ehefrau sah, wie ich starb. Danach war ich für zwei Wochen auf der Intensivstation. Sie operierten mich und ich erhielt einen doppelten Bypass (Jeff zeigte mir seine Narben). Zehn Wochen später stand ich schon wieder auf der Bühne. Jeden Abend, wenn ich mich im Spiegel ansehe, sehe ich diese Narben und es erinnert mich an einen sehr kritischen Moment. Was war davor für mich wichtig? All die materiellen Dinge..., vergiss den Scheiss. "TRUST ME!" Es gibt keinen Gott und keinen Teufel in diesem Moment. Was heute für mich wichtig ist, sind all die Leute die ich liebe, meine Familie. Dabei versuche ich die beste Person zu sein, wie es möglich ist. Ich denke heute mehr darüber nach, wieso ich noch immer hier bin? Warum? Wieso wurde es mir ermöglicht, noch immer da zu sein, und meine Zeit noch nicht am Ablaufen war? Ich habe aufgehört zu rauchen und Alkohol zu trinken. Da ist aber noch immer diese Frage in meinem Kopf: "Why I am still here!? Soll ich noch immer Musik machen?" Wichtig ist: FÜR DEN MOMENT ZU LEBEN! Du weisst es nie, und ich weiss es nicht, wann es vorbei sein wird. Es war ein verdammt schrecklicher Moment, den ich nie mehr mitmachen will. Was ist wichtig? Familie, Gesundheit und Heavy Metal Musik (lautes Lachen).

MF: Herzlichen Dank für dieses interessante Gespräch. Ich wünsche dir alles Gute, speziell beste Gesundheit für deine Zukunft.

Jeff: Ich danke dir von ganzem Herzen, auch dafür, dass du so geduldig warst, bis das Interview starten konnte. Danke für deine Fragen, es hat sehr viel Spass gemacht. Auch dir alles, alles Gute!