Szene! Rock Meets Classic 2016
05.04.2016 by Tinu


Mat Sinner ist ein umtriebiger Musiker. Einer, der sich neben Primal Fear, Sinner, Voodoo Circle auch mit dem Grossunternehmen «Rock Meets Classic» einen sehr guten Namen erschaffen hat. Sind es nicht diese Bands, mit denen der Deutsche unterwegs ist, dann steht er als Produzent oder Inhaber von "Level 10" im Mittelpunkt. Erzählen andere, dass sie für und von der Musik leben, so ist das bei Mat der absolute Lebensinhalt.

Aber einer, der viel abverlangt und sich selber auch an Grenzen führt. Für die kommende «Rock Meets Classic»-Tour stehen neben den Black Star Riders (Thin Lizzy)-Members Scott Gorham und Ricky Warwick, Midge Ure (Ultravox), Dan McCafferty (Nazareth), Andy Scott und Pete Lincoln (The Sweet), Steve Walsh (Kansas), Joey Tempest (Europe) und auch als Special Guest Doro Pesch mit der Mat Sinner Band und dem Prager Symphonieorchester auf der Bühne. Was es alles braucht, bis das Orchester und die Band mit bekannten Sängern auf die Bühne geht und welchen Tribut das Ganze fordert, erklärte der singende Bassist im folgenden Interview.

MF: Wie probt ihr für die bevorstehenden «Rock Meets Classic»-Konzerte?


Mat: Das ist ein langer Prozess. Bis Mitte November versuche ich die Setliste zu finalisieren. Dann steht ein Meeting mit unserem «inner circle» des Teams an. Dabei werden die Arrangements ausgearbeitet und die Show konzipiert. Darauf wird alles in Noten erstellt, für die einzelnen Musiker. Mit diesem Notenwerk reisen wir nach Prag, um dort drei Tage lang mit dem Orchester zu proben und die Tonarten, die Zusammensetzung des Orchesters und die Arrangements zu überprüfen. Daraus entstehen Verbesserungs-vorschläge, es wird korrigiert und die finalen Vorbereitungen getroffen. Darauf probt nur die Band vier Tage lang, dann zwei Tage die Band zusammen mit dem Orchester und am Schluss kommen für zwei Tage die Solokünstler (Sänger) und proben mit dem kompletten Ensemble. Dann fahren wir zur ersten Show, spielen eine Showprobe am Nachmittag und abends steht das erste Konzert auf dem Plan (grinst). Kompliziert?

MF: Es klappt ja immer und dies sehr gut!

Mat: Mittlerweile spielen wir die achte Tour. Wir haben eine harte Lernphase hinter uns, wissen aber nun was wie funktioniert. Auch wenn jede Tour eine neue Herausforderung ist, da jeweils zu 90% neue Künstler auf der Bühne stehen. Die kennen das noch gar nicht und haben ihre eigenen Vorstellungen und Ideen. Aber die lassen sich dann auch von uns überzeugen.

MF: Du hast den Lernprozess angesprochen, was hast du dabei alles gelernt?

Mat: Du musst auf jeden Fall die klassischen Musiker mit ihrer Art und Weise Musik zu spielen, mit der anderen Spielart der Rock'n'Roller so verbinden, dass beide Parteien Spass haben. Das musst du lernen (grinst). Du kannst nicht irgendwelche Leute auf die Bühne stellen und davon ausgehen, dass es funktioniert. Alle Beteiligten müssen lernen, wie so etwas zusammenpasst und es über einen gewissen Zeitraum entwickeln lassen. Da immer wieder neue Leute dabei sind, auch im Orchester… Menschen verändern sich. Wir hatten nie die Chance zweimal die gleiche Orchesterbesetzung zu haben. Da sind Lehrer und Studenten dabei, welche die besten Anstellungen in den grössten Orchestern der Welt bekommen. Die sind dann weg! So hat man immer die neue Herausforderung, die neuen Leute schnellstmöglich zu integrieren. Das ist nicht einfach. Aber hey… Das ist «Rock Meets Classic»!

MF: Hat dich dies überrascht, dass Musiker nicht gleich Musiker heisst?

Mat: Gehst du sehr unvoreingenommen an die Sache ran, lernst dabei selber, dann überrascht dich nichts. Du musst nur darauf vorbereitet sein, dass es etwas Neues ist. Das ist ja nicht so, wie wenn sich vier Typen im Jugendraum treffen und Rock'n'Roll spielen (lacht). Da sind ganz andere Dinge zu beachten, wie Tonarten, Lautstärke, das Zusammenspiel, Timing und das Einzählen. Das Orchester ist eine andere musikalische Welt, und die muss man akzeptieren. Davon lernen und das Ganze zusammenführen. Dann, macht's richtig Spass!

MF: Stellst du die jeweiligen Songs der Sänger selber zusammen oder mit den jeweiligen Künstlern?

Mat: Natürlich muss man die Sänger fragen. Das sind Stars und man kann einem Star nicht mit einem festen Konzept überrumpeln, das geht nicht. Man muss sich ganz klar kollegial besprechen. Ich habe Ideen und manchmal werden die zu 100% umgesetzt. Bis jetzt hatte ich höchstens einmal mit einem Künstler eine Diskussion. Ich hätte den Track gerne gespielt, aber der Sänger war der Meinung, dass er den aus den und den Gründen nicht singen kann. Dann wird ein Kompromiss gefunden. Das gibts, aber wir sind uns in den meisten Fällen einig.

MF: Wie ist damals bei dir die Idee mit «Rock Meets Classic» entstanden?

Mat: «Rock Meets Classic» bestand schon in einer abgeänderten Version. Von der Agentur, mit der ich nun auch zusammenarbeite. Das Problem war, dass der Chef der Agentur kein Musiker ist. Er kann zwar organisieren, aber ihm fehlte der musikalische Gegenpart. Wir trafen uns, haben über das Konzept gesprochen und ich fand die Idee spannend. Wir versuchten die Idee auszuarbeiten, was sich sehr schnell gut entwickelte. Die Idee «Rock Meets Classic» ist so alt, wie die Rockmusik selber, das muss keiner erfinden. Der Unterschied ist unser Konzept, dass wir versuchen möglichst attraktive Classic Rocksänger oder Instrumentalisten in einen Event zu packen und den Leuten drei Stunden lange eine tolle Zeit geben. Das ist unser Konzept, unser Anspruch und unser eigene Abänderung des Begriffs «Rock Meets Classic». Dabei legten wir immer Wert darauf, dass das Orchester die Musik, die wir spielen, auch kapiert und nicht bloss von Noten abspielt. Das ist wichtig!

MF: Wie gross war für dich oder euch das finanzielle Risiko, mit so vielen Musiker auf Tour zu gehen?

Mat: Das war nur am Anfang ein Risiko, bis die Veranstaltung etabliert war. Da spreche ich von den ersten drei Jahren. Danach bekam das Ganze eine gesunde Fanbase und das Interesse der Veranstalter wurde immer grösser. So wars einfacher zu kalkulieren.

MF: Wie kam es zu den Openair-Shows in Wacken und auf dem "Rock Of Ages"?

Mat: Da wurde schon ewig lang darüber diskutiert. Ich wollte es aber nicht machen (grinst), weil das für alle Beteiligten nur der pure Stress ist. Du bekommst eine Umbaupause wie eine fünfköpfige Rockband, hast aber fast 60 Leute auf der Bühne, und jede einzelne Linie und jedes einzelne System muss funktionieren. Da wurde in dieser kurzen Zeit übermenschliches geleistet und… Das ist Ungesund! Dies als permanente Institution auf Festivals zu bringen, kann man nicht umsetzen, da macht man sich nur kaputt! Wir haben für 2016 viele Angebote auf dem Tisch gehabt und haben alle abgelehnt. Das ist eine zusätzliche Belastung für das ganze System, die nicht einfach nur auf einer Arschbacke aufgebaut ist. Schön, wenn die Veranstalter uns auf ihrem Festival haben, was auch dementsprechend erfolgreich war. Das Feedback für den Wacken-Auftritt war unfassbar gut! ABER! Im Endeffekt machen wir uns da alle kaputt. Der Veranstalter sieht dies nicht ein, welcher Aufwand und welche Kosten sich da ergeben. Mit all den Proben, den Hotelkosten und was sich sonst noch alles anhäuft. Das ist ein Aufwand, der nicht vergleichbar ist, wie wenn eine Band mit ihrer Crew anfährt. Anstelle dieser zwölf Mann-Geschichte sind es bei uns locker mal hundert Leute! Das ist a) ein finanzieller Aufwand und b) für alle Beteiligten ein Ultrastress. Im Sommer hatten wir diese zwei Auftritte, bei dem wir aber fast den gleichen Aufwand haben, als wenn wir einen Monat auf Tour sind (grinst). Das ist für alle Beteiligten heftig und muss auch bezahlt sein.

MF: Viele Musiker sagen, dass sie für die Musik leben, du machst es! Wo holt sich Mat neben «Rock Meets Classic», Primal Fear, Sinner, Voodoo Circle und dem Produzieren anderen Bands die Energie und die Erholung her?

Mat: Ich habe meine Freizeit und meine Inseln. Da kann ich mich zurück ziehen und Kraft sammeln. Das war aber in den letzten Wochen unmöglich. Zum Zeitpunkt als es mit der Primal Fear Promotion los ging, gab es für mich keine Freizeit mehr. Zeitgleich startete die Vorbereitung für «Rock Meets Classic». Da waren die letzten sechs bis acht Wochen ganz schön heftig. Ein Musiker wünscht sich immer genügend Promotion zu haben. Bekommst du einen Interviewplan, der zwei Wochen dauert und dir keine Freizeit zulässt, dann ist dies schon harter Tobak. Jeder, der dich interviewen will, hat Interesse an dir und dem Produkt und dementsprechend musst du kommunikativ nett sein (grinst). Es geht um deine Platte und deine Promo. Wenn du eine Frage zum 800. Mal hörst, musst du sie trotzdem nochmals nett beantworten. Der Typ, der sie gerade stellte, kann nix dafür, dass 800 vor ihm dieselbe Frage schon gestellt haben (grinst). Manchmal ist das schon ganz schön heftig. Ich prügle mich nicht um Interviews.

MF: Wärst du manchmal froh, es wäre alles ein bisschen ruhiger?

Mat: Dafür muss ich selber sorgen! Ich werde gnadenlos Prioritäten setzen müssen, damit ich auch weiterhin kreativ auf diesem Level arbeiten kann, auf dem ich mich wohl fühle. Dann muss ich einfach auch mal "nein" sagen. Kann ich dann etwas nicht machen, auf das ich aber Bock hätte, dann muss ich ehrlich zu mir sein und sagen, dass ich nicht auf allen Hochzeiten tanzen kann. Ich muss Prioritäten setzen, um weiterhin kreativ auf diesem qualitativen Level arbeiten zu können, das ich mir auch vorstelle. Mache ich es allen recht, werde ich es einem nicht recht machen können, und das bin ich selber.

MF: Besten Dank fürs Interview, und ich wünsche dir genügend Zeit für dich!

Mat: Danke dir!