Szene Bericht: Back To The Roots Of the True Roots
14. Dezember 2010
By Joey Roxx
In diesem Bericht werden keine Namen genannt und keine Orts- und Datumsangaben gemacht. Reiner Selbstschutz, weil jeder der Charaktere dieses Rock’n’Roll-Schauspiels mir wohl gepflegt die gestählte Stiefelspitze in den Allerwertesten rammen würde. Ausserdem werden aus Datenschutzgründen auch keine Fotos hier veröffentlicht. Falls sich dennoch jemand hier erkennt (für Dagewesene wird es ziemlich offensichtlich sein) – sorry Leute, aber es musste sein! Nehmt es mit Humor und vergesst nicht – ich bin selbst eines dieser wandelnden Klischees, Teil dessen, was unsere heissgeliebte Szene ausmacht. Wer nun also mehr wissen will von musikalischen Lokalhelden, bösen Mötley Crües und luftlosen Freundinnen, horns up and enjoy the show! ...und viel Spass beim Klischees zählen! (Klischee Nummer 1 ist natürlich, dass ich diese Zeilen am Tag danach mit einem gewaltigen Brummschädel niederschreibe...)

Wird ein schon länger geplantes Konzert kurzfristig abgesagt, braucht man ein Ersatzprogramm, ganz klar. Was eignet sich dazu besser, als die Plattentaufe einer lokalen Thrash Metal-Berühmtheit mit Gästen? Auf geht’s also ins metallische Entwicklungsgebiet. Man fragt sich einmal mehr, wieso die kleinen Rockschuppen immer so dermassen in der Provinz und dort noch in der abgelegensten Pampa liegen müssen. Anyway, der true-e Metaller kämpft sich doch gerne durch Wind und Schnee für ein, zwei Bier und ein bisschen laute, böse Musik. Drinnen ist es dann doch gemütlicher und das Bier schmeckt eben doch besser, wenn man es sich erst verdienen musste. Die Bar füllt sich nach und nach mit den üblichen Gestalten, die man an diesen einschlägigen Anlässen so antrifft: Fans in jedem Alter, ein Shirt böser als das andere. Ausser der Jugendliche, der sich in der ersten Reihe am Thrash-Konzert den Schädel weg-bangt. Der trägt nämlich passenderweise ein Led Zeppelin-Shirt, das er wohl im Schrank vom Vater gefunden hat. Selbsterkorene Metal-Schönheitsköniginnen, die stolz ihren Bierbauch im knappen Top, das ebendiesen mehr als frei lässt, präsentieren, der eine Typ, der schon betrunken durch den Club fällt, bevor das Konzert überhaupt begonnen hat und hinten an der Bar lehnt einsam der zutätowierte Schönling. Rein objektiv und völlig realistisch betrachtet sind natürlich meine Sister in Rock und ich die „sexiest girls in the bar“ (was sonst?), ein Umstand, dem wir es zu verdanken haben, dass es nicht lange dauert und schon schlendert der Punk aus Berlin (er ist natürlich kein Deutscher, sondern Berliner) in unsere Richtung und möchte uns mit einer banalen Frage à la „Wann fährt denn der Bus?“ nur kennenlernen möchte – das ist natürlich keine Anmache, ganz klar. Und weil wir trotz seinen mehrmaligen Beteuerungen seine Absichten nicht für unschuldig halten, drückt er die Rewind-Taste, dreht eine Runde durch den Club und versucht einen zweiten Anlauf, der ihm (aber nur ihm) unverfänglicher erscheint.

Leicht verspätet beginnt dann tatsächlich noch der Grund unserer Anwesenheit – das Konzert. Da die Bühne so klein ist, muss der Drummer unter der Bar durchkriechen, um an seinen angestammten Schiessbudenplatz zu kommen. Die erste Band ist jung, enthusiastisch, voller Energie und überzeugt von ihrer Sache. Und natürlich ultimativ böse und hart. Amtlich und gut gemeint rumpeln sie sich durch ihr Set. Leider aber mit dem Los des Openers – das zaghafte und/weil noch viel zu nüchterne Publikum zieht es noch vor, sich im Barbereich aufzuwärmen und lässt sich weder vom ambitionierten Hochgeschwindigkeits-Geshredde des zukünftigen 6-Saiten-Virtuosen, noch von den Aufforderungen des Frontschreihalses an den Bühnenrand locken. Rhythmusgitarristen haben da bekanntlich nicht viel zu sagen. Deshalb macht dieser hier optisch auf sich aufmerksam. Mit einem knallpinken, plüschigen Etwas am Gitarrengurt. Sehr böse! Sein Haustierchen schenkt er später am Abend dann einem Groupie. Dem steht es besser. Auch der Drummer hat sich Gedanken über sein Outfit gemacht – die Unterhose ist farblich auf das Taschen-Inlay seiner Hose abgestimmt.

Band Nummer zwei ist wie üblich die beste des Abends. Altgediente Herren, die ihre noch nicht ganz verlorene Jugend auf der Bühne wiederbeleben. Authentisch, so hat Thrash Metal schon vor 25 Jahren geklungen. Das Konzept funktioniert immer noch: Man nehme statt der Les Paul oder der Strat eine bösere Gitarre, man nehme statt einem alten Marshall Röhrenamp einen böseren Lärmerzeuger, man singe etwas tiefer und böser und man verwende mehr und bösere Doublebass – dann funktionieren die Mötley Crüe-Songs doch gleich als Thrash Metal. Abgesehen davon haben Bassisten heutzutage eh alle die gleiche Frisur, und selbst diese wurde von Nikki Sixx erfunden.

Mittlerweile ist der berliner (nicht deutsche) Punk zu unserem selbsternannten besten Freund geworden, sein Alkoholpegel ist jetzt aber leider schon so hoch, dass jedes noch so tiefgründige Gespräch seiner nicht mehr ganz verständlichen Artikulation zum Opfer fällt. Besagter Alkoholpegel rührt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit daher, dass ein anderer neuer bester Freund eine Runde Absinth nach der anderen anbietet. Unsereins lehnt dankend ab, sonst glauben unsere neuen besten Freunde noch, wir seien ihnen gegenüber zu etwas verpflichtet.

Als ob der gesamte Abend nicht sowieso schon vor Selbstironie strotzt, beginnen die Klischees jetzt erst richtig! Der Headliner, die lokale Metal-Grösse, deren neuester auf Scheibe gepresster Lärm ja heute getauft werden soll (mit Bier, versteht sich), hat eine ganz beachtliche Fanschar in den Club gezogen, die nun zu ihrer Höchstform aufläuft. Obligatorisch ist die crowdsurfende übergewichtige Sadomaso-Gummipuppe, die man mit einer Bierflasche anal penetriert, die arme. Ebenso kommt man nicht aus ohne den Circlepit, für den eigentlich gar kein Platz ist, oder dem einen Fan, der auf die Bühne stürmt, sich das Mikrofon schnappt und den Song textsicherer als der eigentliche Sänger (dieser hat sich die Texte nämlich ausgedruckt und auf die Monitorboxen geklebt) zum Besten gröhlt. Irgendwann taucht ein herrenloser Schuh auf der Bühne auf. Amtlich schreitet die Band dann auch zur Taufe ihrer neuen Geräuschkulisse für Amokläufe. Die ersten drei Ausgaben werden verlost an diejenigen, die am schnellsten eine Flasche Bier (eine kleine) auf Ex trinken können. Das zierliche kleine nietenbestückte Groupie lässt es sich selbstverständlich nicht nehmen, sich an dem Wettkampf zu beteiligen, aber nicht ohne vorher lauthals bekannt zu geben, sie brauche aber einen Kotzkübel in Reichweite.

Das wilde Treiben geht froh und munter und immer alkoholgeschwängerter weiter, was zur Folge hat, dass irgendwann ein Typ an mir vorbeiläuft, die inzwischen zu Tode vergewaltigte Gummipuppe geschultert, und mir erklärt: „Meiner Freundin ist die Luft ausgegangen!“ Ach ja, und das unvermeidlichte „Hast du mal Feuer?“ vom anfangs erwähnten Schönling ist inzwischen auch bei mir angekommen... Zum krönenden Abschluss gibt es noch ein paar Überraschungs-Showeinlagen. Zum einen bitten die lokalen Thrash-Stars den Sänger / Gitarristen einer etwas mehr als lokal berühmten Thrash-Band als Stargast auf die Bühne, um sie für einen Song zu beehren. Zum anderen gibt die sonst von Haarausfall und Alltagsjob geplagte und deshalb kurzhaarige Band ein Iron Maiden Cover zum Besten, geschmückt mit Perücken, um endlich auch mal lange Haare zu haben.

Damit die Klischees auch wirklich alle bedient sind, lasse ich mir von den Stars des heutigen Abends ihre Setlists unterzeichen. Mit Kajal, selbstverständlich! Währenddessen habe ich noch das Vergnügen, an einer Diskussion bzw. einem Kräftemässen der IQ-Werte zwischen Bassist und Fanclubleiterin zu lauschen (und mich daran zu beteiligen, eh klar!). Schlimm nur, dass der IQ-Wert verhältnismässig zum steigenden Promillewert sinkt. Der Gitarrist der ersten Band beehrt mich auch noch kurz: „Du bist doch Joey, oder? Hier ist die CD von uns, die ich dir schon seit zwei Jahren geben sollte...“

Langsam leert sich die Halle und nur noch die letzten Alkoholleichen fallen durch das verschüttete Bier und die Zigarettenstummel. Mittendrin steht ganz verloren der Typ mit der luftlosen Freundin, mit ihr trauernd ins Gespräch vertieft: „Oh nei, du arms Schätzeli, etz bisch würklech kabutt!“ Ein einprägsames Bild zum Abschied, und so bleibt mir, nicht mehr ganz nüchtern (Not macht erfinderisch, aber oft nicht ganz schlau: da kein Wasser vorhanden war, wird der Absinth einfach mit Sprite gemischt. Schmeckt vorzüglich!), nur noch die Entscheidung, mich von Captain Spaulding oder doch lieber von meinem heutigen Prinzen zum Bahnhof fahren zu lassen...
Good night Headbangers, und dass das Bett sich nicht zu sehr drehe...