Livereview: Blind Guardian

11. Dezember 2016, Pratteln – Z7
By Tinu
Es war die «Imaginations From The Other Side»-Tour, die ich 1995 als eines der ersten Konzerte im Z7 besuchte. Damals noch in der Vierer-Besetzung unterwegs, hauten Hanis Kürsch (Gesang, Bass), André Olbrich (Gitarre), Marcus Siepen (Gitarre) und Thomas Stauch (Schlagzeug) einen sensationellen Gig raus, der Spass auf mehr machte. Der damalige Speed Metal, mit vielen Breaks und technischen Kabinettstücken versehene Sound, hatte gerade den Durchbruch geschafft und schien nicht nur in Japan für volle Konzerthäuser zu sorgen. Knappe 21 Jahre später, einige Alben schwerer und tausende von Erfahrungen reicher, wurde ich von der Meldung angezogen, dass die «Blinden Gardinen» das komplette «Imaginations»-Album spielen werden. Ja, ich hatte die Truppe aus den Augen verloren, weil mir der Sound zu vollgepackt war. Dieses Flair, Geschwindigkeit und technische Raffinesse zu verbinden, wurde mit der Zeit mit zu vielen Parts innerhalb eines Liedes überladen, und mein Interesse an der Band ging auf Tauchstation. Was die Truppe um Sänger Hansi, der seit einigen Jahren nur noch singt, nicht davon abhielt von Album zu Album erfolgreicher zu werden. Dies sah man auch an diesem Sonntagabend. Das sehr gut gefüllte Z7 erzitterte in seinen Grundmauern. Die Verursacher waren die singkräftigen Fans, welche der deutschen Truppe einen mehr als nur tollen Tourabschluss bescherten.

Die Bühne war sehr schlicht gehalten. Hinten waren von links nach rechts Keyboarder, Trommler Frederik Ehmke und Bassist Barend Courbois zu sehen und vorne an der Front standen André, Hansi und Marcus. Mit dem Opener «The Ninth Wave» des letzten Studiowerkes «Beyond The Red Mirror» wurde der Abend von BG um 19:30 Uhr, ohne Vorband, eingeläutet. Es war, wie schon am Freitagabend zuvor verdammt heiss im Z7. Dies bemerkte auch Hansi, der nach dem zweiten Song das Z7 bat, die Heizung doch ein bisschen runter zu schrauben, ansonsten würde es schön kuschelig bleiben, was ja auch irgendwie in die Adventszeit passt. "Ihr habt euch fantastisch entschieden an diesem dritten Advent und seid zu Blind Guardian gekommen." Hansi weiss, wie man auf einfache, aber sehr nachhaltige Art das Publikum packt und es mitreissen kann. So, dass schon bei der zweiten Nummer «Welcome To Dying» klar wurde, dass die Fans wie eine Eins hinter der Band stehen und die Fanreaktionen von Stück zu Stück enthusiastischer wurden. Es war aber auch ein anderes Publikum als noch zwei Tage zuvor bei Saxon. Während bei den Engländern eher das Rocker- und Metallerpublikum gekommen war, stand bei Guardian ein breiter gemischteres Publikum im Z7. Ob nun Student, Metaller oder Mittelalter-Verehrer, alle wollten die Deutschen sehen. Vor dem Konzert wurde viel darüber diskutiert, dass die Blinden heute Abend ein eher nostalgisches Set spielen. Etwas, was die jüngeren Fans überraschte und die älteren wieder in die Konzertsäle brachte. Unabhängig davon, wie sich die Krefelder in den letzten Jahren entwickelt haben, neben den kultigen Ansagen von Hansi und seinem sehr starken Gesang, waren es die Leads von André, welche die Deutschen stark aus der Masse an Bands abhebt. Es ist dieser singende Ton bei Mister Olbrich und der leicht orientalische wie klassische Touch im Sound, welche diesen sofort erkennbar machen. Zusammen mit Marcus zauberte der Deutsche unglaublich tolle Doppel-Leads aus den Gitarrensaiten.

Die Fans sangen, was die Kehlen hergaben. Versagten sie, wurde nachgeölt. "So Freunde, jetzt wird es ein bisschen ernster. Wir machen dies selten, aber wenn wir es tun, kommt es meist gut», war die Einleitung zu «Time What Is Time» vom «Somewhere Far Beyond»-Werk. Mit Geschwindigkeit, einem extrem tighten Frederik, klatschend und somit glühenden Händen des Publikums und dem sich zum ersten Mal heiser kreischenden Fanchor ging es dann in den Höhepunkt des Abends über. Blind Guardian spielten das komplette «Imaginations From The Other Side»-Album. Welch mitreissender Sound auf dieser Scheibe zu hören ist, zeigten die nächsten neun Lieder. "Es ist kein Geheimnis, dass wir nochmals entschieden haben, uns auf die Reise zu begeben, um ein Album in seiner vollen Länge und Schönheit zu spielen. Und ich versuche nun wenig zu sprechen…", was dem Sänger nicht immer leicht fiel. "Wir nehmen diesen Applaus als Kompliment auf", grinste Hansi zufrieden und bedankte sich immer wieder für die extrem gute Stimmung. "Jetzt gibt es Lagerfeuerromantik. Dieser Song handelt von König Arthur und wir haben ihn «A Past And Future Secret» getauft». Eine solche Nummer, mit einem stark an die alte Ritterzeit erinnerndem Grundflair schreibt man im Leben einfach nur einmal! Die beiden Gitarristen sassen auf einem Barhocker, zupften an ihren Instrumenten und hinterliessen ein völlig entfesseltes Publikum. Die Chorgesänge steuerten die Band zu und natürlich das siebte Bandmitglied, die Fans. «Jetzt wird es ein bisschen sentimentaler und dann depressiv», grinste Hansi ins Mikrofon und kündete «Mordred's Song» an. Die Stimmung stieg von Song zu Song und dies lobte Mister Kürsch mit folgenden Worten: «"as nenne ich Energie meine Freunde. «No rest for the wicked», hier kommt «Bright Eyes»!" Mit diesen Augen wurde einmal mehr klar, was für ein Album «Imaginations From The Other Side» war und immer noch ist, für die Ewigkeit! Alleine die Chorpassagen bei «Bright Eyes» suchen Ihresgleichen. Und so langsam ertappte ich mich, wie meine alte, eingerostete Liebe zu Blind Guardian wieder am Entflammen war. Es waren diese Chöre, die Dynamik und dieses Einfache und trotzdem Komplexe, welches den Sound der Guardians ausmachte. UND! Die einfach genialen Gitarrenparts der Herren Olbrich und Siepen. Weit weg von tausenden von Tonspuren, sondern auf den Punkt gebrachte Lieder die beweisen, welche Macht die Truppe noch immer sein kann.

"Pratteln, ich traue es kaum zu sagen, aber wir haben schon das Ende dieser wunderschönen Weihnachts-Show erreicht. «And The Story Ends», Pratteln bis zum nächsten Mal!" Tja, und auch hier wurde allen bewusst, welches Talent damals schon gut verteilt und gebündelt in einen Song gepackt wurde und mit seiner vielfältigen Art zu begeistern wusste. Es sind diese hymnenhaften Parts, wie bei «And The Story Ends» (Doppel-Leads der beiden Gitarristen!), «Bright Eyes» oder «Welcome To Dying», die nach wie vor alles ausdrücken, was man mit einem Lied sagen muss und es auf den Punkt bringt. Nach gut neunzig Minuten ging die Truppe zum ersten Mal von der Bühne, um dann gleich mit je vier Tracks zwei Mal zurück zu kommen. Die Band wurde von den Fans förmlich auf die Stage zurück geschrien. Mit «Into The Storm» wurde der erste Zugabeblock eröffnet und setzte die Besucher in einen kollektiven Ausnahmezustand. Die Band konnte sich nach dieser Nummer verdientermassen feiern lassen und genoss die lauten «Guardian»-Rufe sichtlich. "Pratteln, ihr seid die Geilsten!". Mit «The Curse Of Fenor» besass die Show aber auch ihren kleinen "Bremsklotz" und mir wurde klar, was damals beim «Nightfall»-Album zum ersten Mal ans Tageslicht kam. Den Liedern wurde zu viel aufgeladen und dadurch wurden sie hörtechnisch schwer verdaulich. Die kleine "Verschnaufpause" wendeten die Herren auf der Stage mit «Lord Of The Rings» jedoch postwendend wieder ab. "Böse Zungen behaupten, wir seien Tolkien Nerds, und da ist was Wahres dran", sprach Hansi, zufrieden grinsend, ins Mikrofon. Mit einem Flamenco liken Solo von André versprüht eine solche Nummer einfach viel mehr Flair, als es «The Curse Of Fenor» tut und packt zumindest mich um einiges mehr. Als Abschluss des ersten Zugabeblocks liess «Valhalla» das Z7 wieder komplett ausrasten und die alleinigen Fanchöre liessen die Halle erschüttern. Und ja, es war einer dieser Gänsehautmomente.

Mit «Sacred Worlds» folgte dann wieder einer dieser in meinen Augen "gemässigteren" Songs. Dies schien aber offenbar nur für mich ein Show-Stopper zu sein, denn Pratteln ging steil. "Pratteln, ihr seid der absolute Wahnsinn. Kann es sein, dass ihr noch nicht müde seid?", wollte Hansi vom völlig am Rad drehenden Publikum wissen. "Jetzt kommt was Tänzerisches", liess uns der Barde wissen und kündigte «Majesty» vom Debütalbum «Battalions Of Fear» an. Dieser Track ist eine Art musikalische Keule und für Blind Guardian schon fast ein zu schlichter Track. Aber vielleicht ist er gerade deswegen ein solches Abrisskommando, das man einfach gern haben muss. Und dann folgte in Form von «The Bard's Song» das, was folgen muss. "Für uns geht es in die Weihnachtsferien, aber für euch wird es jetzt ernst!" Wie immer wurde diese Akustiknummer von den Fans gesungen und verschaffte Sänger Hansi eine willkommene Abkühlung. Was bei einer solchen Nummer im Publikum abgeht, ist unglaublich und lässt den Gänsehautfaktor wiederum steigen. In grellem grün/gelbem Licht wurde der Abend mit «Mirror, Mirror» beendet. Mit viel Gas, einem fulminanten Chor, einer extrem tighten und spielfreudigen Truppe wurde die letzte Show der «Beyond The Red Mirror»-Show nach 2 Stunden und 23 Minuten beendet. Es war ein Siegeszug der Seinesgleichen sucht, der eine Truppe präsentiert, der man die letzten Shows in positiver Form anmerkt und bei welcher die Fanchöre am Schluss lauter waren als die Band selber. Blind Guardian sind in dieser Form kaum zu toppen. Wären da nicht vereinzelte Tracks gewesen (stammten alle aus der Zeit nach «Nightfall»), die in meinen Augen das Konzert etwas bremsten (da hatte aber nur ich meine Probleme), könnten die Jungs wieder zu einer meiner Lieblingsbands werden.

Setliste: «The Ninth Wave» - «Welcome To Dying» - «Nightfall» - «Fly» - «Time What Is Time» - «Imaginations From The Other Side» - «I'm Alive» - «A Past And Future Secret» - «The Script For My Requiem» - «Mordred's Song» - «Born In A Mourning Hall» - «Bright Eyes» - «Another Holy War» - «And The Story Ends» - «War Of Wrath -- Intro» - «Into The Storm» - «The Curse Of Fenor» - «Lord Of The Rings» - «Valhalla» - «Sacred Worlds» - «Majesty» - «The Bard's Song – In The Forest» - «Mirror Mirror».