Livereview: Frei.Wild - Rock Rotten's 9mm Assi Rock'n'Roll -
                      Reach Us Endorphine
09. November 2009, Pratteln Z7
By André G.
Es gibt ja viele viele Bands, die sich ganz oder teilweise am musikalischen Vermächtnis der grössten und auch umstrittensten deutschen Rockband aller Zeiten, den Böhsen Onkelz, orientieren. Auch die Jungs aus Brixen im schönen Tirol rocken schnörkellos und hart ganz im Stile ihrer Vorbilder. Im August dieses Jahres spielten sie einen Secret Gig auf dem heiligen Acker von Wacken. Das war für mich der erste Kontakt mit den Tirolern. Ich hatte keine grossen Erwartungen, aber ich wurde infiziert. Das Zelt platzte aus allen Nähten und die Jungs rockten alle Zweifel in Grund und Boden. Philipp, Jonas, Jochen und Christian sind für mich ohne Zweifel die verdienten Enkelz der Onkelz. Auf ihrer „Hart am Wind“-Tour lassen sie wieder viele Halle erbeben und werden sich garantiert einen noch grösseren Fankreis erspielen. Unterstützt von den Assi-Rockern 9mm und den Jungspunden von Reach Us Endorphine könnte das ein wirklich rockiger Start in die Kalenderwoche 46 sein.

Reach Us Endorphine
Das Ganze könnte auch unter dem Motto „Nacht der kurzen oder keinen Haaren“ stehen. Ich als Langhaar-Träger fühlte mich ziemlich allein gelassen. Punkt 20 Uhr wurde es finster, und die Jünglinge von Reach Us Endorphine kamen auf die Bühne. Vom ersten Akkord an gaben sie sich Mühe: Musikalisch sind sie irgendwo in der Metalcore-Ecke mit Thrash-Einflüssen anzusiedeln. Aber das Ganze ist einfach schon zigmal dagewesen, nichts Neues also, der Spirit fehlte einfach. Es wirkte einfach so ein bisschen nach Übungsraum. Auch beim Stageacting waren sie nicht wirklich die Beweglichsten. Klar, die Instrumente wurden sicher gespielt, gerade der Bass konnte auch wirklich drücken. Beim Gesang gab es eigentlich auch keine Klagen, das mehrheitliche Gebrülle wurde einfach ermüdend und etwas eintönig. Der Sänger versuchte dauernd, die spärlichen Zuschauer vor der Bühne aus zu animieren, aber es waren nur Wenige, die sich mitreissen liessen. Es kam zwar zu einem kleinen Moshpit und zum Schluss sogar zu einem Circle Pit. Dem Soundgewand nach merkte man, dass sicherlich Bullet For My Valentine zu ihren Vorbildern zählen, was die Band dann auch mit einer Coverversion der eben Genannten bestätigte. Also, in meinen Augen hätte es diese Vorband nicht unbedingt gebraucht. Noch ein bisschen üben und feilen, dann könnte es auch mehr reissen.

Rock Rotten’s 9mm Assi Rock’n’Roll
Rock Rotten’s Solotruppe ist hier am Start. Optisch hatte man das Gefühl, dass die Bretter nachgeben müssten, als die Schwergewichte die Bühne betraten. Aber trotz der relativ grossen Leibesfülle der Herren Rock Rotten und Leadgitarrist Ritchie legte der Vierer einen richtig amtlichen Kickstart hin. Es wurden keine Gefangenen gemacht, ihr Sound bestand aus einer Mixtur aus Heavy Rock, Kick Ass-Rock’n’Roll mit einer guten Punkattitüde. Keine Mätzchen, einfach volle Kanne auf die Zwölf gehauen. Als sie dann noch den Song „Dick und durstig“ von den Böhsen Onkelz anstimmten, hatten sie das Z7 in ihren Pranken, daraus liessen sie es nie mehr los, bis die Hallenbeleuchtung anging. Die Zuschauer sangen den Onkelz-Klassiker lauthals mit. Rock forderte im Mitsing-Part dazu auf die 100dB-Marke zu knacken, und man brachte es mühelos auf 102.8dB. Die Stimmung stieg von Song zu Song näher an den Siedepunkt. Auf der Bühne machten sie ihrem Ruf alle Ehre, es wurde Bier und Vodka getrunken. Als es um das Vorstellen der einzelnen Bandmembers ging, fiel mir erstmal die Kinnlade runter. Das Tier, genannt Bommel, hinter den Drums, der so richtig fette, rohe Beats rausjagte, ist gerade mal 17 Lenze alt. Mit 15 ist er als Küken zu den Rockern gestossen. Als dann Ritchie an seiner Gitarre zum Solo ansetzte, kam Staunen Teil 2. Trotz der doch etwas an Wurstwaren erinnernden Finger holte er ein super klares Solo aus seinem Instrument raus. Die Finger flitzen über den Gitarrenhals und gaben alles. Der Maestro hatte das ewige Dauergrinsen dabei, man merkte bei allen der Band, dass sie lieben und leben, was sie machen. Das ist deutscher Assi-Rock’n’Roll, wie er nicht besser und authentischer dargeboten werden kann. Zum Finale wurden dann die Uralt-Trinklieder der Marke „Mein Vater war ein Wandersmann“ aus der Schublade geholt und, wie konnte es anders sein, die Halle sang und tobte mit. Die Jungs waren textlich sicher meist in den fröhlichen und bierseligen Songs zuhause, aber dass sie auch ganz anders können, bewiesen sie auf der neuen CD „Quo Vadis“ mit dem Lied „Sternenkind“ sehr eindrücklich. Der Track geht einem unter die Haut, denn er ist aus dem Blickwinkel von Eltern geschrieben, deren Kind ermordet wurde. Das ist ein wirklich heftiges Teil. Nach meinem Geschmack war der Vierer aus Hanau der Gewinner des Abends. Rock Rotten und seine Mannen hatten die Zuschauer perfekt angeheizt für den Headliner aus dem Südtirol.

Frei.Wild
Wenn man sich so im Publikum umschaute, bot sich einem das gleiche Bild wie damals am Böhse Onkelz-Konzert an gleicher Stelle: viele kahle Köpfe in Skin-Wear. Aber alles in allem blieb es den ganzen Abend ruhig. Alle waren zum Feiern ihrer Idole angereist. Auch sehr viele aus dem benachbarten Ausland waren anzutreffen. Das Z7 war knapp zur Mitte hin gefüllt. Kaum waren 9mm fertig, gingen die Sprechchöre los. Als das Backdrop hochgezogen wurde, hörte man nur noch „Freiwild! Freiwild!“-Rufe. Um 22 Uhr wurden die Zuschauer dann endlich erlöst und die Jungs aus Brixen traten aus dem Dunkel des Backstage-Bereichs hervor. Sie langten gleich voll zu und rockten das Haus. Am Anfang waren speziell die Gitarren nicht wirklich gut gemischt, auch der Bass wirkte etwas schwammig. Aber an der Spielfreude der Jungs änderte das nichts: Die Zuschauer in den ersten zehn Reihen machten auch mit voller Begeisterung mit. Die Songs wurden Zeile für Zeile mitgesungen. Gerade ältere Machwerke wie zum Beispiel „Südtirol“ wurden aus dem Publikum lauter wiedergegeben als von der Bühne. Aber nicht nur hart können die Mannen, auch die ruhigeren Songs kamen ganz gut daher. Die wurden von der Combo im Sitzen dargeboten. Der Sänger hatte laufend Probleme mit seinem Mikro und dem Ohrstöpsel, aber für etwas hatte man ja einen Roadie, den man in Bewegung setzen konnte. Frei.Wild sind ja auf der Tour zum neuen Silberling „Hart am Wind“, und da sind sie schon eine Weile auf Achse. Das merkte man ihnen langsam aber sicher an. Die Stimmen haben gelitten, und auch optisch wirkten sie ziemlich durch den Wind. Was aber sicher nicht nur an den Shows liegen konnte, sondern auch an den Shows nach den Shows.

Im Z7 kam auch nur in den ersten vielleicht zehn Reihen richtig Stimmung auf. Im hinteren Bereich wurde einfach zugehört und genossen. Dafür war das Pogo vorne ziemlich heftig, und manch einer wird sich heute die blauen Flecken eincremen müssen. Zum Track „Schwarz und weiss“ wurden dann etwa 10 Fans auf die Bühne geholt. Die durften einen Moment dort oben abfeiern, dann wurden sie vom Roadie ruhig aber bestimmt darauf hingewiesen, dass sie jetzt den Sprung über den Fotograben machen sollten. Jeder/ Jede musste dem folge leisten. Bei den etwas Beleibteren dort oben wurde es dann zum Kraftakt der Fans unten, sie aufzufangen. Da die Band selber durstig war und wohl in den Gesichtern der Fans sah, dass es denen genauso erging, verteilten sie grosszügig Bier. Die Band spielte gekonnt und aufeinander eingespielt. Sie kamen auch wirklich professionell rüber, aber alles in allem war es nicht ihr bester Auftritt. Auf Wacken traten sie viel heftiger in die Ärsche. Vor dem Lied „Halt deine Schnauze“ gab Sänger Philip ein klares Statement gegen körperliche Gewalt ab, aber man dürfe ruhig verbal jemand mal anschreien. Als nächstes kamen mal wieder die Stühle zum Einsatz und sie intonierten den Song “Diesen Schuh zieh ich mir nicht an“. Danach war es an der Zeit, den Fans das zu geben, was sie schon lange forderten: Die Single vom aktuellen Album „Land der Vollidioten“. Da kam nochmals ziemlich Stimmung auf. Nach einer guten Stunde ging es in den Break, um kurz darauf in den Zugabenteil zu starten. Ich dachte mir, ok, 2te Runde, auf geht’s. Was kam? Ein Lied „Sieger stehen auf, da wo Verlierer liegen bleiben“ Dazu wurde im Zuchauerraum eine amtliche Wall Of Death durchgezogen. Als der letzte Akkord des Tracks gespielt war, wurden die Hallenlichter eingeschaltet und es war Schicht im Schacht. Meiner Meinung nach hätte da schon noch der eine oder andere Song Platz gehabt, doch es war ein guter, wenn auch nicht absolut überzeugender Auftritt der Sudtiroler gewesen.