Livereview: In Extremo - Krieger
20. Dezember 2006, Volkshaus Zürich
By Kissi
Man mag von Best-Of’s, Compilation, Neueinspielungen oder Coverscheiben denken, was man mag, so auch über In Extremos neueste Veröffentlichung „Kein Blick zurück“, welche im Dezember erschien und eben genau genannte Wiederverwertungsmöglichkeiten alt bekannter Songs auf zwei Scheiben vereint. Zumindest in diesem Falle kommt aber auch der grösste Kritiker solcher Recycling-Aktionen nicht umher, auch einen positiven Aspekt unweigerlich zu erkennen: die dazugehörige Tour! Auf dieser Konzertreise machte Deutschlands grösste Mittelalter-Metalband mit ihrer energiegeladenen Gitarre meets Dudelsack-Show auch im Zürcher Volkshaus halt, ziemlich genau ein Jahr nach der umjubelten Show des Septetts in eben diesem altehrwürdigen Konzertsaal. Dabei glich der Abstecher der Berliner in diesem Jahr doch schon ein wenig einem „Blick zurück“, nicht nur in Sachen Setlist, sondern auch in Sachen ausverkauft sein und Stimmung. So werfen auch wir einen Blick zurück auf einen Abend, bestehend aus Parisienne-Zigaretten, einem abhanden gekommenen Schuh und einer Rock-Darbietung, die sicherlich ihresgleichen sucht, sowohl musikalisch wie auch optisch.

Krieger
Kaum angekommen im Volkshaus schon beginnt die Sause, denn die deutschen Newcomer Krieger stehen schon 10 Minuten früher als angekündigt auf der Bühne. Noch ganz ohne offiziellen Tonträger im Gepäck will es der Fünfer um Sänger XX der Metalwelt zeigen. Um dieses Unterfangen aber erfolgreich zu bewältigen, sollten die Herren sich mal reichlich in den Arsch zwicken, denn bis auf den einen oder anderen rhythmischen Kopfnicker strahlt die Band nicht wirklich Bewegungsfreundlichkeit aus. Dasselbe gilt für das Publikum, welches der ganzen Darbietung eher interessenlos zuschaut und lediglich Höflichkeitsapplaus spendet, was angesichts des doch passenden Sounds der Band ein wenig verwundert. Riffbetonter, massenkompatibler Metal mit deutschen Texten, irgendwo zwischen den Onkelz, Sub7 und Nu Pagadi, so lässt sich das Material der Jungs in etwa beschreiben, MTV-kompatibel und leicht verdaulich, dabei aber leider auch des öfteren platt, oberflächlich und vorhersehbar. Naja, im Hinblick auf In Extremo scheinen wohl noch ziemlich viele Truppen so...

In Extremo
Sturmgetöse und prasselnden Regen als Intro zu verwenden, das funktionierte schon 1970 beim Sabbath-Debut und klappt auch heute noch, denn kaum prasselten jene genannten Geräusche aus den Boxen, verwandelte sich das proppenvolle Volkshaus in einen wahren Hexenkessel, der bis zum Ende der über zwei Stunden dauernden Show nicht abkühlen würde. Da es ja kein wirklich neues Album zu promoten hiess, freute ich mich auf eine abwechslungsreiche Show voller Klassiker, doch schon mit dem ersten Song zeichnete sich das Gegenteil ab: Zum eher melancholischen Start „Spielmann“ (vielleicht etwas ungünstig als Opener?) enterte als erster Käpt’n Micha Rhein alias Das Letzte Einhorn die im altbekannten Schiffsdekor erscheinende und durch riesige Flammensäulen erleuchtete Bühne, dicht gefolgt vom sechsköpfigen Rest der Mannschaft, natürlich agil wie Hummeln in der Paarungszeit. Dass man trotz Best Of-Album im Gepäck auf das neuste Material von „Mein rasend Herz“ (2005) setzte, zeigte sich sogleich mit „Nur ihr allein“, gefolgt von „Macht und Dummheit“, bevor mit „Vänner och Frände“ ein älterer Kracher (vom 1999er Album „Verehrt und Angespien“) zum Besten gegeben wurde. Ob neu oder alt, dem Publikum ist’s egal, und so wird „Horizont“ (optisch aufgemotzt durch reichlich Funkenexplosionen), wie auch mein Liebling „Erdbeermund“ (zu finden auf „Sieben“ aus dem Jahre 2003), bei welchem das ganze Volkshaus auf Aufforderung Michas mit den Händen ein Dreieckszeichen formt, welches wohl einen Mund darstellen soll, oder „Wind“ vom harten „Sünder ohne Zügel“ (2001) aus Leibeskräften mitgesungen und auch bei den zwei neuen Tracks, die einzig auf „Kein Blick zurück“ zu finden sind, "Kein Sturm hält uns auf" und dem später dargebotenen "Alte Liebe" zeigen sich die altersmässig zwischen 14 und 60 schwankenden Fans erstaunlich textsicher. Natürlich kam das Fronteinhorn auch auf das letzte Gastspiel im Volkshaus zu sprechen, welches ziemlich genau ein Jahr vorher stattgefunden hatte und auf das Ärgernis, dass damals nur alkoholfreies Bier ausgeschenkt worden war, entschuldigte sich dafür und verwies darauf, dass es diesmal ja kein Problem sei, dem Veranstalter sei Dank. Wie gut zur ganzen optischen Darbietung, bestehend aus Micha in verschiedensten Verkleidungen (mal im Regenmantel, mal in Mönchskutte während dem „Wessebronner Gebet“, mal elegant im weissen Hemd), massenhaft Pyros und dem nimmermüden, die Bühne durchtanzenden Sackpfeifentrio Dr. Pymonte, Flex der Biegsame und Yellow Pfeifer, auch soundtechnisch gearbeitet wurde, zeigte sich vor allem während den eher ruhigeren, Verschnaufpausen bringenden Songs wie „Ave Maria“ oder „Singapur“, welche durch klaren, einfühlsamen Sound unter die Haut gingen. Und wenn dann Micha auch noch die Schweiz lobt, da man hier an jeder Ecke seine Lieblingszigaretten Parisienne erwerben könne, was postwendend mit einem Päckchen derselben Sorte aus dem Publikum quittiert wurde, da waren sich wohl alle Besucher einig, dass man Vorweihnachten gar nicht besser, als mit einem In Extremo-Konzert verbringen kann. Und so tobt und gröhlt man durch den „Spielmannsfluch“; „Omnia Sol Temperat“ oder das aufgemotzte, nun härtere „Hiemali Tempore“ als gäbe es kein Morgen mehr. Bis sogar ein Schuh auf die Bühne geworfen wird, worauf Micha spontan nach dem Besitzer desselben fandet, die junge Dame sogleich auf die Bühne zitiert und sie, während dem ihr gewidmeten „Küss mich“, mal romantisch, mal eher anzüglich ansingt. Nach dem von Konfettiregen begleiteten „Vollmond“ heisst es dann wieder „Mein rasend Herz“, und so besteht der Abschlussdreier „Raue See“, „Mein rasend Herz“ und „Liam“, unterbrochen von Crew- und Bandvorstellung, während derer man erfährt, dass Bassist Die Lutter unter Fieber leidet, was der Band aber nicht im Geringsten als Grund für eine Konzertabsage gilt. Natürlich kann es das noch nicht gewesen sein, und so erscheint das Septett nach kurzer Zeit und lautstarken Zugaberufen auf ihre Schiffsbühne, um ihren Heavy Metal-Beutezug durch die Schweiz mit einem durch ein langes Instrumentalintro eingeleitetes „Poc Vecem“ und den Klassikern „Rotes Haar“ und „Villeman og Magnhild“ (natürlich mit ausgiebigem Mitsingteil) zu vollenden, sodass wohl ein jeder und jede, auch wenn aufgunsten neueren Materials Dauerbrenner wie „Herr Mannelig“, „Pavane“ oder „Ai Vis Lo Lop“ verloren gingen, eine unvergleichliche Mittelalter-Metal-Piratenparty erlebt zu haben, voller Spielfreude, Effekten, Spontaneität und natürlich haufenweise geiler Songs. So hoffe ich bald wieder sagen zu können: „In Extremo-Schiff ahoi!“

Setlist In Extremo: Spielmann - Nur ihr allein - Macht und Dummheit - Vänner och Frände - Horizont - Wessebronner Gebet - Erdbeermund - Kein Sturm hält uns auf - Wind - Singapur - Spielmannsfluch - Ave Maria - Omnia Sol Temperat - Hiemali Tempore - Küss mich - Alte Liebe - Vollmond - Raue See - Mein rasend Herz - Liam Zugaben: Poc Vecem - Rotes Haar - Villeman og Magnhild