Livereview: Neurosis - Karma To Burn
28.07.2011  Bern - Dachstock
By El Muerte
Legendär hätte die Nacht werden sollen - Etwas anderes wollte man von den Gründern und Wegbereitern des Post-Metal auch gar nicht erwarten. Zu einer Zeit als andere Formationen gerade mal dem Einfluss des Powerchords entwuchsen, drosselten Neurosis ungeniert das Tempo, beschwörten die Lärmgötter, und keiften sich die Seele aus dem Leib - Nur um kurz darauf urplötzlich die Gitarrenwände zum Schweigen zu bringen, und das Leiden auf ein paar gedrosselte Akorde und etwas Singsang zu reduzieren.

Die Musik, die überraschend lange einzig in Neurosis Händen gedeihen wollte, entwickelte sich Jahre später in eine eigene Subkultur - Formationen wie Russian Circles, The Ocean, A Storm Of Light, (Oder national Unhold, Zatokrev und Co.) haben es aufgrund des offenen Grundsatzes des Post-Metal auf einen eigenen Ast geschafft, und können dafür beinahe rund um den Globus Anerkennung einfahren. Und obwohl dies allein ein Grund zum feiern wäre, bestand genau darin die Achillessehne des Abends… Doch mehr dazu später.

Mit Karma To Burn stieg ein mehr als würdiger Opener auf die Bühne, der sich allerdings einen ganz anderen Nenner mit Neurosis teilte: Die Band schleuderte dem Publikum dermassen wunderbar Wüstenstaub ins Gesicht, dass diesem die sich langsam aber unaufhaltsam füllenden Lungen herzlichst egal waren - Wer rocken will, muss Dreck fressen. Das Trio sackte den bereits amtlich gefüllten Dachstock gleich zu Beginn ein, ihre Songs waren für solche Situationen wie geschaffen: Stop&Go-Konstrukte mit der richtigen Menge an Schmackes, Rifflastigkeit, und einer Portion drumtechnischem Wahnsinn (Was hätte man von einem Schlagwerker mit Robinson Crusoe-Look auch anderes erwarten können?). Die Band hatte bereits bei den ersten Reunion-Shows die Zweifler zum Schweigen gebracht, hier muss klar das schweisstreibende Set im Bad Bonn anno 2010 zitiert werden - Folglich war der Gig im Dachstock dann auch eher Kür- als Pflichtprogramm. Während sich das Publikum in Trance nickte, groovten sich K2B eins ab, als ob's keinen Morgen geben würde. Der anhaltende Applaus am Ende des 40-minütigen Sets sprach dann auch Bände. Gerne jederzeit wieder, gepriesen sei die Wüste!

Doch nun zurück zur Hauptattraktion des Abends: Mit zehn Minuten Verspätung stiegen Neurosis unter den Klangbastlereien von 'Locust Star' vom 1996er Album 'Through Silver In Blood' auf die Bühne – Während hinter der Band auf einer breiten Projektionsoberfläche aus Leintüchern die Visuals vor sich hin waberten, zelebrierte allen voran Chefkoch Scott Kelly (Vox/Gitarre) die Ruhe selbst – Die ihn flankierenden Steve von Till (Vox/Gitarre), Dave Edwardson (Bass/Vox) und Keyboarder Noah Landis bearbeiteten ihre Instrumente schon weniger zimperlich (Landis stellte beinahe das Gegenstück zu Mr. Kelly dar, er bearbeitete die Tasten und Synthpads je nach Laune und Songstimmung auch mal mit den Fäusten…). Spätestens nach dem gelungen Einstieg und den darauf folgenden 'Given To The Rising', 'End Of The Harvest' und 'A Season In The Sky' machte sich aber Ernüchterung breit – Was zu Beginn des Sets noch eine überragende Erhabenheit verstrahlte, entpuppte sich keine dreissig Minuten später als zu früh verschossenes Feuerwerk: Neurosis hatten aufgrund der minutenlangen Interludes zwischen den Songs Mühe, den Rythmus zu finden und die Show auf's Neue in die Gänge zu bringen. Klar zelebriert diese Sorte Musik ein gewisses repetitives Muster schon fast als alles überschattendes Dogma, aber eine so starke Bindung an die Grundwerte entgegen einer Optimierung ist man sonst eher von konservativeren Bands gewohnt…

Es lag dabei dann klar auch nicht am Ansatz der Quintetts, denn Neurosis gaben sich involviert und mächtig wie eh und je - Schicht um Schicht wurde aufgetragen, Gitarren über Synthies gehäuft, Riffwalzen fanden sich Rücken an Rücken mit pulsierenden Drums wieder… Im Gegenteil, hier hätte man klar die volle Punktzahl verteilen können. Aber vergleicht man die eingangs erwähnten Formationen mit Neurosis, so lässt sich schnell einmal die Krux ausfindig machen: Während Russian Circles, The Ocean, A Storm Of Light und Konsorten aus den Vorlagen ihren ganz eigenen Stil schufen, hielten sich Neurosis immer am von ihnen selbst etablierten Niveau fest - Und das betrifft den Sound, genauso wie die Visuals. Kombiniert mit ihren eher seltenen Live-Shows ergibt sich eine Legenden-Dynamik, die aufgrund der inzwischen neu erschlossenen Gebieten nicht haltbare Hoffnungen an die Urväter dieses Stils richtet. Insofern lag das Problem dann auch nicht direkt bei diesem einen Gig, sondern bei Neurosis selber: Für eigene Werte einstehen ist richtig. Sich mit geschlossenen Augen daran festzuhalten allerdings nur bedingt. Kombiniert mit dem im Bassbereich etwas schwächelnden Soundgewand blieb die Show ein merkwürdiges Erlebnis - Einmal schön abdrückend, aber gleichzeitig latent lethargisch. Seltsam, und einem grossen Headliner nicht zwingend würdig.

Setlist: Locust Star, Given to the Rising, End of the Harvest, A Season in the Sky, At the Well, Water Is Not Enough, Belief, At the End of the Road, Killing Elk, Through Silver in Blood