Livereview: Porcupine Tree - Stick Men
25. November 2009, Sportzentrum Tägerhard, Wettingen (AG)
By El Muerte   Pics: Rockslave
Porcupine Tree rufen, und die Schweiz antwortet - Betrachtet man den sich stetig ausdehnenden Zulauf an Konzertbesuchern bei Auftritten des englischen Quartetts, so lässt sich diese Aussage durchaus in Bares ummünzen. Die Band hat sich über die letzten fünf Jahre konsequent nach oben gespielt, und dabei in der Reihenfolge zuerst dem Fri-son, dem Z7, dem Volkshaus, dem Rocksound-Festival, und nun auch dem Sportzentrum Tägerhard den Stempel aufgedrückt - Gut Ding will halt doch Weile haben. Obwohl die Statistik diesbezüglich eine klare Tendenz offenbarte, so waren die Progonosen bezüglich der möglichen Besucheranzahl dieses Abends so unterschiedlich wie nur möglich - Zumal man beim Anblick des Konzert-Saales auch gleich leer schlucken musste: Nicht nur, dass da gut 2100 Besucher reinpassen, was für Porcupine Tree dann schon eine ganze Menge Nasen sind - Der Saal gehörte ebenfalls zu jener Sorte, die grundsätzlich für die abstrusesten Soundergebnisse sorgen, weil er halt eben als Sportsaal konzipiert wurde. Doch allen Befürchtungen zum Trotz standen vor Konzertbeginn nicht nur das Publikum Schlange, sondern auch der Sound war über alle Zweifel erhaben…

Stick Men aus Kingston machten den Anfang, und branchenüblich wurden sie knapp zwanzig Minuten früher als angekündigt auf die Bühne geschickt - Ein Umstand, der bei genaurer Betrachtung des Line-Ups umso mehr für Stirnrunzeln sorgte: Das Trio besteht aus Tony Levin (King Crimson, Peter Gabriel-Band), Pat Mastelotto (King Crimson) und Michael Bernier, und kann somit mit Fug und Recht Anspruch auf die grundlegendsten Einflüsse von Porcupine Tree erheben. Die Umstände des verfrühten Auftritts liessen die abgebrühten Profis dann auch offensichtlich völlig kalt, die Jungs wollten einfach auf die Bühne und die Sau rauslassen - Was ihnen vom ersten Ton an auch wunderbar gelang: Während Pat Mastelotto die Drums prügelte, schraubten sich Tony Levin und Michael Bernier an ihren Chapman-Sticks (Eine Art Synthie-Gitarre) die Finger wund. Dass die dabei entstehende Mucke eher etwas für Frickel-Fans war, schien dabei kaum jemanden der bereits anwesenden Besucher zu stören. Obwohl die Band trotz all der beinahe ausufernden Solo-Einlagen und den schrägen Vocals von Tony Levin mächtig groovte, wollte das Material kaum in die Beine gehen – Zu abstrakt war die Musik und das damit Hand in Hand gehende Erscheinungsbild der fidelnden Mittfünfziger. Nach gut vierzig Minuten quietschfideler aber komplett überdrehten Musik verabschiedeten sich Stick Men mit einer Zugabe vom Schweizer Publikum, und trotz des überraschend lauten Applaus wurde ich das Gefühl nicht los, gerade eben ein Paar Minuten an Lebenszeit an die falsche Show verschwendet zu haben…

Porcupine Tree sollten's richten - Und theoretisch hätte das auch von der ersten Minute an der 160-Minuten-Show auch geklappt. Blöderweise fokussierten sich die Englischen Prog-Genies um Fronter Steven Wilson in der ersten Hälfte der Show ausschliesslich auf das Material der aktuellen zwar gut gemeinten aber einlullenden Platte 'The Incident', welches sie in kompletter Reihenfolge runterleierten. Resultat: Allgemeine Zurückhaltung und ein kleines Nickerchen im Stehen meinerseits. Porcupine Tree haben wir obschon des technischen Könnens auch schon intensiver erlebt, würde ich mal meinen. Irgendwo nach einer knappen Stunde dann die erlösende Ansage von Herr Wilson: Die Band würde sich für eine kurze Pause zurückziehen, und darauf ein zweites Set hinlegen - Meine Gedanken schwappten in diesem Moment an die überaus vielfältigen Erinnerungen an ältere Shows, aus denen Porcupine Tree stetig als absolute Gewinner herausgingen.

Der auf die Rückwand der Bühne projezierte zehnminütige Pausen-Countdown liess die Besucher schmoren, die letzten sechs Sekunden wurden lauthals mitgezählt - Und Porcupine Tree zerlegten pünktlich und gekonnt mit 'The Start Of Something Beautiful' alle Zweifel und Befürchtungen in Schutt und Asche. Der Klassiker 'Russia On Ice' stellte kurz darauf nur die Ruhe vor dem Sturm dar, 'Anesthetize / The Pills I'm Taking' entfaltete auf dem Höhepunkt des Songs die volle zerstörerische Grösse, und riss den bisher mit Samthandschuhen behandelten Besuchern den Boden unter den Füssen weg. Das Fazit zu diesem Zeitpunkt war klar: Wie zur Hölle schafften es die Songs auf 'The Incident' bloss, veröffentlicht, geschweige denn gespielt zu werden, wenn die Band doch normalerweise auf Übermaterial der Marke 'In Absentia', 'Deadwing' und 'Fear Of A Blank Planet' setzen kann? Das mag zwar reisserisch klingen, aber der direkte Vergleich führte den Besuchern den klaffenden Intensitäts-graben zwischen den beiden Sets mehr als offensichtlich vor die Augen:



Sämtliche fünf Musiker wirkten plötzlich um einiges präsenter, die Stimmung im Saal schlug innerhalb eines kurzen Augenblicks von 'passiv mithörend' auf 'aktiv hingebend' um, und über allem schwebten die durch Mark und Bein gehenden Grooves und Melodien von weiteren Songs wie 'Way Out Of Here'. Die Band verabschiedete sich nach gut fünfzig Minuten im zweiten Set ein erneutes Mal, nur um kurz darauf dank dem tosenden Applaus des Publikums ein letztes Mal auf der Bühne zu erscheinen, und die beiden Übersongs 'The Sound of Muzak' und 'Trains' in die Nacht zu schmettern. Produktionstechnisch war übrigens alles über dem grünen Bereich, Licht wie auch Sound entsprachen diskussionslos dem hohen Standard der Band, was vor allem aufgurnd der etwas zwielichtigen Location (Wer bitte bucht überdimensionierte Turnhallen für Shows?) erwähnt werden muss. Ich bin nächstes Mal gerne wieder dabei - Aber lasst doch bitte 'The Incident' daheim, ok?

Setlist Porcupine Tree - Erstes Set: Occam's Razor, The Blind House, Great Expectations, Kneel and Disconnect, Drawing The Line, The Incident, Your Unpleasant Family, The Yellow Windows of the Evening Train, Time Flies, Degree Zero of Liberty, Octane Twisted, The Séance, Circle of Manias, I Drive the Hearse

Zweites Set: The Start of Something Beautiful, Russia on Ice (Pt I), Anesthetize (Pt II, «The Pills I'm Taking»), Stars Die, Way Out of Here, Normal, Bonnie the Cat

Zugaben: The Sound of Muzak, Trains